TE Vwgh Beschluss 2018/10/24 Ra 2018/04/0165

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Veröffentlicht am 24.10.2018
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §13a;
GewO 1994 §74 Abs2 Z4;
GewO 1994 §74 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision der Marktgemeinde P, vertreten durch Dr. Peter Karlberger, Dr. Manfred Wiener, Mag. Wilfried Opetnik, Mag. Petra Rindler und Mag. Christoph Henseler, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Nibelungengasse 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 20. Juli 2018, Zl. LVwG-AV-679/001-2018, betreffend gewerberechtliches Betriebsanlagenverfahren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Scheibbs; mitbeteiligte Partei: H Kommanditgesellschaft, L), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs (belangte Behörde) vom 6. Juni 2018 wurde der H KG (mitbeteiligte Partei) gemäß den §§ 74 Abs. 2, 77, 81 und 359 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) die gewerbebehördliche Genehmigung für die Änderung einer näher bezeichneten Betriebsanlage durch das Projekt "Errichtung einer weiteren Zu- und Abfahrt über die LB 25" unter Vorschreibung einer Reihe von Auflagen erteilt.

2 Die belangte Behörde verwies auf das eingeholte Gutachten des Amtssachverständigen für Verkehrstechnik, demzufolge bei projekt- und beschreibungsgemäßer Ausführung und Vorschreibung der genannten Auflagen aus verkehrstechnischer Sicht die mit dem Betrieb der Anlage verbundenen Beeinträchtigungen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs voraussichtlich nicht als wesentlich im Sinn des § 74 Abs. 2 Z 4 GewO 1994 anzusehen seien. Dieses Gutachten sei nach Ansicht der belangten Behörde nicht anzuzweifeln.

3 2. Gegen diesen Bescheid erhob die Marktgemeinde P (Revisionswerberin) Beschwerde. Darin verwies sie auf ihre Stellungnahme vom 5. Juni 2018 und hielt erneut fest, dass "der Gehweg entlang der LB25 und des (H-Parkplatzes) unterbrochen wird. Dadurch wird die Sicherheit des Fußgänger- und Radverkehrs aus unserer Sicht stark beeinträchtigt oder sogar verschlechtert."

Hingewiesen wurde darauf, dass der Gehsteig u.a. von Schülern und Kindergartenkindern benützt werde. Unter der Überschrift "Erhöhtes Verkehrsaufkommen" wurde vorgebracht, dass es in einem näher umschriebenen Abschnitt innerhalb von 500 m fünf Ein- und Ausfahrten gebe. Mit der neuen Zu- und Abfahrt gebe es "keine Verkehrslücken mehr", sodass eine Ausfahrt an näher bezeichneten Orten kaum möglich wäre, zumal es "schon jetzt mit den Ausfahrten Probleme" gebe.

4 Abschließend hielt die Revisionswerberin fest, der Errichtung der beantragten Zu- und Ausfahrt nur unter näher dargelegten Voraussetzungen (Schaffung einer gesicherten Querung der "LB 25" und Garantie einer sicheren Benützung dieses Weges durch die Bevölkerung der Marktgemeinde) zuzustimmen.

5 Der Beschwerde war eine Stellungnahme der Neuen Mittelschule P angeschlossen, in der sich das Lehrerkollegium unter Verweis auf die dadurch eintretende untragbare Sicherheitssituation gegen die Errichtung der beantragten Zu- und Ausfahrt aussprach.

6 3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. Juli 2018 wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde als unbegründet ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.

7 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass öffentliches Gut der Revisionswerberin unmittelbar an das Betriebsgrundstück angrenze. Den Parteien sei das verkehrstechnische Gutachten zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt worden. Die Revisionswerberin habe dazu eine Stellungnahme abgegeben.

8 In seinen rechtlichen Erwägungen hielt das Verwaltungsgericht fest, dass eine Nachbarstellung der Revisionswerberin als Gemeinde nach § 75 Abs. 2 GewO 1994 nur als Eigentümerin oder sonst dinglich Berechtigte in Betracht komme. Sie könne nicht in ihrem Leben oder in ihrer Gesundheit gefährdet oder im Sinn des § 74 Abs. 2 Z 2 GewO 1994 belästigt sein.

9 In ihrer Beschwerde mache die Revisionswerberin ausschließlich Verkehrsbeeinträchtigungen im Sinn des § 74 Abs. 2 Z 4 GewO 1994 geltend. Diese Bestimmung räume Nachbarn jedoch keine subjektiv-öffentlichen Rechte ein, auch nicht im Hinblick auf ein erhöhtes Verkehrsaufkommen. Der Schutz der öffentlichen Interessen obliege der Behörde von Amts wegen. Auch aus § 355 GewO 1994 ergebe sich diesbezüglich keine besondere Parteistellung. Die Revisionswerberin habe somit keine von ihr als Nachbarin allenfalls geltend zu machende Beeinträchtigung subjektiv-öffentlicher Rechte behauptet.

10 Zu der von Amts wegen zu berücksichtigenden Gewährleistung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs verwies das Verwaltungsgericht auf das eingeholte verkehrstechnische Gutachten, das Vorgaben für die Herstellung eines Gehsteiges enthalte.

11 Von der Durchführung einer - nicht beantragten - mündlichen Verhandlung sah das Verwaltungsgericht unter Verweis auf § 24 Abs. 4 VwGVG ab.

12 4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

13 Dem damit verbundenen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gab das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 13. September 2018 nicht statt.

