TE Vfgh Beschluss 1997/6/9 G1390/95

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Veröffentlicht am 09.06.1997
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
VwGG §27
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit
KFG 1967 §75

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des VwGG betreffend die Voraussetzungen für die Erhebung einer Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof mangels aktueller Beeinträchtigung der rechtlich geschützten Interessen des Antragstellers; keine Säumigkeit der Behörde; Abweisung des Verfahrenshilfeantrags wegen Aussichtslosigkeit

Spruch

Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

Der Gesetzesprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. In seinem nicht durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebrachten Antrag begehrt der Einschreiter "gemäß Art140, 139 B-VG die Wortfolge 'binnen sechs Monaten' im §27 des Verwaltungsgerichtshofsgesetzes wegen Verletzung verfassungsmäßig garantierter Grund- und Freiheitsrechte insbesondere der Europäischen Menschenrechtskonvention" aufzuheben. Außerdem beantragt er für diese Rechtssache die Bewilligung der Verfahrenshilfe.

§27 VwGG regelt die Voraussetzungen für die Erhebung einer Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

2. Den mit "Antragslegitimation" überschriebenen Ausführungen des Einschreiters ist im wesentlichen folgendes zu entnehmen:

Im März 1995 sei der Antragsteller mit Schreiben des Verkehrsamtes Wien aufgefordert worden, sich zwecks Überprüfung seiner gesundheitlichen Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges, einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Da - so führt der Einschreiter weiters aus - telefonisch keine für ihn befriedigende Auskunft darüber zu erhalten gewesen sei, warum Zweifel an seiner diesbezüglichen gesundheitlichen Eignung bestünden, habe er einen "Antrag auf bescheidmäßige Entscheidung ..., daß keine Bedenken i.S.d. §75 Abs1 (die Bestimmung betrifft das Verfahren bei der Entziehung der Lenkerberechtigung) KFG vorliegen", eingebracht. Die Behörde sei aber säumig geblieben.

In der Folge habe sich der Antragsteller zum vorgeschriebenen Termin zur amtsärztlichen Untersuchung begeben. In deren Verlauf sei es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Einschreiter und dem Amtsarzt bzw. anderen Organen des Verkehrsamtes gekommen.

Mit am 24. November 1995 dem Beschwerdeführer zugestellten Bescheid sei schließlich der Entzug der Lenkerberechtigung verfügt worden. Dies sei damit begründet worden, daß der Einschreiter "einen Bescheid vom 29.5.95 nicht beachtet hätte, irgendwelche Befunde zu bringen". Dieser Bescheid ist dem Antragsteller - seinen Behauptungen zufolge - nie zugestellt worden.

Weiters bringt der Einschreiter vor:

"Durch die angesprochene Gesetzesbestimmung (gemeint offenbar: die Wortgruppe 'binnen 6 Monaten' in §27 VwGG) wird direkt und indirekt (z.B. durch Zwang zur Beweislastumkehr) aktuell verletzend in meine Rechtssphäre eingegriffen, ohne daß es hiefür eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung bedarf. Vielmehr betrifft die angefochtene Norm eine Zuständigkeitsbestimmung eines Gerichtes. Mir steht somit kein zumutbarer Weg offen, mich wirksam gegen einen Bescheid innerhalb angemessener Frist zur Wehr setzen zu können, meine Antragslegitimation ist somit gegeben."

3. In Darlegung seiner verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung führt der Einschreiter folgendes aus:

"Im besonderen Verwaltungsrecht bringt der Gesetzgeber wiederholt zum Ausdruck, daß über einzelne Anträge beschleunigt entschieden werden muß (z.B. auch im PaßG und im BDG bzgl. DOK). In Anbetracht der Überschrift des 6. Hauptstückes des B-VG bliebe eine Sanktionierung einer kürzeren Entscheidungspflicht einer Behörde als sechs Monate der nachprüfenden Kontrolle des VwGH entzogen gem. Art132. Der Gesetzgeber muß seine Gründe gehabt haben, warum er in einzelnen besonderen Verwaltungsrechtsnormen längere oder kürzere Entscheidungsfristen vorsieht, zumal §62 Abs2 VwGG selbst einer Novellierung entspringt. Sie verweist auf eine Bestimmung, die den Zweck einer kürzeren Entscheidungsfrist vereitelt, sodaß das Gesetz inkohärent geworden ist.

Ich bin in meinen Grundrechten nach Art6,8,10 1d.1. Zusprot. sowie Art2d 4. Zusprot. verletzt, weil die jeweils geforderte Notwendigkeit für das Rechtssubjekt in den besonderen Verwaltungsgesetzen günstiger geregelt ist, nämlich um drei Monate im konkreten Fall. Wenn der Gesetzgeber drei Monate für angemessen hält, kann man davon ausgehen, daß drei Monate auch für die oberste Instanz genügen. Nach dem Urteil ....E.C.H.R. ist die Notwendigkeit eines Eingriffes strikt angemessen am Zweck zu beurteilen, sodaß drei Monate ausreichen.

Da in der amtlichen Entscheidungssammlung der Europ. Menschenrechtskommission in den Indexbänden separate Eintragungen zum Schlagwort "driving licence" erfolgen, bin ich auch noch in denjenigen Grundrechten verletzt, die in der Judikatur der Europ. Menschenrechtskommission zur Beurteilung herangezogen werden. Da ich leider daran gehindert bin, diese Beschwerde umfassend durch eine Recherche am Sitz der Europ. Menschenrechtskommission zu dokumentieren, weil ich nicht mit dem Auto dorthin fahren darf, bin ich insbesondere in meinem Grundrecht nach Art13 MRK verletzt."

4. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen.

Seinem eigenen Vorbringen zufolge ist dem Antragsteller gemäß §75 KFG bescheidmäßig die Lenkerberechtigung entzogen worden. Angesichts dessen ist es ausgeschlossen, anzunehmen, daß die (selbe) Behörde hinsichtlich der vom Antragsteller begehrten bescheidmäßigen Feststellung, daß in seinem Fall keine Bedenken im Sinne des §75 Abs1 KFG ("ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung noch gegeben sind"), säumig wäre. Somit kann der Antragsteller in diesem Zusammenhang von der angefochtenen Regelung, die die Erhebung der Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof betrifft, keinesfalls aktuell beeinträchtigt sein.

5. Der Individualantrag ist sohin mangels Legitimation zurückzuweisen.

6. Da sich somit die vom Einschreiter beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof als aussichtslos erweist, ist sein unter einem mit dem Individulantrag gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abzuweisen (§63 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG).

7. Diese Beschlüsse konnten gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG bzw. §19 Abs3 lite VerGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Verwaltungsgerichtshof, Säumnisbeschwerde, Kraftfahrrecht, Lenkerberechtigung, VfGH / Verfahrenshilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:G1390.1995

Dokumentnummer

JFT_10029391_95G01390_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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