TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/18 G307 2179775-1

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Veröffentlicht am 18.09.2018
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Entscheidungsdatum

18.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs6
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

G307 2179768-1/14E

G307 2179765-1/14E

G307 2179772-1/14E

G307 2179775-1/14E

G307 2179778-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde 1. des XXXX, geb. XXXX, 2. der XXXX, geb. am XXXX, 3. des XXXX, geb. am XXXX, 4. der XXXX, geb. am XXXX sowie 5. der XXXX, geb. am XXXX alle StA.: Irak, letztere 3 gesetzlich vertreten durch die Mutter, alle rechtlich vertreten durch DDr. Rainer LUKITS in 5020 Salzburg, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 03.11.2017, Zahlen XXXX, XXXX, XXXX, XXXX und XXXX nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden werden hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden wird hinsichtlich Spruchpunkt II. stattgegeben und den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 iVm § 34 Abs. 3, 4 und 6 AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

III. Den Beschwerdeführern wird gemäß § 8 Abs. 4 und 5 AsylG eine bis zum 25.09.2019 befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

IV. Der Spruchpunkt III. der bekämpften Bescheide wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

E n t s c h e i d u n gs g r ü n d e :

I. Verfahrensgang

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1), die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) und der Drittbeschwerdeführer (BF3) stellten am 15.09.2015, die Viertbeschwerdeführerin (BF4) am 28.12.2015, die Fünftbeschwerdeführerin (BF5) am 20.03.2017 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 14.09.2015 wurden BF1 und BF2 in der Polizeiinspektion Spielfeld AGM der polizeilichen Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen.

3. Am 23.08.2017 wurden BF1 und BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Außenstelle Graz, zu ihren Fluchtgründen einvernommen.

4. Mit den im Spruch genannten Bescheiden der belangten Behörde vom 03.11.2017 wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurden diese Anträge auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den BF gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihnen eine 14tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt IV.).

5. Mit am 05.12.2017 datierten und am selben Tag beim BFA eingebrachtem Schriftsatz erhoben die BF durch die damalige Rechtsvertretung (im Folgenden: RV), die Diakonie Flüchtlingsdienst, gemeinnützige Gesellschaft mbH - ARGE Rechtsberatung, Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

6. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge, falls nicht alle zu Lasten der BF gehenden Rechtswidrigkeiten im angefochtenen Bescheid in der Beschwerde geltend gemacht wurden, diese amtswegig aufgreifen, die angefochtenen Bescheide - allenfalls nach Verfahrensergänzung - beheben und den BF den Status von Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuerkennen, in eventu die hier angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit im angefochtenen Umfang zu beheben, und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung von neuen Bescheiden an das Bundesamt zurückzuverweisen; für den Fall der Abweisung des obigen Beschwerdeantrages gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG feststellen, dass den BF der Status subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat zukommt sowie feststellen, dass die gemäß § 52 FPG erlassenen Rückkehrentscheidungen gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig sind und feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (plus) gemäß § 55 AsylG vorliegen und den BF daher gemäß § 58 Abs. 2 ASylG eine Aufenthaltsberechtigung plus von Amts wegen zu erteilen ist; sowie in eventu feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG vorliegen du den BF daher eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 ABs. 1 AsylG von Amtswegen zu erteilen ist; jedenfalls eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG durchführen.

7. Die gegenständlichen Beschwerden und der zugehörige Verwaltungsakt wurden vom BFA am 11.12.2017 vorgelegt und sind dort am 15.12.2017 eingelangt.

8. Am 09.05.2018 fand in der Außenstelle Graz des Bundesverwaltungsgerichtes eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher die BF1 und BF2 sowie deren RV teilahmen. Darin wurde den BF die Möglichkeit eingeräumt, zu den ihnen ausgehändigten Länderinformationen binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen. Dieser Aufforderung kamen sie mit Schreiben vom 22.05.2018, beim BVwG eingelangt am selben Tag, nach.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. BF1 und BF2 sind Angehörige des sunnitschen Islams, gehören der Volksgruppe der Araber an, sind miteinander seit dem Jahr 2011 verheiratet, Eltern der BF3 bis BF5 und leben alle zusammen im gemeinsamen Haushalt. Die BF reisten Ende August 2015 auf dem Luftweg von XXXX nach XXXXund von dort mit dem Bus in die Türkei. Von der türkischen Westküste aus begaben sie sich auf dem Wasserweg nach Griechenland, von wo sie schließlich auf dem Landweg über Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich reisten, wo sie die oben angeführten Asylanträge stellten. Die Ausreise aus dem Irak verlief ohne Probleme.

1.2. BF1 besuche von 1991 bis 1997 die Grundschule in XXXX, von 2003 bis 2007 studierte er an der dortigen Universität Bauwesen. Seinen wie den Lebensunterhalt seiner Familie finanzierte er als Taxifahrer, Bauingenieur und zuletzt von März 2015 bis August 2015 durch eine Tätigkeit im Ministerium für Jugend und Sport.

1.3. BF2 besuchte von 2000 bis 2006 die Grundschule in XXXX, von 2006 bis 2012 das Gymnasium und studierte von 2014 bis 2015 auf der Universität Computerwissenschaften. Sie schloss dieses Studium nicht ab, ging keiner Beschäftigung nach und war im gemeinsamen Haushalt tätig. Die BF besitzen derzeit Barmittel in der Höhe von etwa €

2.000,00. Alle BF beziehen derzeit Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. BF1 und BF2 gehen derzeit keiner Beschäftigung nach.

1.4. BF1, BF2 und BF4 sind gesund, BF1 und BF2 arbeitsfähig und strafrechtlich unbescholten. BF3 leidet seit rund 1 1/2 Jahren an einem multiplen, kleinen, linsengroßen erythematosquamösen Herd am Stamm und am Stamm und Capilitium, BF5 seit ihrer Geburt an einem kleinen membranösen Ventripelseptumdefekt sowie einem Persistierendes Foramen oval mit links/rechts Shunt. Es handelt sich dabei um eine angeborene Herzerkrakung. Sie steht diesbezüglich in laufender Behandlung.

1.5. BF1 besitzt Deutschkenntnisse des Niveaus "B1", BF2 solche auf "A1"-Niveau.

1.6. Im Irak bewohnten die BF1 bis BF3 zuletzt von 2013 bis 2015 im Stadteil XXXX in XXXX mit dem Bruder des BF1, dessen Frau und Tochter eine etwa 100 m² große Wohnung. Im Irak lebt ein Bruder des BF1 sowie 4 Tanten mütterlicherseits, die Mutter und eine Schwester des BF1 leben in den Vereinigten Staaten von Amerika. In Serbien und Dänemark lebt zudem ein Onkel des BF1, zu welchen er jedoch keinen Kontakt hat. Die Eltern, zwei Brüder sowie eine Schwester der BF2 leben nach wie vor im Irak

1.7. BF1 bis BF3 verließen ihre Heimat wegen der Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten und der im Jahr 2015 in manchen Teilen des Herkunftsstaates bürgerkriegsartigen Situation. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF im Irak einer konkreten, dauerhaften Bedrohung über einen längeren Zeitraum ausgesetzt waren. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF darüber hinaus im Irak vor ihrer Ausreise einer individuellen Verfolgung ausgesetzt waren oder im Falle einer Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt wären. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass BF1 im Jahr 2009 von Lenkern zweier Fahrzeuge von der Straße gedrängt und in einen Lkw gefahren sein soll.

