TE Vwgh Erkenntnis 2018/11/29 Ro 2016/06/0024

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Veröffentlicht am 29.11.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
14/01 Verwaltungsorganisation;
40/01 Verwaltungsverfahren;
83 Naturschutz Umweltschutz;

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z9;
B-VG Art11 Abs1 Z7;
UVPG 2000 §2 Abs2;
UVPG 2000 §23a Abs2 Z3;
UVPG 2000 §23a;
UVPG 2000 §23b;
UVPG 2000 §24 Abs5;
UVPG 2000 §3 Abs7;
UVPG 2000 §39 Abs1;
UVPG 2000 Anh1;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ro 2016/06/0025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Dr. Bayjones, Mag.a Merl und Mag. Rehak sowie Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revisionen 1. der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG), vertreten durch die ASFINAG Baumanagement GmbH in Wien, diese vertreten durch die Jarolim Flitsch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Volksgartenstraße 3,

2. OG (zu Ro 2016/06/0024), und 2. des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie, Radetzkystraße 2, 1030 Wien (zu Ro 2016/06/0025), gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. Juni 2016, W102 2125578-1/23E, betreffend eine Angelegenheit des UVP-G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht in beiden Verfahren: Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie; mitbeteiligte Parteien in beiden Verfahren: 1. H, 2. J B, 3. B J, 4. Bürgerinitiative N,

5. Bundesdenkmalamt in 1010 Wien, Hofburg, Säulenstiege), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der erstrevisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Kärntner Naturschutzbeirat stellte mit Schreiben vom 28. Mai 2015 einen Antrag gemäß § 24 Abs. 5 UVP-G 2000 auf Feststellung der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (im Folgenden: UVP-Pflicht) eines Straßenbauprojekts der Revisionswerberin zu Ro 2016/06/0024 ("Sicherheitsausbau der S 37"). Der Antrag war an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie (Revisionswerber zu Ro 2016/06/0025, im Folgenden: BMVIT) gerichtet und es wurde weiters beantragt, den Antrag für den Fall, dass sich der BMVIT hinsichtlich der mit dem Projekt verbundenen Rodungen nicht für zuständig erachte, gegebenenfalls an die Kärntner Landesregierung (im Folgenden: Landesregierung) zur Behandlung nach § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 weiterzuleiten.

2 Mit Schreiben vom 19. Juni 2015 leitete der BMVIT den Antrag auf Bewilligung von Rodungen im Ausmaß von 4,8065 ha gemäß § 6 AVG an die Landesregierung weiter, damit diese in einem gesonderten UVP-Feststellungsverfahren darüber abspreche.

3 In ihrem Antwortschreiben vom 17. Juli 2015 an den BMVIT wies die Landesregierung auf die zentrale Aufgabe der UVP hin, alle mit einem Projekt verbundenen unmittelbaren und mittelbaren Umweltauswirkungen auf fachlicher Grundlage festzustellen und zu bewerten, und ersuchte um Einbeziehung der beantragten und im räumlichen Zusammenhang mit dem gegenständlichen Vorhaben stehenden Rodungen in das beim BMVIT anhängige Verfahren.

4 Der BMVIT erließ in weiterer Folge einen negativen Feststellungsbescheid (vom 23. März 2016), demzufolge für den geplanten Sicherheitsausbau der Straße keine UVP-Pflicht nach dem

3. Abschnitt des UVP-G 2000 bestehe. Der BMVIT ging davon aus, dass der Sicherheitsausbau die Ausnahmen im Sinne des § 23a Abs. 2 Z 3 lit. g, lit. h und lit. i erfülle. Begründend wurde weiters darauf hingewiesen, dass diese Beurteilung ohne Berücksichtigung der mit dem Projekt verbundenen Rodungen erfolgt sei und für die Feststellung, ob die (mit dem Projekt verbundenen) Rodungen die UVP-Pflicht auslösten, die Kärntner Landesregierung nach § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 zuständig sei.

