TE Vwgh Erkenntnis 1999/11/25 98/07/0190

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Veröffentlicht am 25.11.1999
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
83 Naturschutz Umweltschutz;

Norm

ALSAG 1989 §2 Abs4;
ALSAG 1989 §2 Abs5 Z1;
AVG §46;
AVG §52;
AVG §58 Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Bumberger, Dr. Pallitsch und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Grubner, über die Beschwerde des Bundes, vertreten durch das Hauptzollamt Innsbruck, in Innsbruck, Innrain 30, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 30. Oktober 1998, Zl. U-3907/2, betreffend Feststellung gemäß § 10 ALSAG (mitbeteiligte Partei: Abfallbeseitigungsverband W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid vom 13. Juni 1996 hat des Hauptzollamt Innsbruck dem mitbeteiligten Abfallbeseitigungsverband (mP) als Betreiber der Kompostierungsanlage und Deponie R gemäß § 201 BAO den Altlastenbeitrag für Restmüll gemäß § 6 ALSAG für den Zeitraum Quartal I/1991 bis I/1996 neu festgesetzt. Die bescheiderlassende Behörde ist davon ausgegangen, dass der für "Zwischenabdeckzwecke" in der Deponie R verwendete kompostierte Abfall auch Abfall im Sinne des § 2 Abs. 4 ALSAG sei.

Aufgrund der gegen diesen Bescheid von der mP erhobenen Berufung stellte das Hauptzollamt Innsbruck am 11. Juni 1997 den Antrag auf Feststellung gemäß § 10 ALSAG, ob dieses als Zwischenabdeckung in der Deponie verwendete Material Abfall sei und dem Altlastenbeitrag unterliege.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Imst (BH) vom 14. September 1998 wurde "gemäß den §§ 10 und 21 AlSAG" festgestellt:

"Bei dem vom Abfallverband W in der Verbandsdeponie R im Zeitraum 01.01.1991 bis 31.03.1996 auf die dort abgelagerten Abfallballen aufgebrachten Zwischenabdeckmaterial aus Restmüllkompost handelt es sich nicht um Abfall im Sinne des Altlastensanierungsgesetzes.

Das genannte Zwischenabdeckmaterial unterliegt daher auch nicht dem Altlastenbeitrag.

Die BH führte in der Begründung ihres Bescheides u.a. aus:

"...

Bei gegenständlich zu beurteilendem Material handelt es sich um Müllkompost, welcher aus Abfällen erzeugt wurde.

Gemäß Stellungnahme von DI N. von der Abteilung Umweltschutz beim Amt der Tiroler Landesregierung vom 10.01.1997 wird der Haushaltsmüll (Restmüll) und geringe Mengen an Klärschlamm einer mechanisch-biologischen Behandlung in der Weise zugeführt, dass die angelieferten Abfälle in einem Tiefbunker zwischengelagert, anschließend mittels Polypgreifer einem Zerkleinerungsaggregat zugeführt werden und nach einer Magnetabscheidung in eine Rottetrommel gelangen. Am Ende dieser Rottetrommel wird das Material gesiebt, wobei die Siebreste in Form von Ballen direkt auf der Deponie abgelagert werden, und der Siebdurchgang in die Rottehalle transportiert und dort einem mehrmonatigem Rotteprozess unterzogen wird. Das auf diese Weise gewonnene Endprodukt ist gegenständlich zu beurteilender Müllkompost.

Zur Beurteilung der Qualität von Müllkompost besteht seit 01.06.1998 die vom österreichischen Normungsinstitut herausgegebene ÖNORM S 2022 "Gütekriterien für Müllkompost". In dieser sind Sollbereiche bzw. Grenzwerte, etc., für die im Müllkompost enthaltenen organischen Substanzen, Nährstoffe, physikalische Eigenschaften, Ballaststoffe und Problemelemente bestimmt. Hinsichtlich des gegenständlichen Müllkompostes liegen zwei Untersuchungszeugnisse der landwirtschaftlich-chemischen Versuchs- und Untersuchungsstelle an der Landwirtschaftlichen Landeslehranstalt in Rotholz vom 28.08.1989 vor. Gemäß diesen Untersuchungszeugnissen hält gegenständlicher Müllkompost die in der oben angeführten ÖNORM S 2022 - "Gütekriterien für Müllkompost" festgelegten Sollbereiche bzw. Grenzwerte der wertbestimmenden und wertmindernden Bestandteile ein.

Auf Anfrage, ob im Zeitraum 1.1.1991 bis 31.3.1996 weitere Untersuchungen des hergestellten Müllkompostes vorgenommen wurden, teilte die beim Abfallbeseitigungsverband W angestellte Mikrobiologin Dr. G. mit, dass im genannten Zeitraum keine weiteren Untersuchungen in Auftrag gegeben worden seien. Es sei jedoch anzunehmen, dass die wertbestimmenden und wertmindernden Bestandteile des Müllkompostