TE Vwgh Erkenntnis 1999/7/7 99/18/0080

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Veröffentlicht am 07.07.1999
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde des A I in Wien, geboren am 25. August 1972, vertreten durch MMag. Dr. Ernst Denk, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Führichgasse 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 1. Februar 1999, Zl. SD 609/98, betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 1. Februar 1999 wurde gemäß § 75

Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer im Sudan gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Der Beschwerdeführer sei einige Tage nachdem er sich am 20. Jänner 1997 am Flughafen gemeldet habe, von der Asylbehörde befragt worden. Dabei habe er angegeben, am 18. Jänner 1997 von Khartum mit einer Zwischenlandung nach Wien geflogen zu sein. Weitere Angaben über seinen Fluchtweg habe er nicht machen wollen oder können. Auf die Frage, wie er ohne Dokumente die Reise auf dem Luftweg habe bewältigen können, habe er geantwortet, dass sein Freund alles organisiert hätte und er selbst alles vergessen hätte, als er in Wien angekommen wäre. Langsam käme die Erinnerung wieder zurück. Über Vorhalt, dass es unmöglich sei, an einer Passkontrolle ohne Dokumente vorbeizukommen, habe er geantwortet, sein Gedächtnis verloren zu haben. Zu den Fluchtgründen befragt, habe der Beschwerdeführer dann aber doch detaillierte Angaben gemacht. Er hätte seine Heimat aus religiösen Gründen verlassen müssen. Nachdem er im Jänner 1996 in den Sudan zurückgekehrt wäre, hätte er der Jugendorganisation Ayaya angehört. Aufgabe dieser Organisation wäre es, die Bevölkerung durch Predigten aufzufordern, beim christlichen Glauben zu bleiben, obwohl die Regierung für einen Übertritt zum Islam Propaganda machen würde. Er selbst wäre als Prediger aktiv tätig gewesen. Am 23. März 1996 wäre er von einer regierungsnahen Miliz, die gegen Christen vorgehen würde, in seinem Elternhaus gesucht worden. Durch seine Schwester vorgewarnt, wäre er in den Busch geflüchtet. Da die Miliz ihn nicht hätte fassen können, wäre sein Vater erschlagen und das Elternhaus ebenso wie die Dorfkirche niedergebrannt worden. Auf genaueres Befragen habe sich der Beschwerdeführer jedoch in Widersprüche verwickelt. So habe er einmal angegeben, selbst gesehen zu haben, dass sein Vater erschlagen und sein Elternhaus niedergebrannt worden wäre, an anderer Stelle habe er behauptet, von diesen Ereignissen erst am nächsten Tag durch die Mitteilung eines Freundes erfahren zu haben. Zu bemerken sei auch, dass der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vor der Asylbehörde ein Papier bei sich gehabt habe, auf dem sich allgemeine Aufzeichnungen über den Sudan, wie z.B. Name des Präsidenten und Farbe der Staatsflagge befunden hätten. Weiters seien darauf persönliche Daten, wie z.B. die Namen der Mutter, des Vaters, der Geschwister usw. vermerkt gewesen. Aufgrund dieser schriftlichen Aufzeichnungen, insbesondere der allgemeinen Daten des Sudans sowie der persönlichen Daten der Familienangehörigen, sei die Asylbehörde zu der Überzeugung gelangt, dass es sich beim Vorbringen des Beschwerdeführers um eine "völlig konstruierte Geschichte" gehandelt habe. Auch die Asylbehörde zweiter Instanz habe dem gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers keinen Glauben geschenkt. Der Asylantrag des Beschwerdeführers sei daher am 16. Oktober 1997 rechtskräftig abgewiesen worden.

Im vorliegenden Verfahren habe der Beschwerdeführer, der am 13. Oktober 1997 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen eines Suchtgiftdeliktes zu einer bedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden sei, ausschließlich auf seine Angaben im Asylverfahren verwiesen. Was die behauptete Bedrohung im Grund des § 57 Abs. 2 FrG betreffe, schließe sich die belangte Behörde der Beweiswürdigung der Asylbehörden an. Aufgrund der mangelnden Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers sei vom Vorliegen einer Bedrohungssituation im Sinn von § 57 Abs. 2 FrG nicht auszugehen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände hätten aber auch keine stichhaltigen Gründe dafür festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Sudan gemäß § 57 Abs. 1 FrG konkret und aktuell bedroht sei. Die Hinweise des Beschwerdeführers in der Berufung auf die allgemeine politische Lage im Sudan stellten für sich allein keine geeignete Grundlage dar, eine Gefährdung bzw. Bedrohung im erwähnten Sinn glaubhaft zu machen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, hilfsweise wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 FrG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 75 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. aus der ständigen hg. Judikatur zu § 54 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, etwa die Erkenntnisse vom 12. Februar 1999, Zl. 97/21/0286, und vom 26. März 1999, Zl. 97/18/0643, welche aufgrund der insoweit nicht geänderten Rechtslage auch hier maßgeblich ist.)

