TE Vwgh Beschluss 2018/12/3 Ra 2017/02/0155

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Veröffentlicht am 03.12.2018
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3R E05205000;
E3R E07204010;
E3R E07204020;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);

Norm

32006R0561 Harmonisierung best Sozialvorschriften Strassenverkehr Art7;
32014R0165 KontrollgeräteV Art34 Abs3;
32014R0165 KontrollgeräteV Art34 Abs5;
32014R0165 KontrollgeräteV Art35;
32014R0165 KontrollgeräteV Art37;
ABGB §1332;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Dr. N. Bachler und Mag. Straßegger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, LL.M., über die Revision des K in M, vertreten durch Dr. Erik Kroker, Dr. Simon Tonini, Dr. Fabian Höss und Mag. Harald Lajlar, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Sillgasse 12/IV, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 9. Juni 2017, Zl. LVwG-2017/42/0533-4, betreffend den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Übertretungen des KFG (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck), den Beschluss gefasst:

Spruch

1.) Dem Revisionswerber wird die Wiedereinsetzung in die Fristen für die Erstattung einer Stellungnahme zum Verspätungsvorhalt vom 8. August 2017 und für die Erhebung der Revision bewilligt, das mit dem Schriftsatz vom 16. Juli 2018 erstattete Vorbringen zugelassen und der Beschluss vom 21. Juni 2018, Ra 2017/02/0155-5, mit dem die Revision wegen Verspätung zurückgewiesen wurde, aufgehoben.

2.) Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Zu Spruchpunkt 1.):

2 Zu der am letzten Tag der Revisionsfrist nach dem Ende der Öffnungszeit der Postfiliale in die Versandbox eingeworfenen Revision wurde kein Vorbringen über einen Vermerk erstattet, dass eine Aushebung noch am selben Tag stattfinde, weshalb der Gegenbeweis zu dem von der Post am nächsten Tag angebrachten Poststempel als nicht erbracht angesehen und mit dem im Spruch genannten Beschluss die Revision als verspätet zurückgewiesen wurde.

3 In dem fristgerecht erhobenen Wiedereinsetzungsantrag wird u. a. geltend gemacht, bei der vom Rechtsvertreter des Revisionswerbers verwendeten 24h-Versandbox seien keine Schlusszeiten angegeben, weshalb aufgrund der dort befindlichen Hinweise auf 24 Stunden von einer rechtzeitigen Postaufgabe bis 24.00 Uhr ausgegangen werden könne.

4 Erhebungen beim zuständigen Postamt ergaben, dass der im Beschluss VwGH 23.10.2017, Ro 2017/17/0008 bis 0013 dargestellte Vorgang bei der Versendung via Versandbox in der Selbstbedienungszone einer Postfiliale dem entspricht, wie er vom Revisionswerber einzuhalten war. Allerdings kann nicht festgestellt werden, ob damals die Kundeninformation mit den Öffnungszeiten (Annahmezeiten) und Schlusszeiten betreffend die Weiterbeförderung aufgegebener Briefe aushängt und welche Uhrzeiten darin angegeben waren, weil die Österreichische Post AG nicht in der Lage war, dahingehend zu ermitteln.

5 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Nach § 46 Abs. 3 VwGG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den Fällen des Abs. 1 leg. cit. binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. Gleichzeitig ist die versäumte Handlung nachzuholen.

6 Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. VwGH 24.11.2016, Ra 2015/08/0194), kann auch ein Rechtsirrtum ein "Ereignis" im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG darstellen und damit ein Wiedereinsetzungsgrund sein; freilich unter der Maßgabe, dass die weiteren Voraussetzungen - insbesondere ein fehlendes oder bloß leichtes Verschulden - gegeben sind.

7 Was die Verschuldensfrage betrifft, so fällt entscheidend ins Gewicht, dass im Zeitpunkt der Einbringung der Revision noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage der Rechtzeitigkeit einer Postaufgabe über eine 24h-Versandbox bestand. Der Beschluss VwGH 23.10.2017, Ro 2017/17/0008 bis 0013, stammt aus der Zeit nach der Einbringung der hier in Rede stehenden Revision. Hinzu kommt, dass nicht einmal von verlautbarten Kundeninformationen über bestimmte Uhrzeiten für die taggleiche Weiterbeförderung der Briefe ausgegangen werden kann. Wenn in dieser Situation der Vertreter des Revisionswerbers in seiner Stellungnahme zum Verspätungsvorhalt ein Vorbringen auf vorhandene Schlusszeiten nicht erstattete, kann ihm nach den Umständen des Falls kein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden angelastet werden.

8 Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Erstattung eines Vorbringens zu Schlusszeiten binnen der Frist für die Stellungnahme zum Verspätungsvorhalt vom 8. August 2017 war daher stattzugeben. Damit war das ergänzende Vorbringen über das Fehlen eines Hinweises auf Schlusszeiten zuzulassen und mangels gegenteiliger Erhebungsergebnisse dem Verfahren zu Grunde zu legen.

9 Ohne Angabe von Schlusszeiten kann dem Vertreter des Revisionswerbers auch kein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden vorgeworfen werden, wenn er den Hinweis auf die "24h-Versandbox" dahingehend verstand, dass die Sendung bis 24.00 Uhr von der Post in Behandlung genommen wird. Infolge der solcherart restituierten Revisionsfrist war der im Spruch genannte Zurückweisungsbeschluss vom 21. Juni 2018 aufzuheben.

