TE Vwgh Erkenntnis 2018/11/29 Ra 2016/06/0124

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Veröffentlicht am 29.11.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z2;
B-VG Art132 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Dr. Bayjones, Mag.a Merl und Mag. Rehak sowie Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Landeck, vertreten durch Dr. Ewald Jenewein, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Brixner Straße 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 21. Juli 2016, LVwG-2016/23/1371-4, betreffend Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt in einer Bauangelegenheit (mitbeteiligte Partei: G W in L, vertreten durch die Pendl Mair Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Annagasse 8-10, Top 2/09), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid der revisionswerbenden Partei vom 13. Juli 2015 wurde dem Mitbeteiligten die von ihm beantragte baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Gebäudes auf einem näher bezeichneten Grundstück der KG L. erteilt.

2 In der Folge wurde dem Mitbeteiligten mit Bescheid vom 14. September 2015 gemäß § 39 Tiroler Bauordnung 2011 - TBO 2011 die Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes aufgetragen und mit mündlich verkündetem Bescheid vom 18. September 2015 sodann die weitere Bauführung gemäß § 35 TBO 2011 untersagt; eine Beurkundung dieses mündlich verkündeten Bescheides in einer Niederschrift erfolgte nicht.

3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) wurde auf Grund der Maßnahmenbeschwerde des Mitbeteiligten ausgesprochen, dass die Untersagung der weiteren Bauführung hinsichtlich des gegenständlichen Bauprojektes durch ein Organ des revisionswerbenden Bürgermeisters am 27. Mai 2016, zwischen 14.00 und 14.30 Uhr, durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt rechtswidrig gewesen und der Mitbeteiligte dadurch in seinen Rechten verletzt worden sei. Gleichzeitig wurde die Stadtgemeinde L. zum Ersatz der Verfahrenskosten an den Mitbeteiligten verpflichtet, und ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.

4 Begründend stellte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges zunächst fest, dass sich der Mitbeteiligte am 27. Mai 2016 mit einem Helfer auf seine Baustelle begeben habe, wo er Betonierungsarbeiten habe durchführen wollen und mit den Vorarbeiten begonnen habe. In der Folge habe sich der Mitbeteiligte zu dem Gemeindepolizisten begeben, der sich in der Nähe des Bauplatzes aufgehalten habe. Im Zuge eines Gespräches mit diesem habe sich herausgestellt, dass der Gemeindepolizist davon ausgegangen sei, dass die weitere Bauführung nicht zulässig sei und er habe deshalb dem Mitbeteiligten ausdrücklich das Fortsetzen der Bauarbeiten untersagt. Weiters habe er ihm angedroht, dass für den Fall, dass Betonlieferfahrzeuge zur Baustelle zufahren würden, ein allfälliges Betonieren unter Beiziehung polizeilicher Kräfte verhindert werden würde. Der Mitbeteiligte habe sich dann dazu entschlossen, die für diesen Tag bestellten Betonlieferfahrzeuge sowie ein Pumpenfahrzeug wieder abzubestellen.

5 In seinen rechtlichen Erwägungen führte das Verwaltungsgericht aus, dass dem Mitbeteiligten am 27. Mai 2016 von einem Organ der Baubehörde imperativ Betonierungsarbeiten zur weiteren Bauausführung verboten worden seien, und ihm für den Fall des Fortsetzens ausdrücklich und klar definierte Zwangsmaßnahmen, nämlich die gewaltsame Unterbindung dieser Arbeiten allenfalls durch Beiziehung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, angedroht worden seien. Diese Handlungen seien bereits als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Form eines Befehles zu werten.

6 Die Möglichkeit der Baueinstellung zur Herstellung eines bescheidmäßigen Zustandes scheide im Revisionsfall aus, weil am 18. September 2015 zwar ein Bescheid (betreffend die Untersagung der weiteren Bauführung) mündlich verkündet worden sei, dieser aber nicht in einer Niederschrift beurkundet und daher nicht existent sei.