2. Ebenso wie die Asylbehörde, auf deren Entscheidung die belangte Behörde hinsichtlich der Frage des Vorliegens einer Bedrohung gemäß § 57 Abs. 2 FrG - zulässigerweise (vgl. etwa das zu § 54 des Fremdengesetzes aus 1992 ergangene, wegen der insoweit nicht geänderten Rechtslage auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1998, Zl. 97/18/0177) - Bedacht genommen hat, hat die belangte Behörde dem gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine ihn individuell treffende Gefährdung bzw. Bedrohung keinen Glauben geschenkt.

Diese in der Beschwerde nicht konkret bekämpfte Beweiswürdigung begegnet im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof insoweit zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) keinen Bedenken. Es ist nicht unschlüssig, wenn die belangte Behörde aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer (unter dem Vorwand, sein Gedächtnis verloren zu haben) konkrete Aussagen zu seinem Fluchtweg vermied, widersprüchliche Angaben zur Frage, ob er die Ermordung seines Vaters selbst gesehen habe, gemacht hat und für seine Vernehmung einen "Spickzettel" (den er nach dem Inhalt der Verwaltungsakten nur widerwillig nach mehrmaliger Aufforderung der vernehmenden Beamtin ausfolgte) verwendete, das gesamte diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers als unglaubwürdig qualifizierte.

3.1. Die belangte Behörde hat zwar das Vorbringen des Beschwerdeführers - wie dargestellt (II.2.) zu Recht - als "völlig konstruierte Geschichte" und somit als unglaubwürdig gewertet, hat aber den Beschwerdeführer im angefochtenen Bescheid entsprechend seinem Vorbringen als Staatsangehörigen des Sudan bezeichnet. Daraus ist ersichtlich, dass sie nur das Vorbringen betreffend eine den Beschwerdeführer individuell treffende Gefährdung bzw. Bedrohung, nicht aber die Angaben über seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere seine Angehörigkeit zur christlichen Bevölkerungsgruppe im Sudan, als "konstruiert" angesehen hat.

3.2. Davon ausgehend, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen Christen aus dem Sudan handelt, ist aber der Beschwerde Erfolg beschieden.

Der Beschwerdeführer hat in der Berufung geltend gemacht, dass während des Jahres 1996 hunderte vermeintliche Regierungsgegner, unter ihnen vornehmlich Angehörige der christlichen Religion und gewaltlose politische Gefangene, tage- oder monatelang ohne Anklage oder Gerichtsverfahren inhaftiert gewesen seien. Mehr als 70 Gefangene seien der Kriegsführung gegen den Staat angeklagt worden. 31 von ihnen hätten sich in einem unfairen Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor einem Militärgericht verantworten müssen. Folterungen seien weit verbreitet. Gerichte würden Prügel- und Amputationsstrafen verhängen. Paramilitärische Kräfte hätten Menschen entführt, über das Schicksal hunderter in den Vorjahren verschleppter Menschen bestehe weiterhin Ungewissheit. In den vom Bürgerkrieg betroffenen Gebieten seien hunderte Menschen extralegalen Hinrichtungen oder wahllosen Tötungen zum Opfer gefallen. Mindestens 18 Personen seien zum Tod verurteilt worden. Im Zug von Razzien paramilitärischer "Volksverteidigungskräfte" in den Kriegsgebieten im Süden des Landes seien hunderte Menschen extralegal hingerichtet worden. So hätten als Eskorte für einen Zug eingesetzte paramilitärische Kräfte im Februar in westlich von Ariath gelegenen Dörfern zahlreiche Menschen getötet. In Marol Deng seien 13 Zivilisten extralegalen Hinrichtungen zum Opfer gefallen. Weitere Tötungen seien aus Majok Kuom berichtet worden. Im März hätten paramilitärische Truppen in Dörfern in der Umgebung von Abyei und entlang dem Fluss Bahr al-Arab mehr als 60 Menschen extralegal hingerichtet. Das Dorf Mabior, in dem aus Khartum zurückgekehrte Vertriebene lebten, sei völlig zerstört worden.

Die belangte Behörde habe diese offenkundigen Tatsachen zu berücksichtigen.

3.3. Zur Dartuung einer für den Fall der Abschiebung drohenden Gefahr im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG eigenen sich nicht nur gegenüber dem Einzelnen gesetzte Verfolgungsmaßnahmen. Eine solche Gefahr kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis, Zl. 97/21/0286, mwN).

Auf dem Boden dieser Erwägungen kann dem Berufungsvorbringen betreffend die allgemeine Situation (von Christen) im Sudan nicht - wie dies die belangte Behörde getan hat - von vornherein die Eignung abgesprochen werden, eine den Beschwerdeführer als Angehörigen der christlichen Bevölkerung im Sudan treffende Gefährdung bzw. Bedrohung darzutun. Da sich die belangte Behörde somit infolge Verkennung der Rechtslage nicht mit dem oben wiedergegebenen Berufungsvorbringen auseinander gesetzt hat, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand ein gesonderter Ersatz von Barauslagen nicht vorgesehen ist. Wien, am 7. Juli 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999180080.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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