TE Lvwg Erkenntnis 2018/5/17 VGW-103/079/14630/2016

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Veröffentlicht am 17.05.2018
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Entscheidungsdatum

17.05.2018

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
10/16 Sonstiges Verfassungsrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

PassG 1992 §14 Abs1
PassG 1992 §15 Abs1
PassG 1992 §15 Abs2
AdelsaufhebungsG §1
VwGVG §3 Abs3

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin MMag. Dr. Ollram über die Beschwerde des mj. A. B.de C., geb. 2013, ..., Frankreich, gesetzlich vertreten durch seine Mutter D. B.de C., diese in ihrer Funktion vertreten durch die Rechtsanwaltskanzlei …, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Paris vom 30.8.2016,  ..., betreffend die Entziehung des am 23.4.2015 ausgestellten und bis 22.4.2017 gültigen Reisepasses Nr. ... wegen Eintragung eines Familiennamens mit Adelszeichen (§ 15 Abs. 2 Z 2 Passgesetz 1992 unter Beachtung des § 2 Z 1 der Vollzugsanweisung vom 18.4.1919 zum Gesetz vom 3.4.1919 über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und Damenorden und gewisser Titel und Würden - AdelsaufhebungsG) nach mündlicher Verhandlung gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG zu Recht:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

II. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit dem Beschwerde gezogenen Bescheid entzog die belangte Behörde – sinngemäß und nach dem objektiven Erklärungswert erkennbar – dem minderjährigen Beschwerdeführer (BF) im Weg seiner gesetzlichen Vertreterin den damals aktuell gültigen Reisepass. Begründend wurde unter Wiedergabe der herangezogenen Rechtsgrundlagen sowie unter Bezugnahme auf einschlägige Rechtsprechung des VfGH im Wesentlichen ausgeführt, die belangte Behörde habe anlässlich eines von der Mutter eingebrachten Passantrags festgestellt, dass es sich bei dem im Reisepass des BF eingetragenen Familiennamen um einen „Adelstitel (noblesse d’empire)“ handle. Nach dem im Verfassungsrang stehenden und den Gleichheitsgrundsatz (Art. 7 Abs. 1 B-VG) näher ausführenden AdelsaufhebungsG sei Österreichern die Führung von Adelsbezeichnungen untersagt. Der im Familiennamen des BF enthaltene Zusatz „de“ stelle ein nach § 2 Z 1 der Vollzugsanweisung aufgehobenes Adelszeichen dar, welches nach Gesetz und einschlägiger Rechtsprechung als Namensbestandteil österreichischer Staatsbürger nicht in Frage komme. Der BF bzw. seine gesetzliche Vertreterin hätten sich im Rahmen des Parteiengehörs (verfahrensbezogen) nicht geäußert.

