TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/14 W182 2208890-1

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Veröffentlicht am 14.11.2018
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Entscheidungsdatum

14.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z4
BFA-VG §20
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W182 2208890-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.09.2018, Zl. IFA-Zahl: 1048221606-140291455/BMI-BFA_WIEN_AST_01, nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, §§ 9, 18 Abs. 1 Z 4 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger der Volksrepublik China, gehört der Volksgruppe der Han an, reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 16.12.2014 im Zuge seiner Einvernahme nach Festnahme am 15.12.2014 wegen illegalen Aufenthalts zwecks Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot und einer Schubhaft den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge seiner Einvernahme am 16.12.2014 wegen illegalen Aufenthalts gab er an, XXXX zu heißen und im Sommer mit einer Reisegruppe nach Österreich gekommen zu sein. Der Reisepass sei ihm in Ungarn abgenommen worden, worauf er mit einem Taxi nach Österreich gelangt sei. Er habe von Peking bis Österreich bezahlt, 40.000.- Yuan. In Österreich habe er bei Landsleuten als Reinigungskraft und Masseur gearbeitet und manchmal auch an der Arbeitsstelle geschlafen. Er sei verheiratet und für niemanden sorgepflichtig, seine Familie lebe in China. Die Namen seiner Eltern gab er mit " XXXX und XXXX " an. Er stamme aus der Provinz XXXX g, seine letzte Adresse habe XXXX gelautet. Er leide an hohem Blutdruck und Herzbeschwerden. In China betreibe er ein Geschäft und sei mit der Situation in seiner Heimat nicht einverstanden. Es gefalle ihm in China nicht und er wolle daher hierbleiben und Geld verdienen. Er wolle einen Asylantrag stellen, um in Österreich arbeiten und Geld verdienen zu können.

Anlässlich seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.12.2014 zum Asylantrag gab der BF zu seinen Fluchtgründen befragt an: "Ich wurde von meiner Frau verlassen. Sie hinterließ mir Schulden, welche sie verursachte. Sie verursachte auch nach der Scheidung Schulden. Die Behörde wollte mich deshalb belangen. Ich konnte das Geld aber nicht aufbringen. Daher beschloss ich meine Heimat zu verlassen." Bei einer Rückkehr ins Herkunftsland befürchte er ins Gefängnis zu kommen, er habe Angst vor den Behörden. Der BF heiße XXXX , habe in China 9 Jahre die Schule absolviert und zuletzt als Fensterputzer gearbeitet. Seine Eltern namens XXXX und XXXX seien bereits verstorben, zu seinem ca. 20-jährigen Sohn habe er keinen Kontakt. Er sei seit etwa 2010 gerichtlich geschieden. Zu seiner Religionszugehörigkeit befragt, gab er an, evangelisch zu sein. Zur Einreise gab er an, am 29.10.2014 schlepperunterstützt von Peking vermutlich nach Paris geflogen und von dort mit einem PKW bis nach Wien gereist zu sein, wo er seither bei verschiedenen Landsleuten gelebt und Fenster geputzt habe. Der Reisepass sei ihm vom Schlepper nach der Kontrolle sogleich wieder abgenommen worden. Die Reise habe ca. zwei Tage gedauert.

Am 22.12.2014 wurde die Bevollmächtigung seines nunmehrigen Vertreters bekanntgegeben.

In der Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 09.02.2016 brachte er zu seinen Fluchtgründen befragt zunächst vor: "Ich habe keine Eltern mehr, sie sind bereits verstorben. Ich habe keine Familie mehr, ich habe keinen Kontakt zu meiner Familie. Die Medikamentenkosten sind sehr hoch. Ich konnte mir keinen Arzt leisten. Ich habe Herzprobleme. Mit dieser Gesundheit weiterhin in China zu leben, würde den Tod für mich bedeuten. Hier gibt es Menschenrechte, man wird gut behandelt und respektiert. Ich musste weg von China, mich in Sicherheit

bringen. So einfach ist das ... wegen meiner Krankheit." Auf die

Frage nach weiteren Fluchtgründen gab er an: "Meine Frau hat einen Kredit genommen, sie hat mein Haus verkauft, dann ist sie untergetaucht. Das hat mich verletzt. Ich konnte sie nicht finden. Ich war auch bei der Polizei. Die hat den Fall aufgenommen. Mir wurde gesagt, dass man nach ihr suchen wird. Dann habe ich nichts mehr gehört und bin ausgereist."

