TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/31 I406 2013235-1

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Veröffentlicht am 31.10.2018
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Entscheidungsdatum

31.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I406 2013234-1/26E

I406 2013236-1/30E

I406 2013235-1/19E

I406 2013237-1/18E

I406 2127111-1/20E

I406 2169340-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. GZ 2013234-1

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. Algerien, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich sowie Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.10.2014, Zl. 13-617888802-14599395, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.05.2018, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. GZ 2013236-1

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Algerien, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich sowie Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.10.2014, Zl. 13-501494010-14599387, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.05.2018, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde von XXXX wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, als dass das in Spruchpunkt IV. gemäß § 53 Abs. 1 und 3 Z 1 FPG verhängte Einreiseverbot behoben wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

III. GZ 2013235-1

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL über die Beschwerde des mj. XXXX, geb. XXXX, StA. Algerien, vertreten durch XXXX sowie XXXX, diese vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich sowie Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.10.2014, Zl. 14-1021720107-14727733, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.05.2018, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

IV. GZ 2013237-1

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL über die Beschwerde der mj. XXXX, geb. XXXX, StA. Algerien, vertreten durch XXXXsowie XXXX, diese vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich sowie Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.10.2014, Zl. 14-1017629803-14599409, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.05.2018, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

V. GZ 2127111-1

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL über die Beschwerde der mj. XXXX, geb. XXXX, StA. Algerien, vertreten durch XXXX sowie XXXX, diese vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich sowie Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.05.2016, Zl. 16-1115183101-160694789, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.05.2018, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

VI. GZ 2169340-1

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL über die Beschwerde des mj. XXXX, geb. XXXX, StA. Algerien, vertreten durch XXXX sowie XXXX diese vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich sowie Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.08.2017, Zl. 17-1155753500-170680025, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.05.2018, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die zweitbeschwerdeführende Partei, ein Staatsangehöriger von Algerien, stellte am 24.01.2008 seinen ersten, nicht verfahrensgegenständlichen, Antrag auf internationalen Schutz.

Die zweitbeschwerdeführende Partei wurde am 12.03.2008, RK 18.03.2008, wegen § 27 Abs. 1 Z 1, 8. Fall und Abs. 3 SMG, § 12 3. Fall StGB, vorschriftswidriger gewerbsmäßiger Überlassung von Suchtgift, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von Freiheitsstrafe sechs Monaten, bedingt, Probezeit drei Jahre verurteilt.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.06.2008, FZ. 08 00.934-BAE, wurde der erste Antrag der zweitbeschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 abgewiesen und die zweitbeschwerdeführende Partei gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Algerien ausgewiesen.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 14.10.2008, ZI. A4 400.463-1/2008 gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 ab und wies die zweitbeschwerdeführende Partei gemäß § 10 AsylG nach Algerien aus.

Am 18.03.2009 schloss die zweitbeschwerdeführende Partei mit einer österreichischen Staatsbürgerin eine Ehe, dieser Ehe entspross ein Sohn.

Mit Schreiben vom 07.09.2009 teilte die zweitbeschwerdeführende Partei dem Bundesasylamt mit einem von ihrer damaligen Ehefrau übermittelten Schreiben mit, sie sei am 31.08.2009 nach Algerien ausgereist.

Die zweitbeschwerdeführende Partei wurde am 05.05.2011, RK 02.09.2011, wegen § 83 Abs. 1 StGB, Körperverletzung, und § 107 Abs. 1 StGB, gefährlicher Drohung, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten, bedingt, Probezeit drei Jahre verurteilt.

Am 19.05.2011 schloss die zweitbeschwerdeführende Partei in Algerien mit der nunmehrigen erstbeschwerdeführenden Partei, einer algerischen Staatsbürgerin, eine zweite Ehe.

Am 15.09.2011 wurde die erste Ehe der zweitbeschwerdeführenden Partei mit der oben genannten österreichischen Staatsbürgerin geschieden, dabei wurde alleiniges Verschulden der zweitbeschwerdeführenden Partei wegen Gewalttätigkeiten gegenüber der Gattin über einen längeren Zeitraum, ehebrecherischem Verhältnis und Auflösen der häuslichen Gemeinschaft ohne Wissen und Zustimmung der Gattin festgestellt.

Die zweitbeschwerdeführende Partei wurde am 12.07.2012, RK 17.07.2012, wegen § 198 Abs. 1 StGB, Verletzung der Unterhaltspflicht, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat, bedingt, Probezeit drei Jahre verurteilt.

Am 04.09.2012 erhielt die zweitbeschwerdeführende Partei eine bis 04.09.2013 gültige Rot-Weiß-Rot- Karte plus.

Die erstbeschwerdeführende Partei reiste mit Visum C, Gültigkeit vom 31.01. bis 31.03.2013, legal in das Bundesgebiet ein.

Am 03.07.2013 stellte die erstbeschwerdeführende Partei einen Antrag auf Erteilung einer Rot- Weiß-Rot-Karte plus mit Verweis auf die - zur Vertuschung der Doppelehe verfälschte - Heiratsurkunde.

Am 02.08.2013 wurde die nunmehrige viertbeschwerdeführende Partei als Tochter der erst- und der zweitbeschwerdeführenden Partei in Österreich geboren.

Am 04.09.2013 endete die Gültigkeit der Rot-Weiß-Rot-Karte plus der zweitbeschwerdeführenden Partei.

