TE Lvwg Erkenntnis 2018/11/21 LVwG-AV-1190/001-2018

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Veröffentlicht am 21.11.2018
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Entscheidungsdatum

21.11.2018

Norm

BAO §279

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch den Richter Hofrat Mag. Hubmayr über die Beschwerde der A GmbH, vertreten durch B, Rechtsanwalt in ***, vom 23. Oktober 2018 gegen den Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 9. Oktober 2018, mit welchem eine Berufung gegen einen Abgabenbescheid des Bürgermeisters vom 21. Juni 2018, Aktenzeichen ***, betreffend Kanaleinmündungsabgabe, als unbegründet abgewiesen wurde, zu Recht:

1.   Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

2.   Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§ 279 Bundesabgabenordnung – BAO

§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG

Entscheidungsgründe:

1. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:

Mit Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** vom 21. Juni 2018, Aktenzeichen ***, wurde der A GmbH (in der Folge: Beschwerdeführerin) für den Anschluss der Liegenschaft, *** (***) *** (Grundstück Nr. ***, KG ***) in *** an den öffentlichen Schmutzwasserkanal eine Kanaleinmündungsabgabe im Betrag von € 6.349,80 (zuzüglich USt.) vorgeschrieben.

Mit einem als „Einspruch“ bezeichneten Schreiben vom 19. Juli 2018 brachte die A GmbH dagegen das Rechtsmittel der Berufung ein.

Die beiden Häuser des neu errichteten Zweifamilienhauses seien verkauft worden, in beiden Kaufverträgen sei der Übergang zur Tragung sämtlicher Kosten ab Kaufvertragsdatum an die Käufer vereinbart worden. Beantragt wurde die „anteilsmäßige Verrechnung des Abgabenbescheids an beide Hauseigentümer“.

Die Berufung wurde vom Stadtrat der Stadtgemeinde *** in seiner Sitzung vom 18. September 2018 behandelt.

Im Sitzungsprotokoll des Stadtrates vom 18. September 2018 wurde dazu unter Tagesordnungspunkt 25 b. (Berufungsentscheidung gem. Bundesabgabenordnung ***/*** Folgendes ausgeführt:

„Bgm. C stellt den Antrag, der Stadtrat möge die Berufung von Herrn D, ***, *** vom 23.07.2018, gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 12.07.2018, Zl.: ***, betreffend der Vorschreibung einer Kanaleinmündungsabgabe für die Liegenschaft *** (***) gem. § 263 ABs. 1 iVm § 288 Bundesabgabenordnung (BAO) abweisen. Beschluss: einstimmig angenommen“

Aufgrund dieses Beschlusses wurde der nunmehr angefochtene Bescheid vom 9. Oktober 2018 ausgefertigt, in welchem auch ausdrücklich auf einen Sitzungsbeschluss des Stadtrates der Stadtgemeinde *** Bezug genommen wurde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der A GmbH als unbegründet abgewiesen.

In der umfangreichen Begründung wurde zusammengefasst Folgendes ausgeführt:

Die Fertigstellungsmeldung der A GmbH sei bei der Stadtgemeinde *** am 1. September 2017 eingelangt. Das Eigentumsrecht der Hauskäufer sei mit Grundbuchsbeschlüssen vom 19. August 2016 und 6. September 2017 begründet worden. Die Abgabenschuld für die Kanaleinmündungsabgabe sei mit der Anschlussmöglichkeit im März 2015 entstanden, zu diesem Zeitpunkt sei Herr D Eigentümer gewesen und daher zufolge des Grundsatzes der Zeitbezogenheit von Abgaben auch Abgabenschuldner der Kanaleinmündungsabgabe für die gegenständliche Liegenschaft.

Gegen diesen Bescheid vom 9. Oktober 2018 richtet sich die nunmehrige Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht.

Zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung sei die A GmbH nicht mehr grundbücherliche Eigentümerin der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft gewesen. In der Begründung des angefochtenen Bescheides werde die A GmbH mit D verwechselt, dieser sei zwar Gesellschafter bzw. Geschäftsführer, jedoch nicht Bescheidadressat. Vollkommen ohne Grundlage sei der in der Begründung angeführte Grundsatz der Zeitbezogenheit von Abgaben. Beantragt wurde die Aufhebung des Abgabenbescheides.