5 Aufgrund der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Beschluss vom 27. Juni 2016 diesen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an den BMVIT zur Erlassung eines neuen Bescheids zurück. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei. Zur Begründung führte das BVwG im Wesentlichen aus, der BMVIT sei auch für die Prüfung des "Rodungstatbestandes" gemäß Anhang 1 Z 46 UVP-G 2000 zuständig. Auch wenn die geplanten Rodungen im Ausmaß von 4,8065 ha den Bagatellschwellenwert von 5 ha nach Z 46 lit b des Anhangs zum UVP-G 2000 nicht erreiche, sei eine Kumulation mit Rodungen im räumlichen Bereich zu prüfen.

6 In der Begründung des angefochtenen Beschlusses folgen nach der Darstellung des Verfahrensganges Ausführungen unter der Überschrift "Feststellungen und Beweiswürdigung", in denen "in Grundzügen" die geplanten Baumaßnahmen ("Errichtung einer baulichen Mitteltrennung, Anpassung des Straßenquerschnitts, Errichtung von Pannenbuchten, RVS-konforme Adaptierung bzw. Verlängerung der Beschleunigungs- und Verzögerungsstreifen der bestehenden Anschlussstellen sowie die Errichtung von Anschlussstellen") wiedergegeben werden. Die "S 37 Klagenfurter Schnellstraße" falle als Bundesstraße in den Anwendungsbereich der Bestimmung des § 23a UVP-G 2000.

7 Nähere Feststellungen zu Tatbeständen, die im Zusammenhang mit § 23a UVP-G 2000 relevant sein könnten, enthält der Beschluss nicht. Es wurde weder festgestellt, ob ein schutzwürdiges Gebiet der Kategorien A, B, C, D oder E des Anhanges 2 berührt wird (was in § 23a Abs. 2 Z 3 UVP-G 2000 als Voraussetzung für die Einzelfallprüfung normiert ist), noch inwieweit Maßnahmen geplant seien, die über die in den vom BMVIT herangezogenen Ausnahmebestimmungen genannten Tatbestände hinausgingen.

8 Das BVwG stellt im angefochtenen Beschluss fest, dass mit dem geplanten Sicherheitsausbau auch "in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehende, zwingend für den Bau der Straße notwendige Rodungen" verbunden seien. Die "von der Projektwerberin dargestellten Rodungen im Ausmaß von 4,8065 ha" erreichten für sich genommen nicht den Bagatellschwellenwert von 5 ha der Z 46 lit b Anhang I zum UVP-G 2000. Welches genaue Ausmaß aber die Rodungen im räumlichen Nahebereich zum Vorhaben hätten und ob das gegenständliche Vorhaben mit anderen Rodungen zusammenzurechnen sei "und in der Folge den Bagatellschwellenwert" überschreite, könne nicht festgestellt werden.

9 Die Zulässigkeit der Revision begründete das BVwG mit dem Fehlen von Rechtsprechung zur Frage, ob im Feststellungsverfahren nach § 24 Abs. 5 UVP-G 2000 vom BMVIT die gesamthaften Umweltauswirkungen des Vorhabens zu prüfen seien, oder ob über ein und dasselbe Bundesstraßenvorhaben zusätzlich zum UVP-Feststellungsverfahren des BMVIT gemäß § 24 Abs. 5 UVP-G 2000 eine zweite Behörde ein zweites UVP-Feststellungsverfahren nach § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 durchzuführen habe.

10 Gegen diesen Beschluss richten sich die vorliegenden Revisionen der Projektwerberin und des BMVIT jeweils mit dem Antrag, in der Sache selbst zu erkennen und die Beschwerde der mitbeteiligten Parteien ab- bzw. zurückzuweisen, in eventu den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revisionen wegen des sachlichen und rechtlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und hat hierüber erwogen:

12 In beiden Revisionen werden zusätzlich zu der oben wiedergegebenen Begründung für die Zulassung der ordentlichen Revision durch das BVwG ergänzende Gründe für die Zulässigkeit der Revision angeführt. Es sei insbesondere zu klären, ob "bei Erfüllung eines Ausnahmetatbestandes nach § 23a Abs. 2 Z 3 lit a bis i UVP-G 2000 überhaupt eine inhaltliche Prüfung auf das Vorliegen wesentlicher Umweltauswirkungen durchzuführen" sei bzw. ob zu prüfen sei, "ob das Vorhaben allenfalls im Lichte anderer Tatbestände UVP-pflichtig" sei bzw. "ob gesamthafte Umweltauswirkungen vorliegen".

