TE Vwgh Erkenntnis 1999/7/1 95/21/0433

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Veröffentlicht am 01.07.1999
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §82 Abs1 Z1;
VStG §44a litb;
VStG §44a Z2 impl;
VwGG §42 Abs2 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1 impl;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rosenmayr und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des am 30. Dezember 1967 geborenen MK, vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schulgasse 7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 14. Februar 1995, Zl. 1-0716/94/E2, betreffend Übertretung des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 14. Februar 1995 gerichtet, mit dem der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsbürger, wegen Übertretung des § 82 Abs. 1 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, gemäß § 82 Abs. 1 FrG mit einer Geldstrafe in der Höhe von S 3.000,-- und einer Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 72 Stunden bestraft sowie zur Bezahlung von Verfahrenskosten in der Höhe von insgesamt S 900,-- verpflichtet wurde, weil er "nach Erlassung des rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes (Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 25.2.1992, zugestellt am 5.3.1992) nicht ausgereist und sich im Zeitraum vom 5.11.1993 bis zum 22.6.1994 weiterhin im Bundesgebiet aufgehalten (hat)".

Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg über den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 25. Februar 1992 gemäß §§ 3 und 4 des Fremdenpolizeigesetzes ein bis zum 4. November 1996 befristetes Aufenthaltsverbot verhängt habe. Der Beschwerdeführer sei im genannten Bescheid darauf hingewiesen worden, dass er gemäß § 6 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes innerhalb einer Woche ab Rechtskraft des Bescheides das Bundesgebiet zu verlassen habe. Er sei jedoch entgegen dieser Verpflichtung aus dem Bundesgebiet nicht ausgereist und halte sich weiterhin, so auch im Zeitraum vom 5. November 1993 bis zum 22. Juni 1994, im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer habe nicht in Abrede gestellt, dass er entgegen dem rechtskräftigen Aufenthaltsverbot nicht aus dem Bundesgebiet ausgereist sei. Schon allein mit diesem Verhalten habe er das Tatbild der ihm zur Last gelegten Übertretung in objektiver Hinsicht erfüllt. An diesem Ergebnis vermöge auch die zur Entlastung in subjektiver Hinsicht vorgebrachte Behauptung des Beschwerdeführers, dieses Verhalten könnte ihm deshalb nicht zum Vorwurf gemacht werden, da sein Leib und sein Leben in der Türkei gefährdet wären, nichts zu ändern. Diesbezüglich stütze sich die belangte Behörde "auf den rechtskräftigen Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 6.7.1993, wonach es unglaubwürdig wäre, dass der Beschuldigte (Beschwerdeführer) 'in seinem Heimatstaat eine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes aufgrund seiner Zugehörigkeit zur alevitischen Glaubensgemeinschaft zu erdulden hätte'". Die betreffende Frage müsse darüber hinaus im Verwaltungsstrafverfahren nicht eingehender geprüft werden. Auch der Einwand, die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Übertretung wäre bereits verjährt, treffe nicht zu. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sei nämlich die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes, die in der Nichtausreise bestehe, pönalisiert. Auch sei die erste Verfolgungshandlung innerhalb der Frist des § 31 Abs. 1 VStG erfolgt und Verfolgungsverjährung daher nicht eingetreten. Im vorliegenden Fall handle es sich um ein Ungehorsamsdelikt. Soweit der Beschwerdeführer den Schuldausschließungsgrund des Notstandes geltend mache, sei anzumerken, dass für den Beschwerdeführer eine unmittelbar drohende Gefahr, zufolge der er die Verwaltungsübertretung zur Abwendung eben dieser Gefahr zwanghaft hätte begehen müssen, nicht bestanden habe. Der lange Zeitraum der Nichtbefolgung des Ausreisegebotes sei hinsichtlich der Strafbemessung als schwer wiegend zu berücksichtigen gewesen. Als Verschuldensform werde Vorsatz angenommen. Erschwerungsgründe seien keine hervorgekommen. Als mildernd sei die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers zu berücksichtigen gewesen.