1.8. Insbesondere BF1 hatte bis dato mit seinem sozialen Umfeld ein sehr gutes Verhältnis, half Bekannten bei der Müllentsorgung, Übersetzungen und kleineren Reparaturen und war stets bemüht, im Kreise jener Asylwerber, die mit ihm uns einer Familie in einer Unterkunft lebten, als Vermittler zu wirken. BF1 wirkte ferner seit 08.06.2017 drei Mal pro Woche als ehrenamtlicher Mitarbeiter in der Behindertenarbeit der XXXX in XXXX mit. Im Übrigen nahm er am Glaubenskurs XXXX in der Evangelischen Pfarrgemeinde XXXX teil.

1.9. Zum Irak wird festgestellt:

1.9.1. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der BF

"Die wachsende Macht schiitischer Milizen hat die Sicherheitslage im Irak massiv verschlechtert und ein Klima der Rechtlosigkeit entstehen lassen. Im Irak kämpft die Gruppe Asa¿ib Ahl al-Haqq derzeit im Bündnis der Volksmobilmachung gegen den IS. Das Bündnis wurde im Irak zu einem offiziellen Arm des Staates erklärt und damit ihre Rolle im Kampf gegen den islamischen Staat gewürdigt. http://www.ecoi.net/local_link/328799/469652_de.html (Zugriff am 14. Dezember 2017)]. Die nichtstaatliche Organisation Amnesty International berichtet, dass diese schiitischen Gruppen, die Kriegsverbrechen begehen, von der Regierung unterstützt werden. [http://www.amnesty-at/de/irak/ (Zugriff am 14. Dezember 2017)]."

1.9.2. Gewaltmonopol des Staates

"Staatlichen Stellen ist es derzeit nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen [sowie der IS] handeln eigenmächtig. Dadurch sind die irakischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage den Schutz der Bürger sicherzustellen (AA 7.2.2017). Insbesondere über den Nordwesten des Irak kann die Regierung nicht die Kontrolle behalten und muss sich auf die [vorwiegend] schiitischen Milizen der PMF verlassen. Die zwei wichtigsten davon sind Asa-ib Ahl al-Haqq (AAH) und die Badr-Brigaden, die beide [effektiv] unter dem Kommando des Iran stehen (Stansfiled 26.4.2017). Durch die staatliche Legitimierung der Milizen verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren. Staatliche Ordnungskräfte können sich teilwiese nicht mehr gegen die mächtigen Milizen durchsetzen (AA 7.2.2017).

Eine der wichtigsten Milizen innerhalb der PMF (Popular Mobilization Forces; Volksmobilisierungseinheiten). Die Asa¿ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz¿ali-Netzwerk, League oft he Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz¿ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Asa¿ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Organisation und Kata¿ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefütchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz¿ali ist einer der bekanntesten Anführer der Volksmobilisierungseinheiten (Süß 21.8.2017)."

1.9.3.Minderheiten

"Traditionelle Stammesstrukturen und ethnisch-religiöse Zugehörigkeiten bestimmen die gesellschaftlichen und politischen Loyalitäten bzw. Konfliktlinien. Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65% der Bevölkerung ausmachen (AA 7.2.2017), [gemäß CIA-Factbool 55-60 Prozent (CIA 2010)] und vor allem den Süden und Südosten des Landes bewohnen; (arabische) Sunniten (17 bis 22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak (aus dieser Gruppe stammte bis zum Ende der Diktatur von Saddam Hussein 2003 der größte Teil der politischen und militärischen Führung) und die vor allem im Norden des Landes lebenden überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20%). (AA 7.2.2017). In der Hauptstadt Bagdad wird die Mehrheit der Bevölkerung von den schiitischen Arabern gestellt (USDOS 10.8.2016)."

1.9.4. Allgemeine Menschenrechtsage

"Die Menschenrechtslage ist vor allem in Hinblick auf die mangelhafte staatliche Kontrolle und das wenig ausgeprägte Gewaltmonopol samt verbreiteter Straflosigkeit desolat, in der KRI vergleichsweise etwas besser (ÖB 12.2017). Im gesamten Land gibt es einen Mangel an Schutzmöglichkeiten, und die Menschen sind ernstzunehmenden Verletzungen des internationalen humanitären Rechts sowie der Menschenrechte ausgesetzt. Mangelnder Zugang zu sicheren Orten, Mangel an Bewegungsfreiheit, Gewalt und unfaire Behandlung verschlimmern die Spannungen zwischen den Volksgruppen (OCHA 7.3.2017). Den Großteil der gravierendsten Menschenrechtsverletzungen beging die Terrororganisation IS, die unter anderem Angriffe gegen folgende Gruppen verübte: Zivilisten (im speziellen Schiiten aber auch Sunniten, die den IS ablehnen);

Mitglieder anderer religiöser und ethnischer Minderheiten;

einschließlich Frauen und Kinder. Die Behörden entdeckten während des Jahres 20216 etliche Massengräber (USDOS 3.3.2017).

Allgemein kam es von Seiten Angehöriger der ISF und verbündeter Gruppen zu Vergehen an der flüchtenden Zivilbevölkerung, an Binnenvertriebenen und Rückkehrern. Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad und anderen von der Regierung kotrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. Sunnitische Araber erhalten Todesdrohungen, ihre Häuser werden zerstört und sie werden zwangsweise vertrieben, entführt/verschleppt und außergerichtlich hingerichtet. (UNHCR 14.11.2016).

Menschenrechtslage: IS-"Islamischer Staat" Aus den Berichten der Vereinten Nationen und mehrerer Menschenrechtsorganisationen geht hervor, dass der IS an Angriffen gegen die Zivilbevölkerung, Ermordungen (einschließlich Hinrichtung ohne Gerichtsverfahren, Entführungen, Folter, Vergewaltigung und sonstigen Formen sexueller Gewalt, sexueller Sklaverei, Zwangskonvertierungen und der Einberufung von Kindern zum Militärdienst beteiligt war. (UNHCR 14.11.2016)."