7 Die Einstellung der weiteren Bauausführung sei darüber hinaus durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt möglich, was gemäß § 35 Abs. 1 TBO 2011 nur bei Gefahr im Verzug zulässig sei. Ob Gefahr in Verzug vorliege, sei in Ansehung der Schutzinteressen und des Schutzzweckes der TBO 2011 eine Sachfrage, die einer gutachterlichen Beurteilung unterliege. Jenes Organ, das die Zwangsakte gesetzt habe, sei insbesondere von Fragen der Statik ausgegangen. Nach Ansicht des Organes sei dadurch, dass an Stelle einer hölzernen Dachkonstruktion eine Betondecke errichtet werden sollte, jedenfalls ein statisch bedenklicher Zustand gegeben gewesen. Eine gutachterliche Beurteilung der tatsächlich vorhandenen Situation sei aus Sicht des handelnden Organs, das selbst über keine besonderen bautechnischen Kenntnisse verfüge, aber nicht erfolgt. Der den Zwangsakt setzende Gemeindepolizist habe an diesem Tag die Baustelle selbst nie betreten, sondern sein Wissen rein aus den Aussagen des Mitbeteiligten gewonnen. Bei einer solcherart abgeklärten "Gefahreneinschätzung" handle es sich weder um das Gutachten eines Sachverständigen noch um die fachliche Stellungnahme einer für das Bauwesen sachverständigen Person. Im Übrigen sei der Gemeindepolizist selbst auf Grund einer Mitteilung des Bauamtsleiters Dipl.-Ing. M. davon ausgegangen, dass die weitere Bauausführung bereits bescheidmäßig untersagt worden wäre.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, es wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

9 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Revision erweist sich angesichts der darin aufgeworfenen Frage, ob zur Beurteilung des Vorliegens von Gefahr im Verzug im Sinn des § 35 Abs. 1 TBO 2011 die Einholung eines gutachterlichen Sachbefundes notwendig ist, als zulässig.

11 Gemäß § 35 Abs. 1 letzter Satz TBO 2011, LGBl. Nr. 57/2011 in der Fassung LGBl. Nr. 150/2012, kann die Behörde bei Gefahr im Verzug die weitere Bauausführung durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt einstellen.

12 Die revisionswerbende Partei bringt zunächst vor, es bestehe kein Zweifel daran, dass der Mitbeteiligte eine Bauausführung ohne die erforderliche Baubewilligung habe vornehmen wollen, indem er anstatt der bewilligten hölzernen Dachkonstruktion am 27. Mai 2016 eine Betondecke habe herstellen wollen. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichtes liege eine Ausübung unmittelbarer Befehl- und Zwangsgewalt durch den Stadtpolizisten nicht vor. Ein Befehl im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes könne erst angenommen werden, wenn der Stadtpolizist bereits Organe der Bundespolizei hinzugezogen hätte und in weiterer Folge dem Mitbeteiligten beim tatsächlichen Zufahren von Betonlieferfahrzeugen angedroht hätte, dass im Fall des Betonierens diese Arbeiten mit Zwangsgewalt eingestellt werden würden. Nicht der Stadtpolizist sei eingeschritten, sondern der Mitbeteiligte sei auf diesen zugekommen und habe ein Gespräch mit ihm begonnen, wobei ein "lockeres" Gesprächsklima geherrscht und der Stadtpolizist dem Mitbeteiligten nur mitgeteilt habe, was auf ihn zukomme, wenn er wirklich betonieren werde. Der Mitbeteiligte habe auf Grund des Gespräches mit dem Stadtpolizisten selbst die Betonlieferfahrzeuge abbestellt.

13 Selbst wenn man jedoch entgegen dem Standpunkt der revisionswerbenden Partei die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt annehmen würde, sei die Einstellung der weiteren Bauausführung auf Grund des Vorliegens von Gefahr in Verzug erfolgt. Sinn und Zweck der Bestimmungen über Gefahr in Verzug, wie diese auch in § 35 TBO 2011 enthalten sei, sei es, der Behörde eine Möglichkeit zu geben, potenzielle Gefahren so rasch wie möglich beseitigen zu können. Die Bestimmungen betreffend Gefahr in Verzug und allem voran das damit verbundene Gebot der Raschheit wären jedoch praktisch undurchführbar, wenn es der jeweiligen Behörde obliegen würde, zwecks Beurteilung der Frage, ob Gefahr in Verzug vorliege, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Zudem handle es sich bei der Beurteilung des Vorliegens von Gefahr in Verzug um eine Rechtsfrage, wobei der Sachverständige nur als Hilfsorgan bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mitwirke. Weiters sei die Beiziehung eines Sachverständigen darüber hinaus nur in jenen Fällen erforderlich, in denen die Behörde nicht selbst über die notwendige Sachkunde verfüge. Auch für einen Laien sei leicht erkennbar, dass bei einer beabsichtigten Ausführung einer massiven Betondecke andere statische Anforderungen gegeben sein müssten als bei der bewilligten hölzernen Satteldachkonstruktion. Im Übrigen sei die beabsichtigte konsenswidrige Ausführung einer Betondecke für den Stadtpolizisten auf Grund der vorhandenen Einschalungen und der Armierungen klar erkennbar gewesen und der Mitbeteiligte habe ihn auch entsprechend informiert. Da der maßgebliche Sachverhalt sohin festgestanden sei, sei die Einholung eines Sachbefundes nicht notwendig gewesen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Revision eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses auf:

