TE Vwgh Erkenntnis 1999/9/2 96/18/0411

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Veröffentlicht am 02.09.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1;
AVG §71 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des J W, (geb. 3.1.1976), vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 25. Juni 1996, Zl. SD 729/96, betreffend Abweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gegen den Aufenthaltsverbots-Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 13. November 1995, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 25. Juni 1996 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist betreffend den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 13. November 1995, Zl. IV-835.589/FrB/95, mit dem gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen worden war, gemäß § 71 Abs. 2 AVG abgewiesen.

Der besagte Aufenthaltsverbots-Bescheid sei dem Beschwerdeführer am 13. November 1995 "im Stande der Schubhaft" durch persönliche Übergabe einer Ausfertigung zugestellt worden. Der Beschwerdeführer habe die Unterschrift auf der Zustellbestätigung verweigert, doch sei die Zustellung durch die amtshandelnden Organe und den Dolmetscher bestätigt worden. Die zweiwöchige Berufungsfrist sei daher am 27. November 1995 abgelaufen, ohne dass der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid ein Rechtsmittel ergriffen hätte. Von der gültigen Zustellung gehe auch der Wiedereinsetzungsantrag aus.

Der Wiedereinsetzungsantrag werde damit begründet, dass der Beschwerdeführer Analphabet wäre. Er wäre daher, auch wenn ihm der Bescheid bei der Vernehmung anlässlich der Übergabe vom englischen Dolmetscher übersetzt worden wäre, nicht in der Lage gewesen, vom Inhalt des Bescheides und von der Möglichkeit, Rechtsmittel zu erheben, Kenntnis zu nehmen. Es wäre ihm mehrmals verwehrt worden, seinen rechtsfreundlichen Vertreter zu kontaktieren. Er hätte daher seine rechtlichen Interessen nicht wahren können. Die Kontaktaufnahme mit seinem Vertreter wäre erst am 15. Dezember 1995 erfolgt.

Es werde wohl richtig sein, dass der Beschwerdeführer, wenn er Analphabet sei, eine schriftliche Berufung nicht selbst hätte einbringen können. Dies allein stelle - wie er offenbar auch wisse - noch keinen Wiedereinsetzungsgrund dar. Nicht nachvollziehbar sei allerdings die Behauptung, dass er daher von einem ihm mündlich mitgeteilten Text, einschließlich der Möglichkeit eines Rechtsmittels, nicht hätte Kenntnis nehmen können. Freilich hätte er dazu einen des Schreibens kundigen Vertreter benötigt. Seine Behauptung, dass ihm "im Stande der Schubhaft" die Kontaktaufnahme mit einem Vertreter mehrmals verwehrt worden wäre, sei jedoch nicht nur nach den Erfahrungen der belangten Behörde über die Praxis im Polizeigefangenenhaus, sondern auch allein deshalb unglaubwürdig, weil in einem solchen Fall der Beschwerdeführer wohl unverzüglich nach seiner Entlassung aus der Schubhaft Kontakt mit seinem Vertreter aufgenommen hätte. Die Entlassung aus der Schubhaft sei nun aber bereits acht Tage nach Übergabe des Bescheids, und zwar am 21. November 1995, erfolgt. Da der Beschwerdeführer sich nach der Entlassung aus der Schubhaft nicht unverzüglich an einen Vertreter gewendet und diesen beauftragt habe, ein Rechtsmittel zu ergreifen, sei er keineswegs durch ein unabwendbares Ereignis verhindert gewesen, die Berufungsfrist einzuhalten. Seine offensichtliche Meinung, der Wiedereinsetzungsgrund hätte bis zu seiner Vorsprache bei seinem Anwalt angedauert, sei nicht zutreffend, zumal der Beschwerdeführer selbst ausführe, dass die Schubhaft jenes Ereignis gewesen wäre, durch welches er gehindert gewesen wäre, mit seinem Vertreter Kontakt aufzunehmen.

Da der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht habe, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen sei, die Berufungsfrist einzuhalten und ihn daher sehr wohl ein Verschulden an der "Nichteinhaltung bzw. Nichteinbringung einer Berufung innerhalb der Berufungsfrist" treffe, habe der Berufung keine Folge gegeben werden können.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Vorweg ist festzuhalten, dass - insoweit stimmten die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens überein - die Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Aufenthaltsverbots-Bescheid vom 13. November 1995 versäumt wurde, somit die wesentliche Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages erfüllt ist (§ 71 Abs. 1 AVG).