14 Die Revisionswerberin beantragte daraufhin gemäß § 30 Abs. 2 und 3 VwGG, der Verwaltungsgerichtshof möge diesen Beschluss aufheben und dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung stattgeben.

15 5. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

16 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

17 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

18 6.1. Die Revisionswerberin führt zur Zulässigkeit ihrer Revision ins Treffen, das Verwaltungsgericht habe ihr Vorbringen zur Rechtsstellung als Inhaberin einer Einrichtung nach § 75 Abs. 2 letzter Satz GewO 1994 und zur Gesundheitsgefährdung der sich in den (in der Beschwerde angeführten) Sport- und Schulanlagen aufhaltenden Kindergarten- und Schulkinder nicht berücksichtigt. Die Revisionswerberin habe erkennbar eine mögliche Gesundheitsgefährdung dieser Kinder bzw. nachteilige Immissionen auf die Grundstücke (durch erhöhtes Verkehrsaufkommen) behauptet. Dem Vorbringen der Revisionswerberin sei vom Verwaltungsgericht zu Unrecht die rechtliche Qualifikation als Einwendung abgesprochen worden.

19 6.2. Nach § 74 Abs. 2 Z 4 GewO 1994 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung betrieben werden, wenn sie geeignet sind, die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs an oder auf Straßen mit öffentlichem Verkehr wesentlich zu beeinträchtigen. Gemäß § 77 Abs. 1 GewO 1994 ist eine Genehmigung zu erteilen, wenn (u.a.) Beeinträchtigungen im Sinn des § 74 Abs. 2 Z 4 GewO 1994 auf ein zumutbares Ausmaß beschränkt werden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes räumt § 74 Abs. 2 Z 4 GewO 1994 den Nachbarn keine Stellung ein, deren Beeinträchtigung von ihnen als Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte geltend gemacht werden könne. Der Schutz der öffentlichen Interessen gemäß § 74 Abs. 2 Z 4 GewO 1994 obliegt vielmehr der Gewerbebehörde von Amts wegen (siehe etwa VwGH 10.10.2016, Ra 2016/04/0110, mwN).

20 Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass die in vertretbarer Weise vorgenommene einzelfallbezogene Auslegung von Parteierklärungen nicht revisibel ist. Die Auslegung einer Erklärung im Einzelfall ist nur dann als revisibel anzusehen, wenn dem Verwaltungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (siehe VwGH 8.8.2018, Ra 2018/04/0090; 7.6.2017, Ra 2017/17/0335, jeweils mwN).

21 Dass das Verwaltungsgericht das oben auszugsweise dargestellte Beschwerdevorbringen als Vorbringen betreffend § 74 Abs. 2 Z 4 GewO 1994 gewertet und eine Geltendmachung der Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte verneint hat, ist nicht zu beanstanden (vgl. etwa VwGH 30.6.1987, 87/04/0024, 0025, dem zufolge das Vorbringen einer Gefährdung von Schulkindern durch erhöhten Lkw-Verkehr als Einwendung nach § 74 Abs. 2 Z 4 GewO 1973 gewertet worden ist; bzw. VwGH 24.10.2001, 98/04/0181, zum Relevieren eines erhöhten Verkehrsaufkommens). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedarf es nämlich einer konkreten - und nicht bloß impliziten - Aussage, in welchem subjektiven Recht der Nachbar verletzt zu sein behauptet (vgl. VwGH 19.3.2003, 99/04/0034; bzw. allgemein zu den Anforderungen an eine Einwendung VwGH 19.3.1996, 95/04/0171 bis 0173).

22 Im Hinblick darauf ist es vorliegend auch nicht erheblich, ob das Vorbringen der Revisionswerberin als solches in ihrer Stellung als Schulerhalter nach § 75 Abs. 2 letzter Satz GewO 1994 anzusehen gewesen wäre.

23 6.3. Nach Ansicht der Revisionswerberin sei das Verwaltungsgericht insoweit von (nicht näher genannter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, "als es die Einwendungen der Revisionswerberin nicht entsprechend umgedeutet" und "die Bestimmung des § 13a AVG verletzt" habe.

24 Dem ist entgegenzuhalten, dass es nach der zu § 13a AVG ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht Aufgabe der Behörde ist, zur Erhebung von Einwendungen und zu deren inhaltlicher Gestaltung anzuleiten (vgl. VwGH 99/04/0034, mwN; bzw. VwGH 95/04/0171 bis 0173, wonach eine Beratung der Verfahrensparteien in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu den Pflichten der Behörde zählt).

25 6.4. Angesichts der nicht zu beanstandenden Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, dass in der Beschwerde keine Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte geltend gemacht worden sei, vermag die Revisionswerberin auch mit ihrem weiteren Vorbringen betreffend die unterbliebene Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die geltend gemachte Unvollständigkeit des eingeholten verkehrstechnischen Sachverständigengutachtens keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

26 Dem (nicht weiter substanziierten) Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen und es habe gegen den Grundsatz des Parteiengehörs verstoßen, weil der Revisionswerberin kein weiteres Recht auf Stellungnahme eingeräumt worden sei, fehlt es an einer entsprechenden Relevanzdarstellung (vgl. dazu etwa VwGH 26.9.2017, Ra 2017/04/0067 bis 0070, mwN).

27 7. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

28 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen. 29 Damit erübrigt sich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Wien, am 24. Oktober 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018040165.L00

Im RIS seit

22.11.2018

Zuletzt aktualisiert am

07.01.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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