Die zweitbeschwerdeführende Partei wurde am 06.11.2013, RK 12.11.2013, wegen § 223 Abs. 1 und 2 StGB, Urkundenfälschung, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten, bedingt, Probezeit drei Jahre verurteilt.

Am 09.05.2014 stellte die zweitbeschwerdeführende Partei neuerlich einen - den verfahrensgegenständlichen - Antrag auf internationalen Schutz und erklärte in der Erstbefragung am 10.05.2014 auf die Frage nach neuen Fluchtgründen, sie habe keine. Sie wolle hier mit ihrer Familie leben, im Falle einer Rückkehr nach Algerien habe sie nichts zu befürchten, dort jedoch keine Zukunft.

Im Zuge der Einvernahme durch die belangte Behörde am 18.09.2014 erklärte die zweitbeschwerdeführende Partei, sie sei nach dem negativen Ausgang des ersten Asylverfahrens ungefähr fünf bis sechs Mal nach Algerien gereist und habe dort am 19.05.2011 geheiratet. Von ihrer ersten Frau sei sie im Jahr 2011 geschieden worden. Im Dezember oder November 2012 sei sie wieder nach Algerien zurückgefahren, die die zweite Eheschließung betreffende Vertragsunterzeichnung habe am 19.05.2011 stattgefunden.

Befragt nach Gerichtsverfahren gab die zweitbeschwerdeführende Partei an, sie habe ihre zweite Heiratsurkunde gefälscht. Sie habe ein Visum für die erstbeschwerdeführende Partei beantragen wollen, dies sei nicht möglich gewesen, da diese unter 21 Jahre alt gewesen sei und man mitgeteilt hätte, "dass es wegen einer Doppelehe nicht gehe". Die erstbeschwerdeführende Partei sowie ihre drei Kinder seien ihre einzigen Verwandten in Österreich.

Ihr Fluchtgrund im ersten Asylverfahren sei erfunden gewesen. Nun komme hinzu, dass ihr ihre Heimat entfremdet sei.

Im Akt erliegen dazu die Kopie eines auf den Namen der zweitbeschwerdeführenden Partei lautenden Reisepasses, der österreichischen Geburtsurkunde der drittbeschwerdeführenden Partei, Sohn der erst- sowie der zweitbeschwerdeführenden Partei, sowie der österreichischen Geburtsurkunde der viertbeschwerdeführenden Partei, Tochter der erst- sowie der zweitbeschwerdeführenden Partei, sowie französischsprachige Dokumente.

Am 09.05.2014 stellte ebenfalls die erstbeschwerdeführende Partei für sich sowie die dritt- und die viertbeschwerdeführenden Parteien Anträge auf internationalen Schutz und begründete dies ausschließlich damit, sie wollten gemeinsam mit der zweitbeschwerdeführenden Partei in Österreich leben.

Am 09.06.2014 wurde die nunmehrige drittbeschwerdeführende Partei als Sohn der erst- sowie der zweitbeschwerdeführenden Partei in Österreich geboren.

Die zweitbeschwerdeführende Partei wurde am 12.08.2014, RK 18.08.2014, wegen §§ 127, 128 Abs. 1 Z 1, 130 1. Fall StGB, Diebstahl, schwerem Diebstahl und gewerbsmäßigem Diebstahl, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten, bedingt, Probezeit drei Jahre verurteilt.

Im Rahmen der Einvernahme am 18.09.2014 brachte die zweitbeschwerdeführende Partei vor, sie sei für ihr Kind mit ihrer ersten Ehefrau unterhaltspflichtig, zahle jedoch keinen Unterhalt.

Mit eidesstattlicher Erklärung, bei der belangten Behörde eingelangt am 03.10.2014, erklärte die erste Ehefrau der zweitbeschwerdeführenden Partei, Kontakt mit dieser habe es nach der Scheidung unregelmäßig lediglich bis Anfang 2014 gegeben, dann habe die zweitbeschwerdeführende Partei diesen abgebrochen; diese zahle für ihren Sohn keine Alimente.

Mit den angefochtenen Bescheiden jeweils vom 03.10.2014, ZI 13-617888802/14599395 (erstbeschwerdeführende Partei), ZI 13-501494010/14599387 (zweitbeschwerdeführende Partei), ZI 14-1021720107/1472773 (drittbeschwerdeführende Partei), ZI 14-1017629803/14599409 (viertbeschwerdeführende Partei), wies die belangte Behörde die Anträge auf internationalen Schutz vom 09.05.2014 gemäß § 3 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie § 8 AsylG (Spruchpunkt II.) ab, erteilte Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht, erließ Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Algerien zulässig ist, stellte fest, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt III.) und erließ gegen die zweitbeschwerdeführende Partei gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot.

Mit Schreiben vom 14.10.2014 erhoben erst-, zweit-, dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien, unterstützt durch den Verein Menschenrechte Österreich, vollinhaltlich Beschwerde gegen diese Bescheide. Das Einreiseverbot verunmögliche der zweitbeschwerdeführenden Partei den Kontakt mit ihrem Sohn mit ihrer ersten Ehefrau und verstoße damit gegen Art. 8 EMRK. Zudem verschlechtere sich die Sicherheitslage in Algerien.