13 Die Revisionen sind im Hinblick auf die damit aufgezeigte Frage der Auslegung der Zuständigkeitsbestimmungen des § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 iVm § 39 Abs. 1 UVP-G 2000 und Anhang 1 Z 46 UVP-G 2000 einerseits und § 24 Abs. 5 UVP-G 2000 andererseits im Falle eines Straßenbauprojekts, welches unter einen Ausnahmetatbestand des § 23 Abs. 2 Z 3 lit a bis i UVP-G 2000 fällt und mit Rodungen verbunden ist, zulässig.

14 § 2 UVP-G lautet (auszugsweise):

"Begriffsbestimmungen

§ 2. ...

(2) Vorhaben ist die Errichtung einer Anlage oder ein sonstiger Eingriff in Natur und Landschaft unter Einschluss sämtlicher damit in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehender Maßnahmen. Ein Vorhaben kann eine oder mehrere Anlagen oder Eingriffe umfassen, wenn diese in einem räumlichen oder sachlichen Zusammenhang stehen.

..."

§ 23a UVP-G 2000 lautet (auszugsweise):

"Anwendungsbereich für Bundesstraßen

§ 23a. ...

(2) Für folgende Vorhaben von Bundesstraßen ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung (§ 1) im vereinfachten Verfahren nach diesem Abschnitt durchzuführen:

1. Neubau zusätzlicher Anschlussstellen, wenn auf allen

Rampen insgesamt eine durchschnittliche tägliche Verkehrsbelastung (DTV) von mindestens 8 000 KFZ in einem Prognosezeitraum von fünf Jahren zu erwarten ist;

2. Vorhaben des Abs. 1 Z 2 oder 3 unter 10 km Länge, wenn gemeinsam mit daran unmittelbar anschließenden, noch nicht oder in den letzten 10 Jahren dem Verkehr freigegebenen Teilstücken eine durchgehende Länge von mindestens 10 km erreicht wird;

3.        Ausbaumaßnahmen sonstiger Art an Bundesstraßen, wenn ein

schutzwürdiges Gebiet der Kategorien A, B, C, D oder E des

Anhanges 2 berührt wird und im Einzelfall zu erwarten ist, dass

unter Berücksichtigung des Ausmaßes und der Nachhaltigkeit der

Umweltauswirkungen der schützenswerte Lebensraum (Kategorie B des

Anhanges 2) oder der Schutzzweck, für den das schutzwürdige Gebiet

(Kategorien A, C, D und E des Anhanges 2) festgelegt wurde,

wesentlich beeinträchtigt wird; ausgenommen sind

a)        der Neubau von Anschlussstellen, die ein schutzwürdiges

Gebiet der Kategorie E berühren,

b)        die Berührung von schutzwürdigen Gebieten ausschließlich

durch Schutzbauten zur Beseitigung von Gefahrenbereichen oder

durch auf Grund von Katastrophenfällen oder durch Brückenneubauten

bedingte Umlegungen von bestehenden Trassen,

c)        die Errichtung zusätzlicher Parkplätze mit weniger als

750 Stellplätzen,

d)        die Errichtung zusätzlicher Betriebe gemäß § 27 des

Bundesstraßengesetzes 1971 mit einer Flächeninanspruchnahme von

weniger als 5 ha,

e)        die Zulegung von Kriechspuren und Rampenverlegungen,

f)        die Errichtung von zusätzlichen Einzelrampen bei

bestehenden Knoten oder Anschlussstellen,

g)        Änderungen der Straßenachse oder der Nivelette um

weniger als 5 m,

h)        Anlagen für den Straßenbetrieb und Umweltschutzmaßnahmen

und

i)        sonstige bauliche Maßnahmen an bestehenden

Bundesstraßen, durch die im Vergleich zum Bestand die Verkehrsrelationen nicht erweitert werden.

Bei der Entscheidung im Einzelfall ist § 24 Abs. 5 anzuwenden."

15 § 24 UVP-G 2000 lautet (auszugsweise):

"Verfahren, Behörde

§ 24. ...

(2) Der Bundesminister/die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie ist auch zuständige Behörde für das Feststellungsverfahren gemäß Abs. 5. Für den Vollzug der Strafbestimmungen ist die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig.