1.9.5. IDPs und Flüchtlinge /Bewegungsfreiheit

"Die Vorstöße des IS in den Jahren 2014/2015 und die nachfolgenden militärischen Operationen gegen den IS haben zu Massenvertreibungen geführt (UNHCR 14.11.2016), während gleichzeitig humanitäre Hilfsorganisationen einen starken Rückgang internationaler Finanzhilfen beklagten (ÖB 12.2017). "

1.9.6. Staatliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit

"Laut Einschätzung des UNHCR sind die Möglichkeiten einer innerstaatlichen Fluchtalternative für IDPs durch die aktuellen Umstände, das Ausmaß innerstaatlicher Vertreibung, die ernstzunehmende humanitäre Krise, die zunehmenden interkommunalen Spannungen, die Beschränkungen bzgl. des Zuganges und /oder Aufenthaltes in fast allen Teilen des Landes und durch den steigenden Druck der IDPs in ihre Heimatgebiete zurückzukehren, eingeschränkt (UNHCR 12.4.2017). Laut Amnesty International schränkten die Behörden des Irak sowie der KRI die Bewegungsfreiheit vertriebener arabischer Sunniten willkürlich und in diskriminierender Weise ein (AI 22.2.2017).

Grundversorgung/Wirtschaft

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Nach Angaben des Programms "Habitat" der Vereinten Nationen gleichen die Lebensbedingungen von 57 % der städtischen Bevölkerung im Irak denen von Slums (AA 7.2.2017). Das Land befindet sich in einer anschwellenden humanitären Krise, die durch anhaltende Konflikte, beschränkten Zugang zu humanitären Hilfsleistungen, zunehmendes Versagen bestehender Bewältigungsmechanismen und finanzielle Engpässe gekennzeichnet ist. (...) (UNHCR 14.11.2016). Es gibt derzeit im Irak mehr schutzbedürftige Menschen und mehr Menschen, die auf humanitäre Unterstützung angewiesen sind, als zu irgendeinem Zeitpunkt der letzten Jahre (OCHA 7.3.2017). Aufgrund des Ausmaßes und der Komplexität der humanitären Krise haben die Vereinten Nationen im August 2014 die "Notstandstufe 3" - die höchste Stufe - für den Irak ausgerufen und seitdem jedes Jahr bestätigt (UNHCR 14.11.2016)."

1.9.7. Medizinische Versorgung

"Die medizinische Versorgung bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen (AA 7.2.2017).

Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Versorgung sicherzustellen. (...) (AA 7.2.2017). Die Jahre des bewaffneten Konflikts haben das Gesundheitssystem ernsthaft deformiert und im Irak gibt es beträchtliche Lücken bei der Bereitstellung von medizinischen Leistungen, auch wenn es regionale Unterschiede gibt. In Konfliktzonen sind viele Gesundheitseinrichtungen außer Betrieb oder zerstört (AIO 12.6.2017).

Quellen:

http://www.ecoi.net/local_link/328799/469652_de.html (Zugriff am 14. Dezember 2017)

http://www.amnesty-at/de/irak/ (Zugriff am 14. Dezember 2017)

AA-Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455296_deutschland-auswaertiges amt-bericht-ueber-die-asyö-und-abschiebungsrelevantelage-in-der-republik-irakstand-dezember-2016-07-02-2017.pdf, Zugriff 6.8.2017,

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (14.11.2016): UNHCR Position on Returns to Iraq,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1479283205_2016-11-14- unhcr-position-iraq-returns.pdf, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1485247972_opendocpdf.pdf, Zugriff 6.8.2017

ÖB-Österreichische Botschaft Amman (12.2016):Asylländerbericht-Irak, per E-Mail

USDOS-US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016-Iraq.

http://www.ecoi.net/local_link/337187/479950_de.html, Zugriff 6.8.2017

OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (7.3.2017): Humanitarian Needs Overview, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/irq_2017_hno.pdf, Zugriff 16.6.2017

Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/2017 - The State for the World-s Human Rights - Iraq, http://www.ecoi.net/local_link/336503/479164_de.hml, Zugriff 6.8.2017

Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504517740_bfa-staatendokumentationffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31.pdf

Stansfield, Gareth - Professor of Middle East Politics and the Al-Qasimi Chair of Arab Gulf Studies at the University of Exeter (26.4.2017): EASO COI Meeting Report Iraq, Practical Cooperation Meeting 25.-26- April, Brussels, http://coi.easo.europa.eu/adfministration/easo/PLib/IRQ_Meeting_Report.pdf, Zugriff 24.7.2017,

AIO - An international organization (12.6.2017). Gesprächsprotokoll per E-Mail.

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte vorerst eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte. Aktuell sind im Gefolge der Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet im Irak keine maßgeblichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen für die Region bekannt.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die genannten Ereignisse im Zusammenhang mit dem Eindringen des IS in den Zentralirak. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Auch für den Großraum Bagdad sind im Gefolge der nunmehrigen Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet im Irak zuletzt keine außergewöhnlichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen bekannt geworden.

Ministerpräsident Haidar al-Abadi hat den Krieg gegen den IS als beendet und gewonnen erklärt. Dies trifft insofern zu, als der IS im Irak kaum mehr eine territoriale Präsenz innehat. Anscheinend haben seine letzten Kämpfer im Grenzgebiet zwischen dem Irak und Syrien Zuflucht gesucht, tief im Inneren der Syrischen Wüste. Möglicherweise gibt es dort noch gegen dreitausend IS-Bewaffnete."

1.9.8. Wiedererstandene Grenze zu Syrien

"Die irakische Armee sucht die syrische Grenze, die der IS auf der Höhe seiner Macht als aufgehoben erklärt hatte, wieder ihrer ganzen Länge nach abzusichern und dieser IS-Leute habhaft zu werden.

Auf der syrischen Seite der Grenze stehen meist Truppen der SDF, das heisst der Syrischen Demokratischen Kräfte, die zur Mehrheit aus syrischen Kurden bestehen, zur Minderheit aus mit diesen zusammenarbeitenden Arabern. Sie erhalten zurzeit noch Unterstützung von der amerikanischen Luftwaffe sowie die Hilfe amerikanischer Berater und Sondertruppen auf dem Boden.

Der südlichste Sektor dieser Grenze jedoch - wo die Grenzlinie das Euphrattal überquert und in den Wüsten südlich davon - befindet sich in der Hand der syrischen Regierungsarmee, die ihrerseits Hilfe von der russischen Luftwaffe erhält.

Der irakische Krieg gegen den IS ist insofern nicht abgeschlossen, als es nach wie vor eine Untergrundpräsenz von IS-Terroristen gibt, die bereit sind, Selbstmordanschläge durchzuführen, und offenbar vorläufig auch in der Lage, solche zu organisieren. Bagdad bleibt ihr bevorzugtes Ziel. Doch Anschläge kommen auch weiter im Süden vor, im Inneren der von Schiiten bewohnten südlichen Provinzen sowie im Norden in den neu dem IS entrissenen Landesteilen."

1.9.9. Spannungen mit Kurden

"Neben dem IS-Krieg, der noch voll bereinigt werden muss, gibt es auch das gespannte, kriegsträchtige Verhältnis zu den irakischen Kurden. Die meisten der zwischen Kurden und Bagdad umstrittenen Gebiete, einschliesslich der Erdölstadt Kirkuk, hat die irakische Armee am 19. Oktober dieses Jahres den kurdischen Peschmerga entrissen, nachdem Streit über das "Unabhängigkeits"-Referendum ausgebrochen war, das die Kurden durchgeführt hatten.

