TE Vfgh Erkenntnis 2018/10/10 E2751/2018

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Veröffentlicht am 10.10.2018
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Index

32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1
FinStrG §29 Abs6, §265 Abs1w
EMRK Art6 / civil rights
EMRK Art7
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm betreffend die Abgabenerhöhung als (weitere) Voraussetzung zur Erlangung der Straffreiheit bei Selbstanzeigen im Finanzstrafrecht nach finanzbehördlicher Ankündigung; keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Abgabenerhöhung für vorsätzlich und grob fahrlässig begangene Finanzvergehen; Beseitigung der Strafbarkeit und Aufhebung der Schuld durch die Selbstanzeige im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

Spruch

I. Die beschwerdeführende Partei ist durch das angefochtene Erkenntnis nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

II. Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die beschwerdeführende Partei durch das angefochtene Erkenntnis in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1.       Mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 kündigte das Finanzamt Wien 12/13/14 Purkersdorf der beschwerdeführenden Partei eine Außenprüfung betreffend Lohnabgaben, Kommunalsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen gemäß §147 Abs1 BAO für den Zeitraum vom 1. Jänner 2011 bis 31. Dezember 2013 an. Die beschwerdeführende Partei erstattete in der Folge am 23. November 2016, noch vor Beginn der Außenprüfung, eine Selbstanzeige hinsichtlich verkürzter Lohnabgaben im Zeitraum von November 2006 bis Oktober 2016. In der Selbstanzeige wurde seitens der beschwerdeführenden Partei offengelegt, dass Überstunden teilweise zu Unrecht in Form von steuerfreien Kilometergeldvergütungen und Prämienzahlungen abgegolten worden seien und es dadurch zu einer Verkürzung von Lohnabgaben gekommen sei. Die von der beschwerdeführenden Partei der Selbstanzeige beigelegten Unterlagen wiesen einen verkürzten Abgabenbetrag in der Höhe von insgesamt € 459.659,66 aus.

2.       Mit Bescheid vom 28. November 2016 dehnte das Finanzamt Wien 12/13/14 Purkersdorf die Außenprüfung gemäß §147 Abs1 BAO iVm §99 Abs2 FinStrG betreffend Lohnabgaben, Kommunalsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen auf den Zeitraum vom 1. Jänner 2006 bis 31. Dezember 2015 aus. Im Zuge der Prüfung stellte die Finanzbehörde – entgegen den Berechnungen der beschwerdeführenden Partei in ihrer Selbstanzeige – einen Verkürzungsbetrag von lediglich € 295.920,95 fest.

3.       Mit Bescheid vom 30. Jänner 2017 setzte das Finanzamt Wien 12/13/14 Purkersdorf gemäß §29 Abs6 FinStrG eine Abgabenerhöhung in der Höhe von insgesamt € 88.776,– fest, welche die beschwerdeführende Partei rechtzeitig iSd §29 Abs2 FinStrG entrichtete.

4.       Am 30. März 2017 erhob die beschwerdeführende Partei gegen den Abgabenbescheid Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass eine Abgabenerhöhung gemäß §29 Abs6 FinStrG nur für den durch die Behörde zur Prüfung angemeldeten Zeitraum, in concreto die Jahre 2011 bis 2013, vorgeschrieben werden dürfe. Jene Abgabenzeiträume, die erst nach der Erstattung der Selbstanzeige in den Prüfungszeitraum einbezogen wurden, seien für die Bemessung der Abgabenerhöhung auszuscheiden. Das Bundesfinanzgericht wies die Beschwerde – nach der abweisenden Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf vom 11. April 2017 – mit Erkenntnis vom 24. Mai 2018 als unbegründet ab.

5.       Gegen dieses Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Die beschwerdeführende Partei begründet die Verfassungswidrigkeit der angewendeten Bestimmungen im Wesentlichen damit, dass es sich bei der in §29 Abs6 FinStrG idF BGBl I 65/2014 vorgesehenen Abgabenerhöhung um eine Bestimmung des materiellen Strafrechts handle und es wegen der Übergangsbestimmung in §265 Abs1w FinStrG idF BGBl I 65/2014 zu einer Art7 EMRK widersprechenden Rückwirkung dieser für die beschwerdeführende Partei nachteiligen Regelung komme.

