TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/5 W132 2003712-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.11.2018
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Entscheidungsdatum

05.11.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
VOG §1
VOG §10
VOG §3
VOG §4

Spruch

W132 2003712-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Vorsitzende und den Richter Mag. Christian DÖLLINGER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Michael SVOBODA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , rechtsfreundlich vertreten durch XXXX , Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ersatz des Verdienstentganges gemäß § 1 Abs. 1 und 3, § 3 sowie § 10 Abs. 1 Verbrechensopfergesetz (VOG) (Spruchpunkt I.) und die Abweisung des Antrages auf Heilfürsorge in Form des Ersatzes der verbrechensbedingten gesetz- und satzungsmäßigen Kostenbeteiligungen einschließlich Rezeptgebühren gemäß § 1 Abs. 1 und § 4 Abs. 2 letzter Satz VOG (Spruchpunkt II.), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.11.2017, 09.05.2018 und 08.06.2018, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird betreffend Spruchpunkt I. stattgegeben.

Hilfeleistungen in Form von Ersatz des Verdienstentganges (Pensionsschaden) werden - vorbehaltlich der Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen - ab 01.11.2012 dem Grunde nach bewilligt.

Die Berechnung der Hilfeleistung und die Durchführung obliegen dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen.

II. Die Beschwerde wird betreffend Spruchpunkt II. als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin hat am 31.10.2012 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung nunmehr:

Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) einen Antrag auf Hilfeleistungen nach dem VOG gestellt und angegeben, als Kind vom 24.04.1970 bis 19.06.1971 im Julius Tandler Heim und dann im Schloss Wilhelminenberg, in Wien untergebracht gewesen zu sein. Dort sei sie systematisch und wiederholt körperlich misshandelt und vergewaltigt worden. Sie sei regelmäßig, oftmals mit harten Gegenständen oder nassen verknoteten Handtüchern, von Erziehern geschlagen und gezwungen worden, Erbrochenes zu essen und Wasser aus der WC-Muschel zu trinken. Die Erzieher hätten körperliche Gewalt, unter anderem durch Tritte, harte Ohrfeigen, Schläge mit den Fäusten in den Bauch, Brechen von Armen, Messerstiche, Schläge mit allen verfügbaren Gegenständen und ziehen an den Haaren und Schlagen des Kopfes auf den Tisch und die Wand ausgeübt. Sie sei mehrfach mit roher Gewalt in vollgefüllte Waschecken so lange untergetaucht worden, bis keine Luft mehr in den Lungen gewesen und ihr Gesicht blau angelaufen sei. Sie habe befürchtet sterben zu müssen. Im Schnitt seien alle zwei Wochen sechs bis acht fremde Männer in den Schlafsälen über sie hergefallen, hätten sie unerwartet aus dem Bett gezerrt und brutal missbraucht.

2. Nachstehend angeführte Beweismittel wurden in Vorlage gebracht bzw. von der belangten Behörde eingeholt:

-

Versicherungsdatenauszug der österreicheschen Sozialversicherung

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Unterlagen der Pensionsversicherungsanstalt betreffend Invaliditätspension

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Akt des Jugendamtes

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Schreiben Weisser Ring über Entschädigungsleistungen

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Clearingbericht

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Aktenunterlagen betreffend das Verfahren zur Ausstellung eines Behindertenpasses

2.1. Die belangte Behörde hat am 06.08.2012 einen Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung eingeholt. Diesem ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin von 1989 bis 2008 insgesamt 14 Monate einer Beschäftigung nachgegangen ist, vom 01.02.2008 bis 29.02.2008 einen Pensionsvorschuss bezogen hat und seit 01.02.2008 bis laufend eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bezieht.

2.2. Vom Weisen Ring wurden der belangten Behörde Unterlagen aus dem Entschädigungsverfahren der Stadt Wien übermittelt.

2.3. Der Weisse Ring hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom September 2011 über Entschädigungsleistungen der Stadt Wien in Höhe von 80 Therapiestunden im Wert von € 6.400 sowie Entschädigung in Höhe von € 35.000 informiert.

