TE Lvwg Erkenntnis 2019/1/16 VGW-152/071/12141/2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.01.2019
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Entscheidungsdatum

16.01.2019

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

AVG §69 Abs1 Z1
AVG §69 Abs3
StbG 1985 §10
StbG 1985 §12
StbG 1985 §13
StbG 1985 §64a Abs11

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Mag. Ivica Kvasina über die Beschwerde des Herrn A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, vom 08.06.2017, Zl. …, mit welchem 1) das mit rechtskräftigem Bescheid vom 19.12.2012 abgeschlossene Staatsbürgerschaftsverfahren, mit welchem Herrn A. B. die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, gemäß § 69 Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), von Amts wegen zum Zeitpunkt vor der Zusicherung der Staatsbürgerschaft wieder aufgenommen wurde sowie 2) das Ansuchen vom 23.09.2004 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG) idgF. iVm. § 11 StbG, abgewiesen wurde,

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird die Beschwerde zum Spruchpunkt 1) als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens bestätigt.

II. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird die Beschwerde zum Spruchpunkt 2) als unbegründet abgewiesen und der Antrag des Beschwerdeführers auf die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vom 23.09.2004 gemäß §§ 10 ff StbG in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 38/2011 abgewiesen.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Antrag vom 23.09.2004 begehrte der Beschwerdeführer die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 09.10.2012, Zl. …, ausgefolgt am 11.10.2012, die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, dass er innerhalb von 2 Jahren ab Ausfolgung des Zusicherungsbescheides die Entlassung aus dem ägyptischen Staatsverband für sich vorweist.

Seine Entlassung aus dem ägyptischen Staatsverband hat der Beschwerdeführer mit Bestätigung der Ägyptischen Botschaft Wien vom 15.10.2012, bei der belangten Behörde eingelangt am 18.10.2012, vorgewiesen.

Anschließend wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 19.12.2012, Zl. …, die österreichische Staatsbürgerschaft gem. § 10 Abs. 1 StbG 1985 verliehen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde das mit Bescheid der belangten Behörde vom 19.12.2012 abgeschlossene Staatsbürgerschaftsverfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 AVG zum Zeitpunkt vor Zusicherung der Verleihung wieder aufgenommen (Spruchpunkt 1.) und das Ansuchen des Beschwerdeführers vom 23.09.2004 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG abgewiesen (Spruchpunkt 2.).

Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges und der maßgeblichen Rechtsvorschriften im Ergebnis aus, dass der Beschwerdeführer von 22.10.2004 bis 18.04.2014, somit nahezu 9 1/2 Jahre bigamisch mit Frau C. D. (Eheschließung am 03.12.2003, Scheidung am 18.04.2014) sowie mit Frau E. F. (Eheschließung am 22.10.2004) verheiratet war.

Der Beschwerdeführer habe die Tatsache, dass er während des Einbürgerungsverfahrens und sowohl im Zeitpunkt der Zusicherung als auch im Zeitpunkt der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft auch mit einer ägyptischen Staatsbürgerin verheiratet gewesen sei der Behörde bewusst verschwiegen. Er habe hiedurch die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft erschlichen. Das Eingehen der Zweitehe wäre mit den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung nicht vereinbar.

Die belangte Behörde begründete im Weiteren unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union im Urteil vom 02.03.2010 in der Rechtssache C-135/08, Rottmann, ihre Ermessensübung nach § 69 Abs. 3 AVG. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft sei gleichzeitig abzuweisen gewesen, weil das Fehlverhalten des Beschwerdeführers (Bigamie) als so schwerwiegend beurteilt werde, dass das Einbürgerungshindernis gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG vorliege.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die Beschwerde wurde unter Anschluss des bezughabenden Verwaltungsaktes des mit 04.09.2017 (einlangend) an das Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vorgelegt. Von der Möglichkeit der Nachholung des Bescheides wurde Abstand genommen und auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.

Das Verwaltungsgericht Wien hat am 22.01.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsvertreter erschienen ist.

