TE Vwgh Erkenntnis 1999/6/17 97/20/0217

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Veröffentlicht am 17.06.1999
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
25/02 Strafvollzug;

Norm

StVG §10 Abs1 Z2;
VwGG §63 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des RL in G, vertreten durch Dr. Christian Böhm, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Annenstraße 10/I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 11. März 1997, Zl. 413.062/12-V.6/1997, betreffend Strafvollzugsortsänderung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Justiz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, der in der Justizanstalt A eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt und am 30. Dezember 1994 die zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach § 46 Abs. 5 StGB erfüllt hatte, stellte am 15. September 1995 einen schriftlichen Antrag auf "Strafortsveränderung nach § 10 Abs. 1 und 2" (gemeint: StVG) im Sinne einer Überstellung in die Justizanstalt B oder in die Justizanstalt C. In B könne er den Gesellenbrief für Schuhmacher erwerben, wobei er als Erweiterung noch Orthopädie zur Auswahl habe. Außerdem bestünde dort die Nähe zur Emmausgesellschaft, die ihn betreue und wo er nach seiner Entlassung für ein bis zwei Jahre aufgenommen werden würde. In C könne er in der dortigen Schuhmacherei arbeiten oder in seinem erlernten Beruf als Maler und Anstreicher. Für C spreche auch die Nähe zu seiner Freundin, die in D wohne und mit der er seit 1983 engen Kontakt pflege.

Die nicht näher begründete abweisende Erledigung dieses Ansuchens in der Form eines Schreibens vom 2. November 1995, dessen Inhalt dem Beschwerdeführer vom Anstaltsleiter mündlich bekannt gegeben wurde, wurde mit dem hg. Erkenntnis vom 12. September 1996, Zl. 95/20/0750, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Zu dieser Entscheidung gelangte der Verwaltungsgerichtshof aufgrund der näher begründeten Ansicht, dass an der bisherigen, zuletzt in den Erkenntnissen vom 25. Februar 1987, Zl. 86/01/0113 und Zl. 86/01/0206, dargelegten Rechtsprechung zur Bescheidqualität derartiger Erledigungen auf § 10 StVG gestützter Anträge festzuhalten sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Ansuchen des Beschwerdeführers neuerlich nicht Folge.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Hinsichtlich der Darstellung der für die Entscheidung über das Ansuchen des Beschwerdeführers maßgeblichen Rechtsvorschriften und der Erwägungen, die der Wertung der ersten Erledigung der belangten Behörde als Bescheid und der Aufhebung dieses Bescheides zugrunde lagen, wird auf das schon erwähnte Erkenntnis vom 12. September 1996, Zl. 95/20/0750, verwiesen. Folgende Ausführungen aus dem Vorerkenntnis sind für die Beurteilung des nunmehr angefochtenen Bescheides von besonderer Bedeutung:

"Bei der Klassifizierung, zu der wesentlich die Bestimmung der für die Durchführung des Vollzugs zuständigen Strafanstalt gehört

..., sind die im § 134 Abs. 2 StVG genannten Kriterien zu beacht en.

§ 10 StVG gilt aber auch im Bereich der auf diese Weise festgelegten Zuständigkeit 'nach § 9' ... Begehrt daher ein Strafgefangener, der eine mehr als einjährige Freiheitsstrafe verbüßt, aus dem Grunde des § 10 Abs. 1 Z. 2 StVG eine Änderung des Vollzugsortes und somit der Klassifizierung, so macht er in einer aus dem Gesetz ableitbaren Weise ein subjektives Recht geltend."

Demgegenüber vertritt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid folgende Rechtsansicht:

"Eine Abänderung der erfolgten Klassifizierung hat ... gemäß § 134 Abs. 6 StVG unter Bedachtnahme auf § 134 Abs. 2 StVG zu erfolgen. Eine solche Entscheidung hat mit einer Entscheidung gemäß § 10 StVG nichts zu tun, da eine Strafvollzugsänderung gemäß § 10 StVG ausschließlich eine Änderung der örtlichen Zuständigkeit für Strafen bis zu einem Jahr sowie für die Einleitung längerer Strafhaften zum Inhalt hat. Eine Änderung der Klassifizierungsentscheidung erfolgt in keinem Fall gemäß § 10 StVG. Der Strafgefangene ... hat daher in seinem Ansuchen vom 15.9.1995 zu Unrecht die Bestimmung des § 10 StVG herangezogen. ... Das Strafvollzugsgesetz sieht ein subjektives Recht des Strafgefangenen, in einer bestimmten Anstalt angehalten oder nicht angehalten zu werden, nicht vor. Der Gesetzgeber hat sich begnügt, in groben Umrissen Rahmenbestimmungen festzulegen, an der sich die Vollzugsverwaltung orientieren soll, ohne dass dies auf der anderen Seite zu einem Recht des Strafgefangenen wird. Dies gilt insbesondere für das Klassifizierungsverfahren ..."