6.       Das Bundesfinanzgericht und das Finanzamt Wien 12/13/14 Purkersdorf legten dem Verfassungsgerichtshof die Gerichts- bzw Verwaltungsakten vor. Das Finanzamt Wien 12/13/14 Purkersdorf erstattete eine Gegenschrift, in der es den verfassungsrechtlichen Bedenken der beschwerdeführenden Partei betreffend die angewendeten Bestimmungen entgegentritt.

II.      Rechtslage

1.       §147 Abs1 Bundesgesetz über allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes, der Länder und Gemeinden verwalteten Abgaben (Bundesabgabenordnung – BAO), BGBl 194/1961, idF BGBl I 124/2003 lautet:

"Außenprüfungen

§147. (1) Bei jedem, der zur Führung von Büchern oder von Aufzeichnungen oder zur Zahlung gegen Verrechnung mit der Abgabenbehörde verpflichtet ist, kann die Abgabenbehörde jederzeit alle für die Erhebung von Abgaben bedeutsamen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse prüfen (Außenprüfung).

[…]"

2.       §4, §29 und §265 Abs1w Bundesgesetz vom 26. Juni 1958, betreffend das Finanzstrafrecht und das Finanzstrafverfahrensrecht (Finanzstrafgesetz – FinStrG), BGBl 129/1958, idF BGBl I 65/2014 lauten in ihrem Zusammenhang:

"Allgemeine Voraussetzungen der Strafbarkeit

§4. (1) Eine Strafe wegen eines Finanzvergehens darf nur verhängt werden, wenn die Tat schon zur Zeit ihrer Begehung mit Strafe bedroht war.

(2) Die Strafe richtet sich nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, dass das zur Zeit der Entscheidung des Gerichtes erster Instanz oder der Finanzstrafbehörde geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung für den Täter günstiger wäre.

[…]

Selbstanzeige

§29. (1) Wer sich eines Finanzvergehens schuldig gemacht hat, wird insoweit straffrei, als er seine Verfehlung darlegt (Selbstanzeige). Die Darlegung hat, wenn die Handhabung der verletzten Abgaben- oder Monopolvorschriften den Zollämtern obliegt, gegenüber einem Zollamt, sonst gegenüber einem Finanzamt zu erfolgen. Sie ist bei Betretung auf frischer Tat ausgeschlossen.

(2) War mit einer Verfehlung eine Abgabenverkürzung oder ein sonstiger Einnahmenausfall verbunden, so tritt die Straffreiheit nur insoweit ein, als der Behörde ohne Verzug die für die Feststellung der Verkürzung oder des Ausfalls bedeutsamen Umstände offen gelegt werden, und binnen einer Frist von einem Monat die sich daraus ergebenden Beträge, die vom Anzeiger geschuldet werden, oder für die er zur Haftung herangezogen werden kann, tatsächlich mit schuldbefreiender Wirkung entrichtet werden. Die Monatsfrist beginnt bei selbst zu berechnenden Abgaben (§§201 und 202 BAO) mit der Selbstanzeige, in allen übrigen Fällen mit der Bekanntgabe des Abgaben- oder Haftungsbescheides zu laufen und kann durch Gewährung von Zahlungserleichterungen (§212 BAO) auf höchstens zwei Jahre verlängert werden. Lebt die Schuld nach Entrichtung ganz oder teilweise wieder auf, so bewirkt dies unbeschadet der Bestimmungen des §31 insoweit auch das Wiederaufleben der Strafbarkeit.