10 Zu Spruchpunkt 2.):

11 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 1. Februar 2017 wurde dem Revisionswerber als Fahrer eines zur Güterbeförderung im Straßenverkehr eingesetzten Kraftfahrzeuges mit 3,5 t übersteigendem höchstzulässigen Gesamtgewicht zur Last gelegt, an einzeln genannten Tagen mit Angabe der Uhrzeit des Beginns und des Endes nach einer Lenkdauer von 4,5 Stunden keine ununterbrochene Fahrtunterbrechung von mindestens 45 Minuten eingelegt zu haben und andere näher genannte Zeiten, in denen er sich nicht im Fahrzeug aufgehalten habe, nicht mittels manueller Eingabevorrichtung des Kontrollgerätes auf der Fahrerkarte eingetragen zu haben. Der Revisionswerber habe dadurch § 134 Abs. 1 KFG iVm Art. 7 der VO (EG) 561/2006 und Art. 34 Abs. 3 der VO (EU) Nr. 165/2014 übertreten, weshalb über ihn gemäß § 134 Abs. 1 und 1b KFG je eine Geldstrafe von EUR 300,- und EUR 700,-

(Ersatzfreiheitsstrafen 60 und 141 Stunden) verhängt wurde.

12 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Tirol mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

13 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

16 Zur Zulässigkeit der Revision wird vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil dem Revisionswerber nicht der dem "abgeführten Verfahren" entsprechende Tatzeitraum vom 28. Juni bis 26. Juli 2016 angelastet werde, sondern nur einzelne Tage davon (Hinweis auf VwGH 22.2.2006, 2005/17/0195, und VwGH 20.11.2008, 2007/09/0255).

17 Der Spruch des vom Landesverwaltungsgericht bestätigten Straferkenntnisses enthält - unter Angabe der Uhrzeiten - jeweils den Anfang und das Ende des an den genannten Tagen erfolgten strafbaren Verhaltens. Die Konkretisierung der Taten erfolgte sogar noch genauer als in den vom Revisionswerber zitierten Erkenntnissen, wobei weder eine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte noch eine Gefahr der Doppelverfolgung bestand.

18 Weiters behauptet die Revision eine Divergenz in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob alle Fahrtunterbrechungen im Sinne des Art. 4 lit. d der VO (EG) 561/2006 oder nur jene, die den zeitlichen Anforderungen des Art. 7 leg. cit. entsprechen, festzustellen seien (Hinweis auf VwGH 18.9.2012, 2009/11/0066, und VwGH 6.3.2017, Ra 2017/02/0020).

19 Dem ist entgegenzuhalten, dass es im Erkenntnis vom 18. September 2012 um den Einfluss (auch zeitlich kürzerer) Fahrtunterbrechungen auf den (quantifizierbaren) Unrechtsgehalt ging, während der Beschluss vom 6. März 2017 die Unbeachtlichkeit der nicht den zeitlichen Vorgaben des Art. 7 der VO (EG) 561/2006 entsprechenden Fahrtunterbrechungen für eine allfällige Strafbarkeit nach § 134 Abs. 1 KFG iVm Art. 7 der VO (EG) 561/2006 (also die nicht quantifizierbare Rechtswidrigkeit betreffend) aussprach. Die in der Revision behauptete Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt daher nicht vor.

20 Soweit die Revision höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Rechtsfrage vermisst, ob die in Art. 7 der VO (EG) 561/2006 verlangte Fahrtunterbrechung von 45 Minuten nur durch eine Unterbrechung von mindestens 15 Minuten, gefolgt von einer Unterbrechung von mindestens 30 Minuten ersetzt werden kann, oder ob es auch zulässig sei, die Lenkdauer zuerst 30 Minuten und dann 15 Minuten zu unterbrechen, ist sie auf den klaren Wortlaut der genannten Vorschrift zu verweisen, der keine willkürliche Umreihung der Unterbrechungsdauer zulässt, sondern eindeutig zuerst eine Unterbrechung von 15 Minuten "gefolgt" von einer Unterbrechung von 30 Minuten verlangt.

21 Zu dem in der Revision behaupteten Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung betreffend den Adressaten und die Frist für die Einhaltung der Pflicht nach Art. 34 Abs. 3 der VO (EU) 165/2014 reicht ein Hinweis auf Abs. 5 leg. cit., wonach die Fahrer die Schaltvorrichtung des Kontrollgerätes so zu betätigen haben, dass näher genannte Zeiten getrennt und unterscheidbar aufgezeichnet werden. Auch hier ist der Wortlaut der genannten Vorschrift klar und eindeutig, dass sie den Fahrer trifft und er die Pflicht sofort einhalten muss, es sei denn, es läge - eine hier nicht relevante - Beschädigung der Fahrerkarte (Art. 35 der VO (EU) 165/2014) oder eine Fehlfunktion des Gerätes (Art. 37 der VO (EU) 165/2014) vor.

22 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 3. Dezember 2018

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1Gemeinschaftsrecht Verordnung Strafverfahren EURallg5/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017020155.L00.1

Im RIS seit

19.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

07.01.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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