Der Beschwerdeführer gab, als Partei einvernommen, Folgendes an:

„Während eines Ägypten-Urlaubes im Jahre 2004 habe ich meine ägyptische Ehegattin kennengelernt. In der Folge wurde sie schwanger und ich wurde gezwungen sie zu heiraten. Dieses erste Kind hat meine Frau aber in der Folge leider verloren. Sie war ca. im dritten oder im vierten Monat, als sie das Kind verloren hat. Diesbezüglich gibt es keine medizinischen Aufzeichnungen. Meiner österreichischen Ehegattin habe ich nie gesagt, dass ich in Ägypten verheiratet war oder dass meine ägyptische Frau schwanger war. Frau D. weiß bis heute nicht, dass ich auch in Ägypten verheiratet war. Ebenso weiß meine ägyptische Ehegattin nicht, dass ich mit einer Österreicherin verheiratet war.

Jedes Jahr habe ich Urlaub in Ägypten gemacht. Frau D. hat mich nur einmal begleitet, aber ich kann mich nicht genau erinnern wann das war. Ich bin jedes Jahr alleine nach Ägypten gefahren. Ich habe meine Ehegattin in Ägypten nie finanziell unterstützt. Da ich mich mit meinem Schwiegervater nie gut verstanden habe, kam es nicht dazu, dass meine Ehegattin nach Österreich umgezogen ist. Erst nachdem mein Schwiegervater gestorben war, war es überhaupt möglich, dass meine Ehegattin nach Österreich kommt. Mein Schwiegervater ist im Jahre 2007 oder 2008 gestorben. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, nachdem meine Ehegattin das erste Kind verloren hat, mich von meiner ägyptischen Ehegattin scheiden zu lassen, und zwar weil ich Angst vor meinem Schwiegervater hatte.

Auch nachdem mein Schwiegervater verstorben war, wollte meine Frau nicht nach Österreich kommen, da sie in Ägypten ein Haus hatte, gearbeitet hat und sie durch die Schwiegermutter finanziell abgesichert war. Erst im Jahre 2015 ist meine ägyptische Ehegattin nach Österreich gekommen. Der Grund dafür war, dass meine Schwiegermutter im Jahre 2013 pensioniert wurde und meine Kinder ständig nach mir gefragt haben.

Im Jahre 2014 habe ich mich einvernehmlich scheiden lassen von der Frau D.. Der Grund dafür war, dass sie keine Kinder bekommen konnte. Wir hatten bis heute ein gutes Verhältnis. Hätte Frau D. Kinder bekommen können, so würde ich zwei Familien haben, eine in Österreich und eine in Ägypten.

Im Hinblick auf meine niederschriftliche Aussage vor der belangten Behörde am 08.02.2006, dass ich in Ägypten nicht bereits verheiratet war, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt seit zwei Jahren mit der ägyptischen Ehegattin verheiratet war, kann ich angeben, dass ich damals meinte, dass ich gefragt wurde, ob ich vor der Eheschließung mit Frau D. in Ägypten bereits verheiratet war.

Im Hinblick auf meine Angabe vor der belangten Behörde am 13.10.2008, dass ich für keine Kinder sorgepflichtig bin, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Kinder hatte, kann ich angeben, dass ich damals den Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nur für mich gestellt habe und nicht für meine Kinder. Deswegen habe ich auch diese Angabe gemacht.

Der Wunsch meines Schwiegervaters war, dass seine Tochter einen Mann aus seiner Militärsfamilie heiratet und nicht mich. Mein Schwiegervater war ein General in der ägyptischen Armee.

Meine zwei älteren Kinder gehen hier zur Schule und können arabisch weder schreiben noch lesen. In Ägypten leben noch meine Mutter und die Schwiegermutter. In Österreich leben ein Bruder und eine Schwester von mir. Sonst habe ich keine Verwandten in Ägypten.“

Nach Klärung der Rechts- und Sachlage erklärte der Vertreter des Beschwerdeführers abschließend, dass er auf die mündliche Verkündung der Entscheidung und somit auf die die Fortsetzung der Verhandlung verzichte und sich mit der schriftlichen Erledigung des Verfahrens einverstanden erkläre.

