TE Vwgh Erkenntnis 1999/11/5 99/19/0197

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Veröffentlicht am 05.11.1999
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Index

E3R E05100000;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art10 Abs1;
ABGB §7;
AVG §56;
FrG 1993 §29 Abs3;
FrG 1997 §10 Abs1 Z2;
FrG 1997 §23 Abs1;
FrG 1997 §47 Abs3;
FrG 1997 §49 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde der am 3. Jänner 1967 geborenen LM in M, vertreten durch Mag. Dr. W, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 1. September 1999, Zl. 307.156/6-III/11/99, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 1. September 1999 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 3. August 1998 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 sei die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels zu versagen, wenn der Aufenthaltstitel zeitlich an den durch ein Reise- oder Durchreisevisum ermöglichten Aufenthalt anschließen und nach der Einreise erteilt werden solle. Die Beschwerdeführerin sei nach der auf ihren eigenen Angaben beruhenden Aktenlage mit einem vom 13. Juli 1998 bis 20. Juli 1998 gültigen Reisevisum in das Bundesgebiet eingereist und habe ihren damit begonnenen Aufenthalt mit dem vorliegenden Antrag auf Niederlassungsbewilligung, der im Inland eingebracht worden sei, verlängern wollen. Diese Beurteilung werde dadurch erhärtet, dass die Beschwerdeführerin seit 16. Juli 1998 an einer inländischen Adresse gemeldet sei. Sowohl im Antragsformular als auch in der Berufung werde ein inländischer Wohnsitz genannt. Auch Erhebungen der Gendarmerie hätten ergeben, dass die Beschwerdeführerin im Bundesgebiet aufhältig sei. Der Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 liege vor.

§ 47 Abs. 3 in Verbindung mit § 49 FrG 1997 sei auf die Beschwerdeführerin nicht anwendbar. Zwar sei die Tochter der Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürgerin, doch leiste erstere der Beschwerdeführerin keinen Unterhalt.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 MRK sei die Verweigerung eines Aufenthaltstitels, sofern damit in das Privat- und Familienleben des Antragstellers eingegriffen werde, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele notwendig sei. Demnach dürfe ein Aufenthaltstitel nicht verweigert werden, wenn die Auswirkungen einer solchen Entscheidung auf die Lebenssituation des Fremden oder seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Nichterteilung des Aufenthaltstitels. Dabei sei auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Antragstellers und seiner Familienangehörigen sowie die Intensität der familiären und sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen. Zwar bestünden durch den Aufenthalt des Ehegatten der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter unabsprechbare familiäre Bindungen in Österreich. Dennoch seien die öffentlichen Interessen zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele höher zu werten als die nachteiligen Folgen einer Verweigerung des Aufenthaltstitels auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin. Das Interesse an einem geordneten Fremdenwesen erfordere es, dass Fremde, die nach Österreich einwandern wollten, die dabei zu beachtenden Vorschriften einhielten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 10 Abs. 1 Z. 2, § 23 Abs. 1, § 47 Abs. 3 und § 49 Abs. 1

FrG 1997 lauten (auszugsweise):

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn

...

2. der Aufenthaltstitel zeitlich an den durch ein Reise- oder Durchreisevisum ermöglichten Aufenthalt anschließen und nach der Einreise erteilt werden soll;

...

§ 23. (1) Fremden, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer Niederlassungsbewilligung auf Dauer niedergelassen bleiben, ist - sofern die Voraussetzungen des 2. Abschnittes weiterhin gesichert scheinen - auf Antrag eine weitere Niederlassungsbewilligung mit demselben Zweckumfang zu erteilen. ...

...

§ 47. ...

...

(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind folgende Angehörige eines EWR-Bürgers:

1.

Ehegatten;

2.

Verwandte in absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird;

3.

Verwandte und Verwandte des Ehegatten in aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt gewährt wird.

...

§ 49. (1) Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, genießen Niederlassungsfreiheit; für sie gelten, sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt. Solche Fremde können Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen. Die Gültigkeitsdauer der ihnen die beiden ersten Male erteilten Niederlassungsbewilligung beträgt jeweils ein Jahr."

Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 lautet:

"Artikel 10

(1) Bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, dürfen folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Wohnung nehmen:

a)

sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird;

b)

seine Verwandten und die Verwandten seines Ehegatten in aufsteigender Linie, denen er Unterhalt gewährt."

Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, sie sei als Mutter einer minderjährigen österreichischen Staatsbürgerin begünstigte Drittstaatsangehörige im Sinne der §§ 49 Abs. 1 und 47 Abs. 3 FrG 1997. Zwar falle sie nicht unter den Wortlaut des § 47 Abs. 3 Z. 3 FrG 1997, offensichtlich habe der Gesetzgeber aber auf den Fall, dass eine minderjährige österreichische Staatsbürgerin eine ausländische Mutter habe, nicht Bedacht genommen. Ein minderjähriges Kind könne seiner ausländischen Mutter keinen Unterhalt gewähren. Ausländische Mütter fielen daher nicht unter § 47 Abs. 3 Z. 3 FrG 1997. Dies liege jedoch augenscheinlich nicht im Sinne des Gesetzgebers, der ja mit dem FrG 1997 Familienzusammenführung und Integration vorrangig berücksichtigen habe wollen.

Wie die Beschwerdeführerin selbst erkennt, zählt sie nach dem unzweideutigen Wortlaut des § 47 Abs. 3 Z. 3 FrG 1997 nicht zum Kreis der begünstigten Drittstaatsangehörigen.

Der Auffassung der Beschwerdeführerin, es liege eine Gesetzeslücke vor, ist Folgendes entgegenzuhalten:

Eine Gesetzeslücke ist dort anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Bestehen einer Rechtslücke im Zweifel nicht anzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 1995, Slg. Nr. 14.353/A).

Vorliegendenfalls fehlt jedes Indiz für eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes in Ansehung von Eltern minderjähriger österreichischer Staatsbürger. Wie sich aus den Erläuterungen zu dieser Gesetzesbestimmung (RV: 685 BlgNR 20. GP) ergibt, sollte § 47 Abs. 3 Z. 3 FrG 1997 alle Verwandten, wie sie in der Verordnung (EWG) 1612/68 genannt sind, umfassen und den begünstigten Personenkreis im Einklang mit den Bestimmungen derselben erweitern. Die gegenüber der in Rede stehenden Verordnung weitere Umschreibung des begünstigten Personenkreises sollte aber nicht bewirken, dass andere Verwandtschaftsverhältnisse als die in lit. b des Art. 10 Abs. 1 Genannten erfasst werden sollten. Vielmehr sollte in § 47 Abs. 3 FrG 1997, wie auch schon in § 29 Abs. 3 FrG 1992, bewusst davon Abstand genommen werden, beim Begriff der Familienangehörigen gleich dem einschlägigen Gemeinschaftsrecht danach zu unterscheiden, ob es sich um Familienangehörige eines zum Aufenthalt berechtigten Arbeitsnehmers, selbstständig Erwerbstätigen oder Dienstleistungserbringers, eines Studenten, eines aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen oder anderer EWR-Bürger handelt (vgl. hiezu schon die Erläuterungen zur letztgenannten Gesetzesbestimmung, 692 BlgNR 18. GP).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Formulierung des § 47 Abs. 3 Z. 3 FrG 1997 der aus den Materialien hervorleuchtenden Absicht in allen Punkten Rechnung trägt. Jedenfalls fest steht aber, dass die Beschwerdeführerin auch nicht zu demjenigen Kreis von Verwandten zählt, der in Art. 10 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EWG) 1612/68 umschrieben ist, weil auch in dieser Verordnung die Gewährung von Unterhalt an den Verwandten in aufsteigender Linie Voraussetzung ist.

Damit ging die belangte Behörde zutreffend davon aus, dass die Beschwerdeführerin nicht zu dem in § 47 Abs. 3 Z. 3 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 FrG 1997 umschriebenen Personenkreis zu zählen ist (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 1. Juni 1999, Zl. 99/18/0045). Die Zuständigkeit des Landeshauptmannes von Wien in erster und des Bundesministers für Inneres in zweiter Instanz zur Entscheidung über den gegenständlichen Antrag war daher gegeben.