(3) Straffreiheit tritt nicht ein,

a) wenn zum Zeitpunkt der Selbstanzeige Verfolgungshandlungen (§14 Abs3) gegen den Anzeiger, gegen andere an der Tat Beteiligte oder gegen Hehler gesetzt waren,

b) wenn zum Zeitpunkt der Selbstanzeige die Tat hinsichtlich ihrer objektiven Tatbestandsmerkmale bereits ganz oder zum Teil entdeckt und dies dem Anzeiger bekannt war oder die Entdeckung der Verletzung einer zollrechtlichen Verpflichtung hinsichtlich ihrer objektiven Tatbestandsmerkmale unmittelbar bevorstand und dies dem Anzeiger bekannt war, oder

c) wenn bei einem vorsätzlich begangenen Finanzvergehen die Selbstanzeige anläßlich einer finanzbehördlichen Nachschau, Beschau, Abfertigung oder Prüfung von Büchern oder Aufzeichnungen nicht schon bei Beginn der Amtshandlung erstattet wird, oder

d) bereits einmal hinsichtlich desselben Abgabenanspruches, ausgenommen Vorauszahlungen, eine Selbstanzeige erstattet worden ist.

(4) Ungeachtet der Straffreiheit ist auf Verfall von Monopolgegenständen zu erkennen. Dies gilt auch für Behältnisse und Beförderungsmittel der im §17 Abs 2 litb bezeichneten Art, es sei denn, daß die besonderen Vorrichtungen entfernt werden können; die Kosten hat der Anzeiger zu ersetzen. Ein Wertersatz ist nicht aufzuerlegen.

(5) Die Selbstanzeige wirkt nur für den Anzeiger und für die Personen, für die sie erstattet wird.

(6) Werden Selbstanzeigen anlässlich einer finanzbehördlichen Nachschau, Beschau, Abfertigung oder Prüfung von Büchern oder Aufzeichnungen nach deren Anmeldung oder sonstigen Bekanntgabe erstattet, tritt strafbefreiende Wirkung hinsichtlich vorsätzlich oder grob fahrlässig begangener Finanzvergehen nur unter der weiteren Voraussetzung insoweit ein, als auch eine mit einem Bescheid der Abgabenbehörde festzusetzende Abgabenerhöhung unter sinngemäßer Anwendung des Abs2 entrichtet wird. Die Abgabenerhöhung beträgt 5 % der Summe der sich aus den Selbstanzeigen ergebenden Mehrbeträgen. Übersteigt die Summe der Mehrbeträge 33 000 Euro, ist die Abgabenerhöhung mit 15 %, übersteigt die Summe der Mehrbeträge 100 000 Euro, mit 20 % und übersteigt die Summe der Mehrbeträge 250 000 Euro, mit 30 % zu bemessen. Insoweit Straffreiheit nicht eintritt, entfällt die Verpflichtung zur Entrichtung der Abgabenerhöhung, dennoch entrichtete Beträge sind gutzuschreiben. Die Abgabenerhöhung gilt als Nebenanspruch im Sinne des §3 Abs2 lita BAO.

(7) Wird eine Selbstanzeige betreffend Vorauszahlungen an Umsatzsteuer im Zuge der Umsatzsteuerjahreserklärung erstattet, bedarf es keiner Zuordnung der Verkürzungsbeträge zu den einzelnen davon betroffenen Voranmeldungszeiträumen.

[…]

§265. […]

(1w) §29 Abs3 und 6 treten mit 1. Oktober 2014 in Kraft. §29 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 65/2014 ist auf Selbstanzeigen, die nach dem 30. September 2014 erstattet werden, anzuwenden.

[…]"

3.       Die Finanzstrafgesetznovelle 2014, BGBl I 65/2014, trat mit Kundmachung vom 11. August 2014 in Kraft.

III.    Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.

Der Verfassungsgerichtshof hat – entgegen dem Beschwerdevorbringen – keine Bedenken gegen die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsvorschriften. Dies aus folgenden Gründen:

1.       §29 FinStrG sieht die Selbstanzeige als persönlichen Strafaufhebungsgrund für Finanzvergehen vor. Ein Strafaufhebungsgrund bewirkt, dass eine zunächst gegebene Strafbarkeit beseitigt wird (vgl Lässig, §29 FinStrG, in: Höpfel/Ratz [Hrsg.], WK-StGB², 2016, Rz 1 und §4 FinStrG, Rz 8).