Dagegen richtet sich die fristgerecht und mängelfrei erhobene Beschwerde mit den Begehren, eine Verhandlung durchzuführen und den Bescheid ersatzlos zu beheben, in eventu die Angelegenheit unter Behebung des Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen. Begründend wird im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die Mutter des zusammen mit seiner Familie in Frankreich wohnhaften BF habe anlässlich ihrer Eheschließung am ...2005 den Familiennamen ihres Mannes, eines französischen Staatsangehörigen, angenommen. Auch der BF, welcher die österreichische und die französische Staatsangehörigkeit habe, führe den Familiennamen seiner Eltern und scheine dieser auch in allen Personaldokumenten auf. Anlässlich der Beantragung eines neuen Reisepasses über seine Mutter habe die belangte Behörde unter Hinweis auf das österreichische AdelsaufhebungsG eine Namensführung mit dem Wortlaut „B.-C.“ verlangt. Tatsächlich stehe der mittels königlicher „ordonnance de rectification du nom“ vom 13.9.1815 ergänzte Zusatz „de C.“ aber für den Herkunftsort der Familie seines Vaters, nämlich einen kleinen zwischen E. und F. gelegenen Ort im Departement G. mit der nunmehrigen Schreibweise „CA.“. Die Erhebung der Familie in den Adelsstand sei jeweils mit einem anderen Akt, nämlich mittels „lettre patente“ erfolgt. Die Behörde stütze ihre Auffassung offenbar nur auf einen (dem BF unter Verletzung des Parteiengehörs nicht vorab zur Kenntnis gebrachten) Eintrag im „Wikipedia“. Die Vollzugsanweisung vom 18.4.1919 hebe nur das Recht zur Führung diverser Adelsprädikate (u.a. „von“) auf, nicht jedoch einen Namensbestandteil „de“ schlechthin. Dieser in zahlreichen französischen Namen enthaltene Bestandteil deute, ähnlich wie etwa das niederländische „van“, keineswegs zwingend auf einen Adelstitel hin; vielmehr könne es sich dabei ebenso um eine geografische Angabe, den Bezug zu einem Familienbesitz oder einen Künstlernamen (wie bei „Honoré de Balzac“) handeln. Nach der Rechtsprechung des VwGH (23.2.1995, 93/18/0509) seien Namensbildungen mit Präposition der österreichischen Rechtsordnung nicht fremd. Ein Zwang zur Namensänderung greife auch auf das Recht des BF auf Gleichheit vor dem Gesetz sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 7 GRC) ein; er müsse dann in Österreich und Frankreich unterschiedliche Familiennamen zu führen. Er habe den legitimen Anspruch, weiterhin denselben Familiennamen wie die übrigen Familienmitglieder zu führen, welchen er seit seiner Geburt unbeanstandet trage. Eine Verpflichtung zur Änderung sämtlicher Personaldokumente sei mit einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand verbunden und unzumutbar. Schließlich sei dem BF - anders als seiner Mutter und seinem Bruder K. - im gegenständlichen Entziehungsverfahren mangels Zustellung eines behördlichen Schreibens kein Parteiengehör eingeräumt und der Pass dem Wortlaut nach seiner Mutter entzogen worden. Zum Beweis seiner Vorbringen verwies der BF, ebenso wie die belangte Behörde, auf einschlägige (konkret bezeichnete) Literatur; ferner beantragte er die Einvernahme seiner Eltern.

In der zweiteiligen mündlichen Verhandlung wurden die bisherigen Vorbringen weiter konkretisiert.

Aufgrund des Ermittlungsverfahrens ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Die in Wien geborene Mutter des BF ist seit ...2005 mit seinem Vater, dem französischen Staatsangehörigen H. B. de C. verheiratet. Die Eheschließung erfolgte in Österreich vor dem Standesamt .... Die Mutter des BF nahm anlässlich dieser Heirat den Familiennamen ihres Ehemannes an; ihre Namensänderung von „I.-J.“ auf „B. de C.“ wurde vom Wiener Standesamt ins Ehebuch eingetragen. Unmittelbar nach der Heirat verzogen die Eltern des BF auf Dauer ins Ausland, ihr Hauptwohnsitz in Österreich wurde mit 20.5.2005 abgemeldet. Seitdem bestehen in Österreich betreffend ihre Person keine weiteren Meldeeinträge. Am ...2013 und ...2014 wurden in Frankreich zwei gemeinsame Söhne, der BF und sein Bruder K., geboren, welche seit ihrer Geburt ebenfalls den Familiennamen ihrer Eltern „B. de C.“ tragen. Die Mutter des BF ist nach wie vor österreichische Staatsbürgerin, sein Vater französischer Staatsangehöriger. Der BF, welcher ebenso wie sein Vater und sein Bruder nie in Österreich gemeldet war, hat sowohl die österreichische als auch die französische Staatsangehörigkeit und verfügt derzeit über einen österreichischen und einen französischen Reisepass. Die Mutter des BF ist in Frankreich unter Verwendung des Namensbestandteils „de C.“ als freischaffende Künstlerin tätig, sein Vater ist rechtskundiger Berufsoffizier beim französischen Militär.

Der BF verfügt derzeit über einen von der belangten Behörde im April 2015 ausgestellten Reisepass Nr. ... mit (inzwischen abgelaufener) Gültigkeitsdauer bis zum 22.4.2017. Die Familiennamen von Mutter und Kindern sind in den derzeit in ihrem Besitz befindlichen österreichischen Identitätsdokumenten (Reisepass, Personalausweis) mit „B. de C.“ eingetragen.

Die primäre deutsche Übersetzung der französischen Präposition „de“ lautet „von“; daneben kommen noch andere kontextbezogene Übersetzungen (wie etwa „aus“ oder „für“) in Betracht.