Die Beschwerde vom 23. Oktober 2018 und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Landesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 12. November 2018 zur Entscheidung vorgelegt.

2. Anzuwendende Rechtsvorschriften:

Bundesabgabenordnung (BAO):

§ 1. (1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) sowie der auf Grund unmittelbar wirksamer Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu erhebenden öffentlichen Abgaben, in Angelegenheiten der Eingangs- und Ausgangsabgaben jedoch nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind.

§ 2a. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten sinngemäß in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren vor der belangten Abgabenbehörde gelten. In solchen Verfahren ist das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht anzuwenden. …

§ 279. (1) Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

§ 288. (1) Besteht ein zweistufiger Instanzenzug für Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden, so gelten für das Berufungsverfahren die für Bescheidbeschwerden und für den Inhalt der Berufungsentscheidungen die für Beschwerdevorentscheidungen anzuwendenden Bestimmungen sinngemäß. Weiters sind die Beschwerden betreffenden Bestimmungen (insbesondere die §§ 76 Abs. 1 lit. d, 209a, 212 Abs. 4, 212a und 254) sowie § 93 Abs. 3 lit. b und Abs. 4 bis 6 sinngemäß anzuwenden.

3. Würdigung:

3.1. Zu Spruchpunkt 1:

Wie oben unter 1. zum Sitzungsprotokoll des Stadtrates vom 18. September 2018 dargestellt, hat das Landesverwaltungsgericht bei der Prüfung der von der Abgabenbehörde vorgelegten Aktenunterlagen festgestellt, dass in dem Protokoll zu dieser Sitzung (TOP 25 b.), in welcher die Berufung behandelt wurde, kein Beschluss über die Berufung der Beschwerdeführerin (A GmbH) gefasst wurde.

Stattdessen wurde über eine Berufung des Herrn D beschlossen.

Herr D war weder Adressat des erstinstanzlichen Abgabenbescheides, noch hat er dagegen eine Berufung erhoben.

Über die Berufung der A GmbH wurde – entgegen der Bezugnahme in der Ausfertigung des angefochtenen Bescheides – kein Beschluss gefasst.

Auch über die erforderliche Begründung der Entscheidung wurde kein Beschluss gefasst bzw. stimmt die in der Bescheidausfertigung enthaltene Begründung mit dem Beschluss nicht überein.

Aus dem Protokoll ist zwar ersichtlich, dass der Stadtrat beschlossen hat, die Berufung des D abzuweisen. Über die Begründung der Entscheidung sagt das Sitzungsprotokoll nichts aus bzw. kann dem Sitzungsprotokoll die in der Bescheidausfertigung ausgeführte Begründung nicht entnommen werden.

Es wäre jedoch nach Maßgabe des Gesetzes zwingend erforderlich gewesen, dass der Stadtrat seine Entscheidung auch entsprechend begründet und die maßgebliche Begründung in das Sitzungsprotokoll aufgenommen hätte, zumal der angefochtene Berufungsbescheid vom 9. Oktober 2018, dem dieser Beschluss zugrunde liegt, sehr wohl eine Begründung enthält, welche sich im Sitzungsprotokoll jedoch nicht wiederfindet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. VwSlg. 11.366 A/1984, sowie VwGH vom 30. April 1985, Zl. 81/05/0090, sowie VwGH vom 19. März 1991, Zl. 86/05/0139, sowie VwGH vom 27. August 1996, Zl. 95/05/0186, sowie VwGH vom 17. Mai 2004, Zl. 2003/06/0149) hat Gegenstand der Beschlussfassung eines Kollegialorganes, wie es der Stadtrat der Stadtgemeinde *** ist, sowohl der Spruch der Entscheidung als auch die Grundzüge der Begründung zu sein. Entspricht der Spruch und die Begründung eines Bescheides des Kollegialorganes nicht der vorangegangenen Beschlussfassung des Kollegialorganes, dann ist dies eine der Unzuständigkeit gleichkommende Rechtswidrigkeit, weil diesem Bescheid, welcher nach seinem Erscheinungsbild intendiert, dem Kollegialorgan zugerechnet zu werden, kein entsprechender Beschluss dieses Organs zugrunde liegt; ein solcher Bescheid ist in diesem Fall also so zu betrachten, als ob er von einer unzuständigen Behörde erlassen worden wäre (vgl. u.a. VwGH vom 12. Juni 1991, Zl. 90/13/0028, sowie VwGH vom 17. September 1991, Zl. 91/05/0068, sowie VwGH vom 20. Oktober 1992, Zl. 92/04/0188, sowie VwGH vom 8. März 1994, Zl. 93/08/0273, sowie VwGH vom 16. März 1995, Zl. 94/06/0083, sowie VwGH vom 29. Mai 1996, Zl. 93/13/0008).