Zum Vorhalt, warum er bei der Erstbefragung angegeben habe, die Behörde habe ihn belangen wollen, brachte er vor, einmal von der Sicherheitsbehörde in der Stadt XXXX nach seiner Frau gefragt worden zu sein. Dies sei sein einziger Behördenkontakt gewesen. Er habe angegeben, bereits geschieden zu sein und darüber nichts sagen zu können. Er habe auch den Verkauf seines Hauses erwähnt, worauf ihm gesagt worden sei, dass man nach ihr suchen würde. Der BF habe zuletzt in der Provinz Schandong, Stadt XXXX im Dorf XXXX gelebt, wo es keine Straßenbezeichnungen bzw. Nummern gebe. Er sei Zeuge Jehovas. Er sei geschieden. Er habe 5 Jahre die Schule besucht. Seine Eltern seien bereits verstorben. Zu seinem ca. 20 Jahre alten Sohn habe er seit etwa 4 oder 5 Jahren keinen Kontakt mehr. Der BF sei nie wegen seiner politischen Gesinnung oder aus religiösen Gründen verfolgt worden. Er habe auch niemals Probleme mit den Behörden, Sicherheitsbehörden oder den Gerichten gehabt. Er habe sich an die Sicherheitspolizei seines Dorfes gewendet, weil seine Frau einen Kredit aufgenommen habe und untergetaucht sei. Den Asylantrag habe er erst zwei Monate nach seiner Einreise im Zuge seiner Anhaltung gestellt, weil er nicht Deutsch spreche und sich nicht ausgekannt habe. Er könne nicht nach China zurückkehren, er habe Herzprobleme und starke Kopfschmerzen und hätte kein Geld für Arztbesuche und Medikamente - er müsse hierbleiben. In China habe er bis zur Scheidung mit seiner Frau und seinem Sohn in einem geerbten Haus gelebt. Danach habe er keine Unterkunft mehr gehabt und dann eine Arbeit als Fischer gefunden, welche er bis kurz vor der Ausreise ca. 5 Jahre lang ausgeübt habe. Zum Vorhalt, wie seine Frau sein Haus habe verkaufen können, brachte er vor, immer für ca. ein halbes oder ganzes Jahr als Fischer auf einem Schiff weggewesen zu sein, währenddessen habe sie jemanden zum Unterschreiben gefunden und das Haus verkauft. Wegen seiner Herzprobleme sei er bewusstlos geworden und man habe ihn nicht mehr haben wollen. Bevor er Fischer geworden sei, habe er Gelegenheitsarbeiten ausgeübt. Er habe nichts Strafbares gemacht, sonst wäre es nicht möglich gewesen, auszureisen. Er kenne sich nicht aus. Er wolle nicht nach China zurück. Ihm gefalle dieses Land. Er wolle hier bleiben und seine Krankheit behandeln lassen. Wegen seiner Herzprobleme nehme er Tabletten (Acemin 10mg).

Zu dem mit Schreiben des Bundesamtes vom 05.09.2016 eingeräumten Parteiengehör zu den Länderberichten und dem übermittelten Fragenkatalog nahm der Vertreter des BF mit Schriftsatz vom 30.09.2016 Stellung, worin er im Wesentlichen ausführte, dass in China eine Reihe von Verschlechterungen zu erblicken seien, insbesondere sei eine Schutzwilligkeit der Behörden nicht vorhanden. Auf Grund der glaubwürdig vorgetragenen Befürchtungen werde um Zuerkennung von Asyl oder subsidiärem Schutz ersucht. Die Rückkehrentscheidung möge auf Grund der bereits erfolgten Integration des BF in Österreich auf Dauer für unzulässig erklärt werden.