Mit Beschwerdeergänzung vom 22.09.2015 stellte die zweitbeschwerdeführende Partei den Antrag, das Einreiseverbot nur für Österreich und nicht für alle Mitgliedsstaaten, für die die Rückführungsrichtlinie gilt, zu erlassen. Die zweitbeschwerdeführende Partei habe regelmäßig Kontakt zu ihrem Sohn aus erster Ehe, dies werde auch von dessen Mutter und dem Sohn selbst gewünscht und unterstützt, dazu wurde ein Schreiben der ersten Ehefrau der zweitbeschwerdeführenden Partei vorgelegt. Die zweitbeschwerdeführende Partei beherrsche die deutsche Sprache perfekt, sei sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert, habe bei McDonalds gearbeitet und sei derzeit in einem Sozialmarkt tätig; zudem spiele sie Fußball, absolviere einen Erste-Hilfe- Kurs und sei bei der Aufnahme von Flüchtlingen als Dolmetscher zur Verfügung gestanden. Auch die erstbeschwerdeführende Partei und die zwei gemeinsamen Kinder hielten sich derzeit rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die zweitbeschwerdeführende Partei habe zudem regelmäßigen Kontakt zu Verwandten in anderen EU-Mitgliedsstaaten und weder intensive Anknüpfungspunkte noch Besitztümer im Herkunftsstaat. Sie bereue ihre strafrechtlichen Delikte.

Am 03.05.2016 wurde die nunmehrige fünftbeschwerdeführende Partei als Tochter der erst-und der zweitbeschwerdeführenden Partei in Österreich geboren.

Die erstbeschwerdeführende Partei stellte am 11.05.2016 für die fünftbeschwerdeführende Partei einen Antrag auf Durchführung eines Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG.

Mit angefochtenem Bescheid vom 27.05.2016, ZI 16-1115183101/160694789 wies die belangte Behörde den Antrag der fünftbeschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz gemäß § 3 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie § 8 AsylG (Spruchpunkt II.) ab, erteilte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht, erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt III.) und stellte fest, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

Am 22.05.2017 wurde die nunmehrige sechstbeschwerdeführende Partei als Sohn der erst- sowie der zweitbeschwerdeführenden Partei in Österreich geboren.

Die erstbeschwerdeführende Partei stellte am 07.06.2017 für die sechstbeschwerdeführende Partei einen Antrag auf Durchführung eines Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG.

Mit angefochtenem Bescheid vom 18.08.2017, ZI 17-1155753500/170680025 wies die belangte Behörde den Antrag der sechstbeschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz gemäß § 3 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie § 8 AsylG (Spruchpunkt II.) ab, erteilte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht, erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt Mi.) und stellte fest, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

Mit Mail vom 22.05.2018 wurden übermittelt die Geburtsurkunden der Kinder der zweitbeschwerdeführenden Partei einschließlich des Sohnes aus erster Ehe, Unterlagen zur Integration der zweitbeschwerdeführenden Partei, darunter ihrer Teilnahme an einer Qualifizierungsmaßnahme des AMS.

Am 28.05.2018 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.

Mit Mail vom 11.06.2018 wurde die Verlängerung der Frist zu Unterlagenvorlage beantragt und eine "Einstellungsbestätigung" eines Unternehmens im Bereich Arbeitskräfteüberlassung übermittelt, die zweitbeschwerdeführende Partei zu beschäftigen, falls sie freien Zugang zum Arbeitsmarkt bekomme.

Mit Mail vom 20.07.2018 wurden das A2-Deutschkurszertifikat sowie das Zeugnis zur Integrationsprüfung der zweitbeschwerdeführenden Partei, beide am 25.06.2018 durch das ÖIF ausgestellt, übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Personen:

Die beschwerdeführenden Parteien führen die im Spruch ersichtlichen Personalien, sind Staatsangehörige von Algerien, der arabischen Volksgruppe und dem muslimischen Glauben zugehörig.

Erst- und zweitbeschwerdeführende Partei sind verheiratet, sie sind Eltern und gesetzliche Vertreter der minderjährigen dritt- bis sechstbeschwerdeführenden Parteien.

Die zweitbeschwerdeführende Partei stellte erstmals am 24.01.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Dieser wurde letztendlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 14.10.2008, ZI. A4 400463-1/2008 gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 abgewiesen und die zweitbeschwerdeführende Partei gemäß § 10 AsylG nach Algerien ausgewiesen.

Am 18.03.2009 erfolgte die erste Eheschließung der zweitbeschwerdeführenden Partei mit einer österreichischen Staatsbürgerin, dieser Ehe entspross ein Sohn.

Im September 2009 reiste die zweitbeschwerdeführende Partei nach Algerien aus.

Am 19.05.2011 erfolgte die zweite Eheschließung der zweitbeschwerdeführenden Partei in Algerien mit der erstbeschwerdeführenden Partei, einer algerischen Staatsbürgerin. Zu diesem Zeitpunkt war die zweitbeschwerdeführende Partei noch mit ihrer ersten Ehefrau verheiratet.

Am 15.09.2011 erfolgte die Scheidung der ersten Ehe der zweitbeschwerdeführenden Partei, dabei wurde deren alleiniges Verschulden wegen Gewalttätigkeiten gegenüber der Gattin über einen längeren Zeitraum und eines ehebrecherischen Verhältnisses und Auflösen der häuslichen Gemeinschaft ohne das Wissen und der Zustimmung der Gattin festgestellt.

