TE Vwgh Erkenntnis 2018/11/8 Ra 2018/22/0012

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Veröffentlicht am 08.11.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §252 Abs2 Z1
ASVG §260
ASVG §292
ASVG §293 Abs1 litc sublitaa
NAG 2005 §11 Abs2 Z4
NAG 2005 §11 Abs5
NAG 2005 §64 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das am 31. Oktober 2017 verkündete und mit 5. Dezember 2017 ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW-151/050/6814/2017-13, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: S E C, vertreten durch Mag.a Banu Kurtulan, Rechtsanwältin in 1100 Wien, Inzersdorferstraße 18/1), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16. März 2017 wurde der Antrag der Mitbeteiligten, einer türkischen Staatsangehörigen, vom 10. Oktober 2016 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Studierender“ gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) wegen Fehlen ausreichender finanzieller Mittel und einer Aufnahmebestätigung einer Universität abgewiesen.

2        Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht Wien mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis statt und sprach aus, dass der Mitbeteiligten der beantragte Aufenthaltstitel gemäß § 64 Abs. 1 NAG für die Dauer von zwölf Monaten erteilt werde. Weiters sprach es aus, dass eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3        Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Mitbeteiligte „bei einer türkischen Versicherung krankenversichert“ sei. Sie sei „laut Wohnrechtsvereinbarung“ in einem Studentenheim wohnberechtigt. Die Miete betrage € 280,-- monatlich. Die Mitbeteiligte sei als außerordentliche Studentin für den Vorstudienlehrgang an der Medizinischen Universität Wien zugelassen. Sie verfüge über ein von ihrem Vater garantiertes Bankkonto, auf das sie allein zugriffsberechtigt sei, mit einem Wert von € 6.000,--. Das für den Lebensunterhalt der Mitbeteiligten „herangezogene Einkommen“ sei „durch die Haftungserklärung ihres Vaters zweifelsfrei belegt“ worden.

4        In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, dass nach dem Richtsatz des § 293 ASVG der Mitbeteiligten jährlich Einkünfte von € 5.897,16 zur Verfügung stehen müssten. Eine finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft sei aufgrund des nachgewiesenen verfügbaren Einkommens auch bei einer Miete in Höhe von monatlich € 280,-- nicht anzunehmen. Eine gültige Studienbestätigung der Medizinischen Universität Wien sei von der Mitbeteiligten im Beschwerdeverfahren vorgelegt worden. Zusammenfassend ergebe sich, dass ausnahmslos alle Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 NAG erfüllt seien.

5        Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6        Die Revision rügt in der Zulässigkeitsbegründung im Wesentlichen, dass der im Akt erliegende Benützungsvertrag für ein Zimmer in einem Studentenwohnheim vom 5. September 2017 bis 15. [richtig: 5.] September 2018 befristet sei. Auch habe die vorgelegte Reisekrankenversicherung lediglich für die Dauer von 14. Oktober 2016 bis 14. Oktober 2017 gegolten und sei darüber hinaus mit dem Betrag von € 30.000,-- gedeckelt gewesen. Weiters sei fraglich, ob bei Studierenden, die alleine bzw. ohne Eltern nach Österreich kommen, der Waisenrichtsatz gemäß § 293 Abs. 1 lit. c leg. cit. heranzuziehen sei und es sei vom Verwaltungsgericht nicht hinreichend genau die Herkunft der Sparrücklage von € 6.000,-- geprüft worden. Das Verwaltungsgericht habe auch die monatliche Prämie von € 40,93 für die Reisekrankenversicherung nicht berücksichtigt.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung eines Vorverfahrens - die Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Die Revision ist zulässig und berechtigt.

9        Die maßgeblichen Vorschriften des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, lauteten auszugsweise:

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. (1) ...

(2) ...

3.   der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

...

Studierende

§ 64. (1) Drittstaatsangehörigen kann eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende ausgestellt werden, wenn sie

1.   die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2.   ein ordentliches oder außerordentliches Studium an einer Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität, Pädagogischen Hochschule, anerkannten privaten Pädagogischen Hochschule oder einen anerkannten privaten Studiengang oder anerkannten privaten Hochschullehrgang absolvieren und im Fall eines Universitätslehrganges dieser nicht ausschließlich der Vermittlung einer Sprache dient.

Eine Haftungserklärung ist zulässig.

...“

§ 7 der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV), BGBl. II Nr. 451/2005 in der Fassung BGBl. II Nr. 231/2017, lautet auszugsweise:

„(1) Dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 1) sind - unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den §§ 8 und 9 - folgende Urkunden und Nachweise anzuschließen:

...

5.   Nachweis des Rechtsanspruchs auf eine ortsübliche Unterkunft, insbesondere Miet- oder Untermietverträge, bestandrechtliche Vorverträge oder Eigentumsnachweise;

6.   Nachweis über einen in Österreich leistungspflichtigen und alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz, insbesondere durch eine entsprechende Versicherungspolizze, sofern kein Fall der gesetzlichen Pflichtversicherung bestehen wird oder besteht (§ 11 Abs. 2 Z 3 NAG);

...“

Die maßgeblichen Vorschriften des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 131/2017, lauten auszugsweise:

Voraussetzungen für den Anspruch auf Ausgleichszulage

§ 292. (1) ...

