TE Vwgh Erkenntnis 2018/9/25 Ra 2018/21/0069

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Veröffentlicht am 25.09.2018
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §75 Abs20
AVG §10 Abs1
AVG §10 Abs1 implizit
AVG §10 Abs2
AVG §56
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §52 Abs9
VwGG §42 Abs2 Z2
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §28 Abs1
VwRallg

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2018/21/0070
Ra 2018/21/0071
Ra 2018/21/0072

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision 1. S, 2. Z, 3. M, und 4. I, alle vertreten durch Mag.a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 26/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. März 2018, 1) Zl. W226 1436776-2/8E, 2) Zl. W226 1436777-2/9E, 3) Zl. W226 1438515-2/8E und 4) Zl. W226 1438516-2/6E, betreffend insbesondere Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und Rückkehrentscheidung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von€ 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1        Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind Lebensgefährten. Die am 15. Oktober 1999 geborene Drittrevisionswerberin und der am 9. September 2003 geborene Viertrevisionswerber sind ihre gemeinsamen Kinder. Alle sind Staatsangehörige Tadschikistans.

2        Der Erstrevisionswerber und die Drittrevisionswerberin stellten nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 17. November 2012 Anträge auf internationalen Schutz. Die Zweitrevisionswerberin und der Viertrevisionswerber folgten ihnen nach und beantragten am 27. August 2013 gleichfalls die Gewährung von internationalem Schutz.

3        Die genannten Anträge wurden jeweils mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 2. Juli 2013 bzw. 15. Oktober 2013 vollumfänglich abgewiesen, die Revisionswerber wurden nach Tadschikistan ausgewiesen.

Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnissen vom 18. August 2017, Asyl und subsidiären Schutz betreffend, als unbegründet ab. Im Übrigen verwies es die Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur jeweiligen Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurück.

4        Mit Bescheiden jeweils vom 2. Oktober 2017 sprach das BFA sodann aus, dass den Revisionswerbern Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß den §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt werden. Unter einem wurde gegen die Revisionswerber jeweils gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Tadschikistan zulässig sei. Schließlich setzte das BFA die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

5        Das BVwG wies die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 20. März 2018 als unbegründet ab. Es erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen hat:

7        Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung verweist die Revision vor allem darauf, die Revisionswerber seien bereits im gegenständlichen Verfahren vor dem BFA durch die nunmehr auch im Revisionsverfahren einschreitende Rechtsanwältin vertreten gewesen, sodass entsprechende Zustellungen, zuletzt der Bescheide vom 2. Oktober 2017, an diese und nicht - wie tatsächlich erfolgt - an die Revisionswerber persönlich vorzunehmen gewesen wären. Damit sind die Revisionswerber im Recht. Die Revision erweist sich somit als zulässig und berechtigt.

8        Aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, dass die Revisionswerber bereits mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2015 - im Rahmen des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz - allgemein ihre Vertretung durch die von ihnen bevollmächtigte Rechtsanwältin bekannt gegeben haben. Hierauf verwiesen sie gegenüber dem BFA in einer Mitteilung vom 10. Oktober 2017.

9        Das BVwG vertrat dazu im angefochtenen Erkenntnis die Ansicht, eine im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht erteilte Vollmacht (samt Zustellvollmacht) gelte im daran anschließenden Verwaltungsverfahren regelmäßig nicht weiter. Dies wäre nur dann anzunehmen, wenn der Rechtsvertreter bereits im vorangegangenen Verwaltungsverfahren gegenüber der Behörde ausgewiesen und vom aufrechten Bestand des Vollmachtverhältnisses auszugehen sei. Eine Vertretung vor dem Verwaltungsgericht schließe dagegen, ebenso wie eine solche vor dem Verwaltungsgerichtshof, eine Vertretung für das daran anschließende Verwaltungsverfahren nicht mit ein, weil sich jede Bevollmächtigung nur auf das jeweilige Verfahren beziehe, in dem sich der Bevollmächtigte durch schriftliche Vollmacht ausgewiesen oder sich auf eine ihm erteilte Vollmacht berufen habe.

Hier sei die einschreitende Rechtsvertreterin nicht bereits im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren gegenüber der Behörde ausgewiesen, sondern erst im Verfahren vor dem BVwG. Beim fortgesetzten Verwaltungsverfahren vor dem BFA handle es sich nicht um dasselbe Verfahren wie das Beschwerdeverfahren vor dem BVwG. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass die gegenüber dem BVwG bestehende Bevollmächtigung im Verfahren vor dem BFA weiter wirke und diese Behörde verpflichtet gewesen wäre, die Bescheide zu Handen der (später erneut bevollmächtigten) Vertreterin zuzustellen. Die Bescheide seien den Revisionswerbern (persönlich) somit rechtswirksam zugestellt worden.

10       § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 lautet:

„Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1.   ... 2.

3.   der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, ...“

§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG sieht in diesem Zusammenhang vor:

„ (2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ...