Straffreiheit durch Selbstanzeige im Finanzstrafrecht wird nur erlangt, sofern sämtliche der Voraussetzungen des §29 FinStrG erfüllt sind. §29 FinStrG idF BGBl I 65/2014 stellt einerseits inhaltliche sowie andererseits zeitliche Anforderungen an die Selbstanzeige:

Der Anzeiger hat die Verfehlung in seiner Selbstanzeige darzulegen (§29 Abs1 erster Satz FinStrG), die Umstände zur Feststellung der Beträge bei einer Abgabenverkürzung oder einem Einnahmenausfall offenzulegen (§29 Abs2 erster Satz FinStrG) und die entsprechenden Abgabenbeträge innerhalb eines Monats ab der Selbstanzeige bzw ab Bekanntgabe durch die Behörde (§29 Abs2 erster und zweiter Satz FinStrG) zu entrichten. Darüber hinaus wirkt die Selbstanzeige nur dann strafbefreiend, wenn sie bei der zuständigen Behörde (§29 Abs1 zweiter Satz FinStrG) eingebracht wurde.

Unter dem Gesichtspunkt der Rechtzeitigkeit legt §29 Abs3 (und Abs1 dritter Satz) FinStrG fest, bis zu welchem Zeitpunkt eine Selbstanzeige strafbefreiend erfolgen kann. Demgemäß kommt die Strafaufhebung durch eine Selbstanzeige nach §29 FinStrG nicht zum Tragen, wenn der Täter auf frischer Tat ertappt wird (Abs1 dritter Satz leg.cit.); wenn bereits Verfolgungshandlungen gegen den Anzeiger, andere Beteiligte oder Hehler gesetzt waren (Abs3 lita leg.cit.); wenn die Tat bereits (auch nur teilweise) entdeckt war (oder dies bei zollrechtlichen Verpflichtungen unmittelbar bevorstand) und dies dem Anzeiger bekannt war (Abs3 litb leg.cit.); oder wenn bereits hinsichtlich desselben Abgabenanspruches Selbstanzeige erstattet wurde (Abs3 litd leg.cit.).

§29 FinStrG lässt es grundsätzlich zu, dass (strafbefreiende) Selbstanzeigen auch erst aus Anlass der Ankündigung oder sonstigen Bekanntgabe einer finanzbehördlichen Nachschau, Beschau, Abfertigung oder Prüfung von Büchern oder Aufzeichnungen erstattet werden. Für vorsätzlich begangene Finanzvergehen sieht §29 Abs3 FinStrG jedoch die zeitliche Einschränkung vor, dass die Selbstanzeige nicht später als bei Beginn der Amtshandlung zu erstatten ist (Abs3 litc leg.cit.). Für fahrlässig begangene Finanzvergehen gilt die Selbstanzeige (im Umkehrschluss) auch nach Beginn der Amtstätigkeit – sofern kein anderer Ausschlussgrund des §29 Abs3 (oder Abs1 dritter Satz) FinStrG vorliegt – als rechtzeitig.

2.       §29 Abs6 FinStrG sieht für Selbstanzeigen von vorsätzlich oder grob fahrlässig begangenen Finanzvergehen anlässlich einer finanzbehördlichen Nachschau, Beschau, Abfertigung oder Prüfung von Büchern oder Aufzeichnungen folgende weitere Voraussetzung für deren strafbefreiende Wirkung vor: Wird die Selbstanzeige nach der Anmeldung oder sonstigen Bekanntgabe der genannten Amtshandlungen erstattet, tritt Straffreiheit nur insoweit ein, als auch rechtzeitig eine Abgabenerhöhung entrichtet wurde. Die Abgabenerhöhung wird bescheidmäßig von der Finanzbehörde festgestellt und beträgt – je nachdem, ob die Mehrbeträge in Summe € 33.000,–, € 100.000 oder € 250.000,– übersteigen, – 5%, 15%, 20% oder 30% der sich insgesamt aus der Selbstanzeige ergebenden Mehrbeträge. Sofern die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige nicht zum Tragen kommt, sind bereits entrichtete Abgabenerhöhungsbeträge gutzuschreiben (§29 Abs6 vierter Satz FinStrG).