Aus dem den Beschwerdeführer betreffenden fremdenrechtlichen Administrativakt der belangten Behörde, den vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumenten und Unterlagen sowie den vom Verwaltungsgericht Wien getätigten Abfragen ergibt sich folgender, entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer, welchem mit Bescheid der belangten Behörde vom 09.10.2012 die österreichische Staatsbürgerschaft zugesichert, und – nach Ausscheiden aus dem ägyptischen Staatsverband (Entscheid des Innenminister der Arabischen Republik Ägypten … vom 17.03.2012) - mit Bescheid der belangten Behörde vom 19.12.2012 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, am 03.12.2003 die österreichische Staatsbürgerin C. D. in Wien geheiratet hat (Standesamt …) und am 22.10.2004 die ägyptische Staatsbürgerin E. F. in G., Ägypten, geheiratet hat (Standesamt G., Eintragungsnummer …), wobei die rechtskräftige Scheidung von der ersten Ehegattin, Frau D., erst am 18.04.2014 erfolgte (durch Beschluss des BG, rechtskräftig am 18.04.2014, Zl. …). Dementsprechend war der Beschwerdeführer in der Zeit zwischen 22.10.2004 und 18.04.2014 gleichzeitig mit zwei Frauen verheiratet.

Aus der Ehe mit Frau D. kamen keine Kinder hervor. Die Zweitehefrau, Frau F., hat in der noch immer aufrechten Ehe mit dem Beschwerdeführer drei Kinder geboren, nämlich K. B., geb. 2007 in Ägypten, L. B., geb. 2008, in Ägypten, sowie M. B., geb. 2014, ebenfalls in Ägypten.

Frau F. ist derzeit im Besitz eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“, gültig bis 12.04.2021, die Kinder K. und L. sind ebenfalls im Besitz eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“, gültig bis 13.08.2020, und die Tochter M. ist österreichische Staatsbürgerin. Der Beschwerdeführer selbst hatte vor der Verleihung der Staatsbürgerschaft einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“, gültig vom 18.01.2012 bis 18.01.2015, inne.

Im Zuge des Verleihungsverfahrens vor der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer am 08.02.2006 niederschriftlich einvernommen und befragt, ob er in Ägypten bereits verheiratet war, was der Beschwerdeführer verneinte. Anlässlich des Weiterbearbeitungsantrages vom 13.10.2008 hat der Beschwerdeführer angegeben, dass er für keine Kinder sorgepflichtig sei. Sowohl bei der Übernehme des Zusicherungsbescheides am 11.10.2012, wie auch bei der Übernahme des Verleihungsbescheides am 19.12.2012, bestätigte der Beschwerdeführer niederschriftlich, dass sich seine persönlichen Verhältnisse nicht geändert haben. Zu keinem Zeitpunkt während des Verleihungsverfahrens (23.09.2004 bis 19.12.2012) hat der Beschwerdeführer angegeben, dass er auch in Ägypten (seit 22.10.2004) verheiratet ist und (ab 2007) für zwei Kinder sorgepflichtig ist, obwohl er explizit seitens der belangten Behörde diesbezüglich befragt wurde.

 

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Ad 1) Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens:

Rechtsgrundlage nach § 69 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991:

Wiederaufnahme des Verfahrens

§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

1.  der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2.  neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

3.  der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde ;

4.  nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 AVG kann ein mit Bescheid abgeschlossenes Verfahren von Amts wegen wieder aufgenommen werden, wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.

Das "Erschleichen" eines Bescheides liegt dann vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dann dem Bescheid zugrunde gelegt worden sind, wobei das Verschweigen wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Dabei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, die Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen. Der Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG hat nach herrschender Ansicht absoluten Charakter; es kommt nicht darauf an, ob ohne das verpönte Verhalten voraussichtlich eine anders lautende Entscheidung ergangen wäre bzw. ob die Behörde oder das VwG im neuen Verfahren voraussichtlich zu einer anders lautenden Entscheidung gelangen wird (vgl.  VwGH 8.6.2006, 2004/01/0470; 4.9.2008, 2005/01/0129; vgl. auch Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), § 69 AVG E 81; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69, Rz. 27). Ermittlungen zur Frage der Relevanz des als Wiederaufnahmegrund herangezogenen Verhaltens sind daher grundsätzlich entbehrlich. Richtig ist lediglich, dass den zu beurteilenden unrichtigen Angaben wesentliche Bedeutung zukommen muss (vgl.  VwGH 2004/01/0470). Das die Wiederaufnahme auslösende Verhalten der Partei muss auf die Erlassung eines konkreten Bescheides bzw. Erkenntnisses zielgerichtet sein bzw. das Verhalten denknotwendig der Erlassung des Bescheides bzw. Erkenntnisses vorangehen (VwGH vom 09.08.2018, Ra 2018/22/0076).

