TE Bvwg Erkenntnis 2018/6/21 L521 2193034-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.06.2018
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Entscheidungsdatum

21.06.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §56
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §6
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L521 2193034-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2018, Zl. 1155189805-170666278, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 05.06.2018 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 AsylG 2005 wird gemäß § 6 AVG 1991 mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 06.06.2017 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung am Tag der Antragstellung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Polizeianhaltezentrums Wels gab der Beschwerdeführer an, den Namen

XXXX zu führen und Staatsangehöriger der Türkei zu sein. Er sei am

XXXX in XXXX geboren und habe dort zuletzt auch gelebt sowie Angehöriger der sunnitischen Glaubensgemeinschaft. Seine Eltern und zwei Geschwister seien in der Türkei aufhältig. Ein Onkel befinde sich in Österreich. Er habe in XXXX 14 Jahre die Grundschule besucht.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, die Türkei im Februar 2017 auf dem Luftweg legal nach Spanien verlassen zu haben. Von dort sei er nach einem mehrstündigen Aufenthalt mit einem Taxi nach Italien gereist. Anschließend sei er nach einem mehrmonatigen dortigen Aufenthalt nach Österreich gelangt.

Zu den Gründen der Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, der kurdischen Volksgruppe anzugehören. Er sei Mitglied der kurdischen Halklarin Demokratik Partisi (HDP) gewesen. Die Polizei habe mehrere seiner Freunde - ebenfalls Mitglieder dieser Partei - festgenommen. Er habe daher Angst gehabt, auch festgenommen zu werden. Er sei zudem von der Polizei in der Türkei geschlagen.

3. Am 07.06.2017 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an Spanien ein Ersuchen um Aufnahme des Beschwerdeführers gemäß Artikel 12 Absatz 4 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend Dublin III-Verordnung), welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde.

4. Das Übernahmeersuchen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im Sinne der Dublin III-Verordnung an die spanischen Asylbehörden ergab keine Zuständigkeit Spaniens für die Prüfung des Schutzbegehrens des Beschwerdeführers.

Mit Schreiben vom 19.06.2017 und 04.07.2017 teilten die spanischen Asylbehörden demnach mit, dass dem Übernahmeersuchen vom 07.06.2017 gemäß Artikel 12 Absatz 4 Dublin III-Verordnung nicht entsprochen wird.

5. Nach Zulassung des Verfahrens am 06.07.2017 wurde der Beschwerdeführer am 19.02.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin in türkischer Sprache niederschriftlich von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben.

Zur Person befragt gab der Beschwerdeführer an, Staatsangehöriger der Türkei zu sein. Er sei am XXXX in XXXX geboren und habe dort zuletzt auch gelebt, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und des sunnitischen Glaubens, ledig und kinderlos. Seine Eltern und sein Bruder befänden sich in der Schweiz. Seine Schwester, seine Großeltern väterlicherseits und mehrere Cousins seien in der Türkei aufhältig. Er stehe mit seiner Schwester ein- bis zweimal pro Woche in Kontakt. Sein Schwager betreibe zur Bestreitung des Lebensunterhaltes ein Kaffeehaus in der Türkei.

Zum Ausreisegrund befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er Kurde sei. Er sei bei der HDP als Jugendobmann aktiv gewesen und habe beispielsweise an traditionellen Veranstaltungen und sonstigen Versammlungen mitgewirkt. Seitens der Polizei seien immer wieder Durchsuchungen erfolgt und habe man ein paar Freunde von ihm festgenommen. Aus diesen Gründen sei er auch festgenommen worden und für drei Tage in Polizeigewahrsam gewesen. Diese Festnahme habe ihm dann Probleme bereitet. Er habe die Schule nicht mehr besuchen bzw. sein Fernstudium nicht mehr betreiben können, weil er auch politisch aktiv gewesen sei. Ohne Studiennachweis habe man ihn gezwungen, den Wehrdienst abzuleisten. Er habe dies dann aber doch nicht getan und sei er aufgrund seiner HDP-Mitgliedschaft gefoltert worden. Des Weiteren würden Kurden wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit diskriminiert. Diese hätten Probleme bei der Arbeistsuche und könnten ihre Muttersprache nicht frei verwenden.

Nachgefragt zu Details gab der Beschwerdeführer an, dass er auf Anordnung der Organisatoren unterschiedlicher Veranstaltungen (Folklore- und Tanzveranstaltungen bzw. Veranstaltungen für Jugendliche in der Schule) verschiedene Aufgaben, etwa Jugendlichen in einer Schule etwas vorzulesen, übernommen habe. Hiebei revidierte der Beschwerdeführer auch Jugendobmann gewesen zu sein. Er sei ab 2014, angemeldet eigentlich ab 2015, Mitglied in XXXX-Stadt gewesen und habe auch beim Ableger in XXXX gearbeitet. Die Festnahme habe sich im Jänner oder Februar 2016 ereignet. Er könne sich aber nicht so genau erinnern, glaublich Jänner. Den Tag könne er nicht sagen. Nach den Wahlen am 07.06.2015 seien sie aktiver gewesen. Bei einer kleinen Veranstaltung habe es auf der Straße eine Demonstration gegeben, welche die Polizei aufgelöst habe. Aufgrund ihrer HDP-Mitgliedschaft seien sie wieder zur Partei gegangen, um den Vorfall zu analysieren. Dann habe die Polizei auch das Gebäude wegen der illegalen Demonstration durchsucht und sei es zu Diskussionen mit den Einsatzkräften gekommen. Die Polizei habe einige Freunde von ihm festnehmen wollen und hätten sie sich dagegen zur Wehr gesetzt, weshalb er auch festgenommen worden sei. Während der dreitätigen Haft habe er einmal am Tag - gegen 15. 00 Uhr oder 15.30 Uhr - Essen erhalten. Zum Trinken habe es aureichend Wasser gegeben. Körperliche Gewalt sei in Form von Stoßen und Schubsen angewandt worden. Vor allem sei es zu psychischer Gewalt in Form von Drohungen gekommen. Es sei nie etwas nachvollziehbar protokolliert worden und seien von ihm auch keine Unterlagen unterschrieben worden. Abgesehen von kleineren Verprügelungen sei er einmal mit zwei Verantwortlichen zwecks Befragung in einem Zimmer gewesen. Dort habe er sich den Beschuldigungen, ein Verräter zu sein, verbal widersetzt, woraufhin er von einer Person einen Schlag in den Nacken versetzt bekommen habe. Sein Kopf sei dann mit dem Gesicht auf den Tisch gefallen. Beim Versuch, sich aufzurichten, habe er entweder eine Ohrfeige oder einen Faustschlag auf die Nase erhalten. Aufgrund des Schlages sei er mit dem Sessel nach hinten auf den Boden gefallen und von einem der Polizisten getreten worden. Er habe hiebei nicht mehr gut sehen können. Anschließend sei er in die Gemeinschaftszelle zurückgeschubst worden. Er sei von der Polizei nicht zum Arzt gebracht worden. Nach seiner Entlassung hätten ihm Freunde geholfen. Es sei eine kleine medizinische Behandlung gewesen. Nach seiner Freilassung habe er sowohl von staatlicher Seite als auch von Bekannten in seiner Wohnanlage und Nachbarn verbale Drohungen erhalten. Er hätte dann die Schule nicht offiziell, sondern inoffiziell beendet, was bedeute, dass er noch im letzten Studienjahr bzw. noch nicht fertig sei. Er habe zwischen dem Übergriff und der Ausreise aufgrund finanzieller Gründe, der Schule, des Bundesheeres und von Visum- und Passangelegenheiten so viel Zeit verstreichen lassen. Er habe sich zwischen Jänner/ Februar 2016 und Februar 2017 nicht versteckt. Er sei bei seinen Verwandten im Dorf gewesen und habe dann versucht, in dieser Zeit die Schule erfolgreich zu absolvieren. Im August/ September/ Oktober 2016 hätte er dann die Passangelegenheiten erledigt und sei noch etwa viereinhalb Monate in der Schule gewesen.

