TE Vwgh Erkenntnis 2018/11/20 Ra 2018/16/0159

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Veröffentlicht am 20.11.2018
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §212a Abs9;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2018/16/0162 Serie (erledigt im gleichen Sinn):Ra 2018/16/0160 E 20. November 2018

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revisionen der I GmbH in P, vertreten durch die Haslinger/Nagele & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5, gegen die Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichtes vom 19. Juni 2018, RV/2200023/2016, betreffend Aussetzungszinsen für den Zeitraum vom 29. September 2015 bis 20. Mai 2016, sowie RV/2200024/2016, betreffend Versagung der Aussetzung der Einhebung dieser Aussetzungszinsen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Zollamt Graz in 8010 Graz, Conrad von Hötzendorf-Straße 14-18), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 2.692,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Das Zollamt Graz (die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde; in der Folge kurz: Zollamt) hatte mit "Sammelbescheid" vom 8. Juni 2015 für die Ablagerung von insgesamt 251.885 Tonnen Baurestmassen auf näher bezeichneten Grundstücken in P für die Jahre 2009 bis 2013 einen Altlastenbeitrag in Höhe von EUR 2.119.914,40 sowie einen Säumniszuschlag und einen Verspätungszuschlag von jeweils EUR 42.398,28 festgesetzt, wogegen die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 15. Juli 2015 Beschwerde erhob; unter einem beantragte sie darin die Aussetzung der Einhebung des Altlastenbeitrages sowie der Säumnis- und Verspätungszuschläge, sohin eines Abgabenbetrages von insgesamt EUR 2.204.710,96.

Mit Bescheid vom 25. August 2015 wies das Zollamt den Antrag auf Aussetzung der Einhebung ab, wogegen wiederum die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 28. September 2015 Beschwerde erhob.

Mit einem weiteren Bescheid vom 1. August 2016 setzte das Zollamt für den Zeitraum vom 29. September 2015 bis 20. Mai 2016 Aussetzungszinsen in Höhe von EUR 26.686,06 fest, weil - so die wesentliche Begründung - das Zollamt mit Beschwerdevorentscheidung vom 18. Mai 2016 die Beschwerde gegen die Versagung der Aussetzung der Einhebung mit Bescheid vom 25. August 2015 als unbegründet abgewiesen habe und Aussetzungszinsen in dieser Höhe angefallen seien.

Gegen den Bescheid vom 1. August 2016 erhob die Revisionswerberin Beschwerde, in der sie zugleich einen Antrag auf Aussetzung der Einhebung der Aussetzungszinsen in Höhe von EUR 26.686,06 stellte. Mit Bescheid vom 23. September 2016 wies das Zollamt den Antrag der Revisionswerberin auf Aussetzung der Einhebung der Aussetzungszinsen ab, wogegen die Revisionswerberin wiederum Beschwerde erhob.

2 Unbestritten ist, dass das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 29. Mai 2018 der Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid vom 25. August 2015 gemäß § 279 BAO Folge gab und aussprach, dass auf deren Antrag vom 15. Juli 2015 hin die Einhebung des Altlastenbeitrages in Höhe von EUR 2.119.914,40, des Säumniszuschlages sowie des Verspätungszuschlages in Höhe von jeweils EUR 42.398,28 gemäß § 212a Abs. 1 BAO ausgesetzt werde.

3 Mit dem erstangefochtenen Erkenntnis vom 19. Juni 2018 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde gegen die mit Bescheid vom 1. August 2016 für den Zeitraum vom 29. September 2015 bis 20. Mai 2016 festgesetzten Aussetzungszinsen gemäß § 279 BAO als unbegründet ab.

Im verfahrensgegenständlichen Fall stehe - so die wesentlichen Erwägungen des erstangefochtenen Erkenntnisses - fest, dass das Zollamt mit Bescheid vom 8. Juni 2015 Abgaben in Höhe von insgesamt EUR 2.204.710,96 vorgeschrieben habe. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid seien Aussetzungszinsen festgesetzt worden. Die Revisionswerberin bekämpfe den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen mit der Begründung, die Beschwerde gegen den Abgabenbescheid sei durchaus erfolgversprechend. Dazu sei festzuhalten, dass die beantragte Aussetzung der Einhebung grundsätzlich zu Aussetzungszinsen führe und diese Zinsen durch den vom Abgabenpflichtigen eingebrachten Antrag auf Aussetzung der Einhebung ausgelöst würden oder die Auslösung gemäß § 212a Abs. 4 BAO durch die Einbringung einer Beschwerde erfolge. Der Umstand, dass die Festsetzung von Aussetzungszinsen vor der Erlassung des dem Aussetzungsantrag nicht stattgebenden Bescheides oder im Fall der Bewilligung der Aussetzung vor der Verfügung des Ablaufes oder des Widerrufes der Aussetzung nicht festzusetzen seien, ändere nichts daran, dass der Tatbestand, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpfe, bereits mit erfolgter Beschwerdeeinbringung verwirklicht sei, wobei der Aussetzungszinsenanspruch laufend während jener Zeit entstehe, in der der Zahlungsaufschub in Anspruch genommen werde. Die Festsetzung der Aussetzungszinsen durch die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde mit Bescheid vom 1. August 2016 sei zu Recht erfolgt. Die Richtigkeit der dem Aussetzungsantrag zugrunde liegenden Abgabenbescheide sei im Beschwerdeverfahren über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Aussetzungszinsen nicht zu prüfen. Es habe daher auch keiner Erwägungen über eine Aussetzung der Entscheidung gemäß § 271 BAO bedurft. Eine etwaige rückwirkende Herabsetzung der Abgabenschuld habe die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde amtswegig zu berücksichtigen.