3.       Die Abgabenerhöhung gemäß §29 Abs6 FinStrG wurde als (weitere) Voraussetzung für Selbstanzeigen, die anlässlich einer finanzbehördlichen Nachschau, Beschau, Abfertigung oder Prüfung von Büchern oder Aufzeichnungen nach deren Anmeldung oder sonstigen Bekanntgabe erstattet werden, im Zuge der Finanzstrafgesetznovelle 2014 mit BGBl I 65/2014 in das Regelungsregime des Strafaufhebungsgrundes der Selbstanzeige im Finanzstrafrecht eingeführt. Zuvor konnten Selbstanzeigen anlässlich der Ankündigung oder sonstigen Bekanntgabe einer finanzbehördlichen Nachschau, Beschau, Abfertigung oder Prüfung von Büchern oder Aufzeichnungen ohne Abgabenerhöhung – das Vorliegen der übrigen Anforderungen vorausgesetzt – strafbefreiend erstattet werden (§29 FinStrG idF vor BGBl I 65/2014). Eine Abgabenerhöhung von 25% war lediglich bei wiederholter Selbstanzeige vorgesehen (§29 Abs6 FinStrG idF vor BGBl I 65/2014).

Im Zuge der Finanzstrafgesetznovelle 2014, BGBl I 65/2014, wurde die Möglichkeit, erneut eine Selbstanzeige betreffend denselben Abgabenanspruch zu erstatten, ausgeschlossen (§29 Abs3 litd FinStrG idF BGBl I 65/2014); die bisher in §29 Abs6 FinStrG mit der Finanzstrafgesetznovelle 2010, BGBl I 104/2010, vorgesehene Abgabenerhöhung von 25% bei wiederholter Selbstanzeige ist entfallen. Neu hinzugekommen ist die dargelegte Abgabenerhöhung bei Selbstanzeigen hinsichtlich vorsätzlich oder grob fahrlässig begangener Finanzvergehen, die anlässlich einer finanzbehördlichen Prüfung erstattet werden (§29 Abs6 FinStrG idF BGBl I 65/2014).

Ziel der Einführung der Abgabenerhöhung iSd §29 Abs6 FinStrG idF BGBl I 65/2014 war die Senkung der Anzahl von Selbstanzeigen für vorsätzlich oder grob fahrlässig begangene Finanzdelikte anlässlich von Prüfungsmaßnahmen (AB 191 BlgNR 25. GP, 1). Es erschien dem Gesetzgeber – so die Materialien – nach der alten Rechtslage nicht gerechtfertigt, Selbstanzeigen, die zu einem Zeitpunkt erstattet werden, in dem bei verständiger Würdigung der Sachlage mit der Tatentdeckung gerechnet werden müsse, ohne zusätzliche Leistung strafbefreiende Wirkung zukommen zu lassen. Aus diesem Grund sollte Selbstanzeigen, die anlässlich von finanzbehördlichen Überprüfungen erstattet werden, die strafbefreiende Wirkung nur mehr bei Entrichtung eines Zuschlages der verkürzten Abgabe zuerkannt werden (Erläut zur RV 177 BlgNR 25. GP, 1).

Gemäß §265 Abs1w FinStrG tritt §29 Abs6 FinStrG idF BGBl I 65/2014 mit 1. Oktober 2014 in Kraft und gilt für Selbstanzeigen, die nach dem 30. September 2014 erstattet werden.