2.4. Der Clearingbericht dokumentiert, dass die Beschwerdeführerin vom 27.03.1972 bis 13.06.1972 im Julius Tandler Heim, vom 13.06.1972 bis 01.07.1977 im Schloss Wilhelminenberg und vom 01.07.1977 bis 16.08.1978 im Heim Brunn am Gebirge untergebracht war. Die Beschwerdeführerin habe angegeben, dass es in allen drei Heimen zu Gewalt gekommen sei. Sie sei im Alter von fünf Jahren mit einigen Geschwistern nach einem Zusammenbruch der Mutter in die KÜST gekommen. Im Kinderheim Wilhelminenberg seien die Beschwerdeführerin und ihre Geschwister durch die Erzieherinnen immer wieder beschimpft und bedroht worden. Bei Ausflügen hätte sie in Brennesseln Kniebeugen machen und zu einer Erzieherin Mutti sagen müssen. Sie hätte Erbrochenes essen müssen, sei an den Haaren gezerrt, mit dem Kopf gegen die Wand und das Waschbecken geschlagen, mit nassen und verknoteten Handtüchern auf den Rücken geschlagen, mit Holzschlapfen ins Gesicht geschlagen, in den Intimbereich getreten worden und seien ihr Haare ausgerissen worden. Aufgrund der Schläge habe sie Wirbelsäulenprobleme und Schmerzen, wegen des Schlages in Gesicht habe sie eine heute noch sichtbare Narbe im Gesicht. Sie habe lange knien müssen, sei nachts aus dem Bett gezerrt und geschlagen worden, die Behandlungen auf der Krankenstation seien generell brutal gewesen und die pflegerischen Maßnahmen seien schmerzhaft ausgeführt worden. Außerdem hätte sie mitansehen müssen, wie ihre um zwei Jahre jüngere Schwester misshandelt worden sei. Die Mädchen hätten sich abends ausziehen und nackt zum Fenster stellen müssen, die Beschwerdeführerin vermutet, dass sie dabei fotografiert worden sei. Nachts sei sie über drei Jahre durch zwei Erzieher, später durch zahlreiche verschiedene Männer, welche in einem Arbeitsverhältnis zum Heim gestanden hätten, sexuell missbraucht worden. Die Türen zum Schlafsaal der Mädchen seien von den Erzieherinnen aufgesperrt worden. Es falle der Beschwerdeführerin schwer, darüber zu sprechen. Während der Zeit im Heim habe sie immer wieder unter Harnwegsinfekten und Nierenbeckenentzündungen gelitten und als Folge davon seien Zysten entstanden. Als auch eine Erzieherin die Beschwerdeführerin habe sexuell missbrauchen wollen, habe sie sich gewehrt und sei daraufhin zusammengeschlagen worden. Im Alter von zehn oder elf Jahren habe ein Arzt der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass sie keine Jungfrau mehr sei. Weder das Heim noch das Jugendamt habe daraus Konsequenzen gezogen, der nächtliche Missbrauch habe weiter stattgefunden. Die Beschwerdeführerin habe ihrem sozialen Umfeld ihre Heimvergangenheit verschwiegen, lediglich ihrem Exmann und ihren Kindern gegenüber habe sie sich diesbezüglich anvertraut. Sie leide an Angst- und Panikstörung, einer Depression und starken Schwindelanfällen, werde aufgrund eines Hirnaneurysmas mit blutgerinnenden Medikamenten behandelt und leide an einer Medikamentenphobie. Nach dem Heimaufenthalt habe es unter den Kindern ständig extreme Rivalität um die Mutter gegeben, die Beziehung der Geschwister sei für die Beschwerdeführerin aufgrund der Heimerlebnisse zerbrochen. Ihr jüngster Bruder sei drogensüchtig gewesen und habe im Alter von 24 Jahren Selbstmord verübt. Der Tod der Mutter im Jahr 1990 habe der Beschwerdeführerin endgültig den Boden unter den Füßen weggerissen. Sie sei seit 1990 geschieden, da sie keine Berührungen mehr habe zulassen können, lebe jetzt wieder mit einem Mann zusammen, könne aber nach wie vor nicht berührt werden. Ihre beiden Töchter habe die Beschwerdeführerin aus Angst vor sexuellem Missbrauch nie auswärts bei Freundinnen übernachten lassen. Sie habe vier Fehlgeburten erlitten.

3. Mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 14.02.2008 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses vom 27.04.2007 aufgrund des in Höhe von 40 vH festgestellten Grades der Behinderung abgewiesen.

Dieser Entscheidung wurden Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Orthopädie, HNO-Krankheiten und Nervenheilkunde zugrunde gelegt. Als Gesundheitsschädigungen wurden "Morbus Scheuermann, Bandscheibenvorwölbung der HWS (C5/6) und Bandscheibenvorfall der LWS (L 4/5, L5/S1) bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, 30 vH", "Schwerhörigkeit beidseits", 30 vH, "Bewegungseinschränkung beider Schultergelenke", 20 vH, "Cervicodorsolumbalgie", 20 vH, "Zustand nach cerebralem Aneurysma", 10 vH und "Panikattacken", 0 vH mit einem Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 40 vH festgestellt.

4. Mit dem Schreiben vom 10.01.2013 hat die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführerin medizinische Unterlagen in Vorlage gebracht und ausgeführt, dass der Beschwerdeführerin durch die im Heim erlittenen Qualen die Kindheit geraubt worden sei und sie keine Chance auf eine aussichtsreiche Ausbildung sowie keine Möglichkeit einer Berufswahl gehabt habe und es ihr dadurch nicht möglich gewesen sei, eine wirtschaftlich gesicherte Existenz aufzubauen.

5. Am 21.01.2013 hat die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführerin der belangten Behörde eine Kopie des Heimaktes der Beschwerdeführerin übermittelt.

6. Die Pensionsversicherungsanstalt hat der belangten Behörde am 18.01.2013 den do. Akt zur Einsichtnahme übermittelt.

7. Die Beschwerdeführerin hat am 31.01.2013 persönlich bei der belangten Behörde vorgesprochen und angegeben, keine psychotherapeutische Behandlung zu wünschen, weshalb sie den diesbezüglichen Antrag auf Kostenübernahme zurückziehe.

Das Hirnaneurysma habe sie aufgrund von Schlägen, einer Blutvergiftung und traumatischen Erlebnissen in der Heimzeit erlitten. Im Heim habe es eine sogenannte Familiengruppe gegeben, die Beschwerdeführerin hätte zu den dazugehörenden Mitgliedern Mama, Bruder etc. sagen müssen. Beim Arbeits- und Sozialgericht habe sie nie etwas von den Heimerlebnissen erzählt, weil sie es nicht konnte, aus demselben Grund habe sie auch erst spät dahingehende Angaben bei der Pensionsversicherungsanstalt gemacht.

Zum Antrag auf Übernahme von Heilungskosten gab die Beschwerdeführerin an, nicht auf Kur gewesen zu sein.

8. Zur Überprüfung des Antrages wurden von der belangten Behörde Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, und Dr. XXXX , Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 20.06.2013 eingeholt.

Als kausales Leiden, nachvollziehbar und verstehbar überwiegend auf die Verbrechen zurückzuführen, wurde eine anhaltende Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung festgestellt.

