TE Vfgh Erkenntnis 1997/6/9 B4856/96

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Veröffentlicht am 09.06.1997
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art7
RAO §10
RL-BA 1977 §18

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt aufgrund der Annahme des Vorliegens eines Disziplinarvergehens durch Nichtbeantwortung eines Schreibens

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Wien. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 15. November 1995 wurde er für schuldig befunden, das Schreiben eines Notars vom 16. November 1994, mit welchem von ihm als Vertragsverfasser und mit der grundbücherlichen Durchführung Beauftragtem die Übersendung der Kopien von Löschungserklärungen sowie die Mitteilung, wann mit der Einverleibung des Eigentumsrechtes von Frau M zu rechnen sei, erbeten wurden, sowie dessen Urgenzschreiben vom 29. November 1994 und 9. Jänner 1995 nicht beantwortet zu haben. Der Beschwerdeführer wurde hiefür wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zu einer Geldbuße in Höhe von S 10.000,-- sowie zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK). Mit Erkenntnis vom 9. September 1996 wurde dieser Berufung nicht Folge gegeben.

Die OBDK begründete ihre Entscheidung wie folgt:

"Da die Sachverhaltsfeststellung des Disziplinarrates an sich nicht bekämpft wird, hatte die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter lediglich zu prüfen, ob der festgestellte Sachverhalt die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes erfüllt.

Das Verhalten des DB ist mit den Pflichten eines Rechtsanwaltes nicht vereinbar. Ein Rechtsanwalt hat an ihn ergehende Anfragen und/oder Ansuchen noch dazu, wenn sie in einer konkret anhängigen Causa ergehen, zu erledigen, dh zu beantworten, und wenn diese Antwort auch möglicherweise nur in einer Ablehnung des betreffenden Ersuchens bestehen sollte. Im gegenständlichen Fall hat der als Parteienvertreter einschreitende Notar (Name des Notars) um Übersendung von Kopien von Unterlagen ersucht, die die Verkäuferseite beizubringen hatte, nämlich jener Löschungsquittung, die der Lastenfreistellung der kaufgegenständlichen Liegenschaft dienen sollte. Es trifft zwar zu, daß der DB als mit der grundbücherlichen Durchführung beauftragt, eben dafür zu sorgen hatte, daß diese Urkunde für die vertragsgemäße Eigentumseinverleibung der Käuferin so schnell wie möglich beigebracht werden sollte. Auch wenn er, seiner Darstellung zufolge, dem Notar darüber Nachricht gegeben hat, daß er im Besitz dieser Urkunde sei, schließt dies keinesfalls das Recht der Käuferin und sohin ihres Rechtsfreundes aus, sich Kenntnis vom Inhalt dieser kaufvertragsbezogenen Urkunde zu verschaffen. Der Notar hat in seinen Anfragen vom 16. und 29. November 1994, sowie vom 9. Jänner 1995 keinesfalls daran gezweifelt, daß die Mitteilung des DB an ihn, daß der DB bereits über die Löschungsurkunde verfüge, richtig sei, sondern lediglich um Übermittlung dieser Urkunden ersucht.

Der Ansicht des DB, daß er es als eine 'Pflanzerei' empfunden hat, um Übermittlung von Kopien von ohnehin in seiner Kanzlei erliegenden Unterlagen ersucht zu werden, kann nicht gefolgt werden. Das Verlangen des für die Käuferin einschreitenden Notars um Übersendung von Kopien der entsprechenden Löschungsquittungen impliziert auch nicht, daß der Aussage des DB, er verfüge bereits über die entsprechenden - vom DB in der Berufungsverhandlung in Kopie vorgelegten - Unterlagen, nicht Glauben geschenkt werde. Da es sich bei der Löschungsquittung um eine vom Kaufvertragsinhalt in einem wesentlichen Punkt erfaßte Unterlage handelt, steht es außer Frage, daß der Käuferin und somit auch dem für sie einschreitenden Notar das Recht zustand, eine der-artige Kopienübersendung - und sei es auch nur zur Information - zu begehren.