4.       Die vorliegende Beschwerde rügt die Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen über die Abgabenerhöhung bei Selbstanzeigen iSd §29 Abs6 FinStrG idF BGBl I 65/2014 und begründet die Bedenken im Wesentlichen damit, dass es wegen der Übergangsbestimmung in §265 Abs1w FinStrG zu einer Art7 EMRK (sowie §4 FinStrG) widersprechenden Rückwirkung von materiell-rechtlichen Strafbestimmungen komme. Die aus §265 Abs1w FinStrG folgende Anwendung der Abgabenerhöhung gemäß §29 Abs6 FinStrG idF BGBl I 65/2014 auf Finanzvergehen, die vor der Kundmachung des BGBl I 65/2014 am 11. August 2014 begangen wurden, verstoße gegen das Rückwirkungsverbot gemäß Art7 EMRK.

5.       Der Verfassungsgerichtshof teilt die Bedenken der beschwerdeführenden Partei aus Sicht des Art7 EMRK nicht. Dies aus folgenden Gründen:

5.1.    Nach Art7 Abs1 EMRK kann niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden (siehe bereits VfSlg 8087/1977, 8195/1977, 11.776/1988; zB auch VfSlg 19.920/2014).

Das aus Art7 EMRK abgeleitete Rückwirkungsverbot strengerer Strafgesetze ist nur auf Bestimmungen anwendbar, die Straftaten und die jeweils drohende Strafe festlegen. Bestimmungen, die keinen materiell-strafrechtlichen Inhalt aufweisen, sind hingegen nicht vom Schutzbereich des Art7 EMRK erfasst (Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6, 2016, §24 Rz 147; VfGH 29.11.2017, G94/2017 ua).

5.2.    Im Hinblick auf §29 FinStrG kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Regelung des Strafaufhebungsgrundes der Selbstanzeige um eine materiell-strafrechtliche Bestimmung im Schutzbereich des Art7 EMRK handelt, zumal die Einführung des §29 Abs6 FinStrG iVm §265 Abs1w FinStrG mit BGBl I 65/2014 – anders als dies die beschwerdeführende Partei meint – keine rückwirkende Abgabenerhöhung für Selbstanzeigen von Finanzvergehen bewirkt:

Gemäß §265 Abs1w FinStrG tritt das zusätzliche Erfordernis der Entrichtung eines Abgabenerhöhungsbetrages nach §29 Abs6 FinStrG mit 1. Oktober 2014 in Kraft und gilt für ab dem 30. September 2014 erstattete Selbstanzeigen. Die Abgabenerhöhung ist daher nicht auf bereits vor Inkrafttreten des §29 Abs6 FinStrG erstattete Selbstanzeigen anwendbar.

5.3.    Soweit die beschwerdeführende Partei eine Rückwirkung darin erblickt, dass die Abgabenerhöhung gemäß §29 Abs6 iVm §265 Abs1w FinStrG idF BGBl I 65/2014 auf Selbstanzeigen von Finanzvergehen anzuwenden ist, die vor Inkrafttreten der Novelle BGBl I 65/2014 begangen wurden, teilt der Verfassungsgerichtshof diese Rechtsauffassung nicht. §29 (Abs6) FinStrG regelt, unter welchen Voraussetzungen das Nachtatverhalten strafbefreiend wirkt. Dies ist von Regelungen zum Sachverhalt der Tatbegehung – wie etwa betreffend der objektiven und subjektiven Tatseite eines (Finanz-)Deliktes, Rechtfertigungsgründe oder Schuldausschließungsgründe – zu trennen.

Es liegt in der Rechtsnatur des Strafaufhebungsgrundes der Selbstanzeige, dass dieser seine Rechtswirkung nicht im Tatzeitpunkt, sondern erst nach Verwirklichung der Tat – vorliegend im Zeitpunkt, in dem sich der Täter zur Erstattung einer Selbstanzeige gemäß §29 FinStrG entschließt – entfaltet. Die zunächst gegebene Strafbarkeit eines Finanzvergehens wird zu einem späteren Zeitpunkt – etwa durch Verjährung (§31 FinStrG) oder durch ein bestimmtes Nachtatverhalten (§§29, 30, 30a FinStrG) – beseitigt (vgl Lässig, aaO, §4 Rz 8; §29 Rz 1).