...

(5) Die Behörde nach Abs. 2 hat auf Antrag des Projektwerbers/der Projektwerberin, einer mitwirkenden Behörde, des Umweltanwaltes oder einer Standortgemeinde festzustellen, ob für ein Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach diesem Bundesgesetz durchzuführen ist und welcher Tatbestand der §§ 23a oder 23b durch das Vorhaben verwirklicht wird. Diese Feststellung kann auch von Amts wegen erfolgen. Der Projektwerber/die Projektwerberin hat der Behörde Unterlagen vorzulegen, die zur Identifikation des Vorhabens und zur Abschätzung seiner Auswirkungen gemäß § 23a Abs. 2 oder § 23b Abs. 2 ausreichen. Die Entscheidung ist innerhalb von acht Wochen mit Bescheid zu treffen. Die Antragsberechtigten haben Parteistellung und das Recht, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, die Standortgemeinde auch Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Vor der Entscheidung ist das wasserwirtschaftliche Planungsorgan zu hören. Die Entscheidung ist von der Behörde in geeigneter Form kundzumachen und der Bescheid jedenfalls zur öffentlichen Einsichtnahme aufzulegen und auf der Internetseite der UVP-Behörde, auf der Kundmachungen gemäß § 9 Abs. 4 erfolgen, zu veröffentlichen; der Bescheid ist als Download für sechs Wochen bereitzustellen. Der Umweltanwalt und die mitwirkenden Behörden sind von der Verpflichtung zum Ersatz von Barauslagen befreit.

..."

16 § 28 VwGVG lautet (auszugsweise):

"Erkenntnisse und Beschlüsse

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.

der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.

die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das

Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

..."

17 Festzuhalten ist zunächst, dass sich die Revisionen nicht nur gegen die die Aufhebung tragenden Gründe, die Bindungswirkung für das weitere Verfahren entfalten würden, wenden, sondern auch die Zulässigkeit der Aufhebung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestreiten.

18 In diesem Zusammenhang ist vorauszuschicken, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, weil die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen habe, die vom Verwaltungsgericht als Grund für die Aufhebung und Zurückverweisung ins Treffen geführte Frage für die Entscheidung des Falles präjudiziell sein muss.

19 Darüber hinaus müssen aber, auch wenn diese Präjudizialität gegeben ist, die in der Rechtsprechung als Voraussetzung für eine solche Aufhebung herausgearbeiteten Kriterien erfüllt sein (vgl. die mit VwGH 26. 6. 2014, Ro 2014/03/0063, beginnende ständige Rechtsprechung).

20 Im Revisionsfall folgt aus den vorstehenden Ausführungen, dass einerseits zu prüfen ist, ob die vom BVwG für die Aufhebung und Zurückverweisung herangezogene Rechtsfrage, die weitere Sachverhaltserhebungen und eine weitere Begründung erforderlich machte, tatsächlich streitentscheidend ist, und andererseits zu prüfen ist, ob dann, wenn diese Frage bejaht werden kann, die Voraussetzungen für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgelegen sind. Konkret wäre zu prüfen, inwieweit die Feststellung, ob es im räumlichen Nahebereich auch weitere (geplante) Rodungen gäbe und welche Auswirkung dies auf die UVP-Pflicht des gegenständlichen Straßenprojekts hätte, Erhebungen erfordert, die die Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen können.

21 Zu der ersten Frage hat der zweitrevisionswerbende BMVIT in seinem Bescheid, der mit dem angefochtenen Beschluss aufgehoben wurde, die Auffassung vertreten, dass sich seine Zuständigkeit nicht auf die Beurteilung auch der mit dem Projekt verbundenen Rodungen erstrecke, weil dies "mit den verfassungsrechtlichen Kompetenzbestimmungen nicht vereinbar" sei.

22 Das BVwG hat dieser Argumentation im angefochtenen Beschluss entgegen gehalten, dass der Vorhabensbegriff des § 2 Abs. 2 UVP-G 2000 auch sämtliche "damit (i.e. die Errichtung einer Anlage oder der sonstige Eingriff in Natur und Landschaft) in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang" stehenden Maßnahmen umfasse. Der Vorhabensbegriff sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs weit. Das gegenständliche Straßenprojekt umfasse demnach auch alle weiteren Maßnahmen, die mit dem Bundesstraßenprojekt in einem räumlichen oder sachlichen Zusammenhang stehen (Hinweis auf Schmelz/Schwarzer, UVP-G2, § 23a Rz 37).