Anlässlich seiner Einvernahme beim Bundesamt am 27.09.2018 brachte der BF auf Chinesisch vor, dass dies seine Muttersprache sei. Er sei chinesischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe Han an und bekenne sich zur Bibel. Er gehe einmal pro Woche in die Kirche. Er legte einen Laborbefund vom 07.04.2015, ein EKG und Tabletten (Acemin 10 mg, Wirkstoff: Lisinopril) vor und gab dazu an, täglich 1 Tablette vormittags zu nehmen. Vor seiner Tätigkeit als Fischer habe er als Gärtner gearbeitet. Er sei seit seiner Scheidung krank, er habe hohen Blutdruck und Schmerzen in den Gelenken; seine Hände würden schmerzen. Er sei deswegen im Herkunftsstaat in Behandlung gewesen und habe auch Medikamente vom Dorfvorsteher geschenkt bekommen. Die Blutdruckmedikamente würden etwa 10 RMB pro Packung zu 10 Stück kosten, wovon er täglich eine genommen habe. Zuletzt sei der BF 2015 beim Arzt gewesen. Weitere medizinische Befunde habe er nicht. Er sei ihm Herkunftsstaat nicht wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion verfolgt worden und habe auch künftig keine Probleme zu befürchten. Seit seiner letzten Einvernahme habe sich im Herkunftsstaat nichts geändert, er habe dort kein zu Hause mehr. Zu seinen Fluchtgründen befragt, brachte er vor: "Ich hatte kein zu Hause und keinen Kontakt zu meinem Sohn, mein Haus wurde von meiner Ex-Frau verkauft, deshalb habe ich China verlassen. Das sind all meine Gründe." Er wolle hier in Wien leben, er werde dem Staat keine Umstände machen, er werde kein Geld nehmen. Er werde hier arbeiten, er sei arbeitsfähig, er putze, man gebe ihm dafür Kleidung und Essen. Das mache er zurzeit auch, er arbeite ausschließlich für Landsleute und bekomme für seine Arbeit eine Gegenleistung, auch Brot. Befragt, warum er sich nicht um eine legale Einreise bemüht habe, gab er an, sich von Freunden 50.000 RMB ausgeborgt zu haben, man habe ihm das eingeredet, er habe das schon zurückbezahlt. Er habe keine Probleme bei seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat gehabt. Zu seiner Integration gab er an, in Österreich chinesische Freunde zu haben, welche er beim Putzen kennengelernt habe. Er wohne alleine und mache in seiner Freizeit Gymnastik. Er lebe in keiner Lebensgemeinschaft. Seinen Lebensunterhalt bestreite er durch soziale Unterstützung und die Arbeit für seine Landsleute. Er arbeite nicht schwarz, er bekomme Kleidung, Schuhe und Essen. Er versuche Deutsch zu lernen und werde nächsten Monat einen Kurs besuchen; eine Anmeldebestätigung habe er nicht. Tagsüber putze er, sonst mache er eigentlich nichts Anderes. Er würde gerne massieren lernen, habe aber Schmerzen in den Händen. Er sei arbeitswillig. Er sei in Österreich von niemandem finanziell, wirtschaftlich oder sonst abhängig. Er glaube an Jesus und besuche manchmal die Kirche. Dazu näher befragt, gab er an: "Ich mache nur das Kreuzzeichen. Befragt gebe ich an, dass ich nicht weiß, was die anderen machen, die beten. Ich bekomme dort essen." Er sei ihm Herkunftsstaat nie im Gefängnis gewesen und auch nicht persönlich bedroht worden. Er habe nur sehr mit der Scheidung zu kämpfen gehabt. Im Fall der Rückkehr nach China hätte er kein zu Hause mehr und sonst nichts; es würde ihm dann psychisch wieder schlecht gehen. An einer Rückkehrunterstützung habe er kein Interesse. Das Leben in China sei schwer, die Korruption herrsche überall. Er bestätigte, China auf Grund seiner dortigen finanziellen Situation verlassen zu haben und ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen (finanzielle Unterstützung, kostenfreie medizinische Behandlung) einen Asylantrag eingebracht zu haben. Er verzichtete auf die Einsichtnahme in die aktuellen Länderberichte und gab keine Stellungnahme dazu ab.