In der Beschwerde wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 82 Abs. 1 Z. 1 FrG begeht, wer nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung nicht rechtzeitig ausreist, eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu S 10.000,-- oder mit Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen zu bestrafen. Gemäß § 82 Abs. 2 FrG liegt eine Verwaltungsübertretung gemäß Abs. 1 Z. 1 nicht vor, wenn die Ausreise nur in ein Land möglich wäre, in das eine Abschiebung unzulässig (§§ 37 und 54 Abs. 4 FrG) ist, oder wenn dem Fremden ein Abschiebungsaufschub erteilt worden ist. Diese Bestimmungen traten, dem § 86 Abs. 1 FrG zufolge, mit 1. Jänner 1993 in Kraft.

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer wegen Nichtausreise nach Erlassung eines am 5. März 1992 zugestellten Aufenthaltsverbotes der Übertretung des § 82 Abs. 1 Z. 1 FrG für schuldig befunden. Damit hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Verletzung einer Rechtsvorschrift zur Last gelegt, die zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Tat noch nicht in Kraft gestanden ist.

Gemäß § 44a Z. 2 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die Verwaltungsvorschrift zu enthalten, die durch die Tat verletzt worden ist. Der Bescheid ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet, wenn im Spruch ein Sachverhalt einem Straftatbestand unterstellt wird, der durch die Tat nicht verletzt wurde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 1994, Zl. 93/04/0045, mwN). Dies ist vorliegend der Fall. Auch wenn der im Spruch des angefochtenen Bescheides hervorgehobene Zeitraum vom 5. November 1993 bis 22. Juni 1994 bereits im zeitlichen Geltungsbereich des § 82 Abs. 1 Z. 1 FrG lag, so kann der angefochtene Bescheid nicht dahin verstanden werden, dass der Beschwerdeführer ausschließlich wegen Nichtausreise in diesem Zeitraum bestraft worden wäre. Vielmehr wurde er auch wegen Nichtausreise (unmittelbar) nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes, somit auch wegen einer Unterlassung im Jahr 1992, als das Fremdengesetz aus 1992 noch nicht in Geltung stand, bestraft. Daher hat die belangte Behörde mit der Nennung allein des § 82 Abs. 1 Z. 1 FrG im Spruch des angefochtenen Bescheides dem Erfordernis des § 44a Z. 2 VStG nicht entsprochen und den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Gemäß § 82 Abs. 2 FrG liegt eine Verwaltungsübertretung gemäß Abs. 1 Z. 1 leg. cit. nicht vor, wenn die Ausreise nur in ein Land möglich wäre, in das eine Abschiebung unzulässig (§§ 37 und 54 Abs. 4) ist, oder wenn dem Fremden ein Abschiebungsaufschub erteilt worden ist. Auch dies hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall verkannt. Sie hätte sich mit dem in der Berufung erstatteten Vorbringen des Beschwerdeführers, dass ihm nur eine Ausreise in die Türkei möglich sei, wo ihm Folter und Verhaftung drohten, dass es in seiner Heimatstadt Erzincan vor einigen Monaten zu Massakern, bei denen eine Vielzahl von Personen ermordet worden wäre, gekommen sei, und dass er befürchten müsse, dass er bei seiner Rückkehr umgebracht würde, sowie weiters, dass die türkischen Behörden diesen Vorgängen machtlos gegenüber stünden, nicht mit dem bloßen Hinweis auf einen (offensichtlich den Asylantrag des Beschwerdeführers abweisenden) rechtskräftigen "Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 6.7.1993" hinwegsetzen dürfen. Die belangte Behörde hätte sich vielmehr inhaltlich mit der Frage auseinander setzen müssen, ob im Beschwerdefall ein Rechtfertigungsgrund im Sinn des § 82 Abs. 2 FrG vorlag und bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG die konkrete Einzelsituation des Beschwerdeführers in seinem Heimatstaat in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall seiner Abschiebung in diesen Staat zu beurteilen gehabt und bedenken müssen, dass dafür nicht unmaßgeblich ist, ob allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. das hg.

Erkenntnis vom 27. Februar 1998, Zl. 95/21/0399, mwN).

     Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1

VwGG aufzuheben.

     Die vom Beschwerdeführer beantragte Durchführung einer

Verhandlung konnte im Hinblick auf § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 1. Juli 1999

Schlagworte

Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1995210433.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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