TE OGH 2019/1/25 8Ob154/18g

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Veröffentlicht am 25.01.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Mag. Korn und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** M*****, vertreten durch Aigner Rechtsanwalts-GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B*****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 14.219,26 EUR samt Anhang und Rechnungslegung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 15. November 2016, GZ 5 R 136/16f-23, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 15. Juli 2016, GZ 48 Cg 64/12i-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Das Verfahren wird fortgesetzt.

II. Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Zurückweisung der Klage wird bestätigt, soweit die Klägerin Rechnungslegung begehrt und ihr Zahlungsbegehren auf vertragliche Ansprüche stützt.

Im Übrigen werden die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abgeändert, dass die von der Beklagten erhobene Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit verworfen wird. Die Rechtssache wird an das Erstgericht verwiesen, dem insofern die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen wird.

Die Kosten des Zwischenstreits über die internationale Zuständigkeit werden aufgehoben.

Text

Begründung:

I. Das Revisionsrekursverfahren ist mit Beschluss vom 30. 5. 2017, 8 Ob 11/17a, bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 10. 5. 2017 zu 3 Ob 28/17i gestellten Antrag auf Vorabentscheidung nach Art 267 AEUV unterbrochen worden. Nunmehr ist mit Urteil vom 12. 9. 2018, C-304/17, Löber, die Vorabentscheidung ergangen. Das Revisionsrekursverfahren ist daher von Amts wegen fortzusetzen.

II. Die Beklagte ist eine Bank mit Sitz in London und einer Zweigniederlassung in Deutschland. Sie ist auf Grundlage eines (deutschen) Basisprospekts Emittentin einer Schuldverschreibung, die von institutionellen Investoren gezeichnet und am Sekundärmarkt weiterverkauft wurde. Der Rückzahlungsbetrag und damit der Wert des Zertifikats richtet sich nach einem Index, der aus einem Portfolio von mehreren Zielfonds gebildet wird. Dieses Portfolio sollte von einer Gesellschaft errichtet und verwaltet werden, deren Trading Manager und Fonds Advisor seine Tätigkeit zu kriminellen Handlungen nutzte und deshalb im Jahr 2011 wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung verurteilt wurde. Die Gesellschaft ist im Konkurs, die Zertifikate sind wertlos.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von 14.219,26 EUR Zug um Zug gegen Übergabe der erworbenen Anteile des Zertifikats, in eventu die Feststellung, dass ihr die Beklagte für jenen Schaden hafte, der ihr aus der Investition in dieses Wertpapier entstanden sei oder in Zukunft entstehen werde. Darüber hinaus erhebt sie ein Rechnungslegungsbegehren.

Zwischen den Streitteilen sei ein Vertrag zustande gekommen, aus dem die Klägerin Erfüllungsansprüche gegen die Beklagte geltend mache. Darüber hinaus hafte die Beklagte deliktisch insbesondere aufgrund irreführender Prospektangaben.

Zur Begründung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts berief sich die Klägerin auf Art 15 und Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001. Sie habe ihren Wohnsitz im Sprengel des angerufenen Gerichts, das wegen des dort eingetretenen Erfolgs der schädigenden Handlung auch für deliktische Schadenersatzansprüche zuständig sei.

Die Beklagte wandte die internationale und örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein.

Das Erstgericht wies die Klage zurück. Es führte bezugnehmend auf die Entscheidung des EuGH C-375/13 (Kolassa) aus, das angerufene Gericht sei weder für vertragliche Ansprüche international zuständig, noch für den eventualiter erhobenen Schadenersatzanspruch.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin keine Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig.

Die Klägerin könne sich weder auf den Verbrauchergerichtsstand der Art 15 und 16 EuGVVO berufen, noch liege der rechtliche Erfüllungsort als Anknüpfungspunkt für den Gerichtsstand nach Art 5 Nr 1 EuGVVO 2001 nach der Vereinbarung und Art 4 EVÜ in Österreich.

Der Gerichtsstand nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 sei ausgeschlossen, wenn Gegenstand des Verfahrens behauptete Ansprüche aus einem Vertrag seien und ein Gerichtsstand des Erfüllungsorts zur Verfügung stehe.

In ihrem von der Beklagten beantworteten Revisionsrekurs macht die Klägerin geltend, der Erfüllungsort für ihre vertraglichen Ansprüche liege in Österreich. Der Schadenersatzanspruch aus dem Titel der Prospekthaftung gemäß KMG sei rein deliktischer Natur, weil weder auf die Erfüllung des Anleihevertrags gerichtet, noch ein Sekundäranspruch aus der Verletzung einer vertraglichen Pflicht.

Mit Schriftsatz vom 14. 12. 2018 beantragte die Klägerin die Fortsetzung des Verfahrens und gab gleichzeitig bekannt, dass sie ihr Begehren nunmehr nur noch auf deliktische Schadenersatzansprüche, insbesondere aus der Prospekthaftung, stützen wolle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt in Parallelverfahren mit vergleichbarem Sachverhalt (3 Ob 185/18d; 4 Ob 185/18m; 4 Ob 186/18h ua) mit ausführlicher Begründung – gestützt auf die Entscheidung des EuGH C-304/17Löber – die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts für die mit der Klage geltend gemachten vertraglichen Ansprüche verneint, hingegen für die deliktischen Ansprüche, insbesondere Prospekthaftung, ausgesprochen, dass das Erstgericht für diese Ansprüche gemäß Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 international zuständig ist (vgl ua 3 Ob 185/18d).

Die in den zitierten Entscheidungen angestellten Erwägungen, auf die verwiesen wird, sind auch der vorliegenden Entscheidung zugrunde zu legen.

Die Vorinstanzen haben daher auch hier die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts für die geltend gemachten vertraglichen Ansprüche zu Recht verneint, weshalb insofern der angefochtene Beschluss zu bestätigen ist.

Dagegen ist das Erstgericht für die aus Delikt abgeleiteten Ansprüche nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 international zuständig, sodass die Entscheidung des Rekursgerichts insoweit abzuändern ist. Das Erstgericht wird daher das gesetzmäßige Verfahren über diese Ansprüche zu führen haben.

Festzuhalten ist, dass der Schriftsatz der Klägerin vom 14. 12. 2018, mit dem sie erklärt, nur mehr den Anspruchsgrund des Schadenersatzes verfolgen zu wollen, sich lediglich auf die rechtliche Begründung des nach wie vor aufrechten Revisionsrekursantrags bezieht; eine wirksame (Teil-)rückziehung des Rechtsmittels, die im Spruch zu berücksichtigen wäre, ist darin nicht zu sehen.

Zur Frage der internationalen Zuständigkeit liegt ein Zwischenstreit vor (RIS-Justiz RS0109078 [T15]). Angesichts des Umstands, dass beide Parteien jeweils in Ansehung eines der beiden tragenden Rechtsgründe als unterlegen anzusehen sind, ist die Kostenaufhebung nach § 43 Abs 1 erster Fall ZPO für das gesamte Verfahren sachgerecht (4 Ob 186/18h ua).

Textnummer

E123934

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00154.18G.0125.000

Im RIS seit

08.02.2019

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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