Der berufliche Werdegang sei dadurch zwar beeinflusst worden, aber nicht überwiegend. Die Beschwerdeführerin habe eine Ausbildung als Schneiderin absolviert, einige Zeit auch gearbeitet und habe vorwiegend durch die Schwangerschaften und die zahlreichen Fehlgeburten, die aber mit Sicherheit nicht verbrechenskausal gewesen seien, nicht mehr den Anschluss in die Arbeitswelt zurückzukehren geschafft. Auch die körperlichen Leiden wie Bandscheibenvorfälle im Hals- und im Lendenwirbelsäulenbereich hätten dann zur Erwerbsunfähigkeit beigetragen.

Die weiteren festgestellten Gesundheitsschädigungen (Morbus Scheuermann, Bandscheibenvorfall der HWS und LWS bei WS-Degenerationen, Bewegungseinschränkung beider Schultergelenke, Cervicodorsolumbalgie mit Bandscheibenvorfällen sowie cervical als lumbal, Zustand nach cerebralem Aneurysma und Schwerhörigkeit beidseits) wurden als akausal beurteilt.

9. Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung mit Schreiben vom 12.08.2013 gemäß § 45 Abs. 3 AVG das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, binnen zwei Wochen Einsicht in den Akt zu nehmen.

9.1. Die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführer hat am 22.08.2013 Einsicht in den Akt genommen.

9.2. Mit dem Schreiben vom 29.08.2013 wurden ohne Vorlage von Beweismittel Einwendungen erhoben.

10. Zur Überprüfung der Einwendungen wurde ein ergänzendes Sachverständigengutachten von Dr. XXXX mit dem Ergebnis eingeholt, dass die in den Heimen erlittenen Traumata zwar einen wesentlichen Anteil am Leidenszustand der Beschwerdeführerin hätten, es jedoch auch zahlreiche andere Komponenten gebe (zahlreiche Schwangerschaften mit Abortus, Wirbelsäulenleiden, Discopathien, Operation eines cerebralen Aneurysmas, Herzrhythmusstörungen etc.), die die Arbeitsfähigkeit beeinflusst hätten.

11. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag auf Ersatz des Verdienstentganges gemäß § 1 Abs. 1 und 3, § 3 sowie § 10 Abs. 1 VOG (Spruchpunkt I.) und den Antrag auf Heilfürsorge in Form des Ersatzes der verbrechensbedingten gesetz- und satzungsmäßigen Kostenbeteiligungen einschließlich Rezeptgebühren gemäß § 1 Abs. 1 und § 4 Abs. 2 letzter Satz VOG (Spruchpunkt II.) abgewiesen.

Die Angaben der Beschwerdeführerin, das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens und die gesetzlichen Bestimmungen würdigend, wird unter Zitierung der maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen und der eingeholten Sachverständigengutachten im Wesentlichen ausgeführt, dass das festgestellte verbrechenskausale Leiden (anhaltende Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung) den beruflichen Werdegang zwar beeinflusst habe, dies aber nicht zu einem überwiegenden Teil, weshalb der Antrag auf Verdienstentgang abzuweisen sei Da sämtliche körperlichen Gesundheitsschädigungen akausal seien, könne auch das Ansuchen um Heilfürsorge nicht bewilligt werden.

12. Gegen diesen Bescheid hat die rechtsfreundliche Vertretung fristgerecht Beschwerde erhoben. Ohne Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, die belangte Behörde habe nicht über die im Rahmen des Parteiengehörs gestellten Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Durchführung einer mündlichen Gutachtenserörterung abgesprochen und habe die angefochtenen Entscheidung nicht der höchstgerichtlichen Judikatur entsprechend begründet. Das Ergänzungsgutachten Dris. XXXX sei der Beschwerdeführerin auch nicht zur Kenntnis gebracht und sohin das Parteiengehör verletzt worden. Die Tatsachen seien unrichtig, basierend auf einer unzutreffenden Beweiswürdigung, festgestellt worden. Bereits aufgrund der erlittenen psychischen Beeinträchtigung in Form einer Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung habe die Beschwerdeführerin zum einen nicht den Beruf ausüben können, den sie bei Nichterleben der Misshandlungen nachgehen hätte können. Zum anderen wäre sie nicht gezwungen gewesen, Invaliditätspension zu beziehen, sondern hätte bis zum regulären Pensionsantritt im Erwerbsleben bleiben und regelmäßig eine höhere Entlohnung erwirtschaften können. Daher erleide die Beschwerdeführerin heute noch immer einen Verdienstentgang. Hätte die Beschwerdeführerin nicht die gegenständlichen massiven Misshandlungen während ihres Heimaufenthaltes im Schloss Wilhelminenberg durchlebt, hätte dies keine nachhaltigen psychischen und sozialen Beeinträchtigungen bei ihr hinterlassen. Sie wäre folglich in der Lage gewesen, sich in geeigneter Weise in die Gesellschaft zu integrieren, eine aussichtsreiche Ausbildung zu absolvieren und eine höher dotierte Laufbahn einzuschlagen. Die Beschwerdeführerin hätte keinerlei Chance auf eine aussichtsreiche Ausbildung gehabt, was sich dadurch zeige, dass sie in die heiminterne Sonderschule aufgenommen worden sei, wiewohl dazu aufgrund des Intellektes kein Bedarf bestanden habe. Hier sei ihr wiederholt gesagt worden, sie sei "das Letzte" und "nichts wert" sowie "keiner möge jemals ein solches Kind". Dadurch sei der Beschwerdeführerin ein Stempel aufgedrückt worden, welcher sie in ihrem beruflichen Fortkommen stets gehindert habe. Bekämpft würden auch die Feststellungen, dass die körperlichen Gesundheitsschädigungen als akausal bewertet würden. Vielmehr würden sämtliche Gesundheitsschädigenden als Folgeschäden aus den im Heim Wilhelminenberg erlittenen körperlichen Misshandlungen und Vergewaltigungen resultieren. Die Beschwerdeführerin sei von Erzieherinnen regelmäßig körperlich auf das Brutalste misshandelt worden. Die Erzieherinnen hätten rücksichtslos auf sie eingeschlagen. Ohne diese Folgeschäden, wäre der berufliche Werdegang der Beschwerdeführerin jedenfalls anders verlaufen. Sie wäre überdies nicht gezwungen gewesen, Invaliditätspension zu beziehen, sondern hätte bis zum regulären Pensionsantritt im Erwerbsleben bleiben können und regelmäßig eine höhere Entlohnung erwirtschaften können. Sie erleide folglich noch heute einen erheblichen Verdienstentgang.