2. Nach der (vorliegend in Betracht kommenden) Bestimmung des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Nach § 71 Abs. 2 AVG muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

3.1. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes führt die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid ins Treffen, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner mangelhaften Sprachkenntnisse nicht die Möglichkeit gehabt habe, von den Gründen, aus welchen ein Aufenthaltsverbot über ihn verhängt worden sei, Kenntnis zu erlangen. Er sei somit auch nicht in der Lage gewesen, ein den Anforderungen eines begründeten Berufungsantrags entsprechendes Rechtsmittel zu verfassen. Selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass dem Beschwerdeführer der Aufenthaltsverbots-Bescheid übersetzt worden sei, so heiße dies nicht, dass dieser Bescheid, insbesondere dessen Gründe, dem Beschwerdeführer in einem Maß bekannt geworden seien, dass er "ein wirkungsvolles, sinnvolles Rechtsmittel dagegen hätte ergreifen können". Auf Grund seines "geringen Bildungsstandes" sei der Beschwerdeführer auch nicht in der Lage gewesen, nach seiner Entlassung aus der Schubhaft Kontakt zu anderen rechtskundigen Personen in Wien herzustellen, weshalb die Unterlassung einer Kontaktaufnahme "wohl als Versehen minderen Grades" einzustufen wäre.

3.2. Dieses Vorbringen ist nicht zielführend.

Nach den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer am 21. November 1995, somit acht Tage nach der (ebenfalls nicht bestrittenen) Zustellung des angefochtenen Bescheides durch Übergabe an ihn am 13. November 1995 aus der Schubhaft entlassen und hätte daher - was die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid und in ihrer Gegenschrift zutreffend herausstreicht - von diesem Zeitpunkt an bis zum 27. November 1995 die Möglichkeit gehabt, eine Berufung gegen den besagten Aufenthaltsverbots-Bescheid zu erheben. Dies vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer nach Ausweis des Aktes Kenntnis sowohl vom amtlichen (behördlichen) Charakter der ihm am 13. November 1995 übergebenen Ausfertigung des in Rede stehenden Aufenthaltsverbots-Bescheides als auch den damit verbundenen Konsequenzen hatte, ergibt sich doch aus der vom Beschwerdeführer unterfertigten Niederschrift betreffend seine unter Heranziehung eines Dolmetschers erfolgte Einvernahme am 13. November 1995 vor der Übernahme des Aufenthaltsverbots-Bescheides (vgl. Aktenblatt 21), dass der Beschwerdeführer zur Kenntnis genommen hat, dass gegen ihn ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen werde und er auch verstanden habe, dass er deswegen aus Österreich abgeschoben werde und bei einer Einreise trotz des bestehenden Aufenthaltsverbotes ohne Bewilligung nach § 23 FrG mit einer Bestrafung und neuerlich mit der "Ergreifung fremdenpolizeilicher Zwangsmaßnahmen" zu rechnen habe. Dass der Beschwerdeführer nach seiner Entlassung aus der Schubhaft vollkommen dispositionsunfähig und in diesem Sinn außerstande gewesen wäre, zur Erhebung einer Berufung gegen das Aufenthaltsverbot rechtzeitig mit seinem Rechtsvertreter in Graz in Kontakt zu treten, wird in der Beschwerde nicht behauptet; vielmehr wird dort lediglich ausgeführt, dass der Beschwerdeführer Kontakt mit seinem Rechtsvertreter erst nach seiner zufolge Geldmangels erst am 15. Dezember 1995 erfolgten Rückkehr nach Graz aufnahm. Damit erweist sich aber auch der Beschwerdehinweis, der Beschwerdeführer sei auf Grund seines "geringen Bildungsstandes" nicht in der Lage gewesen, nach seiner Entlassung aus der Schubhaft "Kontakt zu anderen rechtskundigen Personen in Wien" herzustellen, und die Unterlassung einer (solchen) Kontaktaufnahme "wohl als Versehen minderen Grades" einzustufen wäre, als nicht stichhaltig.

Von daher besteht gegen die von der belangten Behörde im Hinblick auf den auf § 71 Abs. 2 AVG gestützten Spruch erkennbar vertretene Auffassung, dass jedenfalls mit der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Schubhaft am 21. November 1995 das möglicherweise vorher für die Erhebung einer Berufung gegebene Hindernis im Sinn des § 71 Abs. 1 AVG weggefallen und daher der nach Ausweis des Aktes am 28. Dezember 1995 zur Post gegebene Wiedereinsetzungsantrag als verspätet anzusehen sei, kein Einwand.

4. Auf dem Boden des Gesagten sind die Verfahrensrügen des Beschwerdeführers, das Ermittlungsverfahren sei wegen der Unterlassung seiner Einvernahme zur vorgebrachten Unmöglichkeit zur Ergreifung eines Rechtsmittels mangelhaft geblieben, es sei ferner nicht erkennbar, auf welchen Ermittlungsergebnissen die Feststellungen der belangten Behörde betreffend ihre Erfahrungen über die Praxis im Polizeigefangenenhaus beruhten, und es sei überhaupt nicht erkennbar, ob bzw. inwieweit die belangte Behörde Ermittlungen "zur Beantwortung der im Wiedereinsetzungsantrag und in der Berufung aufgeworfenen Fragen gepflogen" habe, nicht zielführend.

5. Da somit dem bekämpften Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 2. September 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1996180411.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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