1.2. Mit dem nunmehr angefochtenen oben angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat VR China (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach China zulässig sei (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG idgF, die aufschiebende Wirkung aberkannt und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe. Dazu wurde u.a. festgestellt, dass er Staatsangehöriger der VR China sei und der Volksgruppe Han angehöre. Er sei illegal ins Bundesgebiet eingereist. Er leide unter Bluthochdruck und Gliederschmerzen in den Händen, nehme regelmäßig Bluthochdruckmedikamente und sei bereits im Herkunftsland in Behandlung gewesen. Er sei arbeitsfähig. Er verfüge über minimale Deutschkenntnisse. Er habe weder Familienangehörige noch Verwandte in Österreich. Er verfüge über ein sehr begrenztes Privatleben in Österreich und habe keine integrativen Maßnahmen (Kurse, Ausbildungen, Vereinsaktivitäten) gesetzt. Er sei lediglich einige Tage im Dezember 2014 in der Grundversorgung aktiv gewesen, wobei feststehe, dass er seine Grundbedürfnisse in Österreich mittels Schwarzarbeit finanziere. Eine Gefährdungslage im Herkunftsstaat habe der BF nicht glaubhaft machen können, er habe die Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Beweiswürdigend wurde u.a. ausgeführt, dass die Identität des BF mangels vorgelegter Personaldokumente und seine Religionszugehörigkeit aufgrund unterschiedlicher Angaben nicht festgestellt werden habe können. Es werde jedoch aufgrund seiner Angaben von einer christlichen Religion ausgegangen. Seinen Asylantrag habe der BF erst anlässlich einer Anhaltung bei der Polizei eingebracht. Zu seinen Fluchtgründen habe er ausgeführt, dass er in China kein zu Hause und keinen Kontakt mit seinem Sohn hätte und auch, dass er China wegen seiner dortigen finanziellen Situation verlassen habe, wobei wirtschaftliche Gründe eine Anerkennung als Flüchtling nicht rechtfertigen würden. Konkret zu Gründen nach der GFK befragt, habe der BF angegeben, keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein, und sei derartiges auch nicht hervorgekommen. Zur Rückkehr habe er allgemein ausgeführt, dass das Leben in China schwer sei und Korruption herrsche, was ein weiteres Indiz dafür darstelle, dass der BF bei einer Rückkehr konkret nichts zu befürchten habe. Sein Vorbringen vom 16.12.2014, dass er Angst vor den Behörden habe und seine Inhaftierung befürchte, sei wegen seines widersprüchlichen Vorbringens im weiteren Verfahren, dass er keine Probleme mit den Behörden habe, nicht glaubhaft. Daher sei davon auszugehen, dass er keine solche Probleme in China habe. Bedrohungen seiner Person habe er nicht vorgebracht und seien auch nicht ersichtlich. Er habe somit nicht glaubhaft machen können, dass er aus asylrelevanten Gründen aus China ausgereist sei. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF keine asylrelevanten Ausreisegründe vorgebracht habe und es ihm nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat glaubhaft zu machen. Es sei nichts ersichtlich, wonach der BF im Falle seiner Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein könne; auch aus der allgemeinen Situation in China lasse sich eine solche Situation nicht ableiten. Er könne seinen Lebensunterhalt bei seiner Rückkehr durch berufliche Tätigkeiten bestreiten, leide nicht an lebensbedrohenden Erkrankungen, sei ein erwachsener und arbeitsfähiger Mann und verfüge zumindest über grundlegende Schulbildung, weshalb ihm zumutbar sei, seinen Unterhalt anfänglich auch durch Gelegenheitsjobs zu bestreiten. Er habe den Großteil seines Lebens in China verbracht und verfüge dort auch über soziale Anknüpfungspunkte. Ferner bestehe die Möglichkeit einer Rückkehr- und Eingliederungshilfe. Auch aus den Länderberichten seien keine Anhaltspunkte für eine künftige Verfolgungsgefahr des BF oder eine allgemeine Gefahr ersichtlich. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 lägen nicht vor. Gegen seinen weiteren Verbleib in Österreich spreche, dass ein asylrelevanter Einreisegrund nicht bestanden habe, auch aktuell nicht gegeben sei und er seinen Aufenthalt hier durch illegale Erwerbstätigkeit finanziere. Im Übrigen sei keine ausgeprägte Integration gegeben, weshalb eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG zulässig sei. Seine Abschiebung sei mangels Vorliegen von Gründen im Sinne von § 50 FPG ebenfalls zulässig. Da er Verfolgungsgründe nicht vorgebracht habe, sondern ausschließlich wirtschaftliche Gründe angegeben habe, sei die aufschiebende Wirkung abzuerkennen gewesen. Demzufolge bestehe gemäß § 55 Abs. 1a FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht.

Mit Verfahrensanordnung vom 28.09.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

1.3. Gegen den Bescheid wurde seitens des Vertreters des BF binnen offener Frist Beschwerde erhoben, wobei der gegenständliche Bescheid in vollem Umfang angefochten und unrichtige Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wurden. Im Wesentlichen wurde die Rechtsansicht des Bundesamtes, wonach die Fluchtgründe des BF nicht asylrelevant seien, bekämpft, und die Beweiswürdigung im Bescheid als nicht nachvollziehbar bemängelt, da diese fast ausschließlich aus Textbausteinen bestehen und keinen erkennbaren Begründungswert haben würde. Der BF, ein Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, habe sehr ausführliche Erklärungen zu seinen Befürchtungen hinsichtlich einer Rückkehr nach China gemacht und durchaus eine persönliche Verfolgungsgefahr vorgebracht, da er auf Grund der von seiner Ehegattin angehäuften Schulden in Gefahr wäre, von den mafiösen Kreditgebern belangt bzw. von den korrupten Behörden für die Schulden verantwortlich gemacht zu werden. Seine Angaben zu seinen Fluchtgründen würden seinem Bildungsstatus und seiner sozialen Herkunft entsprechen. Aus seinen Aussagen gehe hervor, dass die Behörden ihm gegenüber schutzunwillig oder schutzunfähig gewesen seien, womit sich die Behörde überhaupt nicht auseinandergesetzt habe. Es habe auch kein Versuch stattgefunden, den Sachverhalt herauszuarbeiten bzw. auf die Asylrelevanz des Vorbringens des BF einzugehen. Auch habe das Bundesamt verabsäumt, von privaten Personen bzw. Gruppierungen ausgehende Verfolgungshandlungen bei fehlender Schutzwilligkeit der Behörden in Betracht zu ziehen. Dies treffe auch den BF zu, da die korrupten kommunistischen Parteifunktionäre regelmäßig mit mafiösen Gruppierungen zum gegenseitigen finanziellen Vorteil zusammenarbeiten würden und der BF daher keinen Schutz von den Behörden erwarten könne. Seine Befürchtung, sowohl von den Kreditwucherern ermordet zu werden als auch inhaftiert zu werden, sei daher wohlbegründet. Die Haftbedingungen seien nach den Länderberichten menschenrechtswidrig und die Justiz nicht unabhängig. Ebenso habe der BF ausführlich erklärt, keine innerstaatliche Fluchtalternative in China zu haben und sich nirgendwo verstecken zu können. Zum subsidiären Schutz fänden sich im angefochtenen Bescheid ebenfalls nur rudimentäre Ausführungen. Der behördlichen Ermittlungsverpflichtung sei nicht adäquat Rechnung getragen worden, die Bewertung der Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens sei ebenso falsch wie die Bewertung der Gefährdung des BF im Fall seiner Rückkehr und ob er dort eine zumutbare Existenz führen könne. Ferner sei der BF in der Lage, sich in Österreich bereits auf Deutsch zu verständigen und habe sich ein umfangreiches Netz an sozialen Kontakten aufgebaut. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bewirke, dass ein effektiver Rechtsschutz nicht gegeben wäre. Es sei kein Grund für die Notwendigkeit der Abschiebung des BF vor einer Entscheidung über die vorliegende Beschwerde ersichtlich. Dem Bundesamt sei es zusammengefasst nicht gelungen, die Glaubwürdigkeit des BF oder die Asylrelevanz seines Vorbringens zu widerlegen. Den Erklärungen in der Beweiswürdigung fehle jeglicher erkennbare Begründungswert. Beantragt wurde ua., der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Aufgrund der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Akten des Bundesamtes samt Beschwerdeschrift sowie des Bundesverwaltungsgerichtes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