Was die Frage des Wehrdienstes betreffe, so legte der Beschwerdeführer dar, dass es in der Türkei Pflicht sei, zum Heer zu gehen. Nach Abschlus der Ausbildung werde man zum Wehrdienst einberufen. So komme man nach Absolvierung des Gymnasiums mit zwanzig Jahren zum Heer. Er sei 19 Jahre alt gewesen und habe das Gymnasium beenden und sich für die Uniprüfungen vorbereiten wollen, um nicht zum Heer zu müssen. Aufgrund der Ereignisse im Jahr 2015 - 2016 habe er die Schule nicht beenden können. Ohne Diplom habe man ihn zum Wehrdienst einberufen, weshalb er mit seinen schulischen Unterlagen zu dem militärischen Amtsgebäude gegangen sei. Dort sei ihm mitgeteilt worden, dass er seine Schulpflicht erfüllt hätte und zwischen März und April zum Heer gehen müsse. Seine Ausreise habe nichts mit der Einberufung zu tun. Wenn er wirklich Staatsbürger dieses Landes sein oder dort leben hätte wollen, wäre er gerne zum Heer gegangen. Aufgrund der ständigen Unterdrückung, der Behandlung als Mensch zweiter Klasse, der körperlichen und psychischen Gewalt, der Umgebung und der erhaltenen Drohungen sei er nach Österreich gekommen.

Vor seiner Ausreise nach Österreich sei nicht nach ihm gefahndet worden. Es habe keine offizielle Fahndung gegeben. Im Nachhinein habe er mitbekommen, dass Polizisten an seine Adresse in XXXX gekommen seien. Einmal hätten sich die türkischen Behörden nochmals wegen der Festnahme im Jahr 2016 bei ihm gemeldet. Er sei etwa im Juli 2016 zur Polizeistation geladen worden, um ein paar Fragen zu seiner HDP-Mitgliedschaft zu beantworten. Er sei jedoch nicht hingegangen. Dies hätte keine direkten Konsequenzen gehabt. Konsequenzen habe dies erst, wenn nach einem gefahndet werde, was bei ihm nicht der Fall gewesen sei.

Des Weiterem wurden dem Beschwerdeführer Fragen zu seinem Reiseweg, seiner Ausreise aus der Türkei, seinem Aufenthalt in Italien, seiner Schullaufbahn, der Finanzierung seines Lebensunterhalts in der Türkei und seinen persönlichen Lebensumständen in Österreich gestellt.

Im Rahmen der Einvernahme legte der Beschwerdeführer eine türkische Mitgliedsbestätigung bezüglich der HDP im Original, einen österreichischen Auszug aus dem Firmenbuch vom 18.02.2018 im Original und einen Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 02.01.2018, womit dem Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung, dass er als Gesellschafter der XXXX tatsächlich persönlich einen wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsführung dieser Gesellschaft ausübt, gemäß § 2 Abs. 4 AuslBG stattgegeben wurde, im Original vor.

Im Übrigen wurden dem Beschwerdeführer die aktuellen landeskundlichen Feststellungen zur Türkei ausgefolgt und eine Stellungnahme binnen zwei Wochen hiezu freigestellt.

6. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Z 13 AsylG 2005 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei ebenso abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte IV. und V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz - nach der Wiedergabe der Einvernahmen des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person insbesondere aus, der Beschwerdeführer sei nicht aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner politischen Überzeugungen, seines Glaubens oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe seitens des Staates oder Dritter verfolgt worden. Er sei in der Türkei weder vorbestraft, noch wird nach ihm gefahndet. Zudem habe er keine staatlichen Sanktionen zu befürchten. Der Beschwerdeführer habe die Türkei verlassen, um sich dem Wehrdienst zu entziehen. Er sei ein junger, gesunder Mann und in der Lage, durch Arbeit selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Der Beschwerdeführer habe zwölf Jahre schulische Bildung genossen und danach ein Fernstudium - vergleichbar mit einer Berufsschule - absolviert und Arbeitserfahrung als Kellner. Er spreche Türkisch und Kurdisch auf muttersprachlichem Niveau und sei in die türkische Gesellschaft integriert. Seine Schwester, Großeltern väterlicherseits sowie mehrere Verwandte entfernteren Grades seien in der Türkei aufhältig. Somit drohe dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nicht, in eine aussichtslose Lage zu geraten, oder hinsichtlich seines Rechts auf Leben oder körperliche Unversehrtheit verletzt zu werden. Auch drohe ihm keine Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bzw. Bestrafung. Die Wiedereinreise in die Türkei könne gefahrlos erfolgen. Was das Privat- und Familienleben betrifft, so wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Juni 2017 ins Bundesgebiet eingereist sei. Der Beschwerdeführer verfüge über keine nennenswerten Kenntnisse der deutschen Sprache und - abgesehen von einem Onkel - über keine maßgeblichen privaten Anknüpfungspunkte. Ferner sei der Beschwerdeführer Gesellschafter der XXXX für Gastgewerbe. Eine Integration in die österreichische Gesellschaft liege nicht vor.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte seiner Entscheidung aktuelle Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zugrunde (vgl. die Seiten 26 bis 66 des angefochtenen Bescheides).

In der rechtlichen Beurteilung wird begründend dargelegt, warum der seitens des Beschwerdeführers vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG 2005 biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 8 Absatz 1 AsylG 2005 ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt wurde, weshalb gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt wurde, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig sei.

7. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

8. Gegen den dem Beschwerdeführer am 20.03.2018 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2018 richtet sich die im Wege des rechtsfreundlichen Vertreters fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird beantragt, eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anzuberaumen und durchzuführen sowie den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten stattgegeben werde, hilfsweise den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Türkei stattgegeben werde, hilfsweise einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und damit eine Rückkehrentscheidung nicht zu erlassen, hilfsweise die angefochtene Entscheidung der belangten Behörde aufzuheben und dieser die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Ferner wird jedenfalls begehrt, Erhebungen vor Ort durchzuführen, durch die sich die Richtigkeit der Angaben bestätigen werden, allenfalls auch die Einholung eines aktuellen landeskundigen Sachverständigengutachtens zur Frage der Folgen der Wehrdienstverweigerung für kurdische Rekruten.

In der Sache bringt der Beschwerdeführer nach einem Verweis auf sein bisheriges Vorbringen im Wesentlichen vor, Tätigkeiten der pro-kurdischen HDP würden immer wieder für illegal erklärt werden, da ihr zu Unrecht eine Nahebeziehung zur Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK) nachgesagt werde. Die Verfolgung von HDP-Mitgliedern sei daher - in Zusammenhang mit einer politischen Tätigkeit - asylrechtlich relevant. Die Verfolgung von HDP-Mitgliedern ergebe sich auch aus den von der belangten Behörde angeführten Länderfeststellungen. Insoweit die belangte Behörde in ihrer Begründung ausführe, dass einzelne Diskriminierungen nicht ausgeschlossen werden können und der türkische Staat 100%-igen Schutz aber nicht bieten könnte, sei dem zu entgegnen, dass die Diskriminierungen vom türkischen Staat selbst ausgehen würden, sodass dies jedenfalls asylrelevant sei. Selbiges gelte für die Weigerung den Militärdienst abzuleisten. Der Beschwerdeführer sei nicht bereit, im Zuge des Wehrdienstes gegen kurdische Volksgruppenangehörige zu kämpfen bzw. an Kämpfen gegen die PKK teilzunehmen. Dass Bundesamt führe in seinen Feststellungen selbst aus, dass kurdische Rekruten auch in der Konfliktzone im Südosten eingesetzt werden würden und halte fest, dass kurdische Rekruten unter hohem Risiko stünden, Opfer von Menschenrechtsverletzungen, Schlägen und Folter zu werden, mitunter sogar umzukommen. Deserteure und Wehrdienstverweigerer würden dabei generell als mit der PKK sympathisierend betrachtet werden, weil sie willentlich den Wehrdienst verabsäumen. Festgehalten sei auch, dass die Regierung offensichtlich kurdischstämmige Soldaten in den Kampf gegen die PKK entsende, um den Ruf der PKK als kurdische Widerstandsbewegung zu diskreditieren. In diesem Zusammenhang dürfe auf ein länderkundliches Gutachten des Sachverständigen Dr. Ceviz vom 09.10.2013 im Verfahren 1214126 verwiesen werden, der ebenso bestätige, dass im Kampf gegen die PKK Gefahr bestehe, an qualifiziert menschenrechtswidrigen Militäraktionen teilnehmen zu müssen. Im Falle einer Weigerung hätte der Beschwerdeführer mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Misshandlungen, Folter wegen zumindest unterstellter politischer Gesinnung als Terrorist oder auch mit der Tötung nach Durchführung eines militärstrafrechtlichen Verfahrens durch die eigenen Vorgesetzten zu rechnen. Dies decke sich mit den von der Behörde selbst getroffenen Feststellungen, wenn festgehalten werde, dass Todesfälle vom Militär als vermeintlicher Selbstmord oder Unfälle dargestellt werden würden.

Bei der Weigerung, den Militärdienst abzuleisten, gehe es auch nicht um das Vertreten einer allgemein liberalen Gesinnung, wie dies die Behörde ausführe, sondern darum als Kurde nicht gegen Kurden kämpfen zu müssen. Die dem Beschwerdeführer dadurch unterstellte oppositionelle Gesinnung sei aber jedenfalls asylrelevant.

Was die Integration in Österreich betrifft, so sei er nun nahezu ein Jahr in Österreich aufhältig, selbständig tätig und würde damit seinen Lebensunterhalt verdienen.

Der Beschwerde sind ein Schreiben einer Steuerkanzlei vom 30.03.2018 bezüglich des Einkommens des Beschwerdeführers im Zeitraum September 2017 bis Februar 2018 und ein Auszug aus dem Firmenbuch vom 15.01.2018 angeschlossen.

9. Die Beschwerdevorlage langte am 19.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

10. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.04.2018 wurden dem rechtsfreundlichen Vertreter die aktuellen Länderdokumentationsunterlagen zur Türkei zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt und ihm bzw. dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt, dazu innerhalb einer Frist von vierzehn Tagen ab Zustellung dieses Schreibens schriftlich Stellung zu nehmen.

11. Mit Schreiben vom 07.05.2018 langte im Wege des rechtsfreundlichen Vertreters eine schriftliche Stellungnahme des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht zu den aktuellen länderkundlichen Feststellungen zur Türkei ein. Im Besonderen legte der Beschwerdeführer dar, dass durch die übermittlten Länderberichte sein Vorbringen bestätigt werde. Demnach seien Mitglieder der Opposition, insbesondere der prokurdischen HDP, Ziele von Attacken geworden und zahlreiche Mitglieder verhaftet worden (Seite 76). Auch in den aktuellen Entwicklungen werde auf Seite 20 berichtet, dass HDP-Parlamentarier verhaftet worden seien, dies unter dem Vorwurf der Nahebeziehung zur PKK bzw. Terror-Propaganda. Auf Seite 91 werde bestätigt, dass zahlreiche kurdische Lokalpolitiker wegen angeblicher Verbindungen zur PKK inhaftiert werden würden, sodass Verfolgung aufgrund der Mitgliedschaft bei der HDP jedenfalls mit den Länderberichten in Einklang zu bringen sei.

Des Weiteren wurde ausgeführt, dass sich auch aus dem hier vorliegenden Länderbericht - wie bereits aus den Länderfeststellungen der belangten Behörde - ergebe, dass kurdische Rekruten unter einem hohen Risiko stünden, Opfer von Menschenrechtsverletzungen, Schlägen und Folter zu werden, mitunter sogar umzukommen. Deserteure und Wehrdienstverweigerer würden dabei generell als mit der PKK sympathisierend betrachtet werden, weil diese willentlich den Wehrdienst verabsäumten. Insofern werde eine politisch oppositionelle Einstellung durch die Wehrdienstverweigeruung unterstellt. Der Beschwerdeführer hätte jedenfalls aufgrund der Wehrdienstverweigerung sowie auch seiner politischen Aktivitäten mit seiner Verhaftung zu rechnen und sei im Punkt 14 zu den Haftbedingungen festzuhalten, dass diese inadäquat seien und drohe dem Beschwerdeführer auch eine Verletzung des Artikel 3 EMRK im Falle einer Abschiebung in die Türkei, sodass jedenfalls Refoulementschutz gewährt werden könne.