12.1. Mit dem Schreiben vom 30.05.2014 hat das Bundesverwaltungsgericht der rechtsfreundlichen Vertretung der Beschwerdeführerin das Ergänzungsgutachten Dris. XXXX zur Kenntnis gebracht und darauf hingewiesen, dass die gutachterliche Beurteilung lediglich pauschal bestritten worden sei.

12.2. Die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführerin hat mit dem Schreiben vom 16.06.2014 ergänzend vorgebracht, Dr. XXXX sei im Ergänzungsgutachten nicht auf die körperlichen Folgeschäden eingegangen, sondern habe im Wesentlichen die bisherigen Feststellungen wiederholt und sei eine Einvernahme der Beschwerdeführerin unterblieben. Opfer (sexuellen) Missbrauchs würden häufig ihr ganzes Leben seelisch wie körperlich an den Folgen der erlittenen Übergriffe leiden. Wer im Kindesalter schwer misshandelt oder sexuell missbraucht worden sei, sei als Erwachsener anfälliger für chronische anhaltende Schmerzerkrankungen, Erkrankungen der Herzkranzgefäße, neurologische Störungen, usw. Diese Folgeschäden würden häufig erst viele Jahre nach den erlebten Misshandlungen auftreten. Sämtliche bei der Beschwerdeführerin auftretenden physischen Schäden (Schwangerschaften mit Abortus, Wirbelsäulenleiden, Discopathien, Operation eines cerebralen Aneurysmas, Herzrhythmus Störungen etc.) seien Folgeschäden und würden aus den im Heim Wilhelminenberg erlittenen körperlichen Misshandlungen und Vergewaltigungen resultieren. Die Aborti der Schwangerschaften im Erwachsenenalter seien Folgeschäden der regelmäßigen, brutalen Vergewaltigungen im Kinderheim Wilhelminenberg. Die nachhaltige Schädigung der Wirbelsäule sowie der Bandscheiben (Discopathien) seien Folgeschäden der permanenten körperlichen Attacken bzw. Gewalt. Das im Erwachsenenalter auftretende Aneurysmas sei auf die im Kinderheim erlittene Blutvergiftung einerseits sowie die permanenten körperlichen Attacken der Erzieherin gegen den Kopf der Beschwerdeführerin andererseits zurückzuführen. Die im Erwachsenenalter auftretenden Herzrhythmusstörungen seien Ausfluss der erlebten Gewalt im Kinderheim Wilhelminenberg. Wäre die Beschwerdeführerin als Kind im Kinderheim Wilhelminenberg nicht körperlich sowie sexuell misshandelt worden, hätte diese die dargelegten körperlichen Leiden im Erwachsenenalter nicht erlitten. Die im Kinderheim Wilhelminenberg erlebten körperlichen sowie sexuellen Misshandlungen seien demnach jedenfalls kausal für die festgestellten körperlichen Leiden. Ohne diese wäre der berufliche Werdegang der Beschwerdeführerin anders verlaufen. Maßgebliche Verbrechenskausalität sei somit gegeben. Die Beschwerdeführerin wäre insbesondere nicht gezwungen gewesen, Invaliditätspension zu beziehen, sondern hätte bis zum regulären Pensionsantritt im Erwerbsleben bleiben können und regelmäßig eine höhere Entlohnung erwirtschaften können. Die Beschwerdeführerin erleide folglich noch heute einen erheblichen Verdienstentgang. Die Ausführungen Dris. XXXX seien auch widersprüchlich. Im nervenärztlichen Gutachten vom 20.06.2013 stelle Dr. XXXX völlig richtig eine anhaltende Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung bei der Beschwerdeführerin fest. Diese Art der Persönlichkeitsänderung treffe häufig nach einer andauernden Gefangenschaft mit unmittelbarer Todesgefahr, also einer Situation, welche mit dem während des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Kinderheim Wilhelminenberg Erlebten vergleichbar sei, auf. Die Persönlichkeitsänderung der Beschwerdeführerin äußere sich in unflexiblem und angepasstem Verhalten, misstrauischer Haltung, sozialem Rückzug, Gefühlen der Leere und Haltlosigkeit sowie ständigem Bedrohtsein. Diese Symptome würden von Dr. XXXX im nervenärztlichen Gutachten vom 20.06.2013 auch beschrieben. Der psychische Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin sei durch folgende Faktoren negativ beeinflusst worden: Herauslösen aus dem Elternhaus in der Kindheit (Diagnose Z61.1. der internationalen Klassifikation psychischer Störungen); sexueller Missbrauch in der Kindheit durch eine Person außerhalb der engeren Familien (Diagnose Z61.5. der internationalen Klassifikation psychischer Störungen); körperliche Misshandlung eines Kindes (Diagnose Z61.6. der internationalen Klassifikation psychischer Störungen) sowie Opfer von Verbrechen (Diagnose Z65.4. der internationalen Klassifikation psychischer Störungen). Die dargelegte kausale psychische Erkrankung der Beschwerdeführerin trage dazu bei, dass sie einer Erwerbsfähigkeit dauerhaft nicht nachgehen hätte können. Es bestehe keine Aussicht auf eine Besserung des Leidenszustandes. Es sei von einem Dauerzustand auszugehen. Diese festgestellten verbrechenskausalen Leiden hätten daher den beruflichen Werdegang der Beschwerdeführerin maßgeblich beeinflusst. Aufgrund der erlittene psychischen Beeinträchtigung in Form einer Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung, habe die Beschwerdeführerin nicht den Beruf ausüben können, dem sie bei Nicht-Erleben der Misshandlungen nachgehen hätte können und erleide deshalb heute noch immer einen Verdienstentgang.

13. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurden vom Bundesverwaltungsgericht Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin mit Diplom Arbeitsmedizin, und Dr. XXXX , Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 25.11.2014, mit dem Ergebnis eingeholt, dass aus dem Beschwerdevorbringen keine geänderte Beurteilung resultiere.

14. Im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs hat die belangte Behörde keine Einwendungen erhoben.

14.1. Die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführerin hat zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens im Wesentlichen vorgebracht, die Beschwerdeführerin habe das vorliegende Gutachten der Sachverständigen Dr. XXXX umfassend mit ihrer psychosozialen Prozessbegleitung Dipl. Psych. XXXX vom Verein Tamar in fachlicher Hinsicht erläutert. Dipl. Psych. XXXX habe im Rahmen der psychosozialen Betreuung erkannt, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der physischen, psychischen und sexuellen Misshandlungen durch Autoritäten durchgängig bis heute ein Problem habe, Vertrauen aufzubauen. So sei es der Beschwerdeführerin im Alter von 24 Jahren aufgrund ihrer psychischen Verfassung nicht möglich gewesen, als ihre ältere Tochter drei Jahre alt gewesen sei, diese in den Kindergarten zu bringen. Sie habe zunächst nach ihrer Karenzzeit zwar eine Arbeitsanstellung gehabt, diese aufgrund ihrer psychischen Verfassung allerdings nicht regelmäßig wahrnehmen können, da sie ihre Tochter innerlich immer wieder habe schreien gehört. Sie habe daher ihre Arbeitsstelle nach kurzer Zeit immer wieder verlassen müssen. Schon vor diesem Hintergrund sei ersichtlich, dass aufgrund dieser psychischen Gesundheitsschäden bei der Beschwerdeführerin Arbeitsunfähigkeit vorliege und diese den beruflichen Werdegang der Beschwerdeführerin maßgeblich beeinflusst hätten. Aus dieser Erzählung werde besonders deutlich, dass es der Beschwerdeführerin eben durch ihre psychische verbrechenskausale Verfassung nicht möglich gewesen sei, einer geregelten, länger andauernden Berufstätigkeit nachzugehen. Ohne diese psychischen Gesundheitsschädigungen wäre es der Beschwerdeführerin möglich gewesen, einer kontinuierlichen Beschäftigung als Schneiderin bzw. Verkäuferin nachzugehen und hätte sie keinen Verdienstentgang erlitten bzw. müsste sie insbesondere heute nicht Invaliditätspension beziehen. In diesem Zusammenhang sei festzuhalten, dass die Sachverständige Dr. XXXX auf den Akt der PVA hinsichtlich der Gewährung der Invaliditätspension verweise und in Übereinstimmung damit ausführe, dass die Beschwerdeführerin wegen ihrer psychischen Verfassung ("agitiert depressives Syndrom F.32.9" später auch andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung) invalid sei. Dem diesbezüglichen Aktinhalt sei zu entnehmen, dass die Hauptursache der Minderung der Erwerbsfähigkeit ein chronifiziert agitiert depressives Syndrom und andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung sei. Als invalid gelte ex lege jemand, der infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes in seiner Arbeitsfähigkeit so beeinträchtigt sei, dass er den bisher ausgeübten Beruf nicht mehr ausüben könne. Die Invaliditätspension sei lediglich infolge der psychischen Verfassung der Beschwerdeführerin gewährt worden. Körperliche Beeinträchtigungen seien dabei nicht thematisiert worden. Diese Einschätzung müsse auch für die Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit iS des VOG gelten. Die Ausführungen der neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen zum Verdienstentgang stünden damit in Widerspruch. Welche Faktoren bzw. Einflüsse hätten vor diesem Hintergrund den beruflichen Werdegang der Beschwerdeführerin sohin sonst maßgeblich beeinflusst, wenn nicht eben diese psychischen verbrechenskausalen Schäden? Wenn die neurologisch-psychiatrische Sachverständige in ihrem Gutachten als nachteilig ausführe, dass nie Psychopharmaka eingenommen und keine Psychotherapie oder jemals stationäre Behandlungen in Anspruch genommen worden seien, so sei dem zu entgegnen, dass aus Sicht von Dipl. Psych. XXXX dies ebenso Ausfluss der psychischen Erkrankung sei. Die Beschwerdeführerin habe einerseits den Wunsch nach Hilfe und andererseits kein Vertrauen, dass irgendetwas helfen könne. Die Beschwerdeführerin habe beides versucht. Die neurologisch-psychiatrische Gutachterin führe in ihrer Stellungnahme bzw. Beurteilung aus, dass der Zustand nach Aneurysma der Arteria carotis interna links akausal und eine angeborene Fehlbildung anzunehmen sei. Sie liefere keinerlei Begründung für diese Aussage und führe nicht aus, worauf sich diese Annahme medizinisch stütze. Dadurch sei das vorliegende neurologisch-psychiatrische Gutachten mangelhaft, in seiner Nachvollziehbarkeit beeinträchtigt und der Beweiswert sohin als gering zu erachten. Der Einschätzung, wonach das Aneurysma infolge einer angeborenen Fehlbildung aufgetreten sei, werde entgegnet, die Beschwerdeführerin habe zwei schwere Geburten hinter sich. Wäre das Aneurysma angeboren, wären die betroffenen Gefäße schon bei den Geburten gerissen und wäre dieses nicht erst später aufgetreten. Darüber hinaus würden genetische Faktoren eine große Rolle bei der Bildung von Aneurysmen spielen. Häufig gäbe ist in der Familie eines Patienten weitere Betroffene. Weder Geschwister der Beschwerdeführerin, noch ihre Kinder oder Enkelkinder würden jedoch an dieser Erkrankung leiden. Vor diesem Hintergrund erscheine die - unbegründete und sohin nicht überprüfbare - Einschätzung der Gutachterin als widersinnig. Es sei sohin eher davon auszugehen, dass es sich bei der vorliegenden Erkrankung um ein Aneurysma handle, welches sich erst später, infolge der durch die Erlebnisse im Kinderheim erlittenen Traumata, entwickelt habe. In der Folge lasse das Sachverständigengutachten folgende damit im Zusammenhang stehende Fragen gänzlich offen:

-

Auf welche Begutachtungsergebnisse basiert die Einschätzung, dass eine angeborene Fehlbildung vorliegt?

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Kann ein Aneurysma von früheren traumatischen Erlebnissen herrühren?

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Können immer wiederkehrende, heftige Einwirkungen auf den Kopf ein Aneurysma begünstigen / hervorrufen?

Zum allgemeinmedizinischen Gutachten Dris. XXXX werde festgehalten, dass dieses im Wesentlichen eine Zusammenfassung des nervenärztlichen Gutachtens sowie der bisherigen, im Verfahren über die Invaliditätspension eingeholten Gutachten darstelle. Das Gutachten erschöpfe sich in einer tabellarischen Aufstellung der vorgebrachten Gesundheitsschädigungen und dem Hinweis, dass diese akausal seien. Es liefere keinerlei Begründung für diese Aussage und führe nicht aus, worauf sich diese Annahme medizinisch stütze. Dadurch sei das vorliegende allgemeinmedizinische Gutachten mangelhaft, in seiner Nachvollziehbarkeit beeinträchtigt und der Beweiswert sohin als gering zu erachten. Zudem würden die nachstehend angeführten, für die Beurteilung der Kausalität relevanten, Fragen offenbleiben:

-

Auf welche Begutachtungsergebnisse basiert die Einschätzung, dass die körperlichen Gesundheitsschädigungen nicht auf die Erlebnisse im Kinderheim zurückzuführen sind?

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Besteht aus medizinischer Sicht ein Zusammenhang zwischen der erlebten körperlichen Gewalt und den vorbrachten körperlichen Schädigungen?

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Können aus medizinischer Sicht Folgeschäden von erlebten Misshandlungen erst Jahre später auftreten?

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Welche Wechselwirkung bestehen zwischen den psychischen Gesundheitsschädigungen und den körperlichen Gesundheitsschädigungen?

Festzuhalten sei ferner, die Beurteilung von Beeinträchtigungen des weiblichen Sexual- und Fortpflanzungstraktes - insbesondere die Auswirkung bzw. Folgen der der regelmäßigen, brutalen Vergewaltigungen darauf - falle in den medizinischen Fachbereich der Gynäkologie. Ferner sei trotz mehrfachem Vorbringen in keinem der vorliegenden Gutachten eine Wechselwirkung zwischen den psychischen Gesundheitsschädigungen und den körperlichen Gesundheitsschädigungen thematisiert worden. Wenn die Gutachterin Dr. XXXX die Frage nach der Beeinflussung des beruflichen Werdeganges damit beantworte, dass aus neurologisch-psychiatrischer Sicht ein kontinuierlicher Berufsverlauf möglich gewesen wäre, sei nach Ansicht der Beschwerdeführerin die Reduzierung auf eine rein medizinische Betrachtung nicht ergiebig. Dies zumal die medizinische beurteilte Arbeitsfähigkeitsminderung nicht ohne weiteres mit zivilrechtlichen, sohin auch für die Beurteilung nach dem VOG heranzuziehende, wirtschaftlichen Erwerbseinbußen gleichgesetzt werden könne. Wie bereits mehrfach ausgeführt, habe die Beschwerdeführerin durch das System Wilhelminenberg keine Chance auf eine aussichtsreiche Ausbildung und keine Möglichkeit einer freien Berufswahl gehabt. Zudem habe insbesondere das mangelnde Zutrauen in ihre intellektuellen Fähigkeiten, als "abgestempelt" zu gelten und die mangelnde Förderung durch entsprechende Schuldbildung, eine erfolgreiche berufliche Laufbahn verhindert. Die Beschwerdeführerin sei im Kinderheim Schloss Wilhelminenberg in der heiminternen Sonderschule unterrichtet worden, wiewohl dazu aufgrund des Intellektes kein Bedarf bestand bestanden habe, was im Übrigen die neurologisch-psychiatrische Sachverständige in ihrem Gutachten bestätigte. Infolge der von einer Sonderschule ausgestellten Schulzeugnisse seien der Beschwerdeführerin in ihrem Berufsleben viele Arbeitsstellen verwehrt gewesen. Hätte die Beschwerdeführerin das erlittene Leid und die Zeit im Heim nicht erdulden müssen, hätte sie eine vernünftige Schulausbildung erhalten und zudem die Chance auf eine gute Anstellung gehabt. Als Beweis werden die Einvernahme von Dipl. Psych. Frau XXXX , der Beschwerdeführerin und die Einholung eines gynäkologischen Sachverständigengutachtens beantragt.