Doch es gibt noch einige kleinere "umstrittene Gebiete" in der nördlichen Provinz Ninive (Hauptstadt Mosul), die in der Hand der Peschmerga verblieben sind. Wie der Streit zwischen Bagdad und irakisch Kurdistan weitergeht, ist zurzeit ungewiss. Beide Seiten versuchen zunächst, ihn mit friedlichen Mitteln zu lösen. Doch er bleibt völlig ungelöst."

1.9.10. Iran kontra USA

"Die wichtigste Bruchlinie, die es für den Irak in der Nachkriegszeit zu überwinden gilt, ist jene zwischen dem iranischen Einfluss und dem der USA. Wie gefährlich dieser Gegensatz ist, zeigt der Umstand, dass es im Land bewaffnete Gruppen gibt, die Iran zuneigen und von Iran gestützt und teilweise unterhalten werden, während andere sich von den Amerikanern ausbilden lassen.

Amerikanische Ausbilder wirken in der regulären irakischen Armee und suchen diese kampffähig zu machen. Es waren amerikanisch ausgebildete Elitetruppen von Armee und bewaffneter Polizei, welche zu Lande die Hauptlast der Belagerung von Mosul trugen. Diesen Kämpfern kamen jeweils die Flugzeuge der amerikanischen Koalition zu Hilfe, wenn sie Luftschläge gegen Stellungen und Heckenschützen des IS anforderten.

Vermutlich stehen diese Kampfflugzeuge weiterhin jenen irakischen Truppen zur Verfügung, die sich gegenwärtig bemühen, die Wüste, soweit es gehen mag, von den letzten IS-Kämpfern zu säubern. Was nachher geschehen soll, ist unklar. Präsident Trumps Absichten sind unbekannt, und viel dürfte auch davon abhängen, ob der Ministerpräsident weiterhin amerikanische Ausbilder für seine Armee anfordern will und welche Bedingungen dafür ausgehandelt werden."

1.9.11. Milizen: Terroristen oder Sicherheitsfaktoren

"Zurzeit erklären die Amerikaner, ihrer Ansicht nach sollten die irakischen Milizen der sogenannten Volksmobilisation aufgehoben werden. Milizionäre, die weiter als Militärs zu dienen gedächten, sollten in die reguläre Armee eingegliedert werden. Doch die Anführer der mächtigsten der Milizen widersprechen laut. Am vergangenen Samstag erklärte der Stellvertretende Kommandant der Volksmilizen, Abual-Mahdi al-Muhandis: "Wir brauchen militärische Kräfte, die erfahren sind in Kämpfen gegen Terroristen und gegen alle Bedrohungen von aussen, und wir müssen genügend Kräfte aufrechterhalten. Wir sehen unsere Rolle als ergänzend zu derjenigen der Armee. Sie können nicht kämpfen ohne uns, und wir nicht ohne sie!"

Fast gleichzeitig hat ein Mitglied des amerikanischen Senats ein Gesetz vorgeschlagen, durch das gewisse irakische Volksmilizen wie jene, die sich "Asaib Ahl al-Haqq" und "Harakat Hizbullah an-Nujaba" nennen, ("Scharen der Anhänger der Wahrheit" und "Bewegung der Edlen der Partei Gottes") zu Terroristen erklärt werden sollen. Der Anführer dieser zweitgenannten Gruppierung, Akram al-Kaabi, wurde schon 2008 von den USA als Terrorist klassifiziert.

Der Chef einer der bekanntesten dieser Milizen, der pro-iranischen "Badr Brigade", Hadi al-Amri, verweist auf einen Widerspruch, den er in der Haltung der USA sieht, weil diese erklären, sie selbst seien unentbehrlich für die irakische Armee, während die Volksmobilisation entbehrlich sei. "Diese Doppelmoral muss aufhören!", donnerte er. "Wir erleben zurzeit die letzten Tage des IS, doch es wäre falsch zu denken, das Ende von IS sei das Ende der Angelegenheit!" Welche Angelegenheit er meint, sagte er nicht."

1.9.12. Übergewicht der Schiiten

"Gesamthaft gibt es zur Zeit 140'000 Angehörige der Volksmobilisation. Von ihnen sind 34'000 Mann sunnitische Kämpfer und rund 10'000 Angehörige der Minderheiten wie Christen, Schabak und Jesiden, alle in ihren eigenen Einheiten. Die übrigen knapp 100'000 sind Schiiten.

Doch auch unter den Schiiten gibt es Unterschiede. Manche von ihren Milizen sind loyal gegenüber dem irakischen Grossayatollah Sistani und anderen irakischen Geistlichen, andere jedoch neigen dem iranischen "Herrschenden Gottesgelehrten" Khamenei zu. Letztere werden direkt von Iran unterstützt.

Seit dem vergangenen Sommer sind die Milizen der Volksmobilisation durch einen Parlamentsbeschluss reguläre Angehörige der irakischen Streitkräfte, und Ministerpräsident Haidar al-Abadi gilt formell als ihr Oberbefehlshaber. Doch sie stehen weiterhin unter ihren eigenen Anführern und rekrutierten ihre eigenen Mannschaften. Der Staat bezahlt gegenwärtig jedem Milizsoldaten den Gegenwert von 500 Dollar im Monat. Die regulären Armeesoldaten erhalten das Doppelte, doch es gibt Bestrebungen im Parlament, ihren Sold auf den Gegenwert von monatlich 2'000 Dollar zu erhöhen."

1.9.13. Muqtada as-Sadrs Wandlungen

"Neben diesen Milizen, die im Krieg gegen den IS mitgekämpft haben, gibt es noch die Anhänger des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr. Er verfügt über eine grosse Zahl von ihm fanatisch ergebenen Gefolgsleuten, meist aus den schiitischen Elendsvierteln der Grossstädte Bagdad und Basra. Zur Zeit der amerikanischen Besetzung kämpften sie gegen die Amerikaner, später hat Sadr sie in ein Friedenscorps umgewandelt und eingesetzt für Demonstrationen gegen die Korruption der irakischen Politiker.

Zur Zeit der Bedrohung Bagdads durch den IS, im Sommer 2014, wurden Teile der Sadr-Anhänger wieder bewaffnet und auch als Volkserhebungsmiliz mobilisiert. Doch Sadr will sie nun wieder entwaffnen und nicht als permanent bewaffnete Gruppe aufrechterhalten. Ihre Zahl ist nicht in den 140'000 der gegenwärtigen Volksmobilisation inbegriffen. Sie waren in den südlichen Städten und in der Hauptstadt verblieben und hatten nicht am Feldzug gegen den IS teilgenommen. Ihr Chef, Sadr, ist heute ein irakischer Nationalist, der für den Zusammenhalt der drei Bevölkerungsgruppen des Iraks unter einer zentralen Regierung in Bagdad eintritt."

