TE Vwgh Erkenntnis 2018/12/13 Ra 2018/18/0302

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Veröffentlicht am 13.12.2018
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
ZustG §17;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der J T, vertreten durch Mag. Florian Weixelbaum als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 2018, Zl. I420 2190501-1/3E, betreffend die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist in einer Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige von Gambia, beantragte am 7. Juni 2015 internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid vom 7. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin nach Gambia zulässig sei, und legte die Frist für eine freiwillige Ausreise mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Dieser Bescheid wurde an die Wohnadresse der Revisionswerberin in einem Wohnheim des Arbeiter-Samariter-Bundes Wien in 1160 Wien, Thaliastraße 157, adressiert und - laut Postrückschein - am 12. Juli 2017 beim zuständigen Postamt hinterlegt. Eine Verständigung über die Hinterlegung sei in der Abgabeeinrichtung eingelegt worden.

4 Mit Schreiben vom 19. Februar 2018 beantragte die Revisionswerberin die neuerliche Zustellung des Bescheides und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist (und holte die versäumte Beschwerde nach). Sie brachte - zusammengefasst - vor, im Zeitraum Juni bis September 2017 sei es an der Abgabestelle der Revisionswerberin zu gravierenden Zustellproblemen gekommen. Trotz täglicher sorgfältiger Entleerung des Hausbrieffaches habe die Revisionswerberin während des gesamten Hinterlegungszeitraums keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden und daher auch keine Kenntnis darüber erlangt, dass der verfahrensgegenständliche Bescheid beim Postamt hinterlegt worden sei. Aus diesem Grund habe sie den hinterlegten Bescheid auch nicht beheben können. Die Unkenntnis von der Hinterlegung des Schriftstücks, mit der die Zustellung grundsätzlich bewirkt sei, beruhe nicht auf einem Verschulden der Revisionswerberin und sei geeignet, einen Wiedereinsetzungsantrag zu begründen. Zum Beweis ihres diesbezüglichen Vorbringens legte die Revisionswerberin Schreiben der Hausleitung und der Fachbereichsleitung des Arbeiter-Samariter-Bundes vor und beantragte die Einvernahme zweier Zeuginnen.

5 Mit Bescheid vom 8. März 2018 wies das BFA den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Einvernahme der beantragten Zeuginnen ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die ordnungsgemäße Zustellung des Bescheides vom 7. Juli 2017 sei aus dem im Akt befindlichen Rückschein ersichtlich. Den Angaben der Revisionswerberin, dass sie kein Verschulden an der Säumnis habe, könne kein Glauben geschenkt werden.

6 Die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin, in der die mangelhafte Ermittlung des Sachverhalts im Hinblick auf das Übergehen der angebotenen Beweise geltend gemacht wurde, wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

7 Begründend hielt das BVwG fest, dem BFA sei darin beizupflichten, dass die Revisionswerberin mit ihrer Schilderung, im Zeitraum zwischen Juli und September 2017 habe es in ihrem Wohnhaus Probleme mit der Zustellung gegeben, und den entsprechenden beigefügten Bestätigungsschreiben der Hausleitung und der Fachbereichsleitung ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis nicht fundiert belegt habe. Der dem Schreiben der Fachbereichsleitung inhärente Email-Auszug vom 21. Oktober 2017, mit welchem das Kundenservice der Post über Zustellprobleme informiert worden sei, reiche nicht aus, um tatsächliche Zustellprobleme entsprechend zu belegen, zumal weder ein diesbezügliches Antwortschreiben der Post beigebracht noch die konkrete Betroffenheit der Revisionswerberin nachgewiesen worden sei. Die Angaben der Revisionswerberin, dass die Verständigung der Hinterlegung ("gelber Zettel") ihr nicht zugestellt worden sei und sie daher erst im Jänner 2018 von dem negativen Asylbescheid Kenntnis erlangt habe, gingen sohin ins Leere. Den (weiteren) Beweisanträgen der Revisionswerberin werde keine Folge geleistet, da dies für die Klärung des Sachverhalts nicht erforderlich scheine.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit und in der Sache unter anderem geltend gemacht wird, das BVwG habe sich zu Unrecht über die Beweisanträge der Revisionswerberin hinweggesetzt, mit denen ihr mangelndes Verschulden an der Unkenntnis der erfolgten Zustellung belegt werden sollte. Dieses Vorgehen widerspreche näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

9 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

12 Die Revisionswerberin stützt ihren Wiedereinsetzungsantrag auf ihre Unkenntnis von der Zustellung des sie betreffenden Asylbescheides infolge von "Zustellproblemen" an ihrer Wohnadresse.

13 Zustellungmängel bilden zwar grundsätzlich keinen Wiedereinsetzungsgrund, weil bei mangelhafter Zustellung die (versäumte) Frist nicht zu laufen beginnt (vgl. etwa Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 130 und 131).

14 Soweit aber der Zustellvorgang rechtmäßig erfolgt ist, eine Hinterlegung der Postsendung gemäß § 17 ZustG stattgefunden und der Empfänger dennoch keine Kenntnis vom Zustellvorgang erlangt hat, kann diese Unkenntnis von der ordnungsgemäßen Hinterlegung eines Schriftstückes - sofern sie nicht auf einem Verschulden beruht, welches den minderen Grad des Versehens übersteigt - nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geeignet sein, einen Wiedereinsetzungsgrund zu begründen (vgl. VwGH 3.7.2003, 2003/20/0077, 21.11.2001, 2001/08/0011, 21.9.2001, 97/18/0418, 29.1.2004, 2001/20/0425, u.a.).

15 Die von der Revisionswerberin geltend gemachten "Zustellprobleme" wären vom BVwG im Lichte dieser rechtlichen Leitlinien aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen gewesen. Dabei durfte sich das BVwG über die (relevanten) Beweisanträge der Revisionswerberin zum Nachweis ihres Vorbringens nicht einfach mit der Begründung hinwegsetzen, die Aufnahme der Beweise sei für die Klärung des Sachverhalts nicht erforderlich. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf die "freie Beweiswürdigung" gemäß § 45 Abs. 2 AVG - bezogen auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht: iVm § 17 VwGVG - nämlich erst nach einer vollständigen Beweiserhebung einsetzen; eine vorgreifende Beweiswürdigung, die darin besteht, dass der Wert eines Beweises abstrakt (im Vorhinein) beurteilt wird, ist hingegen unzulässig (vgl. etwa VwGH 18.1.2017, Ra 2016/18/0197, mwN, und 18.10.2017, Ra 2017/19/0375).

16 Da das BVwG diese tragenden Rechtsgrundsätze des Verfahrensrechts missachtet hat, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. Dezember 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180302.L00.1

Im RIS seit

15.01.2019

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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