TE Vwgh Erkenntnis 1999/10/13 94/13/0060

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Veröffentlicht am 13.10.1999
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag;
32/04 Steuern vom Umsatz;

Norm

ABGB §957;
BAO §115 Abs1;
BAO §24;
EStG 1972 §4 Abs1;
EStG 1988 §4 Abs1;
UStG 1972 §10 Abs2 Z5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und Senatspräsident Dr. Pokorny sowie die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde des Dr. Heinz Wechsler, Rechtsanwalt in Wien VII, Mechitaristengasse 1, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der WT-Ges.m.b.H. in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat III) vom 11. Jänner 1994, Zl. 6/2 - 2010/93-13, betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 1985 bis 1989, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der Wolfgang Tomic Ges.m.b.H. (in der Folge als Gesellschaft bezeichnet). Unternehmensgegenstand der Gesellschaft ist der Verkauf und die Montage von Fahrzeugreifen.

Für den Zeitraum 1985 bis 1989 fand bei der Gesellschaft eine Betriebsprüfung statt, bei der u.a. festgestellt wurde, dass für die Lagerung von Kundenreifen, welche saisonalbedingt nicht benötigt wurden, Entgelte vereinnahmt worden seien, für die die Gesellschaft den begünstigten Umsatzsteuersatz des § 10 Abs. 2 Z. 5 UStG 1972 beansprucht habe. Schriftliche Verträge über eine bestimmte Lagerungsdauer seien nicht abgeschlossen worden. Dem Einlagerer werde nicht das uneingeschränkte Verfügungsrecht über einen bestimmten Raum eingeräumt, sondern nur die Möglichkeit geboten, Reifen in einer Halle einzulagern. Der Zugang zu diesem Reifenlager sei nur während der Betriebszeiten und dann wiederum nur im Beisein des Unternehmers oder dessen Erfüllungsgehilfen möglich, wobei letztere auch die Lagerung der Reifen und deren Entnahme vom Lager vornehmen würden. Dem Kunden werde damit kein eigener Lagerplatz vermietet. Es lägen daher keine steuerlich begünstigte Vermietung, sondern Verwahrungsverträge bzw. "eine Art Innominatkontrakte" vor, deren Entgelte dem Normalsteuersatz unterlägen.

Das Finanzamt folgte den Prüfungsfeststellungen und erließ entsprechende Umsatzsteuerbescheide.

Die Gesellschaft erhob Berufung. Für die Frage, ob ein Pacht- oder Mietverhältnis vorliege, sei das bürgerliche Recht maßgebend. Danach sei bei Bestandverträgen Schriftlichkeit nicht erforderlich. Dem Kunden werde ein eigener Lagerplatz zugewiesen und es werde keinerlei Obsorge betreffend die Reifen übernommen. Im Diebstahls- oder Brandfall werde kein Ersatz geleistet, was dem Kunden auch mitgeteilt werde. Sonstige zusätzliche Leistungen würden nicht erbracht, abgesehen von fallweiser Hilfestellung beim Ein- und Auslagern der Reifen. Dem Kunden werde nur eine "Lagermiete" in Rechnung gestellt. Dass es sich bei dem Lagerplatz jeweils um einen bestimmten Platz handle, sei schon aus organisatorischen Gründen notwendig, um das Wiederauffinden der Reifen zu ermöglichen. Auf Wunsch würde dem Kunden auch ein Schlüssel zum Lager ausgehändigt.

In einer Stellungnahme zur Berufung wies der Prüfer darauf hin, dass eine Vermietung deswegen nicht vorliege, weil der Einlagerer über den zur Verfügung gestellten Raum nicht frei disponieren könne.

Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung ab. Bei der rechtlichen Beurteilung einer vertraglichen Gestaltung sei zwar von den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes auszugehen, es müsse aber auch die wirtschaftliche Betrachtungsweise zum Tragen kommen. Mit der Bezeichnung eines Vertrages als "Lagermiete" oder "mündlicher Mietvertrag" sei noch nicht gesagt, dass es sich dabei tatsächlich um einen Bestandvertrag handle, dessen Entgelt dem begünstigten Steuersatz des § 10 Abs. 2 Z. 5 UStG 1972 unterliege. Auch bürgerlich-rechtlich sei wesentliches Merkmal eines Bestandvertrages der Gebrauch einer unverbrauchbaren Sache. Es sei nicht erkennbar, in welcher Art dem Kunden der Gesellschaft eine solche Benützung eingeräumt worden wäre. Der Kunde habe lediglich ein Interesse an der Verwahrung seiner Autoreifen gehabt. Wie und wo dies von der Gesellschaft bewerkstelligt worden sei, habe für den Kunden lediglich sekundäre Bedeutung gehabt. Die Merkmale eines steuerlich nicht begünstigten Verwahrungsvertrages würden jene eines Bestandvertrages überwiegen.

Auf Grund eines Antrages der Gesellschaft auf Entscheidung über ihre Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, mit dem die Berufung abgewiesen wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 2 Z. 5 UStG 1972 ermäßigt sich die Steuer auf 10 v.H. für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken. Die Überlassung der Nutzung an Wohnungen, Geschäftsräumen und anderen Räumlichkeiten auf Grund von Nutzungsverträgen ist dabei als Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken anzusehen.