Am 04.09.2012 erhielt die zweitbeschwerdeführende Partei eine bis 04.09.2013 gültige Rot-Weiß-Rot- Karte plus.

Die erstbeschwerdeführende Partei reiste am 31.01.2013 legal mit ihrem später angeblich verlorenen Reisepass und einem Visum C der österreichischen Botschaft Algier in das österreichische Bundesgebiet ein.

Ihr erster Antrag auf einen Aufenthaltstitel wurde am 06.06.2013 abgewiesen, der Antrag vom 03.07.2013 auf Erteilung einer Rot-Weiß-Rot-Karte Plus, den sie aufgrund der Eheschließung mit der zweitbeschwerdeführenden Partei gestellt hatte, wurde letztendlich mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes XXXX abgewiesen.

Im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens ergab sich, dass die Heiratsurkunde dahingehend verfälscht wurde, dass das Datum der Eheschließung vom XXXX auf den XXXX abgeändert wurde.

Mit Bescheid vom 13.03.2013 entschied der Magistrat einer Landeshauptstadt über Leistungen der bedarfsorientierten Mindestsicherung, laut Erkenntnis des zuständigen Landesverwaltungsgerichtes vom 24.06.2014 wurde dabei das Geburtsdatum offenbar durch die zweitbeschwerdeführende Partei verfälscht.

Am 03.07.2013 stellte die zweitbeschwerdeführende Partei einen Antrag auf Erteilung einer Rot- Weiß-Rot-Karte plus mit Verweis auf die - zur Vertuschung der Doppelehe verfälschte - Heiratsurkunde.

Im Strafregister der Republik Österreich scheinen für die zweitbeschwerdeführende Partei folgende Verurteilungen auf:

01) LG XXXX vom 12.03.2008 RK 18.03.2008

PAR 27 ABS 1/1 (8. FALL) U ABS 3 SMG

PAR 12 (3. FALL) StGB

Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum 18.03.2008

zu LG XXXX RK 18.03.2008

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG XXXX vom 05.05.2011

zu LG XXXX RK 18.03.2008

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 18.03.2008

LG XXXX vom 12.11.2013

02) LG XXXX vom 05.05.2011 RK 02.09.2011

PAR 83/1 107/1 StGB

Datum der (letzten) Tat 03.02.2011

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 20.01.2015

zu LG XXXX RK 02.09.2011

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

BG XXXX vom 12.07.2012

zu LG XXXX RK 02.09.2011

Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen

LG XXXX vom 12.08.2014

03) BG XXXX vom 12.07.2012 RK 17.07.2012

§ 198 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 12.07.2012

Freiheitsstrafe 1 Monat, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 17.07.2012

zu BG XXXX RK 17.07.2012

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 17.07.2012

BG XXXX vom 31.07.2015

04) BG XXXX vom 06.11.2013 RK 12.11.2013

§ 223 (1 u 2) StGB

Datum der (letzten) Tat 03.09.2013

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 12.11.2013

zu BG XXXX RK 12.11.2013

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 12.11.2013

BG XXXX vom 07.12.2016

05) LG XXXX vom 12.08.2014 RK 18.08.2014

§§ 127, 128 (1) Z 1, 130 1. Fall StGB

Datum der (letzten) Tat 28.03.2014

Freiheitsstrafe 9 Monate, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 20.01.2015

zu LG XXXX RK 18.08.2014

zu LG XXXX RK 02.09.2011

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 20.01.2015, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

LG XXXX vom 24.10.2014

zu LG XXXXRK 18.08.2014

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 20.12.2014

LG XXXX vom 02.01.2015

zu LG XXXX RK 18.08.2014

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 20.01.2015

LG XXXX vom 29.01.2018

zu LG XXXX RK 18.08.2014

zu LG XXXX RK 02.09.2011

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 20.01.2015, endgültig

LG XXXXvom 08.02.2018

Keine der beschwerdeführenden Parteien leidet an einer akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung, welche ein Hindernis für eine Rückführung nach Algerien darstellen würde.

Die zweitbeschwerdeführende Partei und ihre nunmehrige Familie haben mit dem Sohn der zweitbeschwerdeführenden Partei mit dessen erster Ehefrau regelmäßig Kontakt. Die zweitbeschwerdeführende Partei versucht, ihre Vaterrolle zu erfüllen.

Darüber hinaus hat die zweitbeschwerdeführende Partei keine Angehörigen in Österreich.

Die erstbeschwerdeführende Partei sowie die dritt- bis sechstbeschwerdeführenden Parteien haben, abgesehen von der eigenen Kernfamilie, keine Verwandten in Österreich.

Fünf Geschwister der erstbeschwerdeführenden Partei sowie zwölf Geschwister ihrer Mutter leben in Algerien.

Die zweitbeschwerdeführende Partei verfügt über ein A2-Deutschkurszertifikat sowie das Zeugnis zur Integrationsprüfung, beide am 25.06.2018 durch das ÖIF ausgestellt. Ihre Deutschkenntnisse ließen es zu, die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in deutscher Sprache durchzuführen.

Die erstbeschwerdeführende Partei beherrscht die deutsche Sprache auf einfachem Niveau.

Die beschwerdeführenden Parteien bestreiten ihren Lebensunterhalt im wesentlichen durch die Zuwendung Dritter.