Der BF ist Staatsangehöriger der Volksrepublik China und gehört der Volksgruppe der Han an. Seine Identität sowie seine Religionszugehörigkeit konnten nicht festgestellt werden. Er stellte nach illegaler Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet erst anlässlich seiner Festnahme am 16.12.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Wann der BF ins Bundesgebiet eingereist ist, kann nicht festgestellt werden.

Der 55-jährige BF ist arbeitsfähig. Er hat eine Grundschulbildung sowie langjährige Berufserfahrung als Gärtner, Fischer und Reinigungskraft. Er verfügt im Herkunftsstaat über familiäre Anknüpfungspunkte. Er leidet an Bluthochdruck und Gelenksschmerzen in den Händen. Er ist arbeitsfähig.

In Österreich halten sich keine Familienangehörigen oder Verwandten des BF auf.

Der unbescholtene BF konnte keine Deutschkenntnisse durch ein Sprachzertifikat nachweisen. Er bezog nur wenige Tage die staatliche Grundversorgung und geht keiner legalen Erwerbstätigkeiten im Bundesgebiet nach.

Der BF begründete seinen Antrag beim Bundesamt ausschließlich mit wirtschaftlichen Motiven infolge einer Ehescheidung sowie seinen Krankheiten. Es liegen keine begründeten Anhaltspunkte dafür vor, dass der BF bei einer Rückkehr hinsichtlich seiner Grundbedürfnisse (Nahrung, Unterkunft) im Herkunftsland einer existenzbedrohenden Notsituation ausgesetzt wäre.

1.2. Zur Situation im Herkunftsland wird von den zutreffenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid ausgegangen. Die Situation im Herkunftsland hat sich seit dem Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung in den gegenständlich relevanten Punkten nicht entscheidungswesentlich verändert, sodass ein neuerlicher Vorhalt im Beschwerdeverfahren unterbleiben konnte.

Zur Situation im Herkunftsland wird von folgenden Feststellungen ausgegangen:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 05.02.2018: Festnahme des regierungskritischen Anwaltes Yu Wensheng, betrifft Abschnitt 10. Allgemeine Menschenrechtslage.

Yu Wensheng, ein regierungskritischer Anwalt, wurde nach Angaben seiner Frau am Morgen des 19.1.2018 festgenommen, als er mit seinem Sohn zur Schule ging (The Guardian 19.1.2018).

Wenige Stunden vor seiner Verhaftung forderte Yu Wensheng von Präsident Xi Jinping in einem offenen Brief Verfassungsreformen (DW 19.1.2018).

International bekannt wurde der prominente Kritiker, als er 2017 gemeinsam mit fünf anderen Anwälten versuchte, die Regierung seines Landes wegen des gesundheitsschädlichen Smogs zu verklagen (DZ 29.1.2018). Als Anwalt hat Yu mehrere andere Menschenrechtsanwälte und Demonstranten aus Hongkong vertreten, die dort für mehr Demokratie auf die Straße gegangen sind und festgenommen worden waren (DW 1.2.2018).

Im Oktober vergangenen Jahres wurde Yu Wensheng vorübergehend inhaftiert, weil er in einem offenen Brief Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping wegen dessen Stärkung des Totalitarismus als für das Amt nicht geeignet bezeichnet hatte (NZZ 1.2.2018).