Die für die Erschleichung eines Bescheides notwendige Irreführungsabsicht setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes voraus, dass die Partei wider besseren Wissens gehandelt hat, um einen vielleicht sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen. Ob Irreführungsabsicht vorliegt, kann nur aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen geschlossen werden, die von der Behörde in freier Beweiswürdigung festzustellen sind (vgl. etwa VwGH 08.05.2008, 2004/06/0123).

Der Beschwerdeführer tritt den Feststellungen der belangten Behörde im Zusammenhang der „Erschleichung“ insofern entgegen, als er die Irreführungsabsicht bestreitet. Das Staatsbürgerschaftsverfahren habe rund acht Jahre gedauert, weshalb dem Beschwerdeführer nachvollziehbarer Weise nicht mehr erinnerlich war, welche Angaben er im Verfahren wann gemacht habe. Er sei der Auffassung, sämtliche erforderlichen Angaben richtig im Zuge des Verfahrens gemacht zu haben und habe im Zuge der Niederschrift im Jahr 2012 keinesfalls die Absicht, die Behörde in die Irre zu führen. Er sei zudem der Auffassung gewesen, dass die Angaben zu den persönlichen Verhältnissen insbesondere dann zu aktualisieren sind, wenn sich diese auf Österreich beziehen.

Der Beschwerdeführer wurde mehrfach im Zuge des Verleihungsverfahrens zu seiner Familiensituation befragt. Er erwähnte dabei seine Eheschließung mit der ägyptischen Staatsangehörigen vom 22.10.2004 kein einziges Mal. Der belangten Behörde war es nicht zumutbar weitere Erhebungen in diese Richtung, nämlich ob der Beschwerdeführer eine Doppel- bzw. Mehrfachehe führt, zu führen, zumal keinerlei Anhaltspunkte gegeben waren. Er gab sogar im Zuge der Abschlussniederschrift vor Zusicherung der Verleihung an, dass sich an seinen persönlichen Verhältnissen nichts geändert habe, obwohl ihm bewusst war, dass er in der Zwischenzeit eine zweite Ehe eingegangen ist.

Der Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben des Beschwerdeführers und der Verleihung der Staatsbürgerschaft bezüglich seiner bigamischen Ehe kann freilich nicht in Zweifel gezogen werden, geht es doch in einem Verleihungsverfahren darum, zu prüfen, ob eine bestimmter Fremder bereit ist - im Sinne des zu leistenden Gelöbnisses nach § 21 StbG - sich zu den Grundwerten eines europäischen, demokratischen Staates und seiner Gesellschaft zu bekennen. Insofern kann jedenfalls nicht gesagt werden, es sei belanglos, dass der Beschwerdeführer der belangten Behörde nicht mitgeteilt hat, dass er auch in Ägypten verheiratet ist.

Die belangte Behörde ist im Ergebnis richtigerweise davon ausgegangen, dass der Wiederaufnahmegrund der „Erschleichung“ im Sinne der zitierten Judikatur nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG gegeben ist, zumal der Beschwerdeführer im behördlichen Verfahren wiederholt unrichtige Angaben zu seinem Familienstand tätigte bzw. den relevanten Umstand, dass er während aufrechter Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin eine weitere Ehe mit einer ägyptischen Staatsbürgerin in Ägypten einging, verschwieg. Die Motivation des Beschwerdeführers für das Eingehen der zweiten Ehe (Zwang auf Grund der Schwangerschaft der ägyptischen Ehegattin) kann nur als Schutzbehauptungen angesehen werden. Es ist nicht glaubhaft, dass sich der Beschwerdeführer von seiner ägyptischen Ehegattin nicht hat scheiden lassen, nur weil er Angst von seinem Schwiegervater hatte, zumal die Scheidung auch nicht nach dem Tod des Schwiegervaters erfolgte.