Die zweitbeschwerdeführende Partei verfügt über eine "Einstellungsbestätigung" eines Unternehmens im Bereich Arbeitskräfteüberlassung, diese zu beschäftigen, falls sie freien Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen sollte.

Die zweitbeschwerdeführende Partei ist ehrenamtlicher Mitarbeiter bei einem Sozialmarkt, war für die Caritas ungefähr einen Monat lang freiwillig als Dolmetscher tätig, absolvierte einen 16-stündigen Erste- Hilfe-Grundkurs und war ebenfalls für das Rote Kreuz sowie für den Samariterbund freiwillig als Dolmetscher tätig, hat an Qualifizierungsmaßnahmen des AMS teilgenommen und ist Mitglied in einem Fußballklub.

Die erstbeschwerdeführende Partei hat an einem 112-stündigen Modul im Rahmen der Basisbildung des BFI teilgenommen. Sie ist freiwillig im Fußballverein der zweitbeschwerdeführenden Partei tätig.

Dritt- und viertbeschwerdeführende Partei besuchen den Kindergarten.

Fünft- und sechstbeschwerdeführende Partei sind noch nicht im Kindergartenalter werden zu Hause betreut.

Die beschwerdeführenden Parteien verfügen über eine Reihe von Bekannten, die sich für deren Verbleib in Österreich aussprechen.

1.2. Zu den Fluchtgründen:

Beim ersten, am 24.01.2008 gestellten Antrag auf internationalen Schutz erfand die zweitbeschwerdeführende Partei eingestandenermaßen einen Fluchtgrund.

Im gegenständlichen Asylverfahren erklärten zweit- sowie erstbeschwerdeführende Partei, keine Fluchtgründe zu haben.

Die erstbeschwerdeführende Partei kam nach Österreich, um hier mit der zweitbeschwerdeführenden Partei, ihrem Ehemann zu leben, Fluchtgründe machte sie nicht geltend.

Auch die dritt- bis sechstbeschwerdeführenden Parteien machten keine Fluchtgründe geltend, ebenso konnten solche von Amts wegen nicht festgestellt werden.

Nicht festgestellt werden kann somit, dass den beschwerdeführenden Parteien im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung oder eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

Die beschwerdeführenden Parteien müssen nicht befürchten, in Algerien durch staatliche Behörden verfolgt zu werden, in eine hoffnungslose Lage zu kommen, einem realen Risiko einer sonstigen Verfolgung oder einer Verletzung ihrer Rechte auf Leben, unmenschlicher Behandlung oder Folter unterworfen zu werden und/oder nicht der Todesstrafe zu unterliegen und als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes unterworfen zu sein.

Erst- und zweitbeschwerdeführende Partei haben ihr Herkunftsland aufgrund asylfremder Motive verlassen, es besteht auch zum aktuellen Zeitpunkt keine relevante Rückkehrgefährdung.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Politische Lage

Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik. Der Präsident wird für fünf Jahre direkt gewählt, seine Amtszeit ist seit der letzten Verfassungsreform im Jahr 2016 auf zwei Mandate begrenzt (AA 10.2017). Neben der nach Verhältniswahlrecht (mit Fünfprozent-Klausel) gewählten Nationalen Volksversammlung (Assembiee Populaire Nationale) besteht eine zweite Kammer (Conseil de la Nation oder Senat) (AA 10.2017; vgl. ÖB 3.2015), deren Mitglieder zu einem Drittel vom Präsidenten bestimmt und zu zwei Dritteln von den Gemeindevertretern gewählt werden (AA 10.2017). Damit ist die Unabhängigkeit der Legislative zugunsten des Präsidenten eingeschränkt (BS 2016). Der Senatspräsident vertritt den Staatspräsidenten (AA 10.2017).

Präsident Abdelaziz Boutefiika übernahm sein Amt erstmals im April 1999 (AA 10.2017). Am 17.4.2014 wurde er mit über 81 Prozent für eine vierte Amtszeit wiedergewählt (AA 10.2017; vgl. ÖB 3.2015). Die meisten Oppositionsparteien hatten zum Boykott der Präsidentschaftswahl aufgerufen. Premierminister ist seit 15.8.2017 - und damit zum vierten Mal - Ahmed Ouyahia. Er folgt Abdelmajid Tebboune nach, der das Amt im Nachgang zu den jüngsten Parlamentswahlen im Mai 2017 von Abdelmalek Sellal übernommen hatte. Aus den letzten Parlamentswahlen am 4.5.2017 gingen die beiden größten Regierungsparteien - die ehemalige Einheitspartei Nationale Befreiungsfront (FLN) und die Nationale Demokratische Sammlungsbewegung (RND) - erneut als stärkste Parteien hervor. Die Wahlbeteiligung war mit rund 35% sehr gering. Dank einer bereits zu den Wahlen 2012 eingeführten Frauenquote sind rund ein Viertel der Abgeordneten in der Nationalen Volksversammlung weiblich (AA 10.2017).

Die zentrale Verwaltung und lokale gewählte Körperschaften sind seit langem für ihre Ineffizienz, Korruption und Patronage bekannt. Staatliche Institutionen folgen demokratischen Prinzipien; Qualität und Effizienz der Institutionen sind jedoch fraglich. Der Präsident dominiert weiterhin das politische Leben. Parteien-, Wahl-, Vereinsgesetz wurden im Jahr 2012 reformiert. Partizipation auf kommunaler und provinzieller Ebene konnte durch gewählte lokale Körperschaften verbessert werden. Dennoch scheint das obskure Machtgefüge aus Armee und Sicherheitskräften weiterhin alle wichtigen Entscheidungen fernab jeglicher demokratischen Kontrolle zu treffen. Der Status des Parlaments verbesserte sich dennoch nach den relativ freien und fairen Parlamentswahlen im Jahr 2012 (BS 2016).

