TE Vwgh Erkenntnis 2018/9/25 Ra 2018/21/0128

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Veröffentlicht am 25.09.2018
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Index

E3R E19104000;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32013R0604 Dublin-III Art28;
AVG §66 Abs4;
BFA-VG 2014 §22a Abs1a;
BFA-VG 2014 §22a Abs3;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28;
VwGVG 2014 §35;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15. Juni 2018, Zl. W137 2100912- 1/15E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: A A), zu Recht erkannt:

Spruch

Das genannte Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung aufgehoben, und zwar Spruchpunkt A I., soweit damit die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft ab Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Februar 2015, Zl. W137 2100912- 1/11E, für rechtswidrig erklärt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und Spruchpunkt A III. des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Syriens, beantragte nach seiner Festnahme im österreichischen Bundesgebiet am 30. Jänner 2015 die Gewährung von internationalem Schutz. EURODAC-Treffer ergaben die frühere Stellung von Asylanträgen in Griechenland, Deutschland und Ungarn. Mit Schreiben vom 12. Februar 2015 stimmte Ungarn der Überstellung des Mitbeteiligten zu. Am 10. März 2015, um 10:00 Uhr, wurde der Mitbeteiligte nach Ungarn überstellt.

2 Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 30. Jänner 2015 hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Mitbeteiligten gemäß Art. 28 der Verordnung (EU) 604/2013 (Dublin III-VO) iVm § 76 Abs. 2 Z 4 FPG (in der Fassung vor dem FrÄG 2015) die Schubhaft zur Sicherung insbesondere seiner Abschiebung angeordnet. Er wurde bis zur erwähnten Überstellung am 10. März 2015 in Schubhaft angehalten.

3 Am 13. Februar 2015 erhob der Mitbeteiligte Beschwerde gegen die Anordnung der Schubhaft sowie seine andauernde Anhaltung in Schubhaft.

4 Mit Erkenntnis vom 19. Februar 2015 stellte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) infolge dieser Beschwerde gemäß Art. 22a Abs. 3 BFA-VG iVm Art. 28 Dublin III-VO und § 76 Abs. 2 Z 4 FPG fest, dass im Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Es erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig.

In der Begründung führte das BVwG aus, dass die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 30. Jänner 2015 und der darauf gegründeten Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft vom 30. Jänner 2015 bis zum "Entscheidungszeitpunkt" sowie die Kostenentscheidung einer gesonderten Erledigung vorbehalten blieben.

Dieses Erkenntnis blieb unbekämpft.

5 Mit dem (vorliegend angefochtenen) Erkenntnis vom 15. Juni 2018 gab das BVwG der Beschwerde vom 13. Februar 2015 gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 1 FPG und Art. 28 Dublin III-VO statt und behob den Bescheid vom 30. Jänner 2015 ersatzlos. Außerdem erklärte es die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft (im gesamten Zeitraum) vom 30. Jänner bis zum 10. März 2015 für rechtswidrig (Spruchpunkt A I.). Weiters gab es dem Antrag des Mitbeteiligten auf (unentgeltliche) Beigabe eines Verfahrenshilfeverteidigers "gemäß § 40 Abs. 5 VwGVG" nicht Folge (Spruchpunkt A II.), verhielt den Bund gemäß § 35 Abs. 1 VwGG zum Aufwandersatz (Spruchpunkt A III.) und wies den Antrag auf Befreiung von der Eingabegebühr als unzulässig zurück (Spruchpunkt A IV.). Es erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

6 Gegen Spruchpunkt A I. dieses Erkenntnisses, soweit damit die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft ab Erlassung des erwähnten Erkenntnisses des BVwG vom 19. Februar 2015 für rechtswidrig erklärt wurde, sowie gegen die Entscheidung über den Aufwandersatz (Spruchpunkt A III.) richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

7 Das BFA macht geltend, dass das BVwG über die auf Basis des bereits ergangenen Erkenntnisses vom 19. Februar 2015 fortgesetzte Haft zu Unrecht entschieden habe. Dieser Vorwurf trifft zu, die Revision erweist sich daher als zulässig und berechtigt.

8 Ein die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft feststellender Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG, wie er hier mit dem Erkenntnis vom 19. Februar 2015 ergangen ist, wirkt als neuer (Titel-)Bescheid und kann die weitere Anhaltung in Schubhaft ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG auch dann legitimieren, wenn die vorangehende Anhaltung als rechtswidrig erkannt wird (vgl. VwGH 5.10.2017, Ra 2017/21/0161, 0162, Rn. 10, mwN).

9 Bei der Erlassung dieses Fortsetzungsausspruches war das BVwG nicht an die im Schubhaftbescheid herangezogenen Rechtsgrundlagen gebunden, sondern hatte die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nach allen Richtungen, unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der bisherigen Schubhaft, auf Basis der damals aktuellen Sach- und Rechtslage zu prüfen (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0143, Rn. 15, mwN).

10 Der Fortsetzungsausspruch hatte im Hinblick darauf zu ergehen, dass sich der Mitbeteiligte am 19. Februar 2015 weiterhin in Schubhaft befand. Er war zwar infolge der erhobenen Beschwerde zu treffen, konnte als solcher aber nicht Gegenstand der Schubhaftbeschwerde des Mitbeteiligten sein, was dann auch für die auf seiner Basis fortgesetzte Haft gilt. Über diese Haft war daher, nachdem keine weitere Schubhaftbeschwerde erhoben worden ist, auch nicht abzusprechen.

Das BVwG hat demnach mit dem - dennoch erfolgten - Abspruch über diese Haft die Grenzen seiner noch aufrechten Prüfungspflicht verkannt und damit sein Erkenntnis im Umfang der insoweit erfolgten Anfechtung durch die Amtsrevision mit Rechtswidrigkeit infolge seiner Unzuständigkeit belastet (vgl. in diesem Sinn etwa VwGH 30.1.2007, 2006/21/0349, und VwGH 19.6.2008, 2007/21/0358, mwN; allgemein weiters VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050, Rn. 6).

11 Die dargestellte Überschreitung der Entscheidungskompetenz muss auch auf den daran anknüpfenden Ausspruch über den Aufwandersatz (Spruchpunkt A III. des angefochtenen Erkenntnisses) durchschlagen. Diesbezüglich verweist die Revision zutreffend darauf, dass die dieser Kostenentscheidung des BVwG zu Grunde liegende Prämisse vollständigen Obsiegens des Mitbeteiligten nicht zutrifft, ist er doch hinsichtlich des Ausspruches nach § 22a Abs. 3 BFA-VG als endgültig unterlegen zu betrachten. Das steht einem Kostenersatz nach dem gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG auch im Schubhaftbeschwerdeverfahren anwendbaren § 35 VwGVG entgegen (vgl. etwa VwGH 26.4.2018, Ra 2017/21/0240, Rn. 11, mwN).

12 Nach dem Gesagten war das Erkenntnis des BVwG in Spruchpunkt A I., im angefochtenen Umfang, nämlich soweit damit die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft ab Erlassung des Erkenntnisses vom 19. Februar 2015 für rechtswidrig erklärt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des BVwG gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Der in Spruchpunkt A III. getroffene Kostenausspruch erweist sich dagegen als inhaltlich rechtswidrig. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 25. September 2018

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und BeweiseBesondere RechtsgebieteIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210128.L00

Im RIS seit

06.11.2018

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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