Zu dieser Regelung hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 22. Februar 1988, 86/15/0123, ausgesprochen, dass unter dem Begriff "Überlassung der Nutzung an ... anderen Räumlichkeiten auf Grund von Nutzungsverträgen" auch die vertragliche Nutzung einer nicht bestimmten (nicht bestimmt bezeichneten) Fläche in einer Tiefgarage durch Abstellen eines PKW falle. Im Erkenntnis vom 12. November 1990, 90/15/0024, wurde diese Rechtsansicht auch bei nicht bestimmten Abstellflächen im Freien vertreten. Der Begriff "Überlassung der Nutzung an ... anderen Räumlichkeiten" müsse so verstanden werden, dass damit bloß eine Klarstellung erfolgen sollte, dass der Grundtatbestand "Vermietung und Verpachtung von Grundstücken" auch die entgeltliche Nutzung von Objekten umfasse, die üblicherweise nicht als Grundstücke im engeren Sinn verstanden würden. Daraus folgt, dass der Begriff "Vermietung und Verpachtung von Grundstücken" nicht eng auszulegen ist, sondern grundsätzlich jede Form der entgeltlichen Nutzung von Räumen oder Plätzen umfasst, worunter auch die Nutzung zwecks Lagerung von Gegenständen aller Art fällt.

Der Gerichtshof sieht keinen Grund dafür, Verträge, mit denen Grundstücksflächen, sei es in Räumlichkeiten, sei es im Freien, für das Abstellen von Kraftfahrzeugen entgeltlich zur Verfügung gestellt werden, rechtlich anders zu beurteilen als die streitgegenständlichen Verträge, bei denen die Grundstücksflächen für das Deponieren von Autoreifen genutzt werden. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Gesellschaft tatsächlich, wie sie in ihrer Berufung behauptet hat, keinerlei Obsorge betreffend die Autoreifen übernommen und im Diebstahls- oder Brandfall an ihre Kunden keinen Ersatz zu leisten hat. Sollte dieser behauptete Sachverhalt tatsächlich der Wahrheit entsprechen, so würde ein wesentliches Tatbestandsmerkmal eines Verwahrungsvertrages nicht erfüllt sein, nämlich dass der Verwahrer eine fremde Sache in seine Obsorge übernimmt mit der Verpflichtung, die ihm anvertraute Sache vor Schaden zu sichern (vgl. die §§ 957 f ABGB).

Das Vorliegen dieser gesetzlichen Voraussetzungen galt es für die belangte Behörde festzustellen, wollte sie die strittigen Vertragsgestaltungen rechtlich als Verwahrungsverträge beurteilen. Sie vertritt die Ansicht, dies auch getan zu haben, indem sie die Feststellung traf, dass die betreffenden Baulichkeiten und das "gesamte Warenlager" gegen Feuer und Einbruch versichert seien.

Nun hätte die mängelfreie Feststellung, dass die Autoreifen der Kunden der Gesellschaft tatsächlich gegen Verlust oder Beschädigung versichert gewesen seien, zweifellos als Indiz für das Vorliegen eines Verwahrungsvertrages herangezogen werden können, weil aus dem Versicherungsschutz auf eine Obsorgeverpflichtung der Gesellschaft als Versicherungsnehmer zu schließen gewesen wäre. Als Begründung für das Vorliegen eines solchen Versicherungsschutzes wird jedoch von der belangten Behörde lediglich die in ihrer Gegenschrift näher erläuterte Auffassung vertreten, der Begriff "das gesamte Warenlager" umfasse grundsätzlich auch fremdes Eigentum, es sei denn, der Versicherungsvertrag enthalte eine abweichende Regelung.

Dieser Rechtsansicht vermag sich der Gerichtshof nicht anzuschließen. Bei Betrieben ist unter dem Begriff "Warenlager" eine dem Begriff "Betriebsvermögen" untergeordnete Kategorie von Vermögenswerten zu verstehen, die dem Betriebsinhaber zuzurechnen sind. Dieser Begriff erfährt auch nicht dadurch eine Erweiterung, dass er mit dem Wort "gesamt" verknüpft wird. Eine Einbeziehung fremder Sachen in den Versicherungsschutz bedürfte daher einer Textierung, die dies deutlich macht.

Nun weist die Gesellschaft darauf hin, dass nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen betreffend Schäden durch Einbruch, Diebstahl und Feuer der Versicherungsschutz regelmäßig nur jene Sachen mitumfasse, die dem Versicherungsnehmer gehören, von ihm unter Eigentumsvorbehalt erworben oder ihm verpfändet wurden.

Dem hat die belangte Behörde nur ihr Verständnis vom Begriffsinhalt "gesamtes Warenlager" entgegenzusetzen, was aber, wie gesagt, nicht überzeugt. Der weitere Hinweis der belangten Behörde in der Gegenschrift, ihre Rechtsansicht werde auch von der Versicherung geteilt, "die nach Einlagen der Beschwerde bei der belangten Behörde hiezu befragt wurde", vermag den angefochtenen Bescheid schon deshalb nicht zu tragen, weil er in der Begründung des angefochtenen Bescheides keinen Niederschlag gefunden hat bzw. finden konnte.

Da somit der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt insoweit noch ergänzungsbedürftig ist, als das Vorliegen des wesentlichen Merkmales eines Verwahrungsvertrages, nämlich die Übernahme einer fremden Sache in die Obsorge mit der Verpflichtung sie vor Schaden zu sichern, noch nicht als erwiesen angenommen werden kann, erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 13. Oktober 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1994130060.X00

Im RIS seit

21.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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