23 Dem verfassungsrechtlichen Einwand des BMVIT wurde im angefochtenen Beschluss entgegen gehalten, dass zwar Art. 11 Abs. 1 Z 7 B-VG der Auslegung, dass der Bundesminister das gesamte Vorhaben im Rahmen seiner Zuständigkeit nach § 24 Abs. 5 UVP-G 2000 zu beurteilen habe, entgegen stehen könnte, weil auch der Teil des Vorhabens, der einen Tatbestand des Anhanges 1 erfülle und gemäß § 39 Abs. 1 UVP-G 2000 von der Landesregierung zu genehmigen sei, "den weiten Vorhabensbegriff für sich beanspruchen" könnte. "(D)iese scheinbare verfassungsrechtliche Konkurrenz" könne aber dadurch aufgelöst werden, dass Vorhaben, deren überwiegender Zweck in der Errichtung einer Bundesstraße liege, in die Bundeskompetenz fielen, andere Vorhaben, deren Hauptzweck in der Errichtung eines Vorhabens liege, das einen Tatbestand des Anhanges 1 erfüllte, hingegen in die Landeskompetenz.

24 Zu diesen Überlegungen ist festzuhalten, dass es zutrifft, dass die unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenzen bezüglich Eisenbahn-Hochleistungsstrecken und Bundesstraßen einerseits und andere Vorhaben, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, andererseits bei der Festlegung der Zuständigkeiten durch den einfachen Gesetzgeber und ihrer Auslegung zu beachten sind. Es sind aber auch im Lichte dieser Überlegung beim Verwaltungsgerichtshof keine Bedenken gegen die Auslegung des BVwG entstanden, zumal auch der Verfassungsgerichtshof die Einbeziehung der mit dem Projekt in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Maßnahmen nicht beanstandet hat (vgl. VfGH 14.12.2006, V 14/06, Slg. 18046/2006, Punkt 3.; vgl. auch Köhler/Schwarzer, Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (1997), Art. 10 Abs. 1 Z 9 B-VG, Rn 4, wo darauf hingewiesen wird, dass "jedenfalls eine umfassende Prüfung der Vorhaben im Hinblick auf ihre Umweltauswirkungen erfasst" sei und ausdrücklich hinzugefügt wird: "ungeachtet des Umstandes, ob die jeweiligen Aspekte auch bisher schon im Kompetenztatbestand enthalten waren").

25 Daraus folgt, dass keine Notwendigkeit besteht, den Vorhabensbegriff im Zusammenhang mit Projekten, die unter § 23a oder § 23b UVP-G 2000 fallen, anders zu verstehen als sonst im UVP-G 2000 (§ 2 Abs. 2 UVP-G 2000).

26 Für den Revisionsfall ergibt sich daher, dass dem BVwG grundsätzlich dahingehend zu folgen ist, dass auch bei Vorhaben im Zusammenhang mit der Errichtung oder Umgestaltung von Bundesstraßen das jeweilige Gesamtprojekt Gegenstand der Beurteilung im Lichte des UVP-G 2000 zu sein hat (vgl. auch Schmelz/Schwarzer, a.a.O., Rn 37). Es ist bei Straßenbauprojekten nicht zulässig, eine Aufspaltung des einheitlichen Projekts in zwei verschiedene Vorhaben vorzunehmen, für welches getrennte Feststellungsverfahren (einerseits nach § 24 Abs. 5 UVP-G 2000 und andererseits nach § 3 Abs. 7 UVP-G 2000) zu führen wären.