12. Mit Schreiben vom 24.05.2018 richtete das Bundesverwaltungsgericht ein Ersuchen an den rechtsfreundlichen Vertreter, den behaupteten Aufenthalt von Familienangehörigen des Beschwerdeführers in der Schweizerischen Eidgenossenschaft durch Vorlage entsprechender Urkunden in der für den 05.06.2018 anberaumten mündlichen Verhandlung zu bescheinigen.

13. Am 05.06.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und seines rechtsfreundlichen Vertreters sowie einer Dolmetscherin für die türkische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand aktueller länderkundlicher Berichte erörtert, welche dem Beschwerdeführer bereits zuvor mit Schreiben vom 23.04.2018 zur Stellungnahme übermittelt wurden. Ferner wurde seitens des erkennenden Richters die diesbezügliche Stellungnahme vom 07.05.2018 verlesen. Des Weiteren wurde XXXX als Zeuge zur Einreise, beruflichen Tätigkeit und Wohnsituation des Beschwerdeführers befragt. Schließlich wurde bezüglich der "exilpolitischen Tätigkeit" des Beschwerdeführers seitens des rechtsfreundlichen Vertreters ein Länderbericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe "Türkei Gefährdungsprofile - Update" vom 19.05.2017 vorgelegt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben und hat die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde mit Schreiben vom 18.05.2018 beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

Gemäß § 27 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I Nr. 138/2017, hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

2. Feststellungen:

2.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen und ist Staatsangehöriger der Türkei. Er wurde am XXXX in der Stadt XXXX in der gleichnamigen Provinz geboren und wuchs dort auf, gehört der Volksgruppe der Kurden an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er besuchte die Grundschule und das Gymnasium im Ausmaß von 12 Jahren. Er ist ledig und kinderlos.

Er lebte in XXXX im Stadtteil XXXX in einem Haus im Eigentum seiner Eltern, zuletzt hielt er sich bei einem Onkel im Vorort XXXX auf.

In der Türkei lebt eine Schwester des Beschwerdeführers in XXXX, sie ist verheiratet. Ihr Ehemann betreibt ein Kaffeehaus, der Beschwerdeführer steht mit ihr in Kontakt. In der Türkei halten sich auch die Großeltern väterlicherseits in XXXX und sowie mehrere Cousins des Beschwerdeführers auf. Die Eltern und der Bruder des Beschwerdeführers leben aufgrund von Aufenthaltsberechtigungen in der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

Ein Cousin des Beschwerdeführers - XXXX - lebt in Linz, er gewährt dem Beschwerdeführer gegenwärtig Unterkunft.

Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprachen Kurmanci und Türkisch in Wort und Schrift.

Am 20.02.2017 verließ der Beschwerdeführer die Türkei legal von XXXX ausgehend unter Verwendung eines von der spanischen Botschaft in Ankara am 15.02.2017 ausgestellten Visums für Geschäftsreisen mit dem Flugzeug nach Barcelona und gelangte in der Folge zunächst nach Italien, wo er einige Wochen bei einem Freund verbrachte. Anschließend reiste der Beschwerdeführer schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 04.06.2017 eintraf und am 06.06.2017 in Wels den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Zuvor hatte die Botschaft der Republik Italien die Ausstellung eines Visums am 24.01.2017 verweigert, da die Angaben des Beschwerdeführers zum Reisezweck als nicht glaubhaft erachtet wurden.

2.2. Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seines Religionsbekenntnisses zu gewärtigen. Der Beschwerdeführer gehört nicht der Gülen-Bewegung an und war nicht in den versuchten Militärputsch in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 verstrickt. Er trat am 02.05.2015 der HDP bei.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat als vermeintlicher Unterstützer der Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK) oder aus sonstigen Gründen gerichtlich oder polizeilich gesucht wird oder er aus diesem Grund oder aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit willkürlicher Gewaltausübung, willkürlichem Freiheitsentzug oder exzessiver Bestrafung durch staatliche Organe ausgesetzt wäre.

Festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in der Türkei seinen Militärdienst wird ableisten müssen. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Einberufung zu den türkischen Streitkräften im Rahmen der Wehrpflicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zielgerichtet gegen die kurdische Zivilbevölkerung oder kurdische Kämpfer eingesetzt würde oder er sich im Rahmen seines Wehrdienstes an völkerrechtswidrigen Militäraktionen beteiligen müsste. Ferner kann nicht festgestellt werden, dass in der Türkei derzeit großflächige Kampfhandlungen oder gar eine Generalmobilmachung stattfinden. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass Rekruten systematischen Misshandlungen durch Vorgesetzte bzw. Offiziere unterliegen bzw. der Beschwerdeführer im Zuge der Verrichtung seines Militärdienstes solche zu erwarten hat. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer - sollte er sich weigern, seinen Militärdienst abzuleisten - eine unverhältnismäßig hohe Strafe droht bzw. dass die Verbüßung einer Haftstrafe in der Türkei an sich schon eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellt.

2.3. Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge in der Türkei.

2.4. Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage. Er verfügt über Berufserfahrung in der Gastronomie aufgrund einer im Herkunftsstaat ausgeübten Tätigkeit als Kellner im Lokal seines Schwagers und seiner nunmehr im Bundesgebiet ausgeübten Tätigkeit. Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar. Ihm steht im Falle einer Rückkehr in die Türkei auch eine zumutbare und taugliche Aufenthaltsalternative in Großstädten wie Istanbul, Izmir oder Adana zur Verfügung, zumal in der Türkei Niederlassungsfreiheit herrscht.

Der Beschwerdeführer verfügt über ein türkisches Ausweisdokument (Nüfus) im Original.

2.5. Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 04.06.2017 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.

Der Beschwerdeführer bezog keine Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Er ist seit dem 21.09.2017 einer der drei unbeschränkt haftenden Gesellschafter der das Gastgewerbe ausübenden XXXX mit Sitz in Linz. Ein weiterer unbeschränkt haftender Gesellschafter ist sein Cousin XXXX. Der Beschwerdeführer ist in seiner Eigenschaft als Zusteller im von dieser Gesellschaft betriebenen Gastronomielokal tätig und bringt dafür netto zwischen EUR 1.000,-- bis 1.500,-- monatlich ins Verdienen, wobei die Höhe der monatlichen Entnahmen im angegebenen Rahmen schwankt. Der Cousin des Beschwerdeführers gibt diesem fallweise auch Taschengeld.

Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Linz vom 02.01.2018 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer als Gesellschafter der XXXX tatsächlich persönlich einen wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsführung dieser Gesellschaft ausübt und er deshalb keiner Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz bedürfe.

Der Beschwerdeführer ist alleinstehend und pflegt normale soziale Kontakte, vorwiegend zu Verwandten und Freunden aus dem kurdischen bzw. türkischen Kulturkreis, die ihm noch von der Türkei bekannt sind. Er lebt bei seinem Cousin XXXX in Linz und verfügt über keine weiteren Verwandten im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer hat keine gemeinnützige Arbeit verrichtet und auch keine anderweitigen Schritte zur Integration ergriffen. Er besucht gelegentlich einen kurdischen Verein und hilft dort auch bei organisatorischen Arbeiten mit.

Der Beschwerdeführer besuchte keine sprachlichen Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache und legte auch keine Prüfungen ab. Er beherrscht die deutsche Sprache erst in geringem Ausmaß und hat diese Kenntnisse bei seiner Arbeit erworben.

2.6. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Sein Aufenthalt war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

2.7. Zur gegenwärtigen Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

1. Neueste Ereignisse - Kurzinformationen

KI vom 18.4.2018, Bericht der Europäischen Kommission zur Türkei

Die Europäische Kommission (EK) veröffentlichte am 17.4.2018 ihren Länderbericht zur Türkei. Darin anerkennt laut Kommission die EU zwar, dass die Türkei angesichts der Putschversuches rasch und angemessen handeln musste, gleichzeitig zeigt sich die EU angesichts des umfassenden und kollektiven Charakters bzw. die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen besorgt, die seit dem Putschversuch ergriffen wurden. Hierzu gehören etwa die weit verbreiteten Entlassungen, Verhaftungen und Festnahmen. Die Türkei sollte den Ausnahmezustand unverzüglich aufheben. Gravierende Mängel betreffen laut Bericht die bisher 31 Notstandsdekrete. Sie wurden nicht einer sorgfältigen und wirksamen Kontrolle durch das Parlament unterzogen, wodurch sie der gerichtlichen Überprüfung entzogen sind. Keines der Notstandsdekrete war bisher Gegenstand einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes. Diese Notverordnungen haben insbesondere bestimmte bürgerliche und politische Rechte, einschließlich der Meinungs-und Versammlungsfreiheit sowie der Verfahrensrechte, eingeschränkt. Sie haben zudem wichtige bestehende Rechtsakte geändert, die auch nach der Aufhebung des Ausnahmezustands nach Meinung der EK ihre Wirkung behalten werden. Die Zivilgesellschaft ist zunehmend unter Druck geraten, insbesondere angesichts einer großen Zahl von Verhaftungen von Aktivisten, einschließlich Menschenrechtsverteidigern, und der wiederholten Anwendung von Demonstrationsverboten, was zu einer raschen Einengung der Grundrechte und -freiheiten geführt hat. Das türkische Justizsystem ist von weiteren gravierenden Rückschlägen, insbesondere im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Justiz, geprägt. Die Verfassungsänderungen bezüglich des Rates der Richter und Staatsanwälte (CJP) haben dessen Unabhängigkeit von der Exekutive weiter untergraben. Die CJP setzte die großangelegte Suspendierung und Versetzung von Richtern und Staatsanwälten fort. Auch in den Bereichen Versammlungs-und Vereinigungsfreiheit, Verfahrens-und Eigentumsrechte gab es gravierende Rückschläge. Die Situation in Bezug auf die Verhütung von Folter und Misshandlung gibt weiterhin Anlass zu ernster Besorgnis. In mehreren glaubwürdigen Berichten von Menschenrechtsorganisationen, so die EK, wird behauptet, dass die Aufhebung wichtiger Schutzmaßnahmen durch die Notverordnungen die Gefahr der Straffreiheit für die Täter solcher Verbrechen erhöht und zu einer Zunahme der Fälle von Folter und Misshandlung in Haft geführt hat. Diesbezügliche Klagen bergen angeblich das Risiko von Repressalien. Die Notstandsdekrete brachten zusätzliche Einschränkungen der Verfahrensrechte, einschließlich der Rechte der Verteidigung, mit sich. Die Ernennung von Treuhändern als Ersatz für kommunale Führungskräfte und gewählte Vertreter, hauptsächlich in Gemeinden mit kurdischer Mehrheit, führte zu einer erheblichen Schwächung der lokalen Demokratie. Die Sicherheitslage im Südosten ist weiterhin angespannt, wobei 2017 weniger die urbanen denn die ländlichen Gebiete betroffen waren. Die Situation der Binnenvertriebenen hat sich infolge der Gewalt im Südosten nur unwesentlich verbessert. Nur ein kleiner Prozentsatz von ihnen hat neue Unterkünfte erhalten (EC 17.4.2018). In einer Reaktion auf den Bericht teilte das türkische Außenministerium mit, dass die EK Unwillens sei, die Schwierigkeiten zu verstehen, mit denen das Land konfrontiert ist, weshalb die Kommission nicht in der Lage sei, objektiv und ausgewogen zu sein (MFA 18.4.2018).

KI vom 5.3.2018, UN-Sonderberichterstatter für Folter zu Foltervorwürfen und Verhalten der Regierung

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, äußerte ernste Besorgnis über die zunehmenden Vorwürfe von Folter und anderer Misshandlungen im Polizeigewahrsam seit Ende seines offiziellen Besuchs im Dezember 2016. Melzer zeigte sich beunruhigt angesichts der Behauptungen, dass eine große Anzahl von Personen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zur Gülen-Bewegung oder zur bewaffneten Arbeiterpartei Kurdistans zu haben, brutalen Verhörmethoden ausgesetzt sind, die darauf abzielen, erzwungene Geständnisse zu erwirken oder Häftlinge zu zwingen, andere zu belasten. Zu den Missbrauchsfällen gehören schwere Schläge, Elektroschocks, Übergießen mit eisigem Wasser, Schlafentzug, Drohungen, Beleidigungen und sexuelle Übergriffe. Der Sonderberichterstatter sagte, dass die Regierungsstellen offenbar keine ernsthaften Maßnahmen ergriffen haben, um diese Anschuldigungen zu untersuchen oder die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Stattdessen wurden Beschwerden, in denen Folter behauptet wird, angeblich von der Staatsanwaltschaft unter Berufung auf jene Notstandsverordnung (Art. 9 des Dekrets Nr. 667) abgewiesen, welche Beamte von einer strafrechtlichen Verantwortung für Handlungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand freispricht.