Präsident Bouteflika ist seit mehr als zehn Jahren angeschlagen. Seit 2005 hat er sich mehrfach wochenlang in französischen Krankenhäusern behandeln lassen, Gerüchte über eine Krebserkrankung machten die Runde, die aber nie offiziell bestätigt wurden. 2013 erlitt Bouteflika einen Schlaganfall, seither sitzt er im Rollstuhl und tritt kaum noch öffentlich auf. "Le Pouvoir", das seit der Unabhängigkeit 1962 gewachsene Netzwerk aus Regierungspartei FLN, dem Militär und verbündeten Geschäftsleuten, führt das Land und besetzt die Schlüsselpositionen. Wer aber angesichts der Erkrankung Bouteflikas Algerien tatsächlich regiert und die letzte Entscheidungsbefugnis bei wichtigen Entscheidungen hat - darüber rätseln Beobachter im In- und Ausland. Auch einen designierten Nachfolger gibt es nicht. Eine Schlüsselfigur ist Generalstabschef Ahmed Gaid Salah. Der farblose Saiah ist jedoch niemand, der für eine eigene politische Agenda steht - außer für Stabilität. Angesichts der fragilen Lage in den Nachbarländern Libyen, Niger und Mali und der jüngeren gewaltsamen algerischen Geschichte ist die Aussicht auf Stabilität für viele Algerier schon als Programm ausreichend. Weitaus schillernder ist Said Bouteflika, der 20 Jahre jüngere Bruder des Staatschefs. Er bestimmt seit Jahren darüber, wer überhaupt noch zum greisen Präsidenten vorgelassen wird. Said Bouteflika und Salah sollen sich hinter den Kulissen einen rücksichtslosen Machkampf liefern (SO 21.2.20107).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (10.2017): Algerien - Innenpolitik, https://www.auswaertigesamt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/-/222160, Zugriff 15.2.2018

-

BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Algeria Country Report, https://www.btiproject.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2Q16/pdf/BTI 2016 Algeria.pdf, Zugriff 15.2.2018

-

ÖB - Österreichische Botschaft Algier (3.2015): Asylländerbericht Algerien

-SO - Spiegel Online (21.2.2017): Staatschef Bouteflika - Der kranke Mann von Algier,

http://www.spieqel.de/politik/ausland/abdelaziz-bouteflika-ist-schwerkrank-wer-regiert" algerien-a-1135607.html. Zugriff 12.3.2018

Sicherheitslage

In den letzten Jahren ist es wiederholt zu Terroranschlägen islamistischer Gruppen und zu Entführungen mit kriminellem oder terroristischem Hintergrund gekommen (BMEIA 16.2.2018; vgl. AA 16.2.2018). Landesweit kann es zu Behinderungen durch Demonstrationen und Streiks kommen (BMEIA 16.2.2018). Da jedoch Algerien in den 1990er Jahren ein Jahrzehnt des Terrorismus erlebt hat, bevorzugt die große Mehrheit der Algerier Frieden und lehnt Instabilität ab. Der vom Präsidenten durch die Versöhnungscharta 2006 vermittelte Frieden trug zur in der Bevölkerung weithin anerkannten Legitimität des Staates bei (BS 2016).

Algerien ist eine Basis für den heute in Nordafrika und im Sahel operierenden djihadistischen Terrorismus. Die Angaben über die Zahlen der gegenwärtig in Algerien aktiven Terroristen schwanken zwischen einigen Hundert bis etwa Tausend. Die in Algerien weiterhin einflussreichste Gruppe AQIM (AI Qaida im islamischen Maghreb) ist durch den Anschluss der Salafist Group for Preaching and Combat (GSPC) an Al-Qaida entstanden. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die MUJAO (Bewegung für Einheit und Jihad in Westafrika). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in In Amenas/Tigentourine im Jänner 2013 zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des "Islamischen Staates" (iS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khilafa, hat sich zum IS bekannt. Diese Gruppe hat die Verantwortung für die Entführung und Enthauptung des französischen Bergführers Herve Gourdel am 24.9.2014 übernommen. Dies war 2014 der einzige Anschlag, der auf einen Nicht-Algerier zielte. Ansonsten richteten sich die terroristischen Aktivitäten ausschließlich auf militärische Ziele (ÖB 3.2015).

Islamistischer Terrorismus und grenzübergreifende Kriminalität in der Sahelregion stellen weiterhin Bedrohungen für die Stabilität Algeriens dar. Algerien ist massiv in der Bekämpfung des Terrorismus engagiert und hat sein Verteidigungsbudget auf mehr als 10 Mrd. EUR erhöht (somit das höchste in Afrika). Eine kleine Anzahl islamistischer Extremisten operiert vor allem in der Sahara und den Berberregionen. Unsicherheit in der Region und die Aktivitäten des IS in einigen Nachbarländern machen diese jedoch zu einer potenziellen Bedrohung (BS 2016).