Die Frage des Günstigkeitsvergleichs nach Art7 EMRK – dessen Anwendbarkeit im konkreten Fall vorausgesetzt – stellte sich im Hinblick auf §29 FinStrG nur dann, wenn das (nach der alten Rechtslage günstiger behandelte) Nachtatverhalten bereits gesetzt wurde und nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung rückwirkend strengeren Anforderungen unterworfen wird (vgl im Hinblick auf die Verjährung OGH RS0116876; Lässig, aaO, §4 Rz 8 mwN; siehe in diese Richtung bereits VfSlg 9382/1982). Eine solche Rückwirkung des §29 Abs6 FinStrG idF BGBl I 65/2014 auf bereits gesetztes Nachtatverhalten liegt jedoch nicht vor, weil die Regelung des §29 Abs6 FinStrG auf vor deren Inkrafttreten am 1. Oktober 2014 bereits erstattete Selbstanzeigen nicht anwendbar ist.

5.4.    Ein Widerspruch des §265 Abs1w und §29 Abs6 FinStrG idF BGBl I 65/2014 zu Art7 EMRK liegt sohin nicht vor.

6.       Der Verfassungsgerichtshof hegt auch aus Sicht des Art6 EMRK keine Bedenken gegen §29 FinStrG idF BGBl I 65/2014.

6.1.    Art6 EMRK gewährleistet ein Justiz- und Verfahrensgrundrecht, dessen Anwendungsbereich auf Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche oder die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage begrenzt ist.

Die Verfahrensgarantien des Art6 EMRK beziehen sich nicht auf die Erstattung einer Selbstanzeige gemäß §29 FinStrG: In dem von §29 FinStrG geregelten Tatbestand der Darlegung eines Finanzvergehens durch den Täter selbst (oder für ihn mit seiner Zustimmung iSd §29 Abs5 FinStrG) wird ein (gerichtliches oder behördliches) Verfahren gegen den Täter oder an der Tat Beteiligte gerade nicht geführt. §29 FinStrG verlangt vielmehr unter dem Gesichtspunkt der Rechtzeitigkeit der Selbstanzeige, dass (noch) kein (finanz-)strafrechtliches Verfahren – eine Verfolgungshandlung iSd §29 Abs3 lita iVm §14 Abs3 FinStrG – eingeleitet wurde (siehe Punkt III.1.).

Gleiches gilt für Selbstanzeigen gemäß §29 Abs6 FinStrG, die aus Anlass der Bekanntgabe einer behördlichen Überprüfung erfolgen und für die das Erfordernis der Entrichtung einer Abgabenerhöhung vorgesehen ist. Der Abgabenerhöhungsbetrag bestimmt sich anhand der vom Anzeiger selbst – noch vor Einleitung eines finanzbehördlichen Strafverfahrens – zur Anzeige gebrachten Abgabenbeträge (Mehrbeträge). Durch die rechtzeitige Entrichtung der Abgabenerhöhung und unter den übrigen Voraussetzungen des §29 FinStrG (siehe Punkt III.2.) beseitigt der Anzeiger die Strafbarkeit der von ihm zur (Selbst-)Anzeige gebrachten Finanzvergehen, bevor eine Verfolgungshandlung iSd §29 Abs3 lita iVm §14 Abs3 FinStrG gesetzt wurde. Die Garantien des Art6 EMRK beziehen sich daher auch nicht auf die Selbstanzeige anlässlich der Bekanntgabe einer finanzbehördlichen Überprüfung gemäß §29 Abs6 FinStrG vor einem (finanz-)strafrechtlichen Verfahren.

6.2.    Es ist für den Verfassungsgerichtshof auch sonst nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber den ihm bei der Ausgestaltung von Strafaufhebungsgründen im Finanzstrafrecht zukommenden weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum überschritten hat (vgl zuletzt VfGH 14.3.2018, G241/2017). Die Regelung des §29 Abs6 FinStrG stellt sich weder im Hinblick auf die Bemessung der Abgabenerhöhung als überschießend (vgl dazu VfSlg 10.517/1985, 10.617/1985, 10.903/1986) noch hinsichtlich dessen Adressatenkreis als gleichheitswidrig dar.