Die Tatsache, dass die Behörden es versäumt haben, Folter und Misshandlung öffentlich zu verurteilen und das allgemeine Verbot eines solchen Missbrauchs in der täglichen Praxis durchzusetzen, scheint laut Melzer jedoch ein Klima der Straffreiheit, Selbstzufriedenheit und Duldung gefördert zu haben, das dieses Verbot und letztendlich die Rechtsstaatlichkeit ernsthaft untergräbt (OHCHR 27.2.2018). Der Sonderberichterstatter vermutet, dass sich angesichts der Massenentlassungen innerhalb der Behörden Angst breit gemacht hat, sich gegen die Regierung zu stellen. Staatsanwälte untersuchen Foltervorwürfe nicht, um nicht selber in Verdacht zu geraten (SRF 1.3.2018)

KI vom 29.1.2018, Festnahmen wegen Kritik an der türkischen Militäroperation in Syrien

Dutzende türkische Social-Media-Nutzer, darunter auch Journalisten, wurden festgenommen, weil sie die Offensive der Türkei gegen die syrisch-kurdische Miliz YPG kritisiert haben, die Ankara als Bedrohung für die Grenzsicherheit sieht. Die türkische Internetbehörde überwacht Nutzer, die Inhalte teilen, welche die türkischen Truppen an der Front demoralisieren oder die einheimische Öffentlichkeit beeinflussen könnten. Das Büro des Premierministers erlässt direkt Zugangsverbote für solche Inhalte, und gegen Nutzer, die solche Beiträge teilen, wird eine Untersuchung eingeleitet (Ahval 26.1.2018, vgl. Standard 23.1.2018). Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte bereits am 21.1.2018 verkündet, dass jeder, der sich gegen die türkische Afrin-Offensive ausspricht, Terroristen unterstütze (DS 21.1.2018). Diesbezüglich Verdächtige werden wegen "Beleidigung von Amtsträgern", "Anstiftung zu Hass und Feindseligkeit in der Öffentlichkeit", "Beleidigung des Präsidenten" oder "Propaganda für terroristische Vereinigungen" angeklagt (AA 27.1.2018). Der OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, Harlem Désir, forderte am 26.1.2018 die türkischen Behörden auf, die Terrorismusanklagen gegen Journalisten fallen zu lassen und diese freizulassen. Désir äußerte auch seine Besorgnis über die Anweisungen für die Berichterstattung über die Militäraktionen in der Region Afrin, die Redakteuren und Reportern bei einer Pressekonferenz seitens des Premierministers Binali Yildirim, des stellvertretenden Premierministers Bekir Bozdag und Verteidigungsministers Nurettin Canikli erteilt wurden. Désir erinnerte daran, dass Journalisten nicht zum Inhalt instruiert werden sollten und dass die Pressefreiheit jederzeit geachtet werden muss. Es sei die Aufgabe eines Journalisten, unterschiedliche Ansichten zu präsentieren und die Öffentlichkeit zu informieren, auch wenn der Inhalt Kritik enthält (OSCE 26.1.2018).

KI vom 11.1.2018, Notstandsdekret Nr.696 - Straffreiheit von Zivilpersonen bei Gewalttaten zur Putschverhinderung, Verlängerung des Ausnahmezustandes

Am 24.12.2017 wurde das Notstandsdekret Nr. 696 veröffentlicht. Das Notstandsdekret befasst sich unter anderem mit der Straffreiheit von Zivilisten, die während der Putschnacht vom 15. auf den 16.7.2016 Putschisten gewaltsam daran gehindert haben, die Regierung zu stürzen. Konkret heißt es unter Artikel 121, dass das Notstandsgesetz vom 11.9.2016 um den Zusatz "Zivilisten" ergänzt wird, die keinen Beamtenstatus besitzen. Das ältere Notstandsgesetz besagte, dass gegen Beamte die beim Putschversuch und in diesem Zusammenhang in nachfolgenden Terroraufständen Widerstand geleistet haben, juristisch nicht belangt werden können (Turkishpress 25.12.2017). Das aktuelle Dekret Nr.696 löste jedoch einen Sturm der Entrüstung aus. Es stellt alle Misshandlungen der Putschnacht und alle weiteren Folterhandlungen, die im Zusammenhang mit der Putschnacht stehen, von der Strafverfolgung frei. Kritiker sprechen von einer Generalamnestie und befürchten, dass dies in Zukunft einen Freifahrtschein für ungezügelte Gewalt und Misshandlungen gegen Oppositionelle bedeute und den Aktionen paramilitärischer Einheiten Vorschub leiste, da im Dekret nicht präzisiert sei, für welchen Zeitraum diese "Straffreiheit" gelten solle. Da der Begriff des "Terrors" in der Türkei so weitgefasst und vage sei, könne ein Bürger, der einen umstürzlerischen Geist wittert und eigenmächtig zur Tat schreitet, nun vor Gericht als Widerstandskämpfer durchgehen. Rechtsanwälte und Juristen, die sich zum Dekret positioniert haben, erklärten, dass vor allem der Zusatz "in diesem Zusammenhang nachfolgende Ereignisse" problematisch sei (FNS 31.12.2017). Der türkische Justizminister Abdülhamit Gül bekräftigte, dass das Notstandsdekret keine Blanko-Amnestie sei und sich ausschließlich auf die Umstände während der Putschnacht und der Periode unmittelbar danach bezöge (Turkishpress 25.12.2017, vgl. FNS 31.12.2017). Der Europarat prüfe laut Direktor für Kommunikation, Daniel Holtgen, derzeit die jüngsten Notstandsverordnungen (nebst Dekret 696 auch Dekret 695) der türkischen Regierung. Das Gremium überwache, ob die neuesten Notstandsverordnungen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar seien (HDN 28.12.2017). Der stellvertretende Premierminister und Regierungssprecher Bekir Bozdag verkündete am 8.1.2018, dass der Ausnahmezustand verlängert werde (Anadolu 8.1.2018). Die formale Zustimmung des Parlaments, in welchem die Regierungspartei AKP die absolute Mehrheit innehält, vorausgesetzt, wäre dies die sechste Verlängerung seit dem 21.7.2016. Während des Ausnahmezustandes sind die Grundrechte eingeschränkt und die Notstandsdekrete sind nicht vor dem Verfassungsgericht anfechtbar (Standard 8.1.2018).