Anders als im deutschsprachigen Raum sind in romanisch-sprachigen europäischen Ländern (etwa Frankreich, Italien, Spanien oder Portugal) sowie etwa auch in den Niederlanden durch Präpositionen (de, di, van etc.) verbundene mehrteilige Familiennamen sehr gebräuchlich und weit verbreitet. Diese Präpositionen verweisen teilweise auf eine adelige Herkunft bzw. einen zu früheren Zeiten mit dem Namen verbundenen Adelsstand, teilweise auf die Zuordnung von Familien oder bestimmten Vorfahren zu einer geografischen Region oder auf sonstige örtliche oder sachliche (etwa künstlerische) Bezugspunkte. Der Zweck der Annahme solcher Zusätze ohne Adelsbezug lag in der Regel in einem zu einem früheren Zeitpunkt gegebenen Bedarf nach verstärkter Identitätsstiftung bzw. einer publizitätswirksamen Abgrenzung von anderen Familien mit gleichlautender Namensführung. Im heutigen Gesellschaftsleben, auch jenem der betreffenden Länder selbst, sind Grund, Herkunft bzw. ehemalige Funktion eines solchen Namensbestandteils sowie seine allfällige Qualifikation als Adelszeichen für Dritte oft nicht mehr offenkundig.

Vorfahren der Familie des Vaters des BF wurden zweimal, nämlich unter der Herrschaft Napoleons I und Ludwigs XVIII, jeweils mit staatlichem Akt in Form einer sogenannten „lettre patente“ aus 1811 bzw. 1815, in den Adelsstand (Chevalier bzw. Baron) erhoben, dies jeweils verbunden mit der Führung des Adelszeichens „de“ vor dem Namen(sbestandteil) „B.“. Die Gültigkeit solcherart verliehener Adelszeichen reichte im ersten Fall bis zum Sturz Napoleons, im zweiten Fall bis zum Ende der Monarchie. Mit königlicher „ordonnance“ vom 13.9.1815 wurde dem damals bereits im Adelsstand befindlichen Familienmitglied „de B.“ gleichzeitig mit drei anderen Begünstigten gestattet, jeweils einen offiziellen Zusatz („de L.“, „de C.“, „de M.“ bzw. „de N.“), im Namen zu führen. Eine solche Erlaubnis wurde nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund eines begründeten Interesses („motif légitime“), etwa zur Kennzeichnung der Herkunft, Etablierung von Gewohnheits- oder Künstlernamen, erteilt. Ein bereits vorhandener Adelstitel stellte keine Voraussetzung für eine derartige Erlaubnis dar. Alle durch die gegenständliche „ordonnance“ verliehenen Zusätze beziehen sich auf nachweislich existente französische Ortschaften und Gemeinden. Im Fall der Familie (de) B. ging es dabei um die Zuordnung eines beruflich mobilen Vorfahren zu einer Grundherrschaft im Bereich einer Ortschaft mit dem Ortsnamen „C.“ (heutige Schreibweise „CA.“). Die Beifügung derartiger Zusätze kommt nach dem aktuellen französischen Namensänderungsrecht grundsätzlich auch heute noch in Betracht. Der noch sporadisch auftretende Gebrauch ehemaliger echter französischer Adelstitel als Namensbestandteil erfordert ein besonderes behördliches Feststellungsverfahren des Justizministeriums sowie die Erfassung in einem speziellen Register; eine automatische Weitergabe solcher Prädikate im Geburts- bzw. Erbweg kommt nicht in Betracht. Ebenso wie in Österreich wurde der Adelsstand in Frankreich bereits vor Jahrzehnten abgeschafft. Das ehemalige Adelszeichen „de“ mit Stellung vor dem Gesamtnamen („de B.[…]“) wird von der Familie des Vaters des BF schon seit Jahrzehnten nicht mehr geführt und war auch nie Thema eines Behördenverfahrens.

Im April 2015 beantragte die Mutter des BF bei der belangten Behörde die Ausstellung neuer Personaldokumenten für ihre Kinder. In der Folge wurde erstmals unter Hinweis auf das österreichische AdelsaufhebungsG der Namensbestandteil „de C.“ als „Adelstitel (noblesse d’empire)“ beanstandet, eine positive Erledigung der Anträge unter diesem Namenswortlaut abgelehnt und aus dem gleichen Grund die Entziehung der aktuell in Verwendung stehenden Reisepässe angekündigt. Das entsprechende Schreiben der Behörde erreichte den BF bzw. seine gesetzliche Vertreterin nicht. Nach Ablauf der von der Behörde vorgegebenen Stellungnahmefrist wurde der angefochtene Bescheid erlassen.