1.9.14. Glaubwürdige und populäre Milizenführer

"Die Milizen und ihre Anführer sind im Irak populär, natürlich vor allem bei den Schiiten. Ihre Führer gelten nicht als korrupt und auf eigenen Vorteil bedacht, wie es den meisten Politikern, auch den ins Parlament gewählten keineswegs ohne Grund nachgesagt wird.

Die Bevölkerung des Südens und Bagdads erinnert sich auch daran, dass die irakische Armee nach der Überrumpelung von Mosul durch den IS im Sommer 2014 zusammenbrach, und dass es einzig die damals nach Aufrufen von Sistani entstandene Volksmobilisation war, die dafür sorgte, dass Bagdad und der Süden des Iraks gegen den IS verteidigt wurden.

Im kommenden Frühling und Sommer stehen lokal- und Parlamentswahlen bevor. Viele der Parlamentarier versuchen mit Milizführern ein politisches Bündnis zu schliessen, weil sie bessere Chancen haben, Stimmen zu gewinnen, wenn Milizführer für sie eintreten."

1.9.15. Verdeckte ethnische Säuberungen

"Gegen einige der Milizen wurden Vorwürfe erhoben, sie hätten Racheaktionen an Sunniten in den vom IS befreiten Ortschaften und Städten durchgeführt. Ihren Opfern werfen sie vor, sie gehörten zum IS oder sie hätten mit diesem sympathisiert. Die Milizführer geben zu, dass gelegentlich "Fehler" gemacht worden seien.

Die Ankläger versichern jedoch, es handle sich um viel mehr. Sie behaupten, diese Milizen versuchten in bestimmten, bisher von Sunniten bewohnten Regionen und Ortschaften schiitische Mehrheiten zu konstruieren, indem sie den wegen der Kriegsaktivitäten geflohenen Zivilisten verböten, nach der Befreiung in ihre Heimatorte zurückzukehren. Der Haus- und Landbesitz dieser Geflohenen werde von schiitischen Neusiedlern in Besitz genommen.

Derartige Versuche ethnischer Säuberung kommen vor allem in der sunnitisch-schiitisch gemischten Provinz Diyala vor. Sie liegt nordöstlich von Bagdad und reicht bis an die iranische Grenze."

1.9.16. Unbewältigte Schuldfragen

"Die Frage, was mit den Angehörigen von IS-Kämpfern und mit gefangenen Kämpfern geschehen soll, ist heikel. Manchmal wurden Flüchtlinge und Gefangene erschossen, was einem Kriegsverbrechen gleichkommt. Als Regel gilt, dass gefangene IS-Kämpfer und Behörden in besondere Lager verbracht werden, wo sie - ohne Zweifel nicht bei bester Behandlung - ihre Aburteilung durch Richter erwarten. Ihre Frauen und Kinder kommen in gesonderte Lager. Bei ausländischen IS-Leuten, bei Frauen aus anderen islamischen Staaten oder auch aus Europa - oftmals mit kleinen Kindern -, versucht der Irak, sie in ihre Ursprungsländer abzuschieben.

Es kommt oft vor, dass Anklagen gegen Flüchtlinge erhoben werden, wonach diese in Wirklichkeit Mitglieder oder Sympathisanten des IS seien und versuchten, sich unter die Masse der zivilen Fliehenden zu mischen. Das kann zutreffen, es kann sich bei derartigen Anschuldigungen aber auch um Racheaktionen gegen alte Feinde handeln.

Dabei gibt es schwer zu beurteilende Grenzfragen, wie: Wer war ein Sympathisant? Wer machte unter Zwang mit? Was hat die angeklagte Person im Dienst des IS getan, was hat sie unterlassen? - Offiziere der regulären Armee und solche der Milizen können in solchen Belangen bestenfalls summarisch Gerechtigkeit üben. Entscheide jedoch, die nach dem Empfinden der sunnitischen Bevölkerungsteile ungerecht ausfallen, sind gefährlich. Kommen sie allzu oft vor, drohen sie erneut Wasser auf die Mühlen des IS oder künftiger vergleichbarer Gruppierungen zu leiten."

1.9.17. Fallstricke des Wiederaufbaus

"Mit derartigen Fragen verbunden sind die Probleme des Wiederaufbaus. Die Bewohner der zerstörten Städte und die aus ihnen Geflohenen sind fast ausschliesslich Sunniten. Sie erhielten Versprechungen von Seiten der Regierung, dass ihnen beim Wiederaufbau geholfen werde. Doch die versprochenen Kompensationen, etwa für zerstörte Häuser und Wohnungen, treffen nur selten und langsam ein. Kommt dann doch Hilfe, vermuten die bisher leer ausgegangenen Nachbarn, der Betreffende hätte eine Vorzugsbehandlung erlangt, wahrscheinlich auf krummen Wegen.

Da es viel Korruption gibt, herrscht beständig Korruptionsverdacht. Der Ministerpräsident, Haidar al-Abadi, hat erklärt, nach dem Sieg über den IS sei der nächste Schritt die Korruptionsbekämpfung.

Doch es fehlt auch einfach das Geld, um allen Bedürfnissen der gründlich zerstörten Städte nachzukommen, die nun vom IS befreit worden sind. In den meisten der dem IS entrissenen Ortschaften konnte nicht einmal die Infrastruktur für Wasser und Abwasser oder die Elektrizitätsversorgung wiederhergestellt werden."

1.9.18. Zweieinhalb Jahre Krieg gegen den IS

"Die Rückeroberung von Süden nach Norden hatte schon im April 2015 mit der Provinzhauptstadt Tikrit begonnen. In der Endphase des Krieges gegen den IS wurde im vergangenen Juli Mosul von der regulären Armee und kurz darauf auch die letzte der irakischen Städte des Nordens, Tel Afar, durch die Milizen der Volksmobilisation eingenommen. Danach erfolgte noch ein Feldzug dem Euphrat entlang aufwärts bis zur syrischen Grenze, beendet am 13. Dezember dieses Jahres.

Gegenwärtig läuft der Versuch, den IS aus dem Wadi Hauran zu vertreiben. Dies ist ein beinahe immer wasserloses Wüstental, tief eingeschnitten und mit Höhlen ausgestattet. Der Wadi ist in seinem irakischen Teil 350 Kilometer lang. Er beginnt in Jordanien, im Grenzraum des Dreiländerecks von Saudi-Arabien, Jordanien und dem Irak und zieht sich hin bis an den Euphrat nahe der Stadt Haditha unterhalb der syrischen Grenze. Er scheint der IS-Führung als letztes Versteck zu dienen. Das Wüstental befand sich seit Juni 2014 im Besitz des IS."