Abschließend begründete das Verwaltungsgericht seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision.

4 Mit dem zweitangefochtenen Erkenntnis vom selben Tag wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid vom 23. September 2016 betreffend die Versagung der Aussetzung der Einhebung der obgenannten Aussetzungszinsen gemäß § 279 BAO als unbegründet ab und sprach aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine Revision nicht zulässig sei.

Begründend erwog das Verwaltungsgericht unter Darstellung des Verfahrensganges, mit dem zweitangefochtenen Bescheid vom 23. September 2016 sei der Antrag auf Aussetzung der Einhebung der mit Bescheid vom 1. August 2016 festgesetzten Aussetzungszinsen abgewiesen worden. Im vorliegenden Verfahren seien lediglich die objektiven Voraussetzungen für die Festsetzung der Aussetzungszinsen, nicht aber die Richtigkeit des "Sammelbescheides" (vom 8. Juni 2015) zu prüfen gewesen. Es sei nicht erkennbar gewesen, dass es an den objektiven Voraussetzungen für die Erlassung des Aussetzungsbescheides gemangelt hätte. Diesbezüglich habe weder die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde gegen den Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen Einwendungen erhoben, noch hätten sich aus den dem Verwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten diesbezüglich Anhaltspunkte ergeben. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde sei daher zu Recht davon ausgegangen, dass die Beschwerde gegen den Bescheid über die Festsetzung der Aussetzungszinsen nicht erfolgversprechend sei, weshalb es an der gesetzlichen Voraussetzung für eine Aussetzung der Einhebung der Aussetzungszinsen gemangelt habe.

Abschließend begründete das Verwaltungsgericht seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision.

5 In der gegen das erstangefochtene Erkenntnis erhobenen Revision erachtet sich die Revisionswerberin in ihrem Recht darauf verletzt, dass im Fall der Bewilligung der Aussetzung der Einhebung Aussetzungszinsen vor der Verfügung des Ablaufs oder des Widerrufs der Aussetzung gemäß § 212a Abs. 9 BAO nicht festzusetzen seien.

6 In der gegen das zweitangefochtene Erkenntnis erhobenen Revision erachtet sie sich in dem ihr nach § 212a Abs. 2 BAO zukommenden Recht darauf verletzt, dass ein Antrag auf Aussetzung der Einhebung einer Abgabe bei Nichtvorliegen der Tatbestandsmerkmale der genannten Gesetzesstelle bewilligt werde.

7 Die Zulässigkeit ihrer Revisionen - und auch die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Erkenntnisse - begründet sie zusammengefasst damit, das Verwaltungsgericht habe in seinem Erkenntnis vom 29. Mai 2018 ihrem Antrag auf Aussetzung der Einhebung des Abgabenbetrages von EUR 2.204.710,96 stattgegeben. Aufgrund der vollen Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes und der ausdrücklichen Stattgabe des Antrages wirke das Erkenntnis vom 29. Mai 2018 ex tunc, weshalb der Antrag vom 15. Juli 2015 auf Aussetzung der Einhebung des Abgabenbetrages als ex tunc bewilligt zu gelten habe. In einem weiteren Schritt habe das Verwaltungsgericht mit dem erstangefochtenen Erkenntnis entgegen dem klaren Wortlaut des § 212a Abs. 9 letzter Satz BAO dennoch die Vorschreibung von Aussetzungszinsen in Höhe von EUR 26.686,06 bestätigt, obwohl weder eine Verfügung des Ablaufs noch eine solche des Widerrufs der Aussetzung vorliege. Hilfsweise werde geltend gemacht, dass Rechtsprechung zur Frage, ob eine Bewilligung der Aussetzung durch ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts als solche im Sinn des § 212a Abs. 9 letzter Satz BAO gelte, nicht vorliege. Schließlich liege - im Hinblick auf die Zulässigkeit der Revision gegen das zweitangefochtene Erkenntnis - keine Rechtsprechung zur Frage vor, ob in der revisionsgegenständlichen Fallkonstellation ein Antrag auf Aussetzung der Einhebung von Aussetzungszinsen gemäß § 212a Abs. 2 BAO zu bewilligen sei.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über beide Revisionen gemäß § 36 VwGG das Vorverfahren eingeleitet, in deren Rahmen die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde Revisionsbeantwortungen erstattete, in denen sie die Zurückweisung der Revisionen als unzulässig, in eventu deren Abweisung beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat beide Revisionen wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden und darüber erwogen:

Die Revisionen erweisen sich aus folgenden Gründen als zulässig und auch als berechtigt:

9 Gemäß § 212a Abs. 9 BAO sind für Abgabenschuldigkeiten

a) solange auf Grund eines Antrages auf Aussetzung der Einhebung, über den noch nicht entschieden wurde, Einbringungsmaßnahmen weder eingeleitet noch fortgesetzt werden (§ 230 Abs. 6) oder

b) soweit infolge einer Aussetzung der Einhebung ein Zahlungsaufschub eintritt,

Aussetzungszinsen in Höhe von zwei Prozent über dem jeweils geltenden Basiszinssatz pro Jahr zu entrichten. Aussetzungszinsen, die den Betrag von 50 Euro nicht erreichen, sind nicht festzusetzen. Im Fall der nachträglichen Herabsetzung einer Abgabenschuld hat die Berechnung der Aussetzungszinsen unter rückwirkender Berücksichtigung des Herabsetzungsbetrages zu erfolgen. Wird einem Antrag auf Aussetzung der Einhebung nicht stattgegeben, so sind Aussetzungszinsen vor der Erlassung des diesen Antrag erledigenden Bescheides nicht festzusetzen. Im Fall der Bewilligung der Aussetzung der Einhebung sind Aussetzungszinsen vor der Verfügung des Ablaufes (Abs. 5) oder des Widerrufes der Aussetzung nicht festzusetzen.

10 In seinem Erkenntnis vom 18. Dezember 2002, 2002/17/0282, hielt der Verwaltungsgerichtshof zur vergleichbaren (damals in Geltung stehenden) Bestimmung des § 160 Abs. 9 letzter Satz Oö. LAO fest, dass diese im Fall der Bewilligung der Aussetzung der Einhebung die Festsetzung von Aussetzungszinsen (nur) für den Zeitraum vor der Verfügung des Ablaufs der Aussetzung ausschließe.

11 Ein Aussetzungszinsenbescheid darf zufolge des letzten Satzes des § 212a Abs. 9 BAO während der Dauer des Zahlungsaufschubes nicht erlassen werden (Ritz, BAO6, Rz 35 zu § 212a BAO).

12 Gemäß § 41 Abs. 1 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof, soweit nicht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (§ 42 Abs. 2 Z 2 und 3) vorliegt, das angefochtene Erkenntnis oder den angefochtenen Beschluss aufgrund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhaltes im Rahmen der geltend gemachten Revisionspunkte (§ 28 Abs. 1 Z 4) bzw. der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 28 Abs. 2) zu überprüfen. Nach seiner Rechtsprechung ist der Verwaltungsgerichtshof an den festgestellten Sachverhalt nur insoweit gebunden, als das Verwaltungsgericht diesen in einem von wesentlichen Mängeln freien Verfahren festgestellt hat (vgl. die in Mayer/Muzak, B-VG5 unter II.1. zu § 41 VwGG zitierte Rsp).

13 In den vorliegenden Revisionsverfahren ist unbestritten, dass das Verwaltungsgericht bereits mit seinem Erkenntnis vom 29. Mai 2018 der Beschwerde der Revisionswerberin gegen die Versagung der Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO dahingehend Folge gab, dass auf Antrag der Revisionswerberin vom 15. Juli 2015 die Einhebung des Altlastenbeitrages sowie des Säumniszuschlages und des Verspätungszuschlages ausgesetzt werde.

14 Nun kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob das Erkenntnis vom 29. Mai 2018 dem Antrag auf Aussetzung vom 15. Juli 2015 ex nunc oder ex tunc Folge gab; jedenfalls hatte das Verwaltungsgericht in seinen hier angefochtenen Erkenntnissen vom 19. Juni 2018 von der Sachlage im Zeitpunkt dieser Entscheidungen auszugehen (vgl. etwa Ritz, aaO, Rz 31 zu § 279 BAO). Damit hatte das Verwaltungsgericht bei Erlassung des erstangefochtenen Erkenntnisses betreffend die Festsetzung der Aussetzungszinsen die mit Erkenntnis vom 29. Mai 2018 bewilligte Aussetzung der Einhebung der Abgabenschuldigkeiten zu berücksichtigen; eine Sachentscheidung gemäß § 279 BAO im Sinne einer (Bestätigung der) Festsetzung von Aussetzungszinsen in Höhe von EUR 26.686,06 durfte gemäß § 212a Abs. 9 letzter Satz BAO infolge der mit Erkenntnis vom 29. Mai 2018 bewilligten Aussetzung nicht mehr ergehen, womit das Verwaltungsgericht das erstangefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastete, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben ist.

15 Infolge der - rückwirkenden - Aufhebung des erstangefochtenen Erkenntnisses betreffend die Festsetzung von Aussetzungszinsen mangelt das zweitangefochtene Erkenntnis einer tragfähigen Begründung, weshalb auch dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben ist.

16 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. November 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018160159.L00

Im RIS seit

12.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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