KI vom 29.11.2017, Stand der Verhaftungen

Das türkische Innenministerium teilte am 27.11.2017 mit, dass im November 2.589 Personen wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung festgenommen wurden, wodurch sich die Gesamtzahl der im Zeitraum Oktober-November inhaftierten Personen auf 5.747 erhöht hat. Innenminister Süleyman Soylu veranschlagte am 16.11.2017 die Gesamtzahl der Inhaftierten mit 48.739. Soylu sagte auch, dass 215.092 Personen als Nutzer der Smartphone-Anwendung "ByLock" aufgelistet und bereits 23.171 Nutzer verhaftet wurden. Die türkischen Behörden glauben, dass ByLock ein Kommunikationsmittel unter den Anhängern der Gülen-Gruppe ist (TM 27.11.2017). Die regierungskritische Website, Turkey Purge, zählte allerdings bereits am 3.11.2017 rund 61.250 Inhaftierungen nebst rund 129.000 Verhaftungen sowie 146.700 Entlassungen seit dem Putschversuch vom 15.7.2016 (TP 3.11.2017).

Ein Staatsanwalt in Istanbul hat laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am 29.11.2017 in einer landesweiten Operation Haftbefehle gegen 360 mutmaßliche Gülen-Mitglieder in den Streitkräften erlassen (Anadolu 29.11.2017).

KI vom 31.8.2017, Geheimdienst unter Kontrolle des Staatspräsidenten, Verlängerung der maximalen Untersuchungshaft

Mit dem Dekret 694, das am 25.8.2017 in Kraft trat, wurde der Geheimdienst MIT, der bisher dem Ministerpräsidenten unterstand, dem Präsidenten unterstellt. Auch wurde eine neue Institution namens Nationales Geheimdienstkoordinierungskomitee (MIKK) ins Leben gerufen, das vom Präsidenten geleitet wird. Der Geheimdienst erhält erstmals das Recht, gegen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und der Streitkräfte nach Belieben zu ermitteln. Laut dem Dekret muss der Präsident künftig Ermittlungen gegen den Geheimdienstchef genehmigen (Focus 25.8.2017; vgl. AM 30.8.2017). Der Geheimdienst kann überdies zu jederzeit seine Mitarbeiter entlassen. Hierzu war bislang eine komplexe Prozedur von Nöten (AM 30.8.2017)

Per Dekret wurde gleichzeitig die maximale Untersuchungshaft von fünf auf sieben Jahre ausgeweitet. Das gilt für Beschuldigte, denen die Unterstützung von Terrororganisationen, Spionage oder eine Beteiligung an dem Putschversuch vom Juli 2016 vorgeworfen werden. Staatspräsident Erdogan ermächtigte sich überdies, ausländische Gefangene ohne Einschaltung der Justiz in deren Heimatländer abzuschieben oder gegen türkische Staatsbürger auszutauschen (HB 28.8.2017). Dies geschieht auf Antrag des Außenministers. Somit kann die Türkei festgehaltene Ausländer in diplomatischen Verhandlungen nützen (AL 30.8.2017)

KI vom 9.8.2017, Beschwerden an die Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen

Die Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen (the Commission on Examination of the State of Emergency Procedures), die am 23.1.2017 gegründet wurde, hat am 17.7.2017 begonnen, Einsprüche von aufgrund der Notstandsdekrete entlassenen Personen, Vereine und Firmen entgegenzunehmen. Innerhalb von drei Wochen [Stand 7.8.2017] wurden bislang rund 38.500 Beschwerden bei der Kommission eingereicht (HDN 8.8.2017). Das Verfassungsgericht hatte zuvor rund

70.800 Individualbeschwerden in Zusammenhang mit Handlungen auf der Basis der Notstandsdekrete zurückgewiesen, da die Beschwerden nicht der Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen vorgelegt, und somit nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft wurden (bianet 7.8.2017). Nebst den direkt bei der Kommission eingereichten Beschwerden werden auch jene, die vor der Gründung der Kommission bei den Verwaltungsgerichten und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingereicht wurden, übernommen. Der EGMR hatte zuvor 24.000 Beschwerden abgelehnt. Negative Bescheide der Kommission können bei den Verwaltungsgerichten beeinsprucht werden (HDN 8.8.2017).

KI vom 19.7.2017, Verlängerung des Ausnahmezustandes

Am 17.7.2017 wurde der Ausnahmezustand ein viertes Mal verlängert. Eine Mehrheit im Parlament in Ankara stimmte dem Beschluss der Regierung über eine Verlängerung um weitere drei Monate zu. Damit gilt der nach dem Putschversuch im Juli vergangenen Jahres verhängte Ausnahmezustand mindestens bis zum 19.10.2017. Dies ermöglicht Staatspräsident Erdogan weiterhin per Dekret zu regieren. Die beiden größten Oppositionsparteien - die kemalistische CHP und die pro-kurdische HDP - forderten sofortige Aufhebung des Ausnahmezustandes, da dieser ansonsten drohe zum Dauerzustand zu werden (TS 17.7.2017, vgl. FAZ 17.7.2017).

KI vom 19.7.2017, Stand der Massenverhaftungen und Entlassungen wegen vermeintlicher Unterstützung der Gülen-Bewegung

Am Vorabend des Jahrestages des gescheiterten Putschversuches vom 15.7.2016 verlautete das türkische Justizministerium, dass bis dato

50.510 Personen wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung inhaftiert wurden, darunter 7.267 Militärangehörige, 8.815 Angestellte der Polizei, rund 100 Gouverneure und deren Stellvertreter und über 2.000 MitarbeiterInnen der Justiz. 169.013 Personen hätten laut Ministerium noch rechtliche Verfahren zu erwarten und nach rund

8.100 wird wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung noch gefahndet. Über 43.000 Personen wurden nach vorläufiger Festnahme wieder entlassen (HDN 13.7.2017, bianet 13.7.2017). Mit der Notstandsverordnung vom 14.7.2017 wurden zusätzlich 7.395 öffentlich Bedienstete entlassen (HDN 15.7.2017). Die regierungskritische Internetplattform "Turkey Purge" zählte mit Stand 19.7.2017 rund

145.700 Entlassungen, darunter über 4.400 Richter und Staatsanwälte, sowie 56.100 Inhaftierungen (TP 19.7.2017).

In der Türkei nahm am 17.7.2017 eine von der Regierung eingerichtete Kommission ihre Arbeit auf, die Beschwerden gegen Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst im Zusammenhang mit dem Putschversuch prüfen soll. Betroffene hätten nun zwei Monate Zeit, ihre Beschwerden einzureichen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat sich bislang nicht mit den Entlassungen beschäftigt, sondern Kläger aus der Türkei aufgefordert, sich zunächst an die neue Kommission zu wenden (Zeit 17.7.2017).

KI vom 27.4.2017, Massenverhaftungen und Entlassungen innerhalb der Polizei:

In der Türkei sind am 26.4.2017 9.103 Polizisten wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung entlassen worden. Bei Razzien gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger in allen 81 Provinzen des Landes war es im Laufe des Tages bereits zu 1.120 Festnahmen gekommen. Ziel der Suspendierungen und der Verhaftungen sei es gewesen, die geheime Struktur der Gülen-Bewegung innerhalb der Polizei zu zerschlagen.