Beweisverfahren und Beweiswürdigung:

In der zweiteiligen mündlichen Verhandlung vom 28.6.2017 und 26.7.2017 wurden folgende Beweise aufgenommen bzw. erörtert: Gesamter Inhalt des Behörden- und Gerichtsakts sowie der beiden Parallelverfahren betreffend die Mutter und den ebenfalls minderjährigen Bruder des BF (...), insbesondere vorgelegte und amtswegig beigeschaffte Auszüge aus einschlägiger Fachliteratur (Bibliotheken und Internet) sowie Stellungnahme des Bundesministeriums für Europa Integration und Äußeres vom 28.10.2016, ...; Parteivorbringen; informative Befragung des Vaters des BF.

Die relevanten persönlichen Daten des BF und der übrigen involvierten Familienmitglieder ergeben sich aus den in den Akten aufliegenden Kopien unbedenklicher öffentlicher Urkunden (Melderegisterauszüge, Heirats- und Geburtsurkunden). Die Feststellungen zur Berufs- und Aufenthaltssituation der Familienmitglieder erfolgten nach den glaubwürdigen und in der Verhandlung persönlich bestätigten Angaben der Eltern des BF. Die Daten des verfahrensgegenständlichen Reisepasses sind dem insofern unbedenklichen Behördenakt entnommen, wo auch die bisherige Behördenkorrespondenz dargelegt ist.

Die zweimalige Erhebung eines Familienvorfahren in den Adelsstand – verbunden mit dem Gebrauch der Präposition „de“ vor dem Gesamtfamiliennamen „B.[…]“ – wurde durch Vorlage zweier augenscheinlich unbedenklicher Kopien der betreffenden „lettres patente“ bescheinigt. Die königliche „ordonnance“ über die Ergänzung des in Rede stehenden Zusatzes „de C.“ im Familiennamen wurde durch einen Auszug aus einem unbedenklichen Fachwerk aus der französischen Nationalbibliothek („Collection complète des lois, décrets, ordonnances, règlemens [sic!] et avis du Conseil d’État […] de 1788 à 1824 […]“) dokumentiert. Die geografische Existenz der den vier verliehenen Zusätzen entsprechenden französischen Ortschaften ist durch einschlägige Interneteinträge nachvollziehbar bescheinigt. Dass der Adelsstand auch keine Voraussetzung für die Begünstigung durch eine solche „ordonnance“ darstellte, ist schon dadurch indiziert, dass die Namen von zwei der drei weiteren Begünstigten („O.“ und „P.“) keine offensichtlichen Adelsbezeichnungen aufwiesen.

Den allgemein sehr unterschiedlich motivierten Gebrauch der Präposition „de“ in mehrteiligen französischen Familiennamen bestätigen zahlreiche heterogene Quellen aus Internet und Fachbibliotheken. Die Entwicklung des aktuellen Familiennamens „B.de C.“, die konkrete Herkunft des Zusatzes „de C.“ sowie einschlägige französische Traditionen und Rechtsgrundlagen der Namensänderung wurden auch vom Vater des BF, welcher die deutsche Sprache nach der Wahrnehmung in der Verhandlung überdurchschnittlich gut beherrscht und zudem ausgebildeter Jurist ist, glaubhaft, schlüssig und fallbezogen dargelegt. Seine Angaben stehen auch in keinem nennenswerten Widerspruch zur amtswegig eingeholten Fachliteratur. Zu verweisen ist letztlich auch auf die ausführlich begründete Stellungnahme einer fach- bzw. rechtskundigen Einheit des österreichischen Außenministeriums vom 28.10.2016, deren historische Nachforschungen ebenfalls ergeben haben, dass der Namenszusatz „de C.“ im konkreten Fall keine ehemalige Adelsbezeichnung darstelle. Die in einem Aktenvermerk vom 18.11.2016 angesprochene Ablehnung dieser Ermittlungen durch eine Einheit des Bundesministeriums für Inneres ist nach der Aktenlage nicht einmal ansatzweise begründet und wurde von der belangten Behörde offensichtlich unhinterfragt der Entscheidung zu Grunde gelegt.

