Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des Ing. A in P, vertreten durch Dr. Werner Leimer, Rechtsanwalt in Linz, Landstraße 38, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 12. August 1998, Zl. VerkR-393.172/1-1998/Sta, betreffend Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, soweit damit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt wird, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben; im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 7. April 1998 wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B entzogen. Der Bescheid wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers nachweislich am 8. April 1998 zugestellt; die zweiwöchige Berufungsfrist endete demnach mit 22. April 1998. Mit Eingabe vom 4. Mai 1998 erhob der Beschwerdeführer Berufung, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG abgewiesen (Punkt I.) und die Berufung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 7. April 1998 gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurückgewiesen (Punkt II.).
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Der Beschwerdeführer führte zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages aus, nach der Kanzleiorganisation seines Rechtsvertreters, die dessen Mitarbeitern bekannt sei, seien Fristen für Rechtsmittel im großen Kanzleiterminkalender in roter Farbe einzutragen, Fristen für Überweisungen hingegen in grüner Farbe und nicht terminisierte Vormerkungen in blauer Farbe. Die Sekretärin trage die Frist im Terminkalender ein und vermerke die Eintragung auf dem betreffenden Schriftstück. Die Eintragung im Terminkalender und der Vermerk auf dem Schriftstück würden sodann von einer Rechtsanwaltsanwärterin überprüft und abgezeichnet. Dann werde der Akt dem Rechtsvertreter mit dem entsprechenden Schriftstück vorgelegt. Im Beschwerdefall sei die Frist für die Berufung von der Sekretärin des Rechtsvertreters versehentlich mit falscher Farbe (blau statt rot) im großen Terminkalender eingetragen worden. Bei der Überprüfung der Eintragung durch Frau Mag. P., die seit 16 Monaten beim Rechtsvertreter als Rechtsanwaltsanwärterin beschäftigt und laufend mit Fristeintragungen und Überprüfungen betraut sei, habe die Genannte die "falschfarbige" Eintragung nicht verbessert. Die (fahrlässige) weisungswidrige Verwendung einer unrichtigen Farbe habe zur Fristversäumung geführt. Erst am 30. April 1998 habe der Rechtsvertreter anlässlich einer Überprüfung der noch nicht als erledigt abgezeichneten blauen Eintragungen im Terminkalender die Versäumung der Berufungsfrist festgestellt. In der Berufung gegen den die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagenden erstinstanzlichen Bescheid vom 17. Juni 1998 brachte der Beschwerdeführer ergänzend vor, sein Vertreter nehme anhand der Eintragung auf dem Schriftstück selbst noch einmal eine Kontrolle hinsichtlich des Fristenlaufes und der Fristvormerkung vor. Außerdem kontrolliere er stichprobenartig die Eintragungen im großen Terminkalender.
Die belangte Behörde erblickt im geschilderten Ablauf ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes Verschulden des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers. Dieses liege darin, dass er der Sekretärin und der Rechtsanwaltsanwärterin die Fristvormerkung ohne ausreichende Kontrollmechanismen überlassen habe. Er habe damit nicht die entsprechenden Vorkehrungen getroffen, damit aller Voraussicht nach Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen ausgeschlossen sind, und somit die ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt. Die stichprobenartige Überprüfung der Eintragungen im großen Terminkalender sei nicht als ausreichend anzusehen, insbesondere deshalb, weil die Rechtsanwaltsanwärterin erst seit 16 Monaten, somit nur seit etwas mehr als einem Jahr, in der Kanzlei des Rechtsvertreters beschäftigt sei.
Die Auffassung der belangten Behörde, es liege mangels ausreichender Kontrollmechanismen ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes Organisationsverschulden des Rechtsvertreters vor, kann nicht geteilt werden. Nach dem (von der belangten Behörde nicht als unglaubwürdig erachteten) Vorbringen des Beschwerdeführers werden die Fristeintragung im Kanzleiterminkalender und der entsprechende Vermerk auf dem Schriftstück jeweils von der beim Rechtsvertreter des Beschwerdeführers beschäftigten Rechtsanwaltsanwärterin kontrolliert. Überdies erfolgen stichprobenartige Kontrollen durch den Rechtsvertreter selbst. Ein solches Kontrollsystem ist durchaus als tauglich anzusehen, um in Bezug auf die Vormerkung von Rechtsmittelfristen durch eine Sekretärin Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen. Das hier unterlaufene Versagen lässt nicht auf das Vorliegen eines untauglichen Kontrollsystems schließen. Auch ein an sich taugliches Kontrollsystem vermag Fehler, die zu einer Fristversäumung führen, nicht gänzlich auszuschließen. Besondere Umstände, die ausnahmsweise eine zusätzliche Kontrolle durch den Rechtsvertreter nahe gelegt hätten, hat die belangte Behörde nicht angenommen und sind auch für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich. Die Ansicht der belangten Behörde, die stichprobenartige Überprüfung durch den Rechtsvertreter sei insbesondere deshalb nicht ausreichend, weil die Rechtsanwaltsanwärterin erst seit etwas mehr als einem Jahr in dessen Kanzlei beschäftigt sei, ist überzogen. Eine bereits seit 16 Monaten tätige Rechtsanwaltsanwärterin kann zu einer solchen Kontrolltätigkeit durchaus herangezogen werden. Es genügen in einem solchen Fall daher stichprobenartige Überprüfungen durch den Rechtsanwalt, ohne dass die Kontrolltätigkeit der Rechtsanwaltsanwärterin einer lückenlosen intensiven Kontrolle durch den Rechtsanwalt bedarf. Das von der belangten Behörde zitierte hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 1987, Zl. 86/16/0194, wonach die stichprobenartige Überprüfung einer erst seit kurzem tätigen Sekretärin durch den Rechtsanwalt nicht ausreicht, betrifft einen anders gelagerten Sachverhalt. Damals fehlte es an der hier regelmäßig vorgenommenen Überprüfung der Fristvormerkungen der Sekretärin durch einen anderen rechtskundigen Mitarbeiter des Rechtsanwaltes.
Der angefochtene Bescheid war daher in dem im Spruch bezeichneten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
2. Angesichts der unbestrittenen Versäumung der Berufungsfrist entspricht die Zurückweisung der Berufung als verspätet dem Gesetz. Daran vermag die Aufhebung des Ausspruches betreffend die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nichts zu ändern. Sollte im fortgesetzten Verfahren die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden, tritt damit der Bescheid betreffend die Zurückweisung der Berufung kraft Gesetzes außer Kraft (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, unter E 2 und 3 zu § 72 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung).
Die Beschwerde war daher insoweit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
3. Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 1. Juli 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998110238.X00Im RIS seit
20.11.2000