27 Wenn in den Revisionen in diesem Zusammenhang aber die Frage aufgeworfen wird, ob eine gesamthafte Beurteilung unter Einbeziehung der in räumlichem oder sachlichem Zusammenhang stehenden Maßnahmen zulässig ist, wenn das Projekt unter einen der Ausnahmetatbestände des § 23a Abs. 2 Z 3 lit a bis i UVP-G 2000 falle, so ist dazu auf Folgendes zu verweisen:

28 Eine derartige Auffassung geht stillschweigend davon aus, dass es für die Beurteilung der UVP-Pflicht genüge, dass die unmittelbar mit dem Straßenbau verbundenen Maßnahmen unter einen der Ausnahmetatbestände gemäß § 23a Abs. 2 Z 3 UVP-G 2000 fielen. Dies würde aber bedeuten, dass nur die für die Errichtung oder Umgestaltung der Straße selbst erforderlichen Maßnahmen maßgeblich wären. Eine solche Betrachtung übersieht, dass auch Straßenbauvorhaben im vorstehenden Sinn in ihrer Gesamtheit, also einschließlich der in ihrem Zuge in räumlichem und sachlichem Zusammenhang geplanten Maßnahmen, zu beurteilen sind. Daraus folgt, dass dann, wenn mit den Straßenbaumaßnahmen auch andere Maßnahmen verbunden sind, für die Beurteilung, ob die UVP-Pflicht besteht, nicht allein ausschlaggebend ist, ob die unmittelbar mit der Straßenerrichtung oder Änderung einer bestehenden Straße verbundenen Maßnahmen unter einen der Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 2 Z 3 UVP-G 2000 fallen.

29 Es ist vielmehr auch insofern dem BVwG zu folgen, das die Auffassung zugrunde gelegt hat, die UVP-Pflicht könne sich auch aus einem entsprechenden Umfang der mit dem Projekt verbundenen Rodungsmaßnahmen, allenfalls aufgrund der Notwendigkeit der Kumulation dieser mit dem Projekt verbundenen Rodungen mit anderen Vorhaben, ergeben.

30 Die Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG setzt aber einerseits voraus, dass kein Fall des § 28 Abs. 2 VwGVG vorliegt, und erfordert überdies (selbst wenn § 28 Abs. 2 VwGVG nicht eingriffe), dass weitere, in der Rechtsprechung des VwGH genannte Umstände, die die Aufhebung und Zurückverweisung rechtfertigen können, gegeben sind (vgl. etwa VwGH 25.4.2018, Ra 2018/03/0005). Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung auch diesbezüglich ausreichend zu begründen.

31 Im Revisionsfall ist nicht ersichtlich, woraus sich die vom BVwG geäußerten Zweifel an den vom BMVIT getroffenen Feststellungen über das Ausmaß der geplanten Rodungen ergeben sollten. Darüber hinaus ist nicht unmittelbar einsichtig, weshalb es dem BVwG nicht in gleicher Weise wie dem BMVIT möglich gewesen wäre, die entsprechenden Auskünfte hinsichtlich allenfalls in die Beurteilung einzubeziehender weiterer Rodungsvorhaben - etwa durch Beauftragung eines entsprechenden Gutachtens - einzuholen, zumal es die für eine allfällige Kumulation relevanten Rodungen im räumlichen Nahebereich (km 283,000 und km 288,000) ausdrücklich anführte. Soweit das BVwG sich in seiner Begründung auch darauf stützte, dass der zweitrevisionswerbende BMVIT eine Ermittlungstätigkeit hinsichtlich der "gesamthaften Umweltauswirkungen" unterlassen habe, ist darauf hinzuweisen, dass eine derartige Beurteilung im Rahmen eines Feststellungsverfahrens gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 nur insofern erforderlich ist, als die möglichen "erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt" einzuschätzen wären. Soweit damit aber (nur) gemeint sein sollte, dass das "gesamte Vorhaben" in die Beurteilung einzubeziehen sei, ist dem BVwG nach dem Vorgesagten zwar zu folgen, es wäre daraus aber noch nicht abzuleiten, dass das BVwG die für eine solche Beurteilung erforderlichen Feststellungen selbst nur unter unverhältnismäßigem Aufwand hätte treffen können.

32 Die Revisionen sind daher im Ergebnis damit im Recht, dass das BVwG bei der gegebenen Sachlage nicht berechtigt war, den Bescheid des BMVIT vom 27. Juni 2016 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an den zweitrevisionswerbenden BMVIT zurückzuverweisen.

33 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

34 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 29. November 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RO2016060024.J00

Im RIS seit

26.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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