TE Vwgh Erkenntnis 1999/6/16 98/01/0172

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Veröffentlicht am 16.06.1999
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/01 Sicherheitsrecht;

Norm

AVG §67a Abs1 Z2;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
SPG 1991 §2 Abs2;
SPG 1991 §88 Abs1;
SPG 1991 §88 Abs2;
SPG 1991 §88 Abs4;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 98/18/0137 E 27. November 2001

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des GG in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 28. August 1997, Zl. Senat-B-97-007, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde nach § 88 SPG, (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 28. August 1997 wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) eine Beschwerde des nunmehrigen Beschwerdeführers gemäß § 67c Abs. 4 AVG zurück (und einen Antrag auf Kostenersatz gemäß § 79a Abs. 1 AVG ab). Dies begründete er im Wesentlichen wie folgt:

Der Beschwerdeführer habe in seiner Beschwerde vom 20. Februar 1997 vorgebracht, ein österreichisches Grenzkontrollorgan hätte bei einer Einreise des Beschwerdeführers nach Österreich mit dem Pkw am 2. Februar 1997 über den Grenzübergang Berg seinen österreichischen Reisepass kontrolliert und durch Anbringung eines "Einreisesichtvermerkes" die Einreise ersichtlich gemacht; der Anbringung des Sichtvermerkes wäre kein Verwaltungsverfahren vorausgegangen, es hätte sich dabei auch nicht um die Vollstreckung eines Bescheides oder einer Gerichtsentscheidung gehandelt, weshalb eine Maßnahme unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt vorgelegen hätte; diese würde gemäß § 88 Abs. 1 und 2 SPG bekämpft; für die Ersichtlichmachung der Einreise hätte keine Rechtsgrundlage bestanden; sie wäre gesetzlos erfolgt, weshalb er (der Beschwerdeführer) in seinem gemäß § 87 SPG einfachgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gesetzmäßigkeit sicherheitspolizeilicher Maßnahmen - und in weiteren näher genannten Rechten - verletzt worden wäre.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes - so die belangte Behörde weiter - liege eine "faktische Amtshandlung" nur bei Anwendung physischen Zwanges oder bei Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch vor. Gemäß § 9 lit. b GrenzkontrollG 1969 sei das Grenzkontrollorgan zur Ersichtlichmachung der Einreise und damit zur Anbringung des Stempels berechtigt gewesen. Weil diesem Organhandeln die dargestellten Voraussetzungen einer sog. faktischen Amtshandlung fehlten, sei die Beschwerde zurückzuweisen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer die zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete und von diesem nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetretene Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde hat die bei ihr erhobene und gegen die Anbringung eines Stempelaufdrucks im Reisepass des Beschwerdeführers gerichtete Beschwerde ausschließlich unter dem Blickwinkel einer "Maßnahmenbeschwerde" (§67a Abs. 1 Z. 2 AVG) betrachtet. Demgegenüber hatte sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde an die belangte Behörde ausdrücklich auch auf § 88 Abs. 2 SPG berufen. Jedenfalls deshalb wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, die bei ihr anhängig gemachte Beschwerde auch im Hinblick auf die genannte Bestimmung zu untersuchen und es nicht bei dem Hinweis, die Anbringung eines Stempelaufdrucks in einem Reisepass stelle keine "faktische Amtshandlung" dar, bewenden zu lassen.

§ 88 SPG in der hier anzuwendenden Fassung lautet wie folgt:

"(1) Die unabhängigen Verwaltungssenate erkennen über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG).

(2) Außerdem erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist.

(3) .....

(4) Über Beschwerden gemäß Abs. 1 oder 2 entscheidet der unabhängige Verwaltungssenat durch eines seiner Mitglieder. Im Übrigen gelten die §§ 67c bis 67g und 79a AVG.

(5).....

(6)....."

§ 88 Abs. 2 SPG eröffnet ausdrücklich eine Beschwerdemöglichkeit gegen Behördenhandeln ohne "Maßnahmencharakter" in Besorgung der Sicherheitsverwaltung. "Sicherheitsverwaltung" ist kein verfassungsrechtlicher Terminus (Wiederin, Einführung in das Sicherheitspolizeirecht, Rz 737); gemäß der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 SPG besteht sie

"aus der Sicherheitspolizei, dem Pass- und dem Meldewesen, der Fremdenpolizei, der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm, dem Waffen-, Munitions-, Schieß- und Sprengmittelwesen sowie aus dem Pressewesen und den Vereins- und Versammlungsangelegenheiten."

Das im vorliegenden Fall in Beschwer gezogene Verhalten eines Grenzkontrollorgans (Anbringen eines Stempelaufdrucks im Reisepass des Beschwerdeführers) ist ohne jeden Zweifel dem Aufgabenkreis "der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm" zuzuordnen. Es liegt mithin ein Handeln in einer Angelegenheit der Sicherheitsverwaltung im Sinn des § 2 Abs. 2 SPG vor, wogegen dem davon betroffenen - und potentiell in Rechten verletzten - Beschwerdeführer jedenfalls eine Beschwerde an die belangte Behörde (nach § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG bzw. § 88 Abs. 1 SPG oder nach § 88 Abs. 2 SPG) offen steht. Ob dem angefochtenen Akt "Maßnahmencharakter" zukommt oder ob dies entsprechend der Ansicht der belangten Behörde, die für ihre Auffassung das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1996, Zl. 96/02/0284, ins Treffen führen kann, nicht der Fall ist, kann im Hinblick auf das weitgehend gleiche anzuwendende Verfahrensrecht (vgl. § 88 Abs. 4 SPG) dahinstehen (siehe das hg. Erkenntnis vom 29. Juli 1998, Zl. 97/01/0448, m.w.N.).

Nach dem Gesagten erweist sich die Zurückweisung der bei der belangten Behörde eingebrachten Beschwerde als verfehlt. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 16. Juni 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998010172.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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