1.9.19. Wiedereingliederung der Sunniten

"Mit dem Ende der Kämpfe rücken die Fragen des Wiederaufbaus und der künftigen Ordnung des Iraks ins Zentrum. Sie hatten sich schon zuvor gestellt. Doch die militärische Aktion überschattete sie. Nun muss sich zeigen, ob das Land in der Lage ist, den sunnitisch-arabischen Teil seiner Bevölkerung, zwischen sieben und acht Millionen Menschen, wieder als Vollbürger in den irakischen Staat einzuverleiben. Bisher ist dies misslungen. Seitdem das Land zur Zeit der amerikanischen Besetzung in den Jahren 2006 und 2007 in zwei Teile zerfiel, kämpften Sunniten und Schiiten gegeneinander. Nach dem Abzug der Amerikaner von 2010 fanden die beiden Religionsgemeinschaften nicht zusammen, weil der damalige Ministerpräsident, Nuri al-Maleki, die Schiiten privilegierte und mit ihrer Unterstützung das Land zu beherrschen suchte.

Die Schiiten bilden eine knappe Mehrheit von etwa 55 Prozent der rapide anwachsenden irakischen Bevölkerung von beinahe 40 Millionen. Gegenwärtig zählen die Schiiten rund 22 Millionen. So gut wie alle Schiiten sind arabophon. Die Sunniten jedoch sind geteilt in gut sieben Millionen Araber und knapp sieben Millionen Kurden. Der IS hatte die Ressentiments der arabischsprechenden Sunniten ausgenützt, um in Mosul, der größten sunnitischen Stadt des Iraks, die Macht zu erlangen. Etwas später hatte er dann auch die wichtigsten anderen sunnitisch-arabischen Städte beherrscht. Es sind daher die sunnitischen Städte und Provinzen, die am meisten durch den Krieg zu leiden hatten. Sie sind heute weitgehend zerstört. Viele ihrer Bewohner befinden sich noch immer in Lagern."

1.9.20. Gefahr neuer Zusammenbrüche

"Wenn der Wiederaufbau erfolgreich verliefe, könnte Bagdad die Loyalität der Sunniten zurückgewinnen. Doch wenn er zögerlich oder gar nicht vorankommt, werden die Ressentiments der arabischen Sunniten noch weiter anwachsen. Sie würden in diesem Fall an ihrer alten Meinung festhalten, es seien immer die Schiiten, welche in Bagdad regierten und darauf aus seien, sie - die Sunniten - zu benachteiligen. Ginge es jedoch mit dem Wiederaufbau voran, so verbesserten sich die Aussichten, dass der irakische Staat wieder zusammenzufinden vermag und als Staat fortexistieren kann.

Im anderen Fall droht ein Zusammenbruch. Die Kurden fordern ohnehin ihren eigenen Staat, und die arabischen Sunniten werden in Unzufriedenheit und Ressentiment leben und möglicherweise aufbegehren. Der schiitische Süden würde in weitere Abhängigkeit von dem großen iranischen Nachbarn geraten. Das Land könnte dann leicht, wie heute schon Jemen, zu einer blutigen Arena werden, in der die sunnitisch-schiitische Rivalität ausgetragen wird, mit den Golfstaaten und Saudi-Arabien auf der sunnitischen und Iran auf der schiitischen Seite.

Der Wiederaufbau der sunnitischen Landesteile und mit ihm die Wiedereingliederung der arabischen Sunniten wird aber jedenfalls schwierig werden. Er benötigt große Summen, über welche der irakische Staat angesichts der relativ niedrigen Erdölpreise nicht verfügt. Wenn die Korruption nicht rasch und gründlich gemeistert werden kann, wird außerdem noch ein großer Teil der Gelder denen zufallen, die sie auf ihre Mühlen zu leiten wissen. Das würde für weitere Ressentiments bei den durch den Krieg in erster Linie geschädigten arabischen Sunniten sorgen."

1.9.21. Fehlende Gelder

"Um nur Mosul zu nehmen: Die Uno hat versucht, 985 Millionen Dollar für eilige humanitäre Hilfe zu erhalten, die dem Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur der Stadt dienen sollte. Sie konnte aber nur Zusagen (nicht Auszahlungen) von Geberstaaten in der Höhe von 423 Millionen mobilisieren.

Die irakische Verwaltung spricht davon, dass ein Wiederaufbauplan für die gesamten befreiten Gebiete etwa 100 Milliarden Dollar kosten würde. Sie hofft in Zukunft große Teile dieser Summen durch Investitionen aus dem Ausland aufzubringen. Doch die Wirtschaftsstruktur des Landes in ihrer gegenwärtigen Form ist für private Anleger ungünstig. Der Staat dominiert die gesamte Wirtschaft durch das ihm unterstehende Erdölwesen. Dieses bringt auch fast das gesamte Staatseinkommen ein. Die leitenden Posten werden oftmals auf Grund von politischen Verteilungskämpfen und Kompromissen besetzt, nicht auf der Grundlage fachlicher Kompetenz.

Nur ein Beispiel: Staatliche Misswirtschaft hat dazu geführt, dass Bagdad seit den Zerstörungen durch die amerikanische Invasion von 2003 noch immer mit ungenügender Elektrizitätsversorgung zu kämpfen hat. Wer es sich leisten kann, betreibt nach wie vor seinen eigenen privaten Generator.

Um bedeutende Summen von privaten Anlegern aus dem Ausland zu erhalten, müsste das Land seine Wirtschaft umbauen. Manche Politiker und Wirtschaftsfachleute sind der Ansicht, dass der Irak dies nicht schaffen kann und deshalb die Gelder für seinen Wiederaufbau in Iran oder, wie andere es sehen, in Russland oder in China suchen müsste.

Quelle: https://www.journal21.ch/irak-nach-dem-krieg

Verfolgungshandlungen, denen der sunnitische Bevölkerungsteil ausgesetzt ist, weisen im Irak die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte nicht auf (U.v. 9.1.2017 - 13a ZB 16.30740 - juris m.w.N.). Der Umfang der Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter, die an die sunnitische Religionszugehörigkeit anknüpfen, rechtfertigt in der Relation zu der Größe dieser Gruppe nicht die Annahme einer alle Mitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung. Die irakische Bevölkerung setzt sich zu 60 bis 65% aus arabischen Schiiten, zu 17 bis 22% aus arabischen Sunniten und zu 15 bis 20% aus (überwiegend sunnitischen) Kurden zusammen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7.2.2017 S. 7). Bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 36 Millionen Einwohnern (vgl. www.auswaertiges-amt.de - Länderinfos, Stand: März 2017) würde das bedeuten, dass sechs bis acht Millionen arabische Sunniten im Irak im oben geschilderten Sinn als Gruppe verfolgt würden. Für eine solche Annahme gibt es keine ausreichenden Hinweise. Dies gilt auch für die Stadt Bagdad, in der 7,6 Millionen Einwohner leben (vgl. www.auswaertiges-amt.de - Irak, Länderinformation, Stand: März 2017).