Rechtliche Beurteilung:

Zu I:

Nach der ausdrücklichen Regelung des § 22 Abs. 2 PassG 1992 entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz – mangels gesetzlicher Differenzierung auch im Fall der Bescheiderlassung durch eine Vertretungsbehörde im Ausland – das Landesverwaltungsgericht. Da das PassG 1992 nur die örtliche Zuständigkeit der Behörde regelt, richtet sich jene des Verwaltungsgerichts nach § 3 Abs. 2 Z 1 VwGVG iVm § 3 Z 1, 2 und 3 (mit Ausnahme des letzten Halbsatzes) des AVG. Mangels sonstiger indizierter Anknüpfungspunkte kommt in diesem Beschwerdeverfahren die subsidiäre Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Wien nach § 3 Abs. 3 VwGVG zum Tragen.

Gemäß § 15 Abs. 1 PassG 1992 ist ein Reisepass, dessen Gültigkeitsdauer nicht länger als fünf Jahre abgelaufen ist, zu entziehen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die die Versagung der Ausstellung des Reisepasses rechtfertigen.

Gemäß § 15 Abs. 2 Z 2 PassG 1992 ist ein Reisepass ferner zu entziehen, wenn eine Eintragung der Passbehörde unrichtig oder unkenntlich ist.

Da der verfahrensgegenständliche Reisepass des BF am 22.4.2017, sohin vor weniger als fünf Jahren abgelaufen ist, und den Erläuterungen in der Regierungsvorlage zur Passgesetz-Novelle 1995 (268 der Beilagen XIX. GP, Bes. Teil, Z 10 (§ 15)) zumindest indirekt zu entnehmen ist, dass die in § 15 Abs. 1 PassG 1992 geregelte fünfjährige Frist intentionsgemäß für alle Passentziehungen gelten soll, ist der angefochtene Bescheid zum nunmehrigen Zeitpunkt nicht von vornherein zu beheben, sondern ist nach wie vor der in Rede stehende Entziehungstatbestand zu prüfen.

Gemäß § 1 AdelsaufhebungsG sind der Adel, seine äußeren Ehrenvorzüge sowie bloß zur Auszeichnung verliehene, mit einer amtlichen Stellung, dem Beruf oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung nicht im Zusammenhang stehenden Titel und Würden und die damit verbundenen Ehrenvorzüge österreichischer Staatsbürger aufgehoben. Die Entscheidung, welche Titel und Würden davon betroffen sind, steht gemäß § 4 dem Staatssekretär für Inneres und Unterricht zu.

Gemäß § 1 der aufgrund des AdelsaufhebungsG ergangenen Vollzugsanweisung vom 18.4.1919 über die Aufhebung des Adels und gewisser Titel und Würden, StGBl. Nr. 237/1919 idgF, trifft die Aufhebung des Adels, seiner äußeren Ehrenvorzüge, weiters der bloß zur Auszeichnung verliehenen, mit einer amtlichen Stellung, dem Beruf oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung nicht im Zusammenhang stehenden Titel und Würden und der damit verbundenen Ehrenvorzüge alle österreichischen Staatsbürger, gleichviel, ob es sich um im Inland erworbene, oder um ausländische Vorzüge handelt.

Gemäß § 2 Z 1 dieser Vollzugsanweisung ist durch § 1 AdelsaufhebungsG u.a. das Recht zur Führung des Adelszeichens „von“ aufgehoben.

Gemäß § 13 Abs. 1 IPRG ist die Führung des Namens einer Person nach deren jeweiligem Personalstatut zu beurteilen, auf welchem Grund auch immer der Namenserwerb beruht.

Gemäß § 9 Abs. 1 erster und zweiter Satz IPRG ist das Personalstatut einer natürlichen Person das Recht des Staates, dem die Person angehört, und ist, wenn eine Person neben einer fremden Staatsangehörigkeit auch die österreichische Staatsbürgerschaft hat, diese maßgebend.

Gemäß § 155 Abs. 1 erster Satz ABGB erhält das Kind den gemeinsamen Familiennamen der Eltern.