Spezifische regionale Risiken

Von Terroranschlägen und Entführungen besonders betroffen ist die algerische Sahararegion, aber auch der Norden und Nordosten des Landes (v.a. Kabylei). Die Gefahr durch den Terrorismus, der sich in erster Linie gegen die staatlichen Sicherheitskräfte richtet, besteht fort (AA 16.2.2018). Am 28.10.2016 wurde ein Polizist in Constantine ermordet; eine islamistische Gruppierung bekannte sich zu der Tat. Im Nordwesten Algeriens, der Provinz Ain Defla, wurden am 17.7.2015 zehn algerische Soldaten bei einem Angriff getötet (FD 16.2.2018).

Vor Reisen in die Grenzgebiete zu Libyen, Niger, Mali, Mauretanien, Tunesien und Marokko sowie in die sonstigen Saharagebiete, in ländliche Gebiete, Bergregionen (insbesondere Kabylei) und Gebirgsausläufer wird gewarnt (BMEIA 16.2.2018; vgl. AA 16.2.2018, FD 16.2.2018). Ausgenommen davon sind nur die Städte Algier, Annaba, Constantine, Tiemcen und Oran (BMEIA 16.2.2018; vgl. FD 16.2.2018). Im Rest des Landes besteht weiterhin hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 16.2.2018). Die häufigen Entführungen, besonders in der Region Kabylei treffen in erster Linie wohlhabende Einheimische und sind kriminell (Lösegeldforderung) motiviert. In den südlichen Grenzregionen zu Niger und Mali und jenseits der Grenzen gehen terroristische Aktivitäten, Schmuggel und Drogenhandel ineinander über. Es wird angenommen, dass AQIM in Nordmali, aber auch andernorts vereinzelt mit der lokalen Bevölkerung für Schmuggel aller Art zusammenarbeitet (ÖB 3.2015).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (16.2.2018): Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/QO-SiHi/Nodes/AlgerienSicherheit node.html. Zugriff 16.2.2018

-

BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (16.2.2018): Reiseinformationen Algerien,

http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/buergerservice/reiseinformation/a-z-

laender/alqerien-de.html, Zugriff 16.2.2018 - BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Algeria Country Report, https://www.btiproiect.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI 2016 Algeria.pdf. Zugriff 15.2.2018

-

FD - France Diplomatie (16.2.2018): Conseils aux Voyageurs - Algerie - Securite,

http://www.diplomatie.qouv.fr/fr/conseils-aux-vovageurs/conseils-oar-pavs/alqerie/. Zugriff 16.2.2018

-

ÖB - Österreichische Botschaft Algier (3.2015): Asylländerbericht Algerien Rechtsschutz / Jusfewes&ra

Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, beschränkte die Exekutive die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 3.3.2017; vgl. GIZ 12.2016a, BS 2016) bzw. hat der Präsident den Vorsitz im Obersten Justizrat, der für die Ernennung aller Richter (USDOS 3.3.2016; vgl. BS 2016) sowie Staatsanwälte zuständig ist (USDOS 3.3.2017). Der Oberste Justizrat ist für die richterliche Disziplin und die Ernennung und Entlassung aller Richter zuständig (USDOS 3.3.2017; vgl. BS 2016). Die in der Verfassung garantierte Unabhängigkeit von Gerichten und Richtern wird in der Praxis nicht gänzlich gewährleistet (BS 2016), sie ist häufig äußerer Einflussnahme und Korruption ausgesetzt (USDOS 3.3.2017). Die Justizreform wird zudem nur äußerst schleppend umgesetzt. Algerische Richter sehen sich häufig einer außerordentlich hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt, was insbesondere in Revisions- und Berufungsphasen zu überlangen Verfahren führt. Ein berufsständisches Gesetz zu Status und Rolle der Anwaltschaft existiert nicht (AA 23.2.2017).

Praktische Entscheidungen über richterliche Kompetenzen werden vom Obersten Justizrat getroffen (BS 2016). Die Richter werden für eine Dauer von zehn Jahren ernannt und können u.a. im Fall von Rechtsbeugung abgelöst werden (AA 23.2.2017). Im Straf- und Zivilrecht entscheiden Justizministerium und der Präsident der Republik mittels weisungsabhängiger Beratungsgremien über das Fortkommen von Richtern und Staatsanwälten. Das Rechtswesen kann so unter Druck gesetzt werden, besonders in Fällen, in denen politische Entscheidungsträger betroffen sind. Es ist der Exekutive de facto nachgeordnet. Im Handelsrecht führt die Abhängigkeit von der Politik zur inkohärenten Anwendung der Anti-Korruptionsgesetzgebung, da auch hier die Justiz unter Druck gesetzt werden kann (GIZ 12.2016a).

Das algerische Strafrecht sieht explizit keine Strafverfolgung aus politischen Gründen vor. Es existiert allerdings eine Reihe von Strafvorschriften, die aufgrund ihrer weiten Fassung eine politisch motivierte Strafverfolgung ermöglichen. Dies betrifft bisher insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit, die durch Straftatbestände wie Verunglimpfung von Staatsorganen oder Aufruf zum Terrorismus eingeschränkt werden. Rechtsquellen sind dabei sowohl das algerische Strafgesetzbuch als auch eine spezielle Anti-Terrorverordnung aus dem Jahre 1992. Das Strafmaß für die Diffamierung staatlicher Organe und Institutionen durch Presseorgane bzw. Journalisten soll allerdings grundsätzlich auf Geldbußen beschränkt sein (AA 23.2.2017). Der Straftatbestand der "Diffamation" führt zu zahlreichen Anklagen durch die staatlichen Anklagebehörden und schwebt als Drohung über Journalisten und allen, die sich öffentlich äußern (GIZ 12.2016a).