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein Akt der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dann vor, wenn Verwaltungsorgane im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen individuell bestimmte Adressaten einen Befehl erteilen oder Zwang ausüben und damit unmittelbar - das heißt ohne vorangegangenen Bescheid - in subjektive Rechte des Betroffenen eingreifen. Das ist im Allgemeinen dann der Fall, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehls droht. Es muss ein Verhalten vorliegen, das als "Zwangsgewalt", zumindest aber als - spezifisch verstandene - Ausübung von "Befehlsgewalt" gedeutet werden kann. Weil das Gesetz auf Befehle, also auf normative Anordnungen abstellt, sind behördliche Einladungen zu einem bestimmten Verhalten auch dann nicht tatbildlich, wenn der Einladung Folge geleistet wird. Die subjektive Annahme einer Gehorsamspflicht ändert noch nichts am Charakter einer Aufforderung zum freiwilligen Mitwirken. Als unverzichtbares Merkmal eines Verwaltungsaktes in der Form eines Befehls gilt, dass dem Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht wird. Liegt ein ausdrücklicher Befolgungsanspruch nicht vor, so kommt es darauf an, ob bei objektiver Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel des Betroffenen bei Beurteilung des behördlichen Vorgehens in seiner Gesamtheit der Eindruck entstehen musste, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung mit ihrer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen ist (vgl. etwa VwGH 18.10.2017, Ra 2017/02/0041, und VwGH 29.9.2009, 2008/18/0687, jeweils mwN).

15 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass eine Maßnahmenbeschwerde erst gegen eine bereits gesetzte, in der Rechtssphäre des Betroffenen bereits wirksam gewordene Maßnahme erhoben werden kann. Gegen drohende, somit erst allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt zu setzende Maßnahmen verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt kann eine solche Beschwerde nicht erhoben werden. Bloß in Aussicht genommenen und in Zukunft möglichen Maßnahmen ist bei jenen Behörden zu begegnen, von denen die befürchteten Maßnahmen zu setzen wären (vgl. VwGH 27.1.1995, 94/02/0442, zur insoweit vergleichbaren Bestimmung des Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 51/2012).

16 Die im Revisionsfall seitens des Verwaltungsgerichtes beurteilte Maßnahme bestand darin, dass ein Organ der Baubehörde - ausgehend von dessen irriger Annahme, es bestünde ein Bescheid betreffend die Untersagung der Bauführung - dem Mitbeteiligten mitteilte, dass Betonierungsarbeiten verboten seien und ihm für den Fall, dass Betonlieferfahrzeuge zur Baustelle zufahren würden, ankündigte, dass ein allfälliges Betonieren unter Beiziehung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes verhindert werden würde. Diese Ankündigung der allenfalls zwangsweisen Verhinderung von Betonierungsarbeiten bezog sich auf ein erst in der Zukunft allenfalls eintretendes Ereignis, zumal mit den Betonierungsarbeiten erst nach Eintreffen des Betonlieferfahrzeuges hätte begonnen werden können. Es handelte sich somit um die Ankündigung eines Aktes der Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch ein Verwaltungsorgan für den Fall der Vornahme von Betonierungsarbeiten durch den Mitbeteiligten, wofür auch der Umstand spricht, dass der Gemeindepolizist in seinem Auto sitzend offenbar zunächst abgewartet hat, ob tatsächlich betoniert werde und die Ankündigung im Rahmen eines seitens des Mitbeteiligten initiierten Gespräches erging.

17 Die bloße Ankündigung eines Verwaltungsorganes, es würden im Fall einer zu einem späteren Zeitpunkt erfolgenden Vornahme bestimmter Handlungen durch den Betroffenen allenfalls Maßnahmen verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gesetzt werden, stellt selbst keine solche Maßnahme dar.

18 Da somit die vom Verwaltungsgericht beurteilte Maßnahme keinen Akt der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellt, bestand keine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG über die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme zu befinden.

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben, wodurch sich ein Eingehen auf das weitere Revisionsvorbringen erübrigte.

20 Die vor dem Verwaltungsgerichtshof beantragte mündliche Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 2 VwGG entfallen.

21 Ist, wie im vorliegenden Fall, eine Revisionserhebung nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG erfolgt, hat die revisionswerbende Partei gemäß § 47 Abs. 4 VwGG keinen Anspruch auf Aufwandersatz, weshalb ihr darauf gerichteter Antrag abzuweisen war.

Wien, am 29. November 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016060124.L00

Im RIS seit

15.01.2019

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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