Der Verbleib von Yu Wensheng war zunächst unklar (DP 19.1.2018); nach Angaben von Amnesty International übernahm die Polizei von Xuzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangsu den Fall. Der Anwalt werde derzeit unter "Hausarrest an einem ausgesuchten Ort festgehalten, ohne dass dieser Ort bekannt wäre, so Amnesty International (DZ 29.1.2018).

Gemäß Amnesty International sei der chinesische Menschenrechtsanwalt der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" beschuldigt worden (DP 19.1.2018). Der Vorwurf der Subversion ist eine schwerwiegende Anklage, die eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren bedeuten kann. Im vergangenen Dezember war etwa der regierungskritische Blogger Wu Gan deswegen zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden (DZ 29.1.2018).

Der kritische Jurist ist das jüngste Opfer der seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Verfolgungswelle gegen Anwälte, Mitarbeitern von Kanzleien, Aktivisten und deren Familienmitgliedern. Mehr als 300 wurden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen seit Juli 2015 inhaftiert, verhört, unter Hausarrest gestellt oder an der Ausreise gehindert. Vier wurden verurteilt, 16 warten noch auf ihren Prozess (DP 19.1.2018). Mindestens eine Person aus der angeführten Gruppe sei verschwunden (BBC 16.1.2018).

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Quellen:

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BBC News (16.1.2018): China rights lawyer Yu Wensheng loses licence, http://www.bbc.com/news/world-asia-china-42702731, Zugriff 22.1.2018

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DP - Die Presse (19.1.2018): Haft für Anwalt: China setzt Verfolgungswelle gegen Kritiker fort, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5356682/Haft-fuer-Anwalt_China-setzt-Verfolgungswelle-gegen-Kritiker-fort, Zugriff 19.1.2018

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DW - Deutsche Welle (1.2.2018): China weist deutsche Kritik an Festnahme von Menschenrechtsanwalt zurück, http://www.dw.com/de/china-weist-deutsche-kritik-an-festnahme-von-menschenrechtsanwalt-zur%C3%BCck/a-42403119, Zugriff 2.2.2018

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DW - Deutsche Welle (19.1.2018): Chinesischer Bürgerrechtsanwalt Yu Wensheng festgenommen,

http://www.dw.com/de/chinesischer-b%C3%BCrgerrechtsanwalt-yu-wensheng-festgenommen/a-42214185, Zugriff 22.1.2018

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DZ - Die Zeit (29.1.2018):China beschuldigt Menschenrechtsanwalt der Subversion,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-01/yu-wensheng-buergerrechtsanwalt-peking-anklage-haftstrafe, 30.1.2018

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NZZ - Neue Züricher Zeitung (1.2.2018): Ein kämpferischer Geist in den Fängen der chinesischen Behörden, https://www.nzz.ch/international/ein-kaempferischer-geist-in-den-faengen-der-chinesischen-behoerden-ld.1352463, Zugriff 1.2.2018

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The Guardian (19.1.2018): Outspoken Chinese human rights lawyer Yu Wensheng held by police

https://www.theguardian.com/world/2018/jan/19/outspoken-chinese-human-rights-lawyer-yu-wensheng-arrested , Zugriff 22.1.2018

2. Politische Lage

Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,374 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2016) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 26.7.2017).

China ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", welcher der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang im Jahr 1997 zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrecht erhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Trotz starker öffentlicher Kritik in Hongkong hält die chinesische Regierung bezüglich einer möglichen Wahlrechtsreform für eine allgemeine Wahl des Hongkonger Regierungschefs (Chief Executive) an den Vorgaben fest, die der Ständige Ausschuss des Pekinger Nationalen Volkskongresses 2014 zur Vorabauswahl von Kandidaten gemacht hat. Dies hat in Hongkong zur Blockade der vorgesehenen Reform geführt und zu einem Erstarken von Bestrebungen nach größerer Autonomie, vereinzelt sogar zu Rufen nach Unabhängigkeit, auf die Peking scharf reagiert. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2017a).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2017a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 3.3.2017). Die KP ist der entscheidende Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder, davon 205 mit Stimmrecht), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2017a; vgl. USDOS 3.3.2017).

An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident (seit März 2013 Li Keqiang) leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem "inneren Kabinett" aus vier stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2017a).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht. NVK-Vorsitzender ist seit März 2013 Zhang Dejiang (AA 4.2017a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 1.2017a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2017a).

Beim 18. Kongress der KP China im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Bei diesem Parteitag wurden die Weichen für einen Generationswechsel gestellt und für die nächsten fünf Jahre ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt (AA 4.2017a). Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KP und zum Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gekürt. Seit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2017a; vgl. FH 1.2017a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 3.3.2017). Die neue Staatsführung soll - wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt - mit der Möglichkeit einer Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode bis 2022 (und möglicherweise auch darüber hinaus) an der Macht bleiben (HRW 12.1.2017). Vorrangige Ziele der Regierung sind eine weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KP. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich. Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2017a).