Beim Familiennamen des BF handelt es sich unstrittig um den gemeinsamen Familiennamen seiner Eltern. Da der BF sowohl französischer Staatsangehöriger als auch österreichischer Staatsbürger ist, ist seine Namensführung nach österreichischem Recht zu beurteilen. Hieraus folgt, dass dabei grundsätzlich auch die Regelungen des AdelsaufhebungsG und seiner Vollzugsanweisung einzuhalten sind. Nach der aktuellen Rechtsprechung des VwGH haben österreichische Staatsbürger - auch bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts und bei Berücksichtigung der verwiesenen Rechtsprechung des EuGH – nicht das Recht, allein deshalb ein Adelszeichen bzw. Adelsprädikat als Bestandteil des bürgerlichen Namens zu führen, weil die Rechtslage eines anderen Mitgliedsstaats dies ermöglicht (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/01/0233 mwV; 15.9.2011, 2009/17/0067 mwV).

Nach dem Wortlaut der anzuwendenden Rechtsvorschriften erscheint allerdings nicht offenkundig, dass die Eintragung eines allenfalls unter das AdelsaufhebungsG und dessen Vollzugsanweisung fallenden Adelszeichens (insbesondere in fremdsprachiger Version) eine im Sinn des § 15 Abs. 2 Z 2 erster Fall PassG 1992 „unrichtige“ Eintragung darstellt, welche die Maßnahme der Passentziehung erfordert. Die belangte Behörde selbst bringt dies im Spruch des Entziehungsbescheides zum Ausdruck, wenn sie nur von einer „Beachtung“ der Vorschriften über die Adelsaufhebung spricht. Der primäre und eigentliche Schutzzweck des § 15 Abs. 2 Z 2 erster wie auch zweiter Fall PassG 1992 besteht offensichtlich in der Gewährleistung einer amtlichen Feststellung der Personenidentität sowie der behördlichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Personenverkehrs und nicht in der Durchsetzung gesellschaftspolitisch motivierter Regelungen wie der Adelsaufhebungsbestimmungen. Aus den Ausführungen des VwGH in der Entscheidung vom 23.2.1995, 93/18/0509, ist jedoch abzuleiten, dass das AdelsaufhebungsG und seiner Vollzugsanordnung grundsätzlich auch im Passrecht, insbesondere in Fällen der erstmaligen Beantragung eines österreichischen Reisepasses, Beachtung zu finden haben. Zudem gilt das Adelsaufhebungsgesetz gemäß Art. 149 Abs. 1 B-VG als höherrangiges und insofern bei der Auslegung von Gesetzesbestimmungen zu berücksichtigendes Verfassungsgesetz.

Bemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass der ähnliche Entziehungstatbestand des § 15 Abs. 1 PassG 1992 nach Ansicht des VGW hier nicht als alternative Rechtsgrundlage in Betracht kommt, da er auf (nachträglich bekannt gewordene oder eingetretene) Passversagungsgründe iSd § 14 PassG 1992 abstellt, welche keinen Bezug zum vorliegenden Sachverhalt aufweisen.

Nach der auch vom VwGH in seiner aktuellen Judikatur verwiesenen Rechtsansicht des VfGH ist das aus seinem historischen Entstehungszusammenhang begründete Normprogramm des (den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz stützenden) AdelsaufhebungsG dahingehend zu konkretisieren, dass der Adel und seine äußeren Ehrenvorzüge für österreichische Staatsbürger ausnahmslos aufgehoben werden. Insofern soll kein österreichischer Staatsbürger einen Namen (Namensbestandteil oder Namenszusatz) führen oder erwerben können, der iSd AdelsaufhebungsG Adelsbezeichnungen enthält und somit den Eindruck erwecken könnte, für seinen Träger bestünden Vorrechte der Geburt oder des Standes (vgl. VfGH 26.6.2014, B212/2014 u.a.). Der Erwerb und die Führung solcher Namensbestandteile oder –zusätze ist damit für österreichische Staatsbürger, wie im vorliegenden Fall den BF, grundsätzlich ausgeschlossen.