8.500 Sicherheitskräfte unter Beteiligung des Geheimdienstes MIT seien an den Operationen beteiligt gewesen (HDN 26.4.2017; vgl. Zeit 27.4.2017). Wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung hat die Türkei gleichzeitig 9.103 Polizisten entlassen (Zeit 26.4.2017; vgl. HDN 27.4.2017). Laut "TurkeyPurge" wurden somit (Stand 27.4.2017) seit dem Putschversuch vom 15.7.2016 über 134.000 Personen wegen vermeintlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung entlassen, knapp über 100.000 festgenommen, und von letzteren 50.000 inhaftiert (TP 27.4.2017).

KI vom 19.4.2017, Verfassungsreferendum:

Am 16.4.2017 stimmten nach vorläufigen Ergebnissen bei einer Wahlbeteiligung von 84% 51,3% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechtsnationalistischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsieht (HDN 16.4.2017).

Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte in einer Stellungnahme am 17.4.2017 sowohl die Kampagne als auch die Mängel des Referendums. Das Referendum sei unter ungleichen Wettbewerbsbedingungen von statten gegangen. Der Staat habe nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hätten negative Auswirkungen gehabt (OSCE/PACE 17.4.2017). Cezar Florin Preda, der Leiter der PACE-Delegation sagte, dass das Referendum nicht die Standards des Europarates erfüllte und die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht adäquat für die Durchführung eines genuinen demokratischen Prozesses waren (PACE 17.4.2017). Laut OSZE wurden im Vorfeld des Referendums Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützer des Putschversuchens vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017). Noch während des Referendums entschied die Oberste Wahlbehörde überraschend, auch von ihr nicht gekennzeichnete Stimmzettel und Umschläge gelten zu lassen. Die Beobachtungsmission der OSZE und des Europarates bezeichneten dies als Verstoß gegen das Wahlgesetz, wodurch Schutzvorkehrungen gegen Wahlbetrug beseitigt wurden (Zeit 17.4.2017; vgl. PACE 17.7.2017).

Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) legten bei der Obersten Wahlkommission Beschwerde ein, wonach 2,5 Millionen Wahlzettel ohne amtliches Siegel verwendet wurden. Die Kommission wies die Beschwerde zurück (AM 17.4.2017). Gegner der Verfassungsänderung demonstrierten in den größeren Städten des Landes gegen die vermeintlichen Manipulationen. Der Vize-Vorsitzende der CHP, Bülent Tezcan bezeichnete das Referendum als "organisierten Diebstahl" und kündigte an, den Fall vor das türkische Verfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen, so nötig (AM 18.7.2017). Die EU-Kommission hat die türkische Regierung aufgefordert, die mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten zu untersuchen (Zeit 18.4.2017). Die OSZE kritisiert eine fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen, denn laut Michael Georg Link, Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte stand fest, dass die Entscheidung der Wahlkommission, falsch oder gar nicht gestempelte Wahlzettel als gültig zu werten, ein Verstoß gegen türkisches Recht darstellte (FAZ 19.4.2017). Daraufhin kündigte die Oberste Wahlkommission eine Prüfung der Vorwürfe an (Spiegel 19.4.2017).

KI vom 22.2.2017, Verurteilung von Parlamentariern der pro-kurdischen HDP

Am 20.2.2017 hat die Demokratische Partei der Völker (HDP) beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMRK) eine Beschwerde wegen der andauernden Inhaftierung ihrer beiden Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag eingereicht. Die HDP begründete dies u.a. mit dem Umstand, dass das Verfassungsgericht seit 95 Tagen keine Untersuchungen durchgeführt habe, und dadurch die beiden Parlamentarier ihren legislativen Aufgaben nicht nachkommen können (HDN 20.2.2017).

Die Staatsanwaltschaft in Diyarbakir fordert seit Jänner 2017 bis zu 142 Jahre Haft für Demirtas. Ihm werden unter anderem die Leitung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und Terrorpropaganda vorgeworfen (TS 17.1.2017). Ein Gericht im osttürkischen Dogubeyazit befand inzwischen am 21.2.2017 Selahattin Demirtas der "Herabwürdigung der türkischen Nation, des türkischen Staates und seiner Institutionen " schuldig und verurteilte ihn zu fünf Monaten Haft. Zudem wurde am 21.2.2017 Figen Yüksekdag ihr Parlamentsmandat aberkannt. Grund ist das Urteil des obersten Verwaltungsgerichts, das eine vorherige Verurteilung der Politikerin zu einer zehnmonatigen Haftstrafe wegen Terrorpropaganda bestätigt hatte (AM 21.2.2017; vgl. Zeit 21.2.2017). Idris Baluken, ein weiterer HDP-Abgeordneter, der eng mit den damaligen Friedensgesprächen zwischen der Regierung und dem inhaftierten PKK-Führer, Abdullah Öcalan, engagiert war, wurde nach Beanstandungen eines Appellationsgerichts erneut verhaftet (AM 21.2.2017).

2. Politische Lage

Die Türkei ist eine parlamentarische Republik, deren rechtliche Grundlage auf der Verfassung von 1982 basiert. In dieser durch das Militär initiierten und vom Volk angenommenen Verfassung wird das rechtsstaatliche Prinzip der Gewaltenteilung verankert. Die Türkei ist laut Verfassung eine demokratische, laizistische, soziale und rechtsstaatliche Republik, welche die Menschenrechte achtet und sich dem Nationalismus Atatürks verbunden fühlt (bpb 11.8.2014). Oberhaupt des Staates ist der Staatspräsident (IFES 2016a). Recep Tayyip Erdogan, der zuvor zwölf Jahre lang Premierminister war, gewann am 10.8.2014 die erstmalige direkte Präsidentschaftswahl, bei der auch zum ersten Mal im Ausland lebende türkische Staatsbürger an nationalen Wahlen teilnahmen (bpb 11.8.2014; vgl. BBC 8.12.2015; vgl. Presse 10.8.2014).

Nach einer Unterredung mit Staatspräsident Erdogan kündigte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am 5.5.2016 seinen Rücktritt als Partei- und Regierungschef an. Davutoglu galt zuletzt als Erdogans Widersacher auf dem Weg zu einem Umbau der Türkei zur Präsidialrepublik (WZ 5.5.2016; vgl. SD 5.5.2016). Die Spannungen zwischen Davutoglu und seiner Partei erreichten am 29.4.2016 einen Höhepunkt, als das Zentrale Exekutivkomitee der AKP beschloss, Davutoglu die Befugnis zur Erne

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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