Hat der Verwaltungsgerichtshof - wie im vorliegenden Fall mit dem Erkenntnis vom 12. September 1996, Zl. 95/20/0750 - einer Beschwerde gemäß Art. 131 B-VG stattgegeben, so sind die Verwaltungsbehörden nach § 63 Abs. 1 VwGG verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Im vorliegenden Fall erforderte dies eine Prüfung des vom Beschwerdeführer gestellten Ansuchens an den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 StVG. Die belangte Behörde hat dies nicht beachtet und ihre Entscheidung auf die Ansicht gestützt, die nach dem Vorerkenntnis auch auf Klassifizierungsergebnisse anzuwendende Vorschrift habe mit der zu treffenden Entscheidung "nichts zu tun", betreffe "ausschließlich" andere Angelegenheiten und könne der vom Beschwerdeführer angestrebten Entscheidung "in keinem Fall" zugrunde gelegt werden. Dementsprechend hat die belangte Behörde die Gründe, auf die der Beschwerdeführer sein Ansuchen stützt, auch nicht an den Tatbestandsmerkmalen der erwähnten Vorschrift gemessen. Sie hat sich damit begnügt, die dem Ansuchen zugrunde gelegten Argumente ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit ihnen als "nicht wirklich stichhaltig" abzutun, den demnach auch nicht schlüssig begründeten "Verdacht" anderer Motive zu äußern sowie darzulegen, dass die im Ansuchen des Beschwerdeführers erwähnten Justizanstalten Gefangenenhäuser von Gerichtshöfen und derartige Gefangenenhäuser nicht für den Vollzug langer Freiheitsstrafen eingerichtet seien. Mit den allgemeinen Ausführungen zu dem zuletzt genannten Thema konnte die belangte Behörde der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes angesichts des Umstandes, dass § 10 StVG auch den gänzlichen oder zeitweisen Vollzug einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe in einem Gefangenenhaus eines Gerichtshofs ermöglicht, nicht Rechnung tragen. Die ausdrückliche Behauptung der belangten Behörde, § 10 StVG sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht anzuwenden, lässt sich daher nicht als bloße Unmutsäußerung in einer der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes schließlich doch Rechnung tragenden Entscheidung deuten.

Der angefochtene Bescheid war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Davon abgesehen ist der belangten Behörde entgegenzuhalten, dass die Ansicht, § 10 StVG habe hinsichtlich des Vollzuges längerer Freiheitsstrafen - abgesehen von dessen Einleitung - keinen Anwendungsbereich, nicht nur zu Wertungswidersprüchen führen würde; sie wird auch durch die Wendung "Bestimmung der zuständigen Strafvollzugsanstalt" in § 9 Abs. 1 StVG, die (auch insoweit) korrespondierende Wendung "Zuständigkeit einer anderen als der nach § 9 zuständigen Anstalt" in § 10 Abs. 1 StVG und die Bezugnahmen auf die Möglichkeit einer "Strafvollzugsortsänderung" nicht nur in den §§ 5, 34 und 48 StVG, sondern auch in dem nur den Vollzug von Freiheitsstrafen, deren Strafzeit ein Jahr übersteigt, betreffenden dritten Abschnitt des dritten Teils des StVG, nämlich in § 135 Abs. 2 und 3 StVG, nicht nahe gelegt. Zu § 10 StVG als Teil des in § 134 Abs. 1 StVG erwähnten gesetzlichen "Rahmens" ist auch auf Kunst, StVG (1979), Anm. 2 zu § 134, zu verweisen. Zutreffend wird dort im Zusammenhang mit der Klassifizierung hervorgehoben, "nach Maßgabe des § 10" könne auch die Zuständigkeit eines Gefangenenhauses eines Gerichtshofes angeordnet werden. Zur Frage der Bescheiderlassungspflicht ist - abgesehen von der schon im Vorerkenntnis referierten ständigen hg. Rechtsprechung hiezu und den im Vorerkenntnis dargelegten Gründen für deren Berechtigung - ergänzend anzumerken, dass eine Regelung, wonach die amtswegige Klassifizierung nicht in Bescheidform zu erfolgen hat, zur Annahme einer Pflicht der obersten Vollzugsbehörde, einen auf § 10 Abs. 1 Z. 2 gestützten Antrag eines Strafgefangenen auf Strafvollzugsortsänderung bescheidmäßig zu erledigen, nicht in Widerspruch steht.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 17. Juni 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997200217.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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