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Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017

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AI - Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Annual Report 2013 - China,

http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html, Zugriff 2.8.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (26.7.2017): The World Factbook

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China,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html, Zugriff 2.8.2017

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FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/339947/483077_de.html, Zugriff 2.8.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/334766/476520_de.html, Zugriff 28.8.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 2.8.2017

3. Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Land und fehlende Rechtsmittel. Auch stellen die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen Gründe für Proteste dar. Nachdem die Anzahl sogenannter. "Massenzwischenfälle" über Jahre hinweg rasch zunahm, werden hierzu seit 2008 (mehr als 200.000 Proteste) keine Statistiken mehr veröffentlicht. Zwei Aktivisten, die seit 2013 durch eigene, über Twitter veröffentlichte Statistiken diese Lücke zu schließen versuchten, wurden im Juni 2016 verhaftet. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 15.12.2016)

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Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 31.8.2017

4. Sicherheitsbehörden

Sicherheitsbehörden sind das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, und die Bewaffnete Volkspolizei (BVP) der Volksbefreiungsarmee. Das Ministerium für Staatssicherheit soll vor Staatsfeinden, Spionen und konterrevolutionären Aktivitäten zur Sabotage oder dem Sturz des chinesischen sozialistischen Systems schützen. In die Zuständigkeit dieses Ministeriums fallen auch der Inlands- und Auslandsgeheimdienst. Die BVP ist in 45 Divisionen unterteilt, bestehend aus Innensicherheitspolizei, Grenzüberwachung, Regierungs- und Botschaftsbewachung, sowie Funk- und Kommunikationsspezialisten. Ein wesentlicher Anteil der in den letzten Jahren vorgenommenen Truppenreduktionen in der Volksbefreiungsarmee war in Wahrheit eine Umschichtung von den Linientruppen zur BVP. Darüber hinaus beschäftigen zahlreiche lokale Kader u.a. entlassene Militärangehörige in paramilitärischen Schlägertrupps. Diese Banden gehen häufig bei Zwangsaussiedlung im Zuge von Immobilienspekulation durchaus auch im Zusammenspiel mit der BVP gegen Zivilisten vor. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit beaufsichtigt alle innerstaatlichen Aktivitäten der zivilen Sicherheitsbehörden (außer derjenigen, die in die Zuständigkeit des Staatssicherheitsministeriums fallen), sowie die BVP. Konkret umfassen seine Aufgaben innere Sicherheit, Wirtschaft und Kommunikationssicherheit, neben der Zuständigkeit für Polizeieinsätze und Gefängnisverwaltung. Die Organisationseinheit auf niedrigster Ebene sind die lokalen Polizeikommissariate, die für den alltäglichen Umgang mit der Bevölkerung verantwortlich sind und die Aufgaben von Polizeistationen erfüllen. Darüber hinaus besteht ein enges Netz an lokalen Partei-Büros welche mittels freiwilliger "Blockwarte" die Bewegungen der Bewohner einzelner Viertel überwachen und mit der Polizei zusammenarbeiten (ÖB 11.2016).

Die Behörde für Staatssicherheit kann seit Mitte April 2017 Beträge zwischen 10.000 und 500.000 Yuan (etwa 68.000 Euro) für nützliche Hinweise an Informanten auszahlen, welche durch ihre Mitarbeit bei der Enttarnung von ausländischen Spionen helfen. Informationen können über eine speziell eingerichtete Hotline, Briefe oder bei einem persönlichen Besuch bei der Behörde gegeben werden. So sich die Hinweise als zweckdienlichen herausstellen, soll der Informant das Geld erhalten (FAZ 11.4.2017).

Zivile Behörden behalten die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte bei (USDOS 3.3.2017). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes (AA 15.12.2016). Nach dem Gesetz zur Landesverteidigung von 1997 sind die Streitkräfte nicht dem Staatsrat, sondern der Partei unterstellt (AA 4.2017a).

Für die innere Sicherheit sind zuständig sind (1) Polizei und Staatsanwaltschaften, die Rechtsverstöße des Normalbürgers verfolgen; (2) Disziplinar-Kontrollkommission der KPCh, die gegen Verstöße von KP-Mitgliedern einschreitet; (3) Einheiten des Ministeriums für Verwaltungskontrolle, die für Pflichtverletzungen im Amt zuständig sind; (4) Staatsschutz (Guobao) für die Beobachtung und Verfolgung politischer bzw. als potentiell staatsgefährdend wahrgenommener Aktivitäten von Bürgern und Ausländern (AA 15.12.2016).