Auch wenn die Adelsaufhebungsvorschriften nach der vorzitierten Judikatur des VfGH offensichtlich primär die Hintanhaltung eines gesellschaftlichen Auftritts als Adeliger und die Vermeidung eines elitären Eindrucks in der Wahrnehmung Dritter bezwecken, und der in der Vollzugsanweisung genannte Namenszusatz „von“ wie auch das französische Pendant „de“ häufig und typischer Weise für (ehemalige) Adelszeichen stehen, erschiene es überschießend, das AdelsaufhebungsG und die vorzitierte Entscheidung des VfGH dahingehend auszulegen, dass österreichischen Staatsbürgern die Führung dieses Zusatzes (insbesondere in fremder Sprache) aus Gründen der potenziellen Missverständlichkeit schlechthin und auch dann untersagt wäre, wenn dieser im Einzelfall faktisch nicht als Adelszeichen zu qualifizieren ist. Überdies hat der VwGH in seiner Judikatur festgehalten, dass auch der österreichischen Rechtsordnung die Namensbildung mit Präpositionen (gemeint ohne Bezug zu Adelszeichen) nicht fremd ist (vgl. VwGH 23.2.1995, 93/18/0509).

Gemäß den getroffenen Feststellungen kennzeichnete die im Jahr 1815 durch individuellen französischen Staatsakt zum Namensbestandteil erklärte Sequenz „de C.“ die örtliche Herkunft eines Vorfahren des Vaters des BF und bezweckte sie daher die Offenlegung einer rein geografischen Zuordnung. Da die Präposition „de“ somit im vorliegenden Fall weder ein ehemaliges noch ein nach französischem Namensrecht in geltendes Recht übergeführtes Adelszeichen iSd § 2 Z 1 der Vollzuganordnung zum österreichischen AdelshaufhebungsG darstellt und sich die Namensführung des BF insofern als rechtmäßig erweist, kann aus diesem Grund auch keine Passentziehung verfügt werden.

Letztlich ist im Hinblick auf einen unzweifelhaft vorliegenden Sachverhalt mit Unionsrechtsbezug und auf die bei einer Passentziehung im Raum stehenden Eingriffe in unionsrechtlich gewährleistete (Grund-)Rechte wie insbesondere das Recht auf Freizügigkeit sowie das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 GRC) Folgendes zu berücksichtigen: Außer Frage steht, dass dem öffentlichen Interesse an der Richtigkeit der in Identitätsdokumenten ausgewiesenen Personendaten, insbesondere bei Überschreitung der Staatsgrenzen, im Sinn der allgemeinen Sicherheit und Ordnung höchstes Gewicht beizumessen ist und wirtschaftliche bzw. persönliche Interessen des Passinhabers (wie etwa eine Vermeidung zusätzlicher Behördenwege und Gebühren) demgegenüber jedenfalls in den Hintergrund zu treten haben. Insofern sieht der Entziehungstatbestand des § 15 Abs. 2 Z 2 erster Fall PassG 1992 - anders als etwa § 363 Abs. 4 GewO 1994 betreffend die Löschung unrichtiger GISA-Einträge bzw. § 68 Abs. 4 AVG betreffend die Nichtigerklärung von Bescheiden - obwohl es dabei ebenfalls um einen nachträglichen Eingriff in die Rechtswirksamkeit der eigenen behördlichen Entscheidung geht, keine Ermessensentscheidung vor, welche schon nach der Judikatur des VwGH eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordern würde (vgl. etwa VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0119). Das betreffende Dokument ist daher bei Kenntnis von einer im Sinn dieser Bestimmung „unrichtigen“ Eintragung jedenfalls zu entziehen. Die hier in Rede stehende Präposition „de“ (C.) beeinträchtigt allerdings als solche – und zwar unabhängig von einer Qualifikation als Adelszeichen – weder die amtliche Feststellung der Identität des BF, noch besteht dadurch die Gefahr eines Dokumentenmissbrauchs oder einer Behinderung der Überwachung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs. Im Sinn einer unionsrechtskonformen Auslegung und Vollziehung erscheint es daher im gegenständlichen Fall geboten, auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu berücksichtigen (vgl. auch die einschlägigen Ausführungen in der von der belangten Behörde in den Parallelverfahren zitierten Entscheidung des EuGH vom 22.12.2010, Rs C-208/09, Sayn-Wittgenstein, sowie sg. VwGH 6.9.2012, 2009/18/0168 zu den Kriterien der Richtlinie 2004/38/EG vom 29.4.2004). Unter Anlehnung an die vorerwähnte Judikatur des VwGH zur Nichtigerklärung rechtskräftiger Bescheide bzw. Löschung unrichtiger Registereinträge erscheint zunächst der Umstand relevant, dass sowohl das Wiener Standesamt als auch die belangte Behörde und der Magistrat der Stadt Wien für den Bürgermeister der BF bei (hinsichtlich der Adelsaufhebung) identischer Rechtslage bereits die Heiratsurkunde wie auch die im Parallelverfahren behandelten Personaldokumente der Mutter des BF mit dem gegenständlichen Familiennamen ausgestellt haben, und die belangte Behörde die betreffenden Einträge erst im Jahr 2016, sohin nach einem Zeitraum von mehr als 10 Jahren (!) bzw. mehrere Jahre nach der Geburt des BF, erstmals als rechtswidrig beanstandet hat. Auch handelt es sich schon im Hinblick darauf, dass die Identifizierung eines (insbesondere fremdländischen) Adelszeichens regelmäßig historische Recherchen erfordert, nicht um einen Fehler, der der gesetzlichen Vertreterin des BF bei gebotener Sorgfalt hätte auffallen müssen. Berücksichtigt man zudem den Umstand, dass die Mutter als Erziehungsberechtigte des BF seit dem Jahr 2005 keinen dauerhaften Aufenthalt in Österreich hat und die ganze Familie in Frankreich niedergelassen ist, weiters die Konsequenz, dass der BF nach einem Zeitraum von inzwischen über fünf Jahren plötzlich einen Familiennamen führen müsste, welcher von jenem seines Vaters abweicht, und schließlich die begründete Annahme, dass gerade geringfügige Namensabweichungen in amtlichen Dokumenten von als Familie auftretenden Personen (insbesondere bei Grenzkontrollen) Vorbehalte und Erklärungsbedarf hervorrufen können, tritt das öffentliche Interesse an der Vermeidung einer potenziellen Konnotation von Adelsvorzügen in den Hintergrund und erscheint eine Passentziehung im Ergebnis unverhältnismäßig. Umso mehr gilt dies in Anbetracht der Tatsache, dass eine korrekte Unterscheidung zwischen echten Adelszeichen und ähnlichen Namenszusätzen im gesellschaftlichen Alltag ohnedies kaum möglich erscheint und beispielsweise auch Persönlichkeiten wie der österreichische Bundespräsident einen entsprechend strukturierten (und daher ebenfalls potenziell missverständlichen) Familiennamen tragen.