Aus diesen Gründen wurde das Verfahren durch die belangte Behörde zu Recht wieder aufgenommen.

Verhältnismäßigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens:

Der Beschwerdeführer bringt vor, dass die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens unverhältnismäßig gewesen sei.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 03.03.2010 in der Rechtssache C- 135/08, Rottmann, ist, wenn eine Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft verliert, "zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt" (Randnrn. 54, 55 und 59).

Bei der Prüfung einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung sind -so der EuGH weiter - "die möglichen Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und gegebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zur Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen".

Ob nach der in den genannten Erkenntnissen angeführten Rechtsprechung des EuGH im Urteil "Rottmann" fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Entziehung der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist, hat die belangte Behörde ausreichend geprüft.

Laut Rechtsprechung des VwGH ist die Entziehung der Staatsbürgerschaft nur „ausnahmsweise unverhältnismäßig“ (VwGH 26.01.2012, 2009/01/0060). Der Verwaltungsgerichtshof geht - dem EuGH folgend - in Fällen, in denen die Verleihung der Staatsbürgerschaft erschlichen wurde, von der Erwägung aus, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft nach Maßgabe des § 69 Abs. 1 Z 1 (iVm Abs. 3) AVG grundsätzlich zulässig ist. Die Staatsbürgerschaftsbehörde hat in derartigen Fällen jedoch zu prüfen, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist; bei dieser Prüfung ist der Behörde ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, wobei es Sache des Verleihungswerbers ist, konkret darzulegen, dass die Behörde diesen Beurteilungsspielraum überschritten hat (vgl. Fasching, Staatsbürgerschaftsrecht im Wandel (2014) 26 f, mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung).

Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens gab der Beschwerdeführer an, er lebe seit rund 15 Jahren in Österreich und sei beinahe die gesamte Dauer seines bisherigen Aufenthaltes erwerbstätig gewesen. Im Fall des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft wäre er gezwungen, seine jahrelange Tätigkeit aufzugeben, da er keinen Arbeitsmarktzugang mehr hätte. Er käme in eine existentielle Krise, da er den Lebensunterhalt für sich und seine Familie nicht mehr sichern könnte. Auch ein nachfolgender Bezug von Sozialleistungen wäre mangels Aufenthaltsrechts nicht möglich. Die Erlangung eines Aufenthaltstitels sei für den Beschwerdeführer auch unmöglich. Die Kinder des Beschwerdeführers können Arabisch weder lesen noch schreiben und könnten daher im Fall einer erzwungenen Rückkehr nach Ägypten dort nicht im Regelschulbetrieb Fuß fassen. Dies hätte für ihre weitere Entwicklung katastrophale Konsequenzen, zumal ihre Erstsprache seit ihrem Aufenthalt im Bundesgebiet Deutsch sei. Außerdem hätte die Familie in Ägypten keine Existenzgrundlage. Auch ein Erwerb der ägyptischen Staatsbürgerschaft sei für den Beschwerdeführer nicht möglich. Insbesondere sei eine Änderung des ägyptischen Staatsbürgerschaftsrechts beabsichtigt, verbunden mit einer deutlichen Erschwerung des Wiedererwerbs bzw. Erwerbs der ägyptischen Staatsbürgerschaft.

Die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens erweist sich – entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers - als nicht unverhältnismäßig:

Im gegenständlichen Fall liegen zwischen der rechtskräftigen Verleihung am 19.12.2012 bis zum jetzigen Zeitpunkt 6 Jahre und 1 Monat. Dieser Zeitabstand würde somit für sich allein noch nicht die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme der Entziehung bewirken, zumal nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Zeitraum von sechs Jahren zwischen dem Verleihungszeitpunkt und der Erlassung des angefochtenen Bescheides für sich nicht die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme zur Folge hat (vgl. etwa VwGH 15.12.2015, Ro 2015/01/0002).

Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer durch die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahren staatenlos wird, schadet auch nicht, zumal die belangte Behörde die Wiederaufnahme des Verfahrens auf die Z 1 des § 69 Abs. 1 AVG gestützt hat und § 24 StbG zufolge eine Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens nach dieser Bestimmung auch zulässig ist, wenn der Betroffene dadurch staatenlos wird (vgl. etwa VwGH 15.12.2015, Ro 2015/01/0002).

Dem Beschwerdeführer wurde am 17.03.2012 sein Ansuchen, sich um die Zuerkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu bewerben, vom ägyptischen Innenminister genehmigt (laut aktenkundiger Bestätigung des ägyptischen Konsulats vom 15.10.2012 würde der Beschwerdeführer durch die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zugleich die ägyptische Staatsbürgerschaft verlieren). Gemäß Art. 18 des ägyptischen Staatsbürgerschaftsgesetzes steht es dem Innenminister frei, die ägyptische Staatsangehörigkeit demjenigen wieder zu verleihen, der sie durch den genehmigten Erwerb einer fremden Nationalität verloren hat. Die Wiederverleihung der ägyptischen Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer ist daher nach dem Gesetzeswortlaut grundsätzlich möglich.

Die Ehegattin und zwei Kinder des Beschwerdeführers sind ägyptische Staatsbürger und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen. Ein Kind ist österreichischer Staatsbürger auf Grund der Abstammung. Für die Familienangehörige – wie für den Beschwerdeführer selbst – kommt bei einem Verlust des Aufenthaltsrechts, bedingt durch die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens und Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft, die Erteilung eines „humanitären“ Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 ff AsylG in Frage, bzw. ist die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels im Hinblick auf den langjährigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet geboten.

Daher kann die erfolgte Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens keinesfalls als unverhältnismäßig bezeichnet werden.

Ad 2) Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vom 23.09.2004:

Gemäß § 64a Abs. 11 StbG sind zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011, mithin dem 1. Juli 2011, anhängige Verfahren nach den Bestimmungen in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 38/2011 zu Ende zu führen. Somit ist auch auf das Verleihungsverfahren des Beschwerdeführers das Staatsbürgerschaftsgesetz idF. vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 38/2011 anzuwenden.

Alle Verleihungstatbestände des StbG idF. vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 38/2011 – abgesehen von § 10 Abs. 4 und Abs. 6, § 12 Z 1 lit. a und §§ 12 und 13 - verlangen von einem Antragsteller entweder einen sechs- oder zehnjährigen ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet. Dem Beschwerdeführer wurde vor der Verleihung der Staatsbürgerschaft ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“, gültig vom 18.01.2012 bis 18.01.2015, erteilt. Durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft am 19.12.2012 ist dieser Aufenthaltstitel gemäß § 10 Abs. 3 Z 2 Niederlassungs- uns Aufenthaltsgesetz (NAG) gegenstandslos geworden. Dies bedeutet, dass der Beschwerdeführer seit 19.12.2012 über keinen Aufenthaltstitel in Österreich verfügt. Selbst die Annahme, die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens und das damit bewirkte Wiederaufleben des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels hätten die Gegenstandslosigkeit dieses Aufenthaltstitels beseitigt, würde dem Beschwerdeführer keine Vorteile bringen, zumal er nur über einen befristeten Aufenthaltstitel verfügte und dieser am 18.01.2015 abgelaufen ist.

Da der Beschwerdeführer derzeit über keinen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt, und § 10 Abs. 4 und Abs. 6, § 12 Z 1 lit. a, sowie §§ 12 und 13 StbG idF. vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 38/2011 auf den Beschwerdeführer keine Anwendung finden, war sein Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vom 23.09.2004 abzuweisen.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Wiederaufnahme; Erschleichen eines Bescheides; Irreführungsabsicht; Urteil Rottmann; Verhältnismäßigkeit; ägyptisches Staatsbürgerschaftsgesetz; Verleihungsvoraussetzungen; rechtmäßiger Aufenthalt

Anmerkung

VfGH v. 11.6.2019, E 761/2019; Ablehnung
VwGH v. 19.5.2021, Ra 2019/01/0343; Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.152.071.12141.2017

Zuletzt aktualisiert am

10.06.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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