Da im gegenständlichen Fall weder der Spruch noch die rechtliche Begründung durch einen Beschluss des Stadtrates gedeckt sind, war der angefochtene Bescheid wegen Unzuständigkeit als rechtswidrig aufzuheben (vgl. u.a. VwGH vom 23. November 1976, Zlen. 2086, 2087/76, sowie VwGH vom 15. Februar 1977, Zl. 2266/76, sowie VwGH vom 30. April 1985, Zl. 81/05/0090), wobei Verletzungen von Rechten der Beschwerdeführerin betreffend die Entscheidung durch eine unzuständige Behörde nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. VwGH vom 20. März 1984, Zl. 83/05/0137) selbst dann wahrzunehmen sind, wenn sie nicht geltend gemacht wurden.

Der angefochtene Bescheid erweist sich bereits aus diesem Grund infolge Unzuständigkeit als rechtswidrig. Der Beschwerde war daher Folge zu geben und der angefochtene Bescheid aufzuheben, ohne auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Sache näher einzugehen.

3.2.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 274 Abs.1 BAO unter Entfall der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde von der Beschwerdeführerin nicht beantragt. Auch aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ist ersichtlich, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und steht bereits aufgrund der Aktenlage fest, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

3.3. Unpräjudizielle Anmerkungen:

Anders als in nach dem AVG (bzw. VwGVG) zu führenden Verfahren, bei welchen nach der ständigen Rechtsprechung – vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Anordnungen – auch für die materiell-rechtliche Beurteilung die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich ist, führt im Abgabenverfahren der Grundsatz der Zeitbezogenheit der Abgabenregelungen dazu, dass die Anwendung einer neuen Rechtslage in Fällen, in denen der Abgabentatbestand bereits verwirklicht wurde, ausdrücklich anzuordnen wäre (vgl. VwGH 4.5.1977, 898/75, Slg. 9315 A/1977; 20.5.1988, 86/17/0178 uva). Eine solche Anordnung fehlt in dem NÖ Kanalgesetz 1977.

Zufolge des Grundsatzes der Zeitbezogenheit von Abgaben (VwGH 22.5.1975, 0174/75; 12.11.1981, 3706/80; uva.) sind für die Vorschreibung einer Abgabe die im Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches vorliegenden Verhältnisse maßgebend, das heißt die Sach- und Rechtslage in diesem Zeitpunkt.

Es liegt also einer jener Fälle vor, deren der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4.5.1977, 898/75, Slg 9315 A/1977, gedacht hat, wenn er ausführte, eine "andere Betrachtungsweise" (nämlich eine andere als das Abstellen auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Bescheiderlassung) werde "auch dann Platz zu greifen haben, wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum rechtens war".

Der sogenannte Grundsatz der Zeitbezogenheit von Abgaben stellt eine solche aus der Systematik der Abgabengesetze gewonnene rechtliche Regel dar. Es ist jene Rechtslage maßgebend, unter deren zeitlicher Geltung der Abgabentatbestand verwirklicht wurde.

Zufolge des Grundsatzes der Zeitbezogenheit von Abgaben (vgl. z.B. VwGH 10.8.2010, 2009/17/0264; 16.12.2003, 2000/15/0101; 15.3.2001, 2000/16/0652; 31.7.2002, 98/13/0223, 26.1.1996, 95/17/0484 u.a.) kommt es bei der Vorschreibung der Abgabe auf die Verhältnisse (Sach- und Rechtslage, Einheitssatz) zum Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches an.

3.4. Zu Spruchpunkt 2 – Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Hinblick auf die obigen Ausführungen (siehe 3.1.) liegen jedoch keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

Finanzrecht; Verfahrensrecht; Kollegialorgan; Beschlussdeckung; Unzuständigkeit;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.AV.1190.001.2018

Zuletzt aktualisiert am

03.01.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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