TE Vwgh Beschluss 2018/9/12 Ra 2015/08/0104

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Veröffentlicht am 12.09.2018
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
21/01 Handelsrecht;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §914;
GSVG 1978 §2 Abs1 Z4;
UGB §108;
UGB §137 Abs4;
UGB §155 Abs4;
UGB §163;
UGB §169;
UGB §171 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht), vertreten durch Dr. Eva-Maria Bachmann-Lang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Opernring 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juli 2015, L504 2005688-1/4E, betreffend Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG (mitbeteiligte Partei: E S in S, vertreten durch die Krippel & Pilz Wirtschaftstreuhand und Steuerberatungsgesellschaft mbH in 4820 Bad Ischl, Schröpferplatz 4; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die revisionswerbende Partei hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis behob das Verwaltungsgericht - in Stattgebung der Beschwerde der Mitbeteiligten - den Bescheid der Revisionswerberin vom 26. Juli 2013, mit dem ausgesprochen worden war, dass die Mitbeteiligte infolge Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit als Kommanditistin der J S KG (im Folgenden: KG) im Jahr 2011 der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG unterlegen sei.

Das Verwaltungsgericht begründete die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Regelung im Punkt XVII. des Gesellschaftsvertrags - "Der ausscheidende Gesellschafter ist von jenen Verbindlichkeiten zu befreien, für die der Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern haftet, soweit der Wert des Gesellschaftsvermögens und der Kapitalanteile der Gesellschafter hiezu ausreicht. Einen allenfalls hiedurch ungedeckten Abgang hat der Gesellschafter an die Gesellschaft zu bezahlen" - zwar als Übernahme eines Unternehmerrisikos infolge uneingeschränkter Verlusthaftung bzw. Nachschusspflicht über die Kommanditeinlage hinaus und damit als selbständige Erwerbstätigkeit im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG zu erachten sei. Allerdings führe nicht jedes, sondern nur ein wesentliches Unternehmerrisiko zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit im soeben genannten Sinn, wovon beim Vorliegen einer generellen Nachschusspflicht für jedes Geschäftsjahr auszugehen wäre, nicht jedoch in einem Fall wie hier auszugehen sei, wenn den Gesellschafter nur einmal (beim Ausscheiden aus der Gesellschaft, sofern das Gesellschaftsvermögen und die Kapitalanteile zur Deckung der Verbindlichkeiten nicht ausreichten) eine Nachschusspflicht treffen könne.

2.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

3.1. Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, zu der die Mitbeteiligte nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung erstattete. Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs "zur Frage der Verlusthaftung eines Kommanditisten", nämlich "ob sie jederzeit und auch gegen den Willen des Kommanditisten durchsetzbar sein muss, damit ein Unternehmerrisiko im Sinne einer selbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG vorliegt".

3.2. Der aufgeworfenen Rechtsfrage kommt schon deshalb keine Bedeutung zu, weil - wie in der Folge zu zeigen sein wird - die Revisionswerberin und das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen sind, dass der Punkt XVII. des Gesellschaftsvertrags eine Verlusthaftung bzw. Nachschusspflicht der Kommanditisten über die Haftungseinlage hinaus und damit die Tragung eines Unternehmerrisikos vorsehe, die als selbständige Erwerbstätigkeit im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG zu erachten wäre.

4.1. Voranzustellen ist, dass Gesellschaftsverträge von Personengesellschaften - jedenfalls bis zu einem Wechsel im Mitgliederbestand - grundsätzlich nach § 914 ABGB auszulegen sind (vgl. OGH 10.11.2011, 2 Ob 209/10i, mwN). Demnach hat - sofern nicht ein vom objektiven Erklärungswert abweichender übereinstimmender Wille der Vertragsparteien, der jedenfalls Vorrang hat, behauptet und unter Beweis gestellt wird (vgl. OGH 20.5.2008, 4 Ob 229/07s, mwN) - zunächst die wörtliche (grammatikalische) Auslegung eines schriftlichen Vertrags zu erfolgen. Bei einem genügend deutlichen Vertragstext bleibt kein Raum für eine Vertragsergänzung; eine solche hat erst dann stattzufinden, wenn das Mittel der Wortauslegung versagt und damit eine Lücke besteht (vgl. OGH 11.3.1998, 3 Ob 2135/96h, mwN).