(3) Nettoeinkommen im Sinne der Abs. 1 und 2 ist, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, die Summe sämtlicher Einkünfte in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge. Für die Bewertung der Sachbezüge gilt, soweit nicht Abs. 8 anzuwenden ist, die Bewertung für Zwecke der Lohnsteuer mit der Maßgabe, daß als Wert der vollen freien Station der Betrag von 216,78 € (Anm.: gemäß BGBl. II Nr. 391/2016 für das Kalenderjahr 2017: 284,32 €) [...] heranzuziehen ist; ...

Richtsätze

§ 293. (1) Der Richtsatz beträgt unbeschadet des Abs. 2

...

c)   für Pensionsberechtigte auf Waisenpension:

aa)  bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres 274,76 €,

falls beide Elternteile verstorben sind 412,54 €,

...

(2) An die Stelle der Richtsätze und der Richtsatzerhöhung gemäß Abs. 1 treten ab 1. Jänner eines jeden Jahres, erstmals ab 1. Jänner 2001, die unter Bedachtnahme auf § 108 Abs. 6 mit dem Anpassungsfaktor (§ 108f) vervielfachten Beträge.

...“

10       Zur Berechnung der Unterhaltsmittel hat der Verwaltungsgerichtshof mittlerweile mit Erkenntnis vom 22. März 2018, Ra 2017/22/0177, festgehalten, dass § 11 Abs. 5 NAG bei der Festlegung der Referenzwerte für die nachzuweisenden Unterhaltsmittel an die Beträge anknüpft, die im ASVG als zu garantierendes Mindesteinkommen angesehen werden. Hierbei wird allgemein (und ohne Einschränkung) auf den je nach der zugrunde liegenden familiären Situation in Betracht kommenden Richtsatz verwiesen. Da die Situation eines Fremden, der zu studieren beabsichtigt, bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres (nach Vollendung des 24. Lebensjahres besteht betragsmäßig ohnehin kein Unterschied mehr) derjenigen eines Waisenpensionsberechtigten iSd § 293 Abs. 1 lit. c sublit. aa ASVG entspricht, ist für ihn der dort normierte Richtsatz maßgeblich und er muss daher zur Ermöglichung einer Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften über feste und regelmäßige eigene Einkünfte (nur) in der Höhe dieses Richtsatzes verfügen. Hinsichtlich der innerhalb des § 293 Abs. 1 lit. c sublit. aa ASVG vorgenommenen Differenzierung ist der Richtsatz für Vollwaisen heranzuziehen, weil dieser danach ausgerichtet ist, dass damit - infolge der höheren Hilfsbedürftigkeit - der gesamte Unterhalt des Waisenpensionsberechtigten sichergestellt werden soll.

11       Fallbezogen bedeutet das, dass die Mitbeteiligte - ausgehend von ihrem Alter von 20 Jahren zum Entscheidungszeitpunkt am 31. Oktober 2017 - Einkünfte in der Höhe des Richtsatzes für unter 24-Jährige nachzuweisen hat. Somit erweist sich die Heranziehung des Betrages in der Höhe von € 5.897,16 (12 x 491,43) als Maßstab für die Beurteilung des Vorliegens ausreichender Unterhaltsmittel als zutreffend. Unter Berücksichtigung der monatlichen Miete von € 280,-- - abzüglich des Wertes der freien Station gemäß § 292 Abs. 3 ASVG von € 284,32 - wären die Unterhaltsmittel ausreichend.

12       Mit Erkenntnis vom 10. September 2013, 2013/18/0046, hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass der Unterhalt grundsätzlich auch durch Sparguthaben gedeckt werden könne; zwar dürfe ein Guthaben nicht aus illegalen Quellen stammen, doch würden allein die Ausführungen, dass die Herkunft der Gelder unbescheinigt geblieben sei, nicht ausreichen, diesen Beträgen die Eigenschaft abzusprechen, zum Unterhalt des Fremden herangezogen werden zu können. Demnach hat der Fremde lediglich nachzuweisen, dass sein Aufenthalt gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Eine Verpflichtung zur Bescheinigung der legalen Herkunft von zur Verfügung stehenden Mitteln sieht das Gesetz nicht vor. Inwiefern Zweifel an der legalen Herkunft des von der Mitbeteiligten bescheinigten Sparguthabens in der Höhe von € 6.000,-- bestehen, legt die Revision nicht dar.

13       Zum Revisionsvorbringen, wonach das Verwaltungsgericht die monatliche Prämie von € 40,93 für die Krankenversicherung nicht berücksichtigt habe, ist auszuführen, dass die vorgelegte Reisekrankenversicherung lediglich für die Dauer von 14. Oktober 2016 bis 14. Oktober 2017 gegolten hat. Demnach war die Prämie für die Berechnung der maßgeblichen Unterhaltsmittel ab Erteilung des Aufenthaltstitels am 31. Oktober 2017 nicht relevant.

14       Allerdings zeigt die Revision damit zutreffend auf, dass für die bewilligte Dauer des Aufenthaltstitels gemäß § 20 Abs. 1 NAG somit kein Nachweis über einen in Österreich leistungspflichtigen und alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz gemäß § 11 Abs. 2 Z 3 NAG iVm § 7 Abs. 1 Z 6 NAG-DV vorliegt.

15       Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus diesem Grund wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 8. November 2018

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018220012.L00

Im RIS seit

31.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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