Zwar hat nach der Dokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) der Republik Österreich vom 24. August 2017 die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber in Bagdad ebenso wie in anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. In Bagdad sei gemeldet worden, dass sunnitische Binnenvertriebene gedrängt worden seien, aus schiitischen und gemischt sunnitisch-schiitischen Wohngebieten auszuziehen, wie auch die Klagepartei vorträgt. Auch gewaltsame Vertreibungen von Sunniten aus mehrheitlich von Schiiten bewohnten Vierteln Bagdads seien vorgekommen. Zum Teil gehe es allerdings darum, die Grundstücke der vertriebenen Familien übernehmen zu können. Laut Berichten begingen die (schiitischen) PMF-Milizen in Bagdad immer wieder Kidnappings und Morde an der sunnitischen Bevölkerung. Viele Familien seien in Bagdad durch den konfessionellen Konflikt dazu gezwungen gewesen, ihre Häuser zu verlassen und sich zunehmend entlang konfessioneller Grenzen wieder anzusiedeln. Somit seien separate sunnitische und schiitische Viertel entstanden. Bagdad sei weiterhin entlang konfessioneller Linien gespalten (zu alldem siehe: VGH München, Beschluss v. 16.11.2017 - 5 ZB 17.31639)."

1.9.22. Zur Situation von Kindern im Irak

"Der Irak war einst einer der besten Orte des Mittleren Ostens und Nordafrikas für Kinder. Aber seit den 1970er Jahren hat das Land an Zugkraft verloren und ist weit zurückgefallen. Wenn der Irak im gleichen Tempo vorangekommen wäre wie viele andere Länder, hätte er bis 2011 eine Reihe seiner Millenniums-Entwicklungszielen (Millennium Development Goals - MDGs) erreicht, darunter Einschulung, Reduktion der Kindersterblichkeit und Zugang zu sauberem Trinkwasser. Stattdessen hat das Land die meisten MDG-Ziele verpasst, als sie 2015 ausliefen.

Der im Jahr 2011 durchgeführte vierte Multiple Indicator Cluster Survey (MICS 4) des Irak lieferte eine neue Evidenzbasis zur Situation von Kindern im Land. Die Ergebnisse einer Analyse der MICS-4-Daten über mehrere Deprivationskandidaten (Deprivation ist ein Zustand der Entbehrung, des Entzuges, des Verlustes oder der Isolation von etwas Vertrautem sowie das Gefühl einer Benachteiligung) identifizierten die am stärksten unterversorgten irakischen Kinder einschließlich Details zu ihrem Aufenthaltsort und den entbehrungsbedingten Deprivationen. Die am stärksten benachteiligten Kinder wurden in ländlichen Gebieten aus armen Haushalten gefunden und hatten Mütter mit niedrigem Bildungsstand.

Seit MICS 4 haben regionale Konflikte die Entwicklung und das Wohlergehen von Kindern beeinträchtigt, beginnend im Jahr 2012 mit der Ankunft von fast 250.000 syrischen Flüchtlingen in der Region Kurdistan im Irak.

Darauf folgte Anfang 2014 der Ausbruch von Konflikten im Irak. Beide Ereignisse haben das Leben der Kinder ins Chaos gestürzt, die Bildung für Millionen von Kindern gestört und sie für tödliche Krankheiten wie Polio und Cholera anfälliger gemacht.

Seit Mitte 2016 sind 3,4 Millionen Iraker - fast 10% der Bevölkerung - vertrieben, und weitere Millionen benötigen dringende humanitäre Hilfe. Diese massive Binnenvertreibung sowie der konfliktbedingte wirtschaftliche Niedergang haben die Aufnahmegemeinden und die angespannten Sozialsysteme enorm belastet.

Viele Konfliktparteien haben schwere Menschenrechtsverletzungen begangen, und die Zahl schwerer Verstöße gegen Kinder hat sich in den vergangenen zwölf Monaten verdoppelt - Mädchen, die in Gefangenschaft geraten sind, leiden unter geschlechtsspezifischer Gewalt und Jungen werden angeworben, um an der Front zu kämpfen oder zu arbeiten. Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht sind weit verbreitet, einschließlich wahlloser Angriffe auf Zivilisten und des Einsatzes explosiver Waffen in besiedelten Gebieten. Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen sind häufig, und die Verweigerung humanitärer Hilfe wie die Beeinträchtigung grundlegender Dienste wie Wasser und Elektrizität wurden als Kriegswaffe eingesetzt."

1.9.23. Zur Badr-Organisation

"Seit 2014 ist die schiitische Badr-Organisation unter der Führung ihres Generalsekretärs Hadi al-Amiri zu einem der wichtigsten Akteure der irakischen Politik aufgestiegen. Dafür waren vor allem die Erfolge ihrer paramilitärischen Einheiten im Kampf gegen die Terrororganisation IS verantwortlich. Die stark von Teheran abhängige Badr-Organisation ist so zum wichtigsten Instrument iranischer Politik im Nachbarland geworden. Ziel dieser Politik ist es, möglichst großen Einfluss auf die Zentralregierung in Bagdad auszuüben und gleichzeitig möglichst starke, von Iran abhängige schiitische Milizen aufzubauen. Seit Badr die Provinz Diyala und das Bagdader Innenministerium kontrolliert, scheint die Organisation zusehends in eine Rolle hineinzuwachsen, wie sie die Hizbullah im Libanon (für Iran) spielt. Damit wird die Badr-Organisation zu einem immer größeren Hindernis auf dem Weg zu einer künftigen Stabilisierung des Irak. Außerdem tritt Badr als Teil einer wachsenden Internationale schiitischer Milizen auf, die in Syrien das Regime von Bashar al-Assad unterstützen und durch ihre Gewalttaten religiös-konfessionelle Konflikte schüren. (SWP-Aktuell 2017/A 27, April 2017). "

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gerichts auf Grund des vorliegend geführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

2.2.1 Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität (Namen und Geburtsdatum), Staatsbürgerschaft, Familienstand, den familiären Verhältnissen im In- und Ausland, Schul- und Berufsausbildung sowie -ausübung, dem Verbleib der Verwandten des BF1 und der BF2, Glaubensbekenntnis, dem Zeitpunkt der Ausreise, zur Reiseroute, der hiefür benötigten Zeit, Schulbildung, Muttersprache sowie Volksgruppenzugehörigkeit der BF getroffen wurden, beruhen diese auf dem Inhalt der polizeilichen Erstbefragung, jenem der Einvernahme vor dem Bundesamt, dem der mündlichen Verhandlung und den vorgelegten Lichtbilddokumenten. Insbesondere im Hinblick auf die im Irak bewohnte Unterkunft, den Universitätsabschluss und die beruflichen Tätigkeiten des BF1 bestehen angesichts des konsequenten, dahingehenden Vorbringens und dem Fehlen von Widersprüchen keine Zweifel an dessen Wahrheitsgehalt.

Der Bezug von Leistungen der staatlichen Grundversorgung folgt dem Inhalt des GVS-Informationssystems.