Der DB hatte die Verpflichtung, die durchaus berechtigten Briefe des Anzeigers zu beantworten. Daß er dies nicht getan hat, stellt ein standeswidriges Verhalten dar. Wenn auch die Anfrage des anzeigenden Notars, wann mit einer Verbücherung des Kaufvertrages zu rechnen sei, möglicherweise von diesem wohl auch selbst hätte beantwortet werden können, weil er wohl mit den üblichen Erledigungsfristen bei Grundbuchsgerichten vertraut sein mußte, ist diese Anfrage in Verbindung mit dem Ersuchen um Urkundenübersendung nicht so fern jeder Berechtigung, daß sie vom DB bereits als 'Pflanzerei' oder 'Frechheit' zu verstehen war. Der DB hatte die Verpflichtung, die Anfragen bzw. das Ersuchen des Anzeigers zu beantworten. Daß er dies nicht getan hat, ist ihm als Disziplinarvergehen anzurechnen.

In Anbetracht dieser - besonders einem berufsmäßigen Parteienvertreter gegenüber bestehenden - Verpflichtung bedurfte es keiner Beweiserhebung über den genauen Inhalt des von ... dem Notar erteilten Auftrages. Der in der Berufungsverhandlung gestellte Beweisantrag des DB war daher abzuweisen, zumal nicht dargetan wurde, weshalb das Vorbringen des Notars im Schreiben vom 16. November 1994 (über ein Ersuchen seiner Mandantin um Übersendung einer Kopie der Freilassungserklärung) nicht den Tatsachen entsprechen sollte und sich der Antrag als solcher auf Aufnahme eines Erkundungsbeweises darstellt, dem Erfolg zu versagen ist (Mayerhofer/Rieder StPO3 §281 Z4 E 88 ff)."

3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie die Verletzung in durch Art6 und 7 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet sowie die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

Der Beschwerdeführer bringt hiezu folgendes vor:

"1. Ich habe bei der Berufungsverhandlung vor der OBDK den Antrag auf Vernehmung der (Name der Käuferin) sowie des Notars gestellt. Dieser Antrag wurde mit der vordergründigen Behauptung, es handle sich um einen Erkundungsbeweis, abgelehnt.

Durch die Ablehnung meines Beweisantrages wurde ich in meinem Recht nach Art83 Abs2 B-VG verletzt.

2. Die belangte Behörde vermeint, daß ich der Aufforderung von irgendeinem Notar, Urkunden ihm zu übermitteln, die meiner Mandantschaft gehören, nicht entsprochen und dadurch ein Disziplinarvergehen begangen habe.

§18 RL-BA sagt ausdrücklich, daß ich nur verpflichtet bin, einem Rechtsanwalt zu antworten. Diese Antwort kann positiv oder negativ stattfinden. Auf jeden Fall ist ein Notar kein Rechtsanwalt.

Nullum crimen, nulla poene sine lege (Art7 MRK). Das Verhalten der belangten Behörde ist Willkür. Die belangte Behörde konnte keine den RL-BA widersprechende Argumentation für ihre Entscheidung finden. Eine Verletzung nach Art6 MRK ist somit dokumentiert. Auch die oben angeführte Verletzung nach Art7 MRK 'Nullum crimen, nulla poene sine lege' ist gegeben."

4. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

5.1. Der Beschwerdeführer behauptet zunächst, durch die Ablehnung eines Beweisantrages im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein. Dieses Vorbringen ist jedoch, selbst wenn die Abweisung des Beweisantrages tatsächlich zu Unrecht erfolgt wäre, nicht geeignet, eine Verletzung dieses Grundrechts darzutun, da durch bloßes Zuwiderhandeln gegen Verfahrensvorschriften das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt wird (vgl. zB VfSlg. 10140/1984 und 11102/1986).