Die Beschwerdeführerin vertritt darüber hinaus die Auffassung, ihr Antrag wäre als solcher zur Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung zu behandeln gewesen. Die belangte Behörde habe vollkommen außer Acht gelassen, dass sie bereits von 1991 bis 1996 im Besitz "einer Niederlassungsbewilligung" gewesen sei. Sie habe den Niederlassungswillen niemals aufgegeben. Ihr Antrag sei daher als "Verlängerungsantrag" zu werten gewesen.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass aus dem Grunde des § 23 Abs. 1 FrG 1997 der Beschwerdeführerin nur dann eine weitere Niederlassungsbewilligung auszustellen gewesen wäre, wenn sie nach Ablauf der Geltungsdauer der ihr zuletzt erteilten Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet (aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung) auf Dauer niedergelassen geblieben wäre. Dies wird aber in der Beschwerde nicht behauptet. Im Gegensatz zu der in der Beschwerde vertretenen Rechtsauffassung reicht die Aufrechterhaltung des bloßen Niederlassungswillens (ohne tatsächliche Aufrechterhaltung der Niederlassung) nicht aus, um davon sprechen zu können, ein Fremder sei auf Dauer im Inland niedergelassen geblieben.

Die belangte Behörde wertete daher den Antrag der Beschwerdeführerin vom 3. August 1998 zutreffend als solchen auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung.

Die Beschwerdeführerin tritt auch der Feststellung im angefochtenen Bescheid nicht entgegen, sie sei mit einem Reisevisum mit Geltungsdauer vom 13. Juli 1998 bis 20. Juli 1998 eingereist und halte sich seither im Bundesgebiet auf.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 98/19/0238, mit näherer Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgeführt hat, ist für die Beurteilung der Frage, ob der Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 vorliegt, ausschließlich maßgeblich, dass sich der Fremde im Zeitpunkt der Bescheiderlassung im Anschluss an eine mit einem Reisevisum erfolgte Einreise im Bundesgebiet aufhält.

Auf Basis der unbestrittenen Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Bescheid war dies hier der Fall. Damit lag aber der in Rede stehende Versagungsgrund vor.

Dieser Beurteilung stünde auch zutreffendenfalls die Behauptung der Beschwerdeführerin nicht entgegen, sie sei über die Möglichkeit der Erteilung eines Aufenthaltsvisums (Visum D) anstelle eines Reisevisums (Visum C) nicht belehrt worden bzw. es sei ihr trotz Beantragung eines Aufenthaltsvisums bloß ein Reisevisum ausgestellt worden. Maßgebend ist lediglich, dass die Beschwerdeführerin mit einem Reisevisum eingereist ist, nicht aber, ob ihr bei rechtsrichtigem Vorgehen der österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland überhaupt ein solches auszustellen gewesen wäre (vgl. in diesem Zusammenhang auch das zum entsprechenden Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG 1992 ergangene hg. Erkenntnis vom 21. November 1997, Zl. 96/19/3262).

Ist aber der "absolute" Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 wirksam geworden, ist die Erteilung einer Bewilligung nach § 8 Abs. 1 FrG 1997 ausgeschlossen. Eine Ermessensübung unter Berücksichtigung der in § 8 Abs. 3 FrG 1997 genannten Kriterien hat bei den in § 10 Abs. 1 FrG 1997 genannten Versagungsgründen nicht zu erfolgen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 98/19/0233).

Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf ihre durch die Anwesenheit ihres Ehegatten und ihrer österreichischen Tochter begründeten familiären Interessen im Sinne des Art. 8 MRK vermag keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen, weil eine Bedachtnahme auf die durch Art. 8 MRK geschützten Interessen des Fremden bei einer auf § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 gestützten Entscheidung nicht zu erfolgen hat (vgl. auch hiezu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 98/19/0238).

Da schon der Inhalt der vorliegenden Beschwerde erkennen lässt, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch des Berichters über den Antrag der Beschwerdeführerin, ihrer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 5. November 1999

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999190197.X00

Im RIS seit

24.01.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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