TE Vwgh Erkenntnis 1999/7/1 99/11/0004

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Veröffentlicht am 01.07.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Führerscheingesetz;

Norm

AVG §37;
AVG §57 Abs1;
AVG §69 Abs3;
FSG 1997 §24 Abs1;
FSG 1997 §25 Abs1;
FSG 1997 §26 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. Erich Bernögger, Rechtsanwalt in 4580 Windischgarsten 400, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 23. November 1998, Zl. VerkR-393.221/1-1998/Si, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens und Entziehung einer Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems vom 10. Juni 1998 wurde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Klassen A, B, C, F und G für die Dauer von vier Wochen ab Abnahme des Führerscheines (somit bis einschließlich 25. Juni 1998) entzogen. In der Folge leitete die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems ein Ermittlungsverfahren zur Frage der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers im Hinblick auf den zu erwartenden Wiederausfolgungsantrag ein. Die Erstbehörde erlangte am 22. Juni 1998 von zwei Verurteilungen des Beschwerdeführers nach § 83 Abs. 1 StGB Kenntnis.

Der Mandatsbescheid erwuchs in Rechtskraft. Dem Beschwerdeführer wurde der Führerschein antragsgemäß am 26. Juni 1998 wieder ausgefolgt.

Mit Bescheid vom 3. August 1998 nahm die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems das Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung gemäß § 69 Abs. 1 und Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder auf (Spruchpunkt I) und entzog (zu Spruchpunkt II) die Lenkberechtigung auf die Dauer von drei Monaten, gerechnet ab dem Datum der Zustellung des Bescheides (7. August 1998). Als Rechtsgrundlagen wurden §§ 7 Abs. 1 und 3, 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 und 3, und 29 Abs. 3 Führerscheingesetz (FSG) BGBl. I 120/1997 i.d.g.F. angeführt. Der Berufung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der gegen den Bescheid vom 3. August 1998 rechtzeitig eingebrachten Berufung keine Folge gegeben und dieser mit der Maßgabe bestätigt, dass unter Spruchpunkt II die Rechtsgrundlage § 7 Abs. 2 und Abs. 4 FSG zu lauten habe. Begründend führte die belangte Behörde aus, dem Beschwerdeführer sei aufgrund des Alkoholdelikts vom 28. Mai 1998 mit Mandatsbescheid vom 10. Juni 1998 die Lenkberechtigung für die Dauer von vier Wochen entzogen worden. Der Beschwerdeführer habe gegen den Mandatsbescheid keine Vorstellung erhoben, es sei daher kein Ermittlungsverfahren einzuleiten gewesen. Aufgrund des Antrags auf Ausfolgung des Führerscheines sei ein Ermittlungsverfahren durchgeführt worden, in dessen Verlauf der Behörde zwei Verurteilungen nach § 83 Abs. 1 StGB bekannt geworden seien. Bei Abschluss des Mandatsverfahrens wären die beiden Straftatbestände bereits vorgelegen, doch seien sie erst nachträglich der Behörde bekannt geworden. Dass der Behörde die beiden Straftatbestände nicht früher bekannt gewesen seien, sei nicht an der Behörde gelegen. Nach der Bestimmung des § 7 Abs. 2 FSG gelte die gesetzliche Vermutung, dass bei gerichtlich strafbaren Handlungen nach Abs. 4 von vornherein Verkehrsunzuverlässigkeit vorliege. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass bei wiederholter Körperverletzung die Integrität einer anderen Person so gering geschätzt werde, dass die Begehung weiterer strafbarer Handlungen zu befürchten sei. Der Gesetzgeber stelle auch nicht darauf ab, in welchem Umfeld die strafbaren Handlungen nach § 83 StGB erfolgen. Es sei anzunehmen, wenn Familienstreitigkeiten gerichtsanhängig würden und auch zu einer gerichtlichen Verurteilung führten, die Verkehrszuverlässigkeit nicht mehr gegeben sei. In Abs. 5 seien Wertungsvorschriften für bestimmte Tatsachen des Abs. 4 nicht enthalten.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im Recht verletzt, dass das Verfahren betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung nicht rechtswidrig wieder aufgenommen werde. Er begründet diese Behauptung damit, dass der belangten Behörde die Verurteilungen durch das Bezirksgericht Windischgarsten vom 27. November 1997 und 2. Juni 1998 bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des Mandatsbescheids bekannt gewesen wären bzw. bekannt gewesen sein mussten. Die belangte Behörde treffe aber jedenfalls ein Verschulden daran, dass ihr die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers nicht bekannt gewesen seien. Im Übrigen habe die belangte Behörde eine Wertung der Straftaten unterlassen und sei rechtswidrig davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer verkehrsunzuverlässig sei.