Die Verfassung gewährleistet das Recht auf einen fairen Prozess (USDOS 3.3.2017), aber in der Praxis respektieren die Behörden nicht immer die rechtlichen Bestimmungen, welche die Rechte des Angeklagten wahren sollen (USDOS 3.3.2017; vgl. AA

23.2.2017). Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung und sie haben das Recht auf einen Verteidiger, dieser wird falls nötig auf Staatskosten zur Verfügung gestellt. Die meisten Verhandlungen sind öffentlich. Angeklagten und ihren Anwälten wird gelegentlich der Zugang zu von der Regierung gehaltenen Beweismitteln gegen sie verwehrt. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Die Aussage von Frauen und Männern wiegt vor dem Gesetz gleich (USDOS 3.3.2017). Den Bürgerinnen und Bürgern fehlt nach wie vor das Vertrauen in die Justiz, und sie sehen vor allem in politisch relevanten Strafverfahren Handlungsbedarf. Nach belastbarer Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen und kritischen Journalisten nimmt die Exekutive in solchen Fällen unmittelbar Einfluss auf die Entscheidungen des Gerichts (AA 23.2.2017) .

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (23.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien

-

BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Algeria Country Report, https://www.btiproject.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTi 2016 Algeria.pdf, Zugriff 15.2.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016a): Algerien - Geschichte & Staat, https://www.portal.de/algerien/geschichte-staat/. Zugriff 19.2.2018

-

USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1395180.html. Zugriff 19.2.2018

Sicherheitsbehörden

Die staatlichen Sicherheitskräfte lassen sich unterteilen in nationale Polizei, Gendarmerie, Armee und Zoll (GIZ 12.2016a). Die dem Innenministerium unterstehende nationale Polizei DGSN wurde in den 90er Jahren von ihrem damaligen Präsidenten, Ali Tounsi, stark ausgebaut und personell erweitert, und zwar von 100.000 auf 200.000 Personen, darunter zahlreiche Frauen. Ihre Aufgaben liegen in der Gewährleistung der örtlichen Sicherheit (GIZ

12.2016a; vgl. USDOS 3.3.2017). Sie ist in den blauen Uniformen sehr präsent und in den Städten überall wahrnehmbar (GIZ 12.2016a). Der Gendarmerie Nationale gehören ca. 180.000 [Anm. GIZ: 180.000; USDOS:

130.000] Personen an, die die Sicherheit auf überregionaler (außerstädtischer) Ebene gewährleisten sollen (GIZ 12.2016a; vgl. USDOS 3.3.2017). Sie untersteht dem Verteidigungsministerium und verfügt über zahlreiche spezielle Kompetenzen und Ressourcen, wie Hubschrauber, Spezialisten gegen Cyberkriminalität, Sprengstoffspezialisten usw. Mit ihren schwarzen Uniformen sind sie besonders außerhalb der Städte präsent, z.B. bei den häufigen Straßensperren auf den Autobahnen um Algier (GIZ 12.2016a).

Die Gendarmerie Locale wurde in den 90er Jahre als eine Art Bürgerwehr eingerichtet, um den Kampf gegen den Terrorismus in den ländlichen Gebieten lokal zielgerichteter führen zu können. Sie umfasst etwa 60.000 Personen. Die Armee ANP (Armee Nationale Populaire) hat seit der Unabhängigkeit eine dominante Stellung inne und besetzt in Staat und Gesellschaft Schlüsselpositionen. Sie zählt allein an Bodentruppen ca. 120.000 Personen und wurde und wird im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt. Die Armee verfügt über besondere Ressourcen, wie hochqualifizierte Militärkrankenhäuser und soziale Einrichtungen. Die Zollbehörden nehmen in einem außenhandelsorientierten Land wie Algerien eine wichtige Funktion wahr. Da in Algerien gewaltige Import- und Exportvolumina umgesetzt werden, ist die Anfälligkeit für Korruption hoch (GIZ 12.2016a).

Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 3.3.2017). Übergriffe und Rechtsverletzungen der Sicherheitsbehörden werden entweder nicht verfolgt oder werden nicht Gegenstand öffentlich gemachter Verfahren (ÖB 3.2015). Das Strafgesetz enthält Bestimmungen zur Untersuchung von Missbrauch und Korruption, aber die Regierung veröffentlicht keine Informationen bzgl. disziplinärer oder rechtlicher Maßnahmen gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016a): Algerien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/algerien/geschichte-staat/. Zugriff 19.2.2018

-

ÖB - Österreichische Botschaft Algier (3.2015): Asylländerbericht Algerien

-

USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1395180.html. Zugriff 19.2.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist gesetzlich verboten (USDOS 3.3.2017). Unmenschliche oder erniedrigende Strafen

werden gesetzlich nicht angedroht. Die Verfassung verbietet Folter und unmenschliche Behandlung (AA 23.2.2017; vgl. ÖB 3.2015). Das traditionelle islamische Strafrecht (Scharia) wird in Algerien nicht angewendet. Im algerischen Strafgesetz ist Folter seit 2004 ei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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