Die festgestellten Deutschkenntnisse sind den diesbezüglich vorgelegten Bestätigungen zu entnehmen.

BF1 und BF2 haben in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, gesund zu sein und wandten im Hinblick auf den BF4 keine gesundheitlichen Störungen ein. Die Erkrankungen von BF3 und BF5 sind den im Akt einliegenden ärztlichen Unterlagen des XXXX (BF5) sowie jenem der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie des LKH XXXX (BF3) zu entnehmen. Ein Abgleich mit den in den Länderfeststellungen wiedergegebenen Behandlungsmöglichkeiten im Irak zeigt, dass diese de facto nicht vorhanden sind, zumindest jedoch eine akute Gefahr, wenn nicht Lebensgefahr der BF5 mit sich brächten.

Die Beschäftigungslosigkeit der BF1 und BF2 folgt dem Inhalt des auf ihre Personen lautenden Sozialversicherungsdatenauszuges.

Das gute Verhältnis zu seinem sozialen Umfeld und die Integrationsbemühungen insbesondere des BF1 ergeben sich aus dem Inhalt der zahlreichen, der Beschwerde beigefügten Unterstützungsschreiben, der Teilnahme am evangelischen Glaubenskurs, der Bestätigung der evangelischen Pfarre XXXX sowie der Ausübung der ehrenamtlichen Mitarbeit der Bescheinigung des XXXX, letztere beiden datiert mit 10.11.2017.

2.2.2. Das Vorbringen der BF zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates und deren Situation im Fall der Rückkehr in diesen beruht auf deren Angaben in der Erstbefragung, dem Vorbringen in den Einvernahmen vor der belangten Behörde, den Ausführungen in der gegenständlichen Beschwerde wie den Aussagen in der mündlichen Verhandlung.

Für das Vorliegen von konventionsrelevanten Fluchtgründen auf Seiten der BF fanden sich jedoch keine Anhaltspunkte. Dem BF1 zufolge hätten die Verfolgungshandlungen im Jahr 2006 ihren Ausgang genommen und sei er 2009 in einen Autounfall verwickelt gewesen, in deren Rahmen er bewusstlos geworden sei. Dieses Vorbringen ist jedoch nicht glaubwürdig. So erwähnte BF1 diesen Vorfall erstmalig in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht. Weder in der polizeiliche Erstbefragung, noch in der Einvernahme vor dem Bundesamt, noch im Rechtsmittel fand dieses Ereignis, das für den BF1 doch prägend gewesen sein müsste, Erwähnung. Zudem war auf dem VW Golf III kein Kennzeichen angebracht oder wurde dieses gesondert abgebildet. Auch konnte BF 1 kein Datum des Lichtbildes nachweisen. Wirft man einen Blick auf die Beschädigungen im Fahrzeuginneren und den Umstand, dass auch der Airbag aktiviert war, erscheint es befremdlich, dass BF1 - trotz Ohnmacht - und wohl eingetretener Verletzung kein Krankenhaus aufgesucht hat. Die von ihm in der mündlichen Verhandlung geäußerte Befürchtung, er hätte dort Verfolgungshandlungen ausgesetzt sein können, konnte er nicht plausibel machen und wäre wohl davon auszugehen gewesen, er hätte den Versuch einer ärztlichen Behandlung unternehmen können. Daran anknüpfend widerspricht es der Lebenserfahrung, dass BF1 angesichts dieser massiven Bedrohungen den Herkunftsstaat nicht schon früher verlassen hat - auch wenn er sich kurzzeitig nach Syrien begeben haben soll. Zu beachten ist weiters, dass BF1 in der Einvernahme vor dem Bundesamt eine persönliche Bedrohung dezidiert ausgeschlossen hat, indem er wörtlich angegeben hat "Es gab keine Bedrohung" und "Ich wurde nie persönlich bedroht" (siehe Seite 8 der Einvernahme unten und 9 oben). In der mündlichen Verhandlung (Seite 10 des Protokolls) bestätigte er, persönlich nie bedroht worden zu sein. Die in Aussicht genommene Versetzung des BF1 nach XXXX stellt für sich selbstredend keinen Verfolgungsgrund entsprechend der GFK dar. Was die Nennung des BF1 auf einer Liste von Angehörigen jener Piloten der Luftwaffe betrifft, die im Iran-Irak-Krieg gekämpft haben und er deshalb getötet werden sollte, brachte dieser vor, er habe lediglich von einem anderen Kollegen darüber gehört. In der mündlichen Verhandlung gab er hiezu an, er wisse dies nur vom "Hören-Sagen" und habe kein diesbezügliches Schriftstück erhalten. Abgesehen davon können auch die mehreren, von Seiten des BF1 ins Treffen geführten Wohnsitzwechsel für sich genommen, ohne Hinzutreten weiterer Momente keine asylrelevante Fluchtgefahr erzeugen. Dass - wie den Länderinformationen zu entnehmen ist - und auch von Seiten der Rechtsvertretung richtig gesehen wurde - das Spannungsverhältnis zwischen Sunniten und Schiiten groß ist und es immer wieder zu Tötungen Angehöriger der sunnitischen Religionsgruppe kommt, wird nicht in Zweifel gestellt. Aber auch dieser Umstand ist für sich allein - wie noch in der rechtlichen Beurteilung näher zu zeigen sein wird - nicht mit einer vakanten, gegen die Personen der BF gerichtete Bedrohung gleichzusetzen.

BF2 hat überhaupt eine gegen sie gerichtete Verfolgung ausgeschlossen.

2.2.3. Die Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den in oben genannten Länderinformationen angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Das erkennende Gericht hat den BF im Zuge der mündlichen Verhandlung die maßgeblichen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht und ihnen die Möglichkeit eingeräumt, zu den getroffenen Feststellungen eine Stellungnahme abzugeben. Im Zuge der sodann am 22.05.2018 beim BVwG eingelangten, dahingehenden Stellungahme hoben die BF in Bezug auf die Entscheidung des VGH München vom 16.11.2017, Zahl 5 ZB 17.31639 hervor, der von der deutschen Rechtsprechung für die Annahme einer Gruppenverfolgung angelegte Maßstab sei ein strengerer, als der vom Verwaltungsgerichtshof in dessen Judikatur angewandte. Dieses Argument entspricht zwar den Tatsachen, doch ist dem zu entgegnen, dass der vom VwGH für die Gruppenverfolgung geprägte Begriff im Fall der BF nicht zum Tragen kommt. Demgemäß werden darunter regelmäßig gegen Dritte gesetzte Maßnahmen verstanden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Bedenkt man, dass die BF mehrere Jahre vor der tatsächlichen Ausreise im Irak gelebt haben (hier insbesondere BF1), ohne einer konkreten Bedrohung ausgesetzt gewesen zu sein, so trifft dies auf die BF nicht zu.

Dass den Länderberichten zufolge vor allem in XXXX die zielgerichtete Gewalt gegen sunni

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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