TE Vfgh Erkenntnis 1997/9/30 B3516/96

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Veröffentlicht am 30.09.1997
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Index

L4 Innere Verwaltung
L4020 Sicherheitspolizei

Norm

StGG Art17a
Wr Landes-SicherheitsG §1 Abs1 Z2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Freiheit der Kunst durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Lärmerregung durch Klavierspielen mangels Eingehen auf die Frage einer Lärmerregung durch eine im Schutzbereich des Grundrechts auf Freiheit der Kunst gelegene inkriminierte Tätigkeit

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Kunst verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Wien ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Kosten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin ist Musikstudentin an der Hochschule für darstellende Kunst und Musik in Wien. Darüber hinaus tritt sie auch öffentlich als Pianistin auf.

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Hietzing, wurde über sie gemäß §1 Abs1 Z2 Wiener Landes-Sicherheitsgesetz (WLSG), LGBl. 51/1993, eine Verwaltungsstrafe verhängt, weil sie an mehreren Tagen durch Klavierspielen über einige Stunden hindurch ungebührlicherweise störenden Lärm erregt hatte. Aufgrund der dagegen beim unabhängigen Verwaltungssenat Wien eingebrachten Berufung wurden zwar die bekämpften Geldstrafen ermäßigt, im übrigen wurde die Berufung aber abgewiesen.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Kunst, auf Freiheit der Erwerbsausübung und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht, die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt und in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß §1 Abs1 Z2 WLSG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer "ungebührlicherweise störenden Lärm erregt".

2. Gemäß Art17a StGG (BGBl. 262/1982) sind das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre frei.

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 11567/1987 zu einem gleichgelagerten Fall (der im damaligen Zeitpunkt im Bundesland Wien als Landesgesetz geltende ArtVIII EGVG ist mit dem dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden §1 Abs1 Z2 WLSG in der maßgeblichen Wortfolge gleichlautend) mit ausführlicher Begründung dargelegt, daß eine Norm, die eine Bestrafung wegen ungebührlicher Erregung störenden Lärms vorsieht, nicht darauf gerichtet ist, eine künstlerische Betätigung zu verhindern. Da die Anwendung einer solchen Norm aber zu einer Behinderung des künstlerischen Schaffens oder der Vermittlung von Kunst oder ihrer Lehre führen kann, ist bei Anwendung einer solchen Bestimmung eine Abwägung zwischen der durch Art17a StGG geschützten künstlerischen Freiheit und jenen Rechtsgütern, zu deren Schutz die betreffende Norm besteht, vorzunehmen.

3. Die belangte Behörde hätte daher von Verfassungs wegen bei ihrer Entscheidung auf Art17a StGG Bedacht zu nehmen und eine Abwägung zwischen dem gemäß §1 Abs1 Z2 WLSG unter Strafe gestellten Verhalten und der künstlerischen Betätigung der Beschwerdeführerin vorzunehmen gehabt. Im angefochtenen Bescheid wurde aber in erster Linie auf die Intensität der Lärmerregung abgestellt. Auf Art17a StGG hat die belangte Behörde nur insofern Bezug genommen, als sie darauf hingewiesen hat, daß der Beschwerdeführerin nicht das Klavierspielen als solches untersagt werden sollte, sondern daß es lediglich an der Beschwerdeführerin selbst gelegen sei, durch entsprechende Maßnahmen, wie etwa eine ausreichende Isolierung des Übungsraumes, eine Belästigung der Nachbarn durch das Klavierspielen zu verhindern.

Mit einer solchen Begründung ist jedoch der Behandlung der Frage der Art der Lärmerregung aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht Genüge getan. Die belangte Behörde hat nämlich die Tatsache, daß es sich bei der inkriminierten Tätigkeit um eine im Schutzbereich des Art17a StGG liegende Betätigung handelt, überhaupt nicht abwägend berücksichtigt, weshalb sie den bekämpften Bescheid mit Verfassungswidrigkeit belastet hat.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von

S 3.000,-- enthalten.

Schlagworte

Polizeirecht, Lärmerregung, Kunstfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B3516.1996

Dokumentnummer

JFT_10029070_96B03516_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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