TE Vfgh Beschluss 2018/9/24 G264/2018 ua

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Veröffentlicht am 24.09.2018
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Index

22/02 Zivilprozessordnung

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
RAO §15
ZPO §27, §177 Abs1
VfGG §62a Abs1

Leitsatz

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen der RAO und ZPO; prozessleitende Entscheidung eines Landesgerichtes über die Nichtzulassung der Vornahme von Prozesshandlungen durch einen nicht substitutionsberechtigten Rechtsanwaltsanwärter keine entschiedene Rechtssache

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I.       Sachverhalt und Antragsvorbringen

1.       Mit Beschluss vom 3. Juli 2018, 35 Cg 86/14 p-111, sprach das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz aus, dass die beim Rechtsvertreter der klagenden Partei tätige Rechtsanwaltsanwärterin (die auch Gesellschafterin der klagenden Partei sei) zur Vornahme von Prozesshandlungen für die klagende Partei nicht zugelassen werde. Es herrsche im Verfahren vor dem Landesgericht gemäß §27 Abs1 ZPO (absolute) Anwaltspflicht, die Rechtsanwaltsanwärterin sei jedoch gemäß §15 Abs2 RAO nicht substitutionsberechtigt.

2.       Aus Anlass des Rekurses gegen diesen Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz stellen die antragstellenden Parteien den vorliegenden Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG und beantragen die Aufhebung des §27 und §177 Abs1 vorletzter Satz ZPO sowie des §15 RAO wegen Verfassungswidrigkeit. Der Anwaltszwang führe zu einer faktischen Entmündigung der Parteien im Verfahren, welche nur im Rahmen der Parteienaussage auf Fragen antworten und kein eigenes Vorbringen erstatten dürften. Dies stehe im Widerspruch zum Wortlaut des §184 ZPO, der ein Fragerecht der Parteien vorsehe. Auch die Strafprozessordnung erlaube den Parteien im Gegensatz dazu, selbst ein Fragerecht auszuüben. Es sei auch verfassungswidrig, dass Rechtsanwaltsanwärtern (mit kleiner Legitimationsurkunde) das Verhandeln in Anwesenheit und unter Aufsicht des Ausbildungsanwaltes im Gegensatz zu Richteramtsanwärtern verunmöglicht werde. Da es sich dabei jedoch nicht um eine Vertretung des Anwaltes handle, sei §15 RAO nicht anzuwenden, sondern es müsse analog §4 RiAA-AusbVO herangezogen werden; dieser regle die Ausbildung von Rechtsanwaltsanwärtern. Ein Anwalt bedürfe der Unterstützung durch Hilfskräfte, wie beispielsweise Rechtsanwaltsanwärter, um die Parteienrechte wahren zu können; er könne – vor allem in Fällen von Substitution – nicht sämtliche Details des Falles kennen. §177 ZPO verschärfe diese Situation und sei verfassungswidrig, weil er auswendiges Vortragen verlange.

II.      Zur Zulässigkeit

Der Antrag ist nicht zulässig.

1.       Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Antragstellung nach Art140 Abs1 Z1 litd B-VG iVm §62a Abs1 VfGG ist, dass die gerichtliche Entscheidung, gegen die ein Rekurs erhoben wurde, eine "entschiedene Rechtssache" darstellt. Im Rahmen des zivilgerichtlichen Verfahrensrechts ist im Wesentlichen zwischen drei Arten von Beschlüssen zu unterscheiden, nämlich

zwischen prozessbeendenden, verfahrensgestaltenden (dazu gehört etwa die Unterbrechung oder die Zulassung einer Klageänderung) und prozessleitenden Beschlüssen im engeren Sinn (OGH 24.11.2010, 7 Ob 191/10d; vgl auch M. Bydlinski in: Fasching/Konecny [Hrsg.], Zivilprozessgesetze3 [2018], Vor §425 ZPO, Rz 4 ff.). Der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz, der Anlass des vorliegenden Antrages ist, ist der letzten der drei genannten Kategorien zuzuordnen, weil mit diesem Beschluss eine Entscheidung getroffen wurde, der zufolge eine bestimmte Prozesshandlung nicht rechtswirksam ist; es geht nämlich im vorliegenden Fall ausschließlich um die Frage, ob die nicht substitutionsberechtigte Rechtsanwaltsanwärterin in Anwesenheit und unter Aufsicht des Rechtsvertreters der (aus diesem Grund postulationsfähigen) Parteien Prozesshandlungen setzen darf. Derartige Beschlüsse haben eine bloß prozessleitende Natur, weil sie der notwendigen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dienen; sie haben jedoch keinen Selbstzweck und kein vom Verfahren gelöstes Eigenleben (Rechberger in: Rechberger [Hrsg.], Kommentar zur ZPO4 [2014], §425 ZPO, Rz 3; OGH 24.11.2010, 7 Ob 191/10d). Der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz ist daher keine "entschiedene Rechtssache" im Sinne des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG (vgl VfGH 22.9.2015, G120/2015; 22.9.2016, G190-191/2016).

2.       Der Antrag ist daher schon aus diesem Grund gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Parteiantrag, Zivilprozess, VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:G264.2018

Zuletzt aktualisiert am

17.01.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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