Davon ausgehend ist der zwischen der Mitbeteiligten und ihrem Ehemann (als Kommanditisten) sowie deren Sohn (als Komplementär) abgeschlossene - in seinem Mitgliederbestand bislang unveränderte -

Gesellschaftsvertrag der KG nach § 914 ABGB auszulegen. Hinsichtlich des hier im Blick stehenden Vertragspunktes XVII. wurde (auch) kein vom objektiven Erklärungswert abweichender übereinstimmender Wille der Vertragsparteien behauptet und unter Beweis gestellt. Folglich ist der in Rede stehende Vertragspunkt einer wörtlichen (grammatikalischen) Auslegung zu unterziehen.

4.2. Eine solche Auslegung ergibt, dass einen ausscheidenden Gesellschafter die Ausfallshaftung gegenüber der Gesellschaft nur dann treffen soll, wenn bzw. insoweit eine Haftung des betreffenden Gesellschafters gegenüber den Gesellschaftsgläubigern besteht. Der die Ausfallshaftung anordnende zweite Satz der (oben zitierten) Vertragsbestimmung knüpft nämlich an den ersten Satz an (arg: "Einen allenfalls hiedurch ungedeckten Abgang (...)"). Dieser bezieht sich wiederum ausschließlich auf Verbindlichkeiten, für die der ausscheidende Gesellschafter den Gläubigern der Gesellschaft haftet (arg: "(...) von jenen Verbindlichkeiten zu befreien, für die der Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern haftet (...)"). Die Bestimmung nimmt dabei nach ihrem Wortlaut auf eine (nach einem anderen Rechtsgrund) vorbestehende Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern Bezug bzw. setzt eine solche voraus. Aus ihr ist jedenfalls nicht abzuleiten, dass damit eine Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern (erst) begründet würde, wird doch ein dafür erforderlicher Verpflichtungswille nicht zum Ausdruck gebracht.

4.3. Davon ausgehend kann einen Gesellschafter eine Verlusthaftung nach dem Vertragspunkt XVII. nur treffen, soweit für ihn eine Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern (bereits) besteht. Für die Mitbeteiligte als Kommanditistin käme eine solche Haftung nach dem gesetzlichen Grundmodell der Kommanditgesellschaft nur dann in Betracht, wenn sie die Haftungseinlage nicht geleistet hätte (vgl. §§ 171 Abs. 1, 169 iVm. 137 Abs. 4 und 155 Abs. 4 UGB), was hier unstrittig nicht der Fall ist. Eine weitergehende Haftung im Sinn einer unbeschränkten Verlusthaftung bzw. Nachschusspflicht über die Haftungseinlage hinaus würde eine eindeutige vertragliche Vereinbarung erfordern (vgl. VwGH vom heutigen Tag, Ra 2015/08/0032, mwN). Eine solche vom gesetzlichen Grundmodell abweichende Vereinbarung wurde nach dem Vorgesagten aber nicht (insbesondere nicht im Vertragspunkt XVII.) getroffen.

5.1. Folglich trägt die Mitbeteiligte kein Unternehmerrisiko im Sinn einer uneingeschränkten Verlustbeteiligung bzw. Nachschusspflicht über die Kommanditeinlage hinaus, das als Anhaltspunkt für eine selbständige Erwerbstätigkeit im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG zu qualifizieren wäre. Sie unterliegt daher nicht der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung nach der genannten Bestimmung.

5.2. Auf die in der Revision aufgeworfene Rechtsfrage kommt es bei dem aufgezeigten Ergebnis nicht an. Zur Beantwortung abstrakter Rechtsfragen auf Grund von Revisionen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berufen (vgl. VwGH 27.4.2018, Ra 2018/04/0091). Die Revision war deshalb als unzulässig zurückzuweisen.

6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 12. September 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2015080104.L00

Im RIS seit

09.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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