Aus allen vorerörterten Gründen, primär aber aufgrund der vom VGW verneinten Qualifizierung der konkret in Rede stehenden Präposition „de“ als Adelszeichen, war der Beschwerde Folge zu geben und der angefochtene Bescheid mangels Erfüllung des verfahrensgegenständlichen Entziehungstatbestandes ersatzlos aufzuheben.

Zu II:

Gemäß § 25 a Abs. 1 VwGG war die Unzulässigkeit der Revision auszusprechen, da sich im Beschwerdeverfahren keine entscheidungsrelevanten Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG stellten. Die Entscheidungsgründe des Verwaltungsgerichts stehen zu den Grundsätzen der (zu Punkt I zitierten) einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht im Widerspruch. Die rechtliche Beurteilung erfolgte einzelfallbezogen und unterliegt – ebenso wie die im Ermittlungsverfahren vorgenommene Beweiswürdigung oder die Beurteilung von Beweisanträgen – grundsätzlich nicht der Nachprüfung des VwGH (vgl. VwGH 8.11.2016, Ra 2016/09/0097, VwGH 24.2.2016, Ra 2016/04/0013, mwV). Die nach Ansicht des VGW in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht bzw. nicht eindeutig geklärten Fragen, ob und inwiefern der Namenseintrag eines Adelszeichens oder Adelsprädikats im Reisepass oder Personalausweis eine „unrichtige“ Eintragung iSd § 15 Abs. 2 Z 2 erster Fall PassG 1992 darstellt, und inwiefern in Fällen wie dem vorliegenden unionsrechtliche Beurteilungskriterien zu berücksichtigen sind, war aufgrund des fallbezogen verneinten Vorliegens eines Adelszeichens für die Entscheidung letztlich nicht ausschlaggebend; insofern hängt auch „die Revision“ bzw. die Entscheidung des Falles nicht iSd Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG davon ab.

Schlagworte

Reisedokument; Reisepass, Entzug des; Entziehungsgrund; Versagungsgrund; österreichische Botschaft; Adelsaufhebung; Familienname; Adelszeichen; öffentliches Interesse; Verhältnismäßigkeit; Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.103.079.14630.2016

Zuletzt aktualisiert am

28.01.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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