2.   dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, ...“

Die Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 20 AsylG 2005 lautet auszugsweise:

„(20) Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen des Abs. 18 und 19 in Bezug auf Anträge auf internationalen Schutz

1.   den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes,

2.   ...6.,

so hat das Bundesverwaltungsgericht in jedem Verfahren zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird. Wird das Verfahren zurückverwiesen, so sind die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung für das Bundesamt nicht bindend. ...“

11       Hieraus ist abzuleiten, dass es sich bei dem (nach Zurückverweisung gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005) fortgesetzten Verfahren über die Rückkehrentscheidungen um ein Verfahren handelt, das mit dem Verfahren über die Anträge auf internationalen Schutz eine Einheit bildet. Es liegt also kein „anderes Verfahren“ als dasjenige vor, in dem sich die Bevollmächtigte (mit dem erwähnten Schriftsatz vom 22. Dezember 2015) bereits gemäß § 17 VwGVG iVm § 10 AVG ausgewiesen und sich auf ihre Vollmacht als Rechtsanwältin berufen hat.

12       Diese Verfahrenseinheit wird nicht dadurch durchbrochen, dass die Verfahren einerseits - zuletzt - vom BVwG und andererseits vom BFA zu führen waren. Denn die im angefochtenen Erkenntnis ins Treffen geführte Judikatur - im Übrigen ausdrücklich zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 ergangen -, wonach von einer Einheit hinsichtlich des Verwaltungsverfahrens und des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof keine Rede sein könne, ist jedenfalls auf das Verhältnis Verwaltungsgericht zu Behörde nicht zu übertragen. Dem Verwaltungsgericht kommt nämlich verfahrensrechtlich in vielfacher Weise jene Funktion zu, die früher die Berufungsbehörde nach § 66 Abs. 4 AVG innehatte, insbesondere hat es - anders als seinerzeit der Verwaltungsgerichtshof - nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl. dazu VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, Punkt B 2.3. der Entscheidungsgründe, mwN). Ferner handelt es sich bei der Beschwerde um ein Rechtsmittel, das den Parteien im regelmäßigen Gang des Verfahrens zur Verfügung steht und dessen Einbringung grundsätzlich (wie früher die Berufung) gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG aufschiebende Wirkung hat. Die Sachentscheidung der Verwaltungsgerichte ist an jener Sach- und Rechtslage auszurichten, die zum Zeitpunkt der Erlassung ihres Erkenntnisses maßgeblich ist (vgl. VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076, Punkt B 5.1. der Entscheidungsgründe). Das Erkenntnis tritt - wie die Entscheidung der Berufungsbehörde - an die Stelle des bekämpften Bescheides, der aus dem Rechtsbestand ausscheidet (vgl. VwGH 23.7.2018, Ra 2018/07/0349, Rn. 8).

13       All das verbietet die Annahme, das verwaltungsgerichtliche Verfahren einerseits und das behördliche Verfahren andererseits stellten im hier vorliegenden Zusammenhang keine Einheit dar, weshalb sich schlussfolgernd die im angefochtenen Erkenntnis - unter Berufung auf eine nicht näher begründete Ausführung in Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10, Rz. 144 - vertretene Auffassung, eine Bevollmächtigung im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wirke nicht eo ipso in einem fortgesetzten Verwaltungsverfahren, in dieser Allgemeinheit als verfehlt erweist.

14       Demzufolge wären die nur den Revisionswerbern persönlich zugestellten Bescheide des BFA vom 2. Oktober 2017 richtigerweise ihrer Rechtsvertreterin zuzustellen gewesen (vgl. etwa VwGH 26.4.2011, 2010/03/0186, Punkt II.1.2.; weiters Hengstschläger/Leeb, AVG I [2. Ausgabe 2014], § 10, Rz. 23).

15       Da diese Zustellung (trotz des diesbezüglichen Hinweises im Schriftsatz vom 10. Oktober 2017) unterblieben ist, sind die genannten Bescheide des BFA vom 2. Oktober 2017 nicht rechtswirksam erlassen worden. Dies hat den Mangel der Zuständigkeit des BVwG zu einem meritorischen Abspruch über die Beschwerden der Revisionswerber zur Folge. Vielmehr reicht seine Zuständigkeit in derartigen Fällen nur soweit, die Beschwerden als unzulässig zurückzuweisen (vgl. in diesem Sinn VwGH 4.7.2002, 2001/11/0072, a.E.).

16       Mit dem meritorischen Abspruch über die Beschwerden hat das BVwG - wie die Revision zu Recht aufzeigt - die Grenzen seiner funktionellen Zuständigkeit überschritten, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben war.

17       Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Da die Revisionswerber ein Erkenntnis gemeinsam in einer Revision angefochten haben, ist der Aufwandersatz gemäß § 53 Abs. 1 VwGG so zu beurteilen, wie wenn die Revision nur von dem in der Revision erstangeführten Revisionswerber eingebracht worden wäre. Das dieser Bestimmung nicht Rechnung tragende Mehrbegehren war somit abzuweisen.

Wien, am 25. September 2018

Schlagworte

Beginn Vertretungsbefugnis Vollmachtserteilung Besondere Rechtsgebiete Ende Vertretungsbefugnis Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang Zustellung Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210069.L00

Im RIS seit

07.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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