Für den Bereich der Gefahrenabwehr ist primär das dem Staatsrat unterstehende Ministerium für Öffentliche Sicherheit mit seinen Polizeikräften verantwortlich, das daneben auch noch für Strafverfolgung zuständig ist und in Teilbereichen mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitet. Aufgaben der Polizei sind sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung, bei der ihr u. a. die Anordnung von Administrativhaft als Zwangsmaßnahme zur Verfügung steht. Im Bereich der Strafverfolgung ist sie für die Durchführung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren originär zuständig. Bei Delikten, die von Polizisten aufgrund ihrer Amtsstellung begangen werden, ermittelt die Staatsanwaltschaft selbst, während sie sonst primär die Tätigkeit der polizeilichen Ermittlungsorgane beaufsichtigt und auf Grundlage deren Empfehlung über die Erhebung der Anklage entscheidet (AA 15.12.2016).

Das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) ist u.a. zuständig für die Auslandsaufklärung sowie für die Überwachung von Auslandschinesen und von Organisationen oder Gruppierungen, welche die Sicherheit der VR China beeinträchtigen könnten. Es überwacht die Opposition im eigenen Land, betreibt aber auch Spionageabwehr und beobachtet hierbei vielfach auch die Kontakte zwischen ausländischen Journalisten und chinesischen Bürgern. Darüber hinaus verfügen auch die Streitkräfte über einen eigenen, sorgfältig durchstrukturierten Nachrichtendienst, die 2. Hauptverwaltung im Generalstab. Zudem sind viele Arbeitseinheiten parallel mit der Beschaffung von Informationen bzw. mit Überwachungsaufgaben von in- und ausländischen Bürgern befasst. Vor allem das Internationale Verbindungsbüro unter der politischen 1. Hauptverwaltung des Generalstabs ist zuständig für Informationen aus dem Ausland, für die Entsendung von Agenten in Auslandseinsätze, meist unter diplomatischer "Tarnung", und für die Überwachung des eigenen diplomatischen Personals. Zahlreiche "Think tanks" sind für die Beschaffung von Auslandsinformationen zuständig (AA 15.12.2016).

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Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html%20-%20doc334570bodyText5, Zugriff 9.8.2017

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (11.4.2017): Peking belohnt Bürger für Enttarnung ausländischer Spione, http://www.faz.net/aktuell/politik/china-bezahlt-buerger-fuer-enttarnung-auslaendischer-spione-14967307.html, Zugriff 14.9.2017

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ÖB Peking (11.2016): Asylländerbericht Volksrepublik China

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 17.8.2017

5. Korruption

Korruption ist auf allen Ebenen weit verbreitet. Die Beamtenschaft der öffentlichen Sicherheit und der städtischen Verwaltung sind an Erpressungen, außergerichtlichen Inhaftierungen, und Übergriffen beteiligt. In vielen Fällen auch in stark von der Regierung regulierten Bereichen wie Landnutzung, Immobilien, Bergbau und Entwicklung der Infrastruktur - die anfällig für Betrug, Bestechung und Schmiergeld sind. Trotz der Bemühungen der Regierung die Korruption zu bekämpfen, bleibt diese bestehen. Die Strafverfolgung ist sehr selektiv und undurchsichtig, sodass persönliche Netzwerke und interne Machtkämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei (KP) die Ausgänge der Verfahren beeinflussen (USDOS 3.3.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Seit der Übernahme der Führung der KP im Jahre 2012, verfolgte Xi Jinping eine der umfangreichsten Kampagnen zur Korruptionsbekämpfung. Gegen Parteifunktionäre und Beamte der Partei einschließlich des Sicherheits-Apparates, des Militärs, des Außenministeriums, staatlicher Unternehmen und staatlicher Medien wurden bis Ende 2016 Untersuchungen eingeleitet und Strafen verhängt (FH 1.2017a). Während des gesamten Jahres 2014 setzte der Präsident die mit großem Aufwand betriebene Kampagne zur Korruptionsbekämpfung fort, die sowohl niedere als auch ranghohe Staatsbedienstete ins Visier nahm (AI 22.2.2017).

Im Jahr 2013 langten bei der Zentralen Kommission für Disziplinaruntersuchungen 1,95 Millionen Korruptionsvorwürfe ein,

172.532 Fälle wurden untersucht und 182.038 Disziplinarverfahren verhängt (USDOS 25.6.2015). Diese Zahlen sind im Jahr 2015 auf 2,8 Millionen eingebrachte Korruptionsvorwürfe, 330.000 untersuchte Fälle und 336.000 Disziplinierungsmaßnahmen gestiegen (USDOS 3.3.2017).

Die Regierung ist bestrebt, durch den Abschluss von Rechtshilfe- und Auslieferungsabkommen in Strafsachen die Verfolgung von Tatverdächtigen im Ausland zu erleichtern. Dabei geht es der chinesischen Regierung vor allem darum, ihre Korruptionsbekämpfung im Rahmen der Aktionen "Fuchsjagd" und "Himmelsnetz" auf das Ausland auszuweiten (AA 15.12.2016).

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Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/336465/479116_de.html, Zugriff am 24.8.2017

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FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/china, Zugriff 28.8.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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