5.2. Der Beschwerdeführer erachtet sich weiters durch die Abweisung seines Beweisantrages in den durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten - gemeint wohl: im Recht auf ein fair trial - verletzt; der Sache nach wird mit dem Vorwurf, der Antrag sei "mit der vordergründigen Behauptung, es handle sich um einen Erkundungsbeweis, abgelehnt" worden, Willkür behauptet. Angesichts des vorliegenden - in seinen wesentlichen Punkten unstrittigen - Sachverhaltes treffen die behaupteten Beschwerdevorwürfe jedoch offenkundig nicht zu. Die Abweisung des Beweisantrages des Beschwerdeführers über den genauen Inhalt des von der Käuferin dem von ihr bevollmächtigten Notar erteilten Auftrages ist schon vom Ansatz her nicht geeignet, die geltend gemachten Grundrechtsverletzungen zu bewirken. Da der von der Käuferin beauftragte Notar gegenüber dem Disziplinarbeschuldigten ausgewiesen war und mit dem unbeantworteten Schreiben ein Anliegen um Information aktualisierte, das für einen gewissenhaften Rechtsvertreter durchaus üblich ist und in pflichtgemäßer Erfüllung eines Mandates auch ohne darauf abzielenden Auftrag des Mandanten erhoben werden kann, konnte die belangte Behörde den abgewiesenen Beweisantrag vertretbarerweise als für den Ausgang des Verfahrens unbeachlich werten, sodaß hiedurch eine Grundrechtsverletzung nicht stattfand.

5.3. Der Beschwerdeführer macht schließlich geltend, der angefochtene Bescheid verletze den Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege und verstoße deshalb gegen Art7 EMRK. Gemäß §18 RL-BA sei ein Rechtsanwalt nämlich lediglich verpflichtet, einem Rechtsanwalt zu antworten; auf keinen Fall bestehe für einen Rechtsanwalt eine Antwortpflicht gegenüber einem Notar.

Mit diesem Vorbringen verkennt der Beschwerdeführer jedoch die Rechtslage. §18 RL-BA 1977 betrifft nämlich lediglich standesrechtliche Verpflichtungen eines Rechtsanwaltes gegenüber einem Standeskollegen. Wenn der Beschwerdeführer meint, aus dieser Richtlinie ergebe sich nicht nur die Pflicht eines Rechtsanwaltes, Briefe eines Kollegen zu beantworten, sondern auch, daß ein Anwalt nicht verpflichtet sei, Schreiben von anderen Personen zu beantworten, dann ist dies offenkundig verfehlt; §18 RL-BA 1977 steht nämlich unter der Überschrift "Der Rechtsanwalt und sein Stand", woraus bereits zu entnehmen ist, daß diese Richtlinie nur in diesem bestimmten Rahmen eine Aussage enthält. §18 RL-BA 1977 steht daher der Auffassung der OBDK, der Beschwerdeführer hätte durch die Nichtbeantwortung der an ihn gerichteten Schreiben des als Rechtsvertreter der Käuferin einschreitenden Notars ein Disziplinarvergehen gesetzt, nicht entgegen. Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, daß der Beschwerdeführer als Verfasser eines Kaufvertrages der Käuferin ihrem notariellen Rechtsvertreter gegenüber hinsichtlich des Wunsches, Kopien der für die Kaufvertragsabwicklung maßgeblichen Löschungserklärungen zu übermitteln, antwortpflichtig gewesen ist. Eine solche Pflicht eines Vertragsanwaltes entspricht §10 Abs2 RAO, wonach ein Rechtsanwalt "überhaupt verpflichtet (ist), durch Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit in seinem Benehmen die Ehre und Würde des Standes zu wahren." Ausgehend von dem unbestrittenen Sachverhalt und vor dem Hintergrund seiner Rechtsprechung zu Art7 EMRK (vgl. zB VfSlg. 11776/1988, 12962/1992, 13233/1992, 13526/1993, 13580/1993, 13606/1993 und VfGH 9.12.1996 B3549/95) sieht sich der Verfassungsgerichtshof nicht in der Lage, dem Vorwurf des Beschwerdeführers, durch den angefochtenen Bescheid im genannten Grundrecht verletzt zu sein, zu folgen.

5.4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5.5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B4856.1996

Dokumentnummer

JFT_10029391_96B04856_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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