Das Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung ist insoferne ein einheitliches, als die Behörde das Vorliegen aller Erteilungsvoraussetzungen zu beurteilen hat, demnach auch wie lange der betreffende Lenker nicht im Besitze seiner Lenkberechtigung sein soll bzw. ihm eine neue Lenkberechtigung nicht erteilt werden darf. Die Prognoseentscheidung hat sie aufgrund aller bis zur Erlassung des Entziehungsbescheides verwirklichten Tatsachen zu treffen (vgl. die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 73 Abs. 2 KFG 1967; z.B. das Erkenntnis vom 12. Jänner 1993, Zl. 92/11/0205). Erlangt die Behörde nach Eintritt der Rechtskraft eines Entziehungsbescheides von Tatsachen Kenntnis, die sie ohne ihr Verschulden im rechtskräftig abgeschlossenen Entziehungsverfahren nicht verwenden konnte, so stellt dies gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 iVm. Abs. 3 AVG einen Grund für die amtswegige Wiederaufnahme des Entziehungsverfahrens dar.

Bei Tatsachen und Beweismitteln im Sinne des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG muss es sich um solche handeln, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde (vgl. die in Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5 in E 24e und E 37 zu § 69 AVG zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Gemäß § 69 Abs. 3 leg. cit. gilt dies auch bei amtswegigen Verfügungen. Im gegebenen Zusammenhang kommt es daher darauf an, ob die belangte Behörde ein Verschulden daran trifft, dass sie bei Erlassung des Mandatsbescheides keine Kenntnis von den strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers hatte.

Gemäß § 57 Abs. 1 AVG ist die Behörde berechtigt, einen Bescheid auch ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren zu erlassen, wenn es sich um unaufschiebbare Maßnahmen bei Gefahr im Verzug handelt. Die Erstbehörde hat sich in der Begründung des von ihr erlassenen Mandatsbescheides darauf berufen, dass sie § 57 Abs. 1 AVG im Interesse der Verkehrssicherheit angewendet habe. Sie hat jedoch die zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes nötigen und zumutbaren Ermittlungen nicht in hinreichendem Ausmaß vorgenommen. Sie hatte das Vorliegen eines Sonderfalles nach § 26 Abs. 1 erster Satz FSG zu prüfen und dabei auch zu klären, ob nicht allenfalls eine weitere bestimmte Tatsache vorliegt, was die Annahme dieses Sondertatbestandes ausschlösse. Dazu bedurfte es einer Einschau in behördeninterne einschlägige Aufzeichnungen, der Einholung einer Strafregisterauskunft sowie einer Anfrage an die für den inländischen Wohnsitz des Beschwerdeführers zuständige Sicherheitsdienststelle. Diese Ermittlungen hätten im Übrigen die Erlassung eines Mandatsbescheides nicht unzulässig gemacht. Durch sie hätte sich das Vorliegen einer weiteren bestimmten Tatsache herausstellen können, die die Anwendung des § 26 Abs. 1 erster Satz FSG ausgeschlossen hätte. Das Unterlassen dieser zumutbaren Ermittlungen hat zur Folge, dass ein Verschulden der Erstbehörde vorliegt, welches die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt.

Schon aus diesem Grund erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden musste.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 1. Juli 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999110004.X00

Im RIS seit

12.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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