14.2. Mit dem Schreiben vom 21.07.2015 hat die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführerin ein E-Mail von Dr. XXXX , Frauenärztin und Psychotherapeutin vorgelegt und dargelegt, dass diese ausführe, dass der ungeschützte vaginale Geschlechtsverkehr für die Beschwerdeführerin durch die mögliche Übertragung von Bakterien und Viren zu einem signifikant höheren Risiko an Harnwegsinfekten, Scheideninfektionen, Eileiterentzündungen bis hin zu schweren Entzündungen im Unterbauch mit nachfolgenden Verwachsungen zu erkranken, führen könne. Dies könne in weiterer Folge zu rezidivierende Infektionen, Neigung zu Frühgeburten und chronischen Unterbauchschmerzen geführt haben. Diese Folgen würden grundsätzlich insbesondere dann zutreffen, wenn der Geschlechtsverkehr vor Eintritt der Geschlechtsreife (Menarche) stattfinde, da in dieser Zeit die Vaginalschleimhaut durch den fehlenden Östrogeneffekt noch empfindlicher für den Eintritt von Keimen sei. Ebenso steige das Risiko für Infekte durch die Zahl wechselnder Sexualpartner. Daraus gehe hervor, die Aborti der Schwangerschaften sowie sämtliche weiteren gynäkologische Gesundheitsschaden seien Folgeschäden der im Kinderheim Wilhelminenberg erlebten Vergewaltigungen und somit auf den Heimaufenthalt zurückzuführen. Ohne diese wäre der berufliche Werdegang der Beschwerdeführerin anders verlaufen. Maßgebliche Verbrechenskausalität sei somit gegeben.

15. Zur Überprüfung der Einwendungen und zur Beurteilung des beruflichen Leistungskalküls hat das Bundesverwaltungsgericht von den bereits befassten Sachverständigen Dr. XXXX und Dr. XXXX ergänzende Sachverständigengutachten, basierend auf der Aktenlage, mit dem Ergebnis eingeholt, dass aus den erhobenen Einwendungen keine geänderte Beurteilung resultiert.

16. Im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs hat die belangte Behörde keine Einwendungen erhoben.

16.1. Die rechtsfreundliche Vertretung hat mit dem Schreiben vom 29.04.2016 ohne Vorlage von Beweismitteln im Wesentlichen eingewendet, Dr. XXXX habe bei der Beurteilung, dass der kausale Zustand der Beschwerdeführerin behandelbar gewesen sei, außer Betracht gelassen, dass sich die Beschwerdeführerin in stationärer psychologischer Behandlung befunden und Psychopharmaka eingenommen habe. Nach Rücksprache mit ihren behandelnden Ärzten habe sie die Medikamente jedoch wieder absetzten müssen, da diese einen negativen Einfluss auf die Blutgerinnung der Beschwerdeführerin genommen hätten. Weiters sei es unrichtig, dass die Familie der Beschwerdeführerin nicht auf Aneurysmen untersucht worden sei. Sowohl die Kinder als auch die Enkelkinder der Beschwerdeführerin seien auf Aneurysmen untersucht worden. Diese lägen weder bei den Kindern noch bei den Enkelkindern der Beschwerdeführerin vor. Allein bei der Beschwerdeführerin sei ein Aneurysma diagnostiziert worden und indiziere dies entgegen der Auffassung Dris. XXXX Verbrechenkausalität. Dr. XXXX stütze sich in seinem allgemeinmedizinischen Ergänzungsgutachten lediglich auf die pauschale Behauptung, wonach etwa 15% aller Schwangeren eine Fehlgeburt erleiden würden. Der Stellungnahme Dris. XXXX komme jedenfalls ein höherer Beweiswert zu, da diese Frauenärztin sei und somit über eine höhere Expertise in diesem Bereich verfüge.

16.2. Mit dem Schreiben vom 25.04.2017 hat die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführerin einen Entlassungsbericht und einen Patientenbrief der Krankenanstalt Rudolfstiftung vom 10.01.2017 vorgelegt.

17. Am 27.11.2017 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführerin und deren rechtsfreundliche Vertretung teilnahmen. Die belangte Behörde hat nicht an der Verhandlung teilgenommen. Eingangs wurde das Ergebnis des bisherigen Ermittlungsverfahrens besprochen. In der Folge wurden die eingeholten Sachverständigengutachten sowie das Beschwerdebild der Beschwerdeführerin und ihre Lebensumstände eingehend erörtert.

Die mündliche Verhandlung wurde vertagt, um der Beschwerdeführerin die Gelegenheit zu geben weitere Beweismittel vorzulegen.

17.1. Die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführerin hat mit dem Schriftsatz vom 22.01.2018 ein ergänzendes Vorbringen erstattet und die nachstehend angeführten Beweismittel vorgelegt. Im Wesentlichen wurde das bisherige Vorbringen wiederholt und bekräftigt. Die Schadenersatzforderungen der Beschwerdeführerin seien lediglich wegen Verjährung abgewiesen worden.