Mit den in §29 Abs6 zweiter Satz FinStrG vorgesehenen Prozentsätzen hat der Gesetzgeber eine hinreichend differenzierte Regelung geschaffen, die sich in die Systematik des §29 FinStrG einfügt. Der Gesetzgeber hat einen gestaffelten Zuschlag vorgesehen, der sich nach den von der Selbstanzeige umfassten Abgabenverkürzungen berechnet. Der für den Höchstzuschlag von 30% bestimmte Schwellenbetrag von Mehrbeträgen über € 250.000,– steht im Einklang mit den dem §39 Abs3 litb FinStrG betreffend den qualifizierten Abgabenbetrug zugrunde liegenden Wertungen (vgl Erläut zur RV 177 BlgNR 25. GP, 1).

Die Höhe der Abgabenerhöhung knüpft sohin an die vom Anzeiger in seiner Selbstanzeige offengelegten Mehrbeträge. Es ist dem Gesetzgeber in dieser Hinsicht nicht entgegenzutreten, wenn er die jeweils zur Anwendung kommenden Prozentsätze von 5%, 15%, 20% oder 30% abhängig vom zur Anzeige gebrachten verkürzten Abgabenbetrag unterschiedlich regelt.

Es ist aus Sicht des Gleichheitsgrundsatzes verfassungsrechtlich ebenso wenig zu beanstanden, dass §29 Abs6 FinStrG die Abgabenerhöhung für die Selbstanzeige von vorsätzlich und grob fahrlässig begangenen Finanzvergehen gleichermaßen einbezieht und hinsichtlich der vorgesehen Prozentsätze nicht auf die Schuld des Selbstanzeigers abstellt. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Abgabenerhöhung gemäß §29 Abs6 FinStrG keine Bestrafung darstellt, die eine Unterscheidung dieser Tätergruppen bedingte:

Die Abgabenerhöhung trägt dem Umstand Rechnung, dass sich der Täter in den Fällen des §29 Abs6 erster Halbsatz FinStrG – anders als in den übrigen Fällen, in denen Straffreiheit durch Selbstanzeige gemäß §29 FinStrG erlangt wird – erst nach der finanzbehördlichen Ankündigung zur Selbstanzeige veranlasst sieht. Die in §29 Abs6 FinStrG vorgesehene Abgabenerhöhung soll dahingehend wirken, mit der Selbstanzeige von vorsätzlich und grob fahrlässig begangenen Finanzvergehen nicht erst bis zur (Ankündigung der) finanzbehördlichen Überprüfung zuzuwarten. Die Abgabenerhöhung schafft einen Anreiz, Selbstanzeigen bereits frühzeitig, ohne konkreten Anlass einer behördlichen Überprüfung, zu erstatten.

Im Rahmen der finanzbehördlichen Feststellung des Abgabenerhöhungsbetrages bei einer Selbstanzeige gemäß §29 Abs6 FinStrG wird – im Unterschied zur Verhängung einer Strafe im (Finanz-)Strafverfahren – kein Verschulden des Anzeigers festgestellt; die Schuld wird mit der Selbstanzeige gemäß §29 FinStrG aufgehoben und die Strafbarkeit beseitigt. Es steht dem Gesetzgeber bei der Regelung des Strafaufhebungsgrundes frei, diesen ohne Bedachtnahme auf das Verschulden des Selbstanzeigers für das freiwillig zur Anzeige gebrachte Finanzvergehen vorzusehen.

IV.      Ergebnis

1.       Die beschwerdeführende Partei ist durch das angefochtene Erkenntnis nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

2.       Da die Beschwerde nur die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob die beschwerdeführende Partei in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde (zB VfSlg 9447/1982, 14.299/1995, 20.054/2016; VfGH 26.6.2018, E4261/2017).

3.       Die Beschwerde ist daher abzuweisen und gemäß Art144 Abs3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichthof abzutreten.

4.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Finanzstrafrecht, Strafrecht, Rückwirkung, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Günstigkeitsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E2751.2018

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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