TE Bvwg Beschluss 2018/5/22 G314 2194702-1

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Veröffentlicht am 22.05.2018
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Entscheidungsdatum

22.05.2018

Norm

AVG §69
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

G314 2194702-1/2E

G314 2194700-1/2E

G314 2194701-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerden 1. der XXXX, geboren am XXXX, 2. des XXXX, geboren am XXXX, und 3. des XXXX, geboren am XXXX, 2. und 3. gesetzlich vertreten durch ihre Mutter XXXX, alle vertreten durch den RechtsanwaltXXXX, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 10.04.2018, Zl. XXXX, betreffend die Anträge auf internationalen Schutz:

A) In Erledigung der Beschwerde werden die angefochtenen Bescheide

aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) ist die Mutter des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers (BF2 und BF3). Die BF sind syrische Staatsangehörige. Mit den rechtskräftigen Bescheiden des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 04.12.2015 wurde ihren Anträgen auf internationalen Schutz stattgegeben und ihnen der Status von Asylberechtigten zuerkannt, weil dem Ehemann der BF1 und Vater des BF2 sowie des BF3, dem am 05.02.1982 geborenen syrischen StaatsangehörigenXXXX, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden war.

In der Folge stellte sich heraus, dass die Mutter und die Schwester der BF1 (auch) griechische Staatsangehörige sind. Das BFA leitete daher ein Verfahren zur Wiederaufnahme des Asylverfahrens der BF ein, um zu überprüfen, ob diese allenfalls auch über die griechische Staatsangehörigkeit verfügen. Dazu wurde die BF1 am 27.03.2018 vor dem BFA vernommen, wobei sie erklärte, sie sei nur syrische Staatsangehörige.

Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Asylverfahren der BF gemäß § 69 Abs 1 Z 2 iVm Abs 3 AVG wieder aufgenommen (Spruchpunkt I.) und ihre Anträge auf internationalen Schutz nach dem Protokoll Nr. 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum Vertrag von Lissabon (BGBl III Nr. 132/2009) zurückgewiesen (Spruchpunkt II). Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Mutter der BF1 griechische Staatsangehörige sei. Die BF besäßen daher neben der syrischen auch die griechische Staatsangehörigkeit oder hätten einen Rechtsanspruch darauf. Diese Feststellung stützte das BFA auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, wonach sowohl Syrien als auch Griechenland Doppelstaatsbürgerschaften erlaubten und Kinder aus der Ehe einer griechischen Staatsangehörigen mit einem Nicht-Griechen ein Anrecht auf die griechische Staatsangehörigkeit hätten, die sie beim Konsulat der lokalen griechischen Botschaft beantragen könnten. Eine Anfrage bei den griechischen Behörden über die Staatsangehörigkeit der BF, der die BF1 am 27.03.2018 zugestimmt hatte, nahm das BFA nicht vor.

Dagegen richten sich die Beschwerden der BF mit den Anträgen, eine Stellungnahme der griechischen Vertretungsbehörden in Österreich über ihre Staatsangehörigkeit einzuholen, eine Beschwerdeverhandlung anzuberaumen und die angefochtenen Bescheide ersatzlos zu beheben. Die Beschwerden wurden zusammengefasst damit begründet, dass das BFA keine Bestätigung griechischer Stellen darüber eingeholt habe, ob die BF tatsächlich griechische Staatsangehörige seien, obwohl dies aufgrund der weitreichenden Rechtsfolgen der angefochtenen Bescheide aus Gründen der Rechtssicherheit notwendig gewesen wäre. Nach dem Inhalt der angefochtenen Bescheide sei überdies unklar, ob die BF tatsächlich die griechische Staatsangehörigkeit besäßen oder (nur) einen Rechtsanspruch darauf hätten.

Die Beschwerden und die Akten der Verwaltungsverfahren wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vorgelegt, wo sie am 08.05.2018 einlangten. Das BFA beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Bescheidbeschwerden in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Die Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG ist eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Eine Aufhebung des Bescheides kommt nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Die Verwaltungsgerichte haben nicht nur bei Vorliegen der in den Z 1 und Z 2 des § 28 Abs 2 VwGVG genannten Voraussetzungen in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nach Maßgabe des § 28 Abs 3 VwGVG grundsätzlich auch dann, wenn trotz Fehlens dieser Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde dem nicht unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das BVwG nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch würde seine Feststellung durch das Gericht die Prozessökonomie fördern. Es liegt vielmehr eine gravierende Ermittlungslücke vor, die Erhebungen notwendig macht, die das BFA als Spezialbehörde rascher und effizienter nachholen kann.

Das BFA hätte sich nicht mit der Einvernahme der BF1 und der Einholung von Informationen der Staatendokumentation begnügen dürfen, sondern hätte bei den zuständigen griechischen Stellen erheben müssen, ob die BF über die griechische Staatsangehörigkeit verfügen oder nicht. Der Beschwerde ist dahin beizupflichten, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Zurückweisung der Anträge der BF auf internationalen Schutz nicht auf bloßen Mutmaßungen über die Auslegung des griechischen Staatsangehörigkeitsrechts basieren darf, sondern nur auf einer positiven Auskunft Griechenlands darüber, ob die BF griechische Staatsbürger sind oder nicht. Ein allfälliger Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft ist ebenfalls nicht ausreichend.

Das BFA hat es jedoch unterlassen, den relevanten Sachverhalt zu ermitteln und festzustellen, weil nicht geklärt wurde, ob die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme der Asylverfahren und für eine Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz vorlagen. Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen, ohne Beiziehung der zuständigen griechischen Stellen, ist keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in einem ganz wesentlichen Punkt, nämlich in Bezug auf die Staatsangehörigkeit der BF, ergänzungsbedürftig. Aufgrund der nicht absehbaren Weiterungen des Verfahrens nach Durchführung der notwendigen Erhebungen führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG diese selbst durchführt, zumal zu diesem entscheidenden Sachverhaltselement noch keine verlässlichen Beweisergebnisse vorliegen und das BFA durch die Unterlassung jeglicher Kontaktaufnahme mit griechischen Stellen nur ansatzweise ermittelte.

In der Folge wird das BFA eine konkrete Feststellung dahin zu treffen haben, ob die BF griechische Staatsangehörige sind oder nicht. Eine Feststellung, ob sie allenfalls einen Rechtsanspruch auf die Verleihung der griechischen Staatsangehörigkeit haben, ist demgegenüber nicht entscheidungswesentlich.

Die angefochtenen Bescheide sind somit gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die angefochtenen Bescheide aufzuheben sind.

Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Beweisverfahren, Ermittlungspflicht, EU-Bürger, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Staatsangehörigkeit, wesentlicher
Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G314.2194702.1.00

Zuletzt aktualisiert am

26.09.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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