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Urteil LG für ZRS Wien zur XXXX

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Urteil OLG Wien zur XXXX

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Psychologische Untersuchung und Befund Mag. XXXX BA vom 04.03.2015

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Psychiatrisches Gutachten Univ. Ass. Prof. Dr. XXXX vom 28.04.2015

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Kontradiktorische Zeugenvernehmung der Beschwerdeführerin vom 03.12.2013

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Krankengeschichte Wilhelminenspital vom 16.06.1982 und von 1987

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E-Mail Dris. Fech, FÄ f Frauenheilkunde, vom 17.07.2015

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Mitteilung AKH Wien vom 29.09.2009

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Kurzer Entlassungsbericht AKH vom 05.12.2017

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Bestätigung stat. Aufenthalt AKH, Klinische Abteilung für Sozialpsychiatrie von 14.09. bis 20.09.2006 samt Entlassungsbefund

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Schreiben Frau XXXX , klinische Psychologin, Bestätigung über Beratungsgespräche in der Beratungsstelle TAMAR zwischen September 2013 und Dezember 2017

17.2. Am 09.05.2018 wurde die mündliche Verhandlung unter Teilnahme der Beschwerdeführerin, deren rechtsfreundlicher Vertretung, des medizinischen Sachverständigen Dr. XXXX und einer Vertreterin der belangten Behörde fortgesetzt. Eingangs brachte die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführerin vor, dass Dr. XXXX in einem Beschäftigungsverhältnis zur belangten Behörde stehe und laufend für diese tätig werde, weshalb der Anschein der Befangenheit vorliege. Auch sei die Einholung ergänzender Sachverständigengutachten aus den Fachgebieten Gynäkologie, Orthopädie, Neurologie und Psychiatrie sowie Kardiologie erforderlich. Nach Ausführungen der vorsitzenden Richterin zu den rechtlichen Grundlagen und der entsprechenden höchstgerichtlichen Judikatur, dass bei der Beiziehung von Amtssachverständigen nicht automatisch von Befangenheit auszugehen ist sowie dem Hinweis, dass bereits Fachgutachten eingeholt worden sind, nahm der medizinische Sachverständige zum Vorbringen der Beschwerdeführerin sowie den vorgelegten Beweismitteln Stellung und erstattete ein ergänzendes Sachverständigengutachten. Die Auswirkungen der angeschuldigten Vorfälle wurden eingehend erörtert. In der Folge wurde die mündliche Verhandlung zum Zweck der weiteren Erörterung der eingeholten Sachverständigengutachten und der angeschuldigten Vorfälle vertagt.

17.3. Am 08.06.2018 wurde die mündliche Verhandlung unter Teilnahme der Beschwerdeführerin, deren rechtsfreundlicher Vertretung, des medizinischen Sachverständigen Dr. XXXX und einer Vertreterin der belangten Behörde fortgesetzt. Den Verfahrensparteien wurde eine dreiwöchige Frist eingeräumt, um gegebenenfalls eine Stellungnahme zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens abzugeben.

18. Die im Rahmen des Parteiengehörs von der rechtsfreundlichen Vertretung vorgelegten Unterlagen wurden der belangten Behörde im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 08.06.2018 zur Kenntnis gebracht.

18.1. Die Rechtsfreundliche Vertretung hat mit dem Schriftsatz vom 20.06.2018 Einwendungen zu den im Rahmen der mündlichen Verhandlungen erstatteten gutachterlichen Äußerungen betreffend die Kausalität des Aneurysma erhoben.

Dieser Schriftsatz wurde der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht.

18.2. Die belangte Behörde hat kein weiteres Vorbringen erstattet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Allgemeine Voraussetzungen:

Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin, wurde am XXXX geboren und wuchs in einer kinderreichen Familie als neunte von fünfzehn Geschwistern auf.

Die Mutter der Beschwerdeführerin verfügte über keine Ausbildung, sie hat im Alter von 17 Jahren ihr erstes Kind geboren. Der Vater war in Österreich als Teichgräber bzw. Kranfahrer beschäftigt.

Die Beschwerdeführerin war vom 27.03.1972 bis 13.06.1972 im Julius Tandler Heim, vom 13.06.1972 bis 01.07.1977 im Heim Schloss Wilhelminenberg und vom 01.07.1977 bis 16.08.1978 im Heim St. Josef in Brunn am Gebirge untergebracht.

Im Heim Schloss Wilhelminenberg war die Beschwerdeführerin körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt ausgesetzt. Insbesondere wurde sie vom Personal getreten, mit nassen, verknoteten Handtüchern und Holzschlapfen auf den Rücken, ins Gesicht und in den Intimbereich geschlagen, mit dem Kopf gegen eine Wand geschlagen und an den Haaren gerissen. Auch wurde sie mit dem Kopf in vollgefüllte Waschbecken getaucht, wobei die Beschwerdeführerin befürchtete zu ertrinken. Sie wurde immer wieder beschimpft, entwertet und bedroht. Von männlichem Personal wurde die Beschwerdeführerin über einen langen Zeitraum hinweg mehrmals vergewaltigt.

Auch im Heim St. Josef in Brunn am Gebirge wurde die Beschwerdeführerin geschlagen.

Die Stadt Wien hat der Beschwerdeführerin eine Kostenübernahme für 80 Therapiestunden im Wert von € 6.400 und eine Entschädigung in Höhe von € 35.000 zuerkannt.

Der Antrag auf Hilfeleistungen nach dem VOG ist am 31.10.2012 bei der belangten Behörde eingelangt.

1.2. Festgestellte Funktionseinschränkungen:

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Anhaltende Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung

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Zustand nach Aneurysma der Arteria carotis interna links ohne neurologische Resterscheinungen, Embolisation 2002

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Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule

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Cervikodorsolumbalgie

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Degenerative Veränderungen der Kniegelenke

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Funktionseinschränkungen der Schultergelenke sowie der Hüftgelenke

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Zustand nach Blasenentzündungen

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Zustand nach Abortus

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Stress-Harninkontinenz leichten Grades

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Bluthochdruck

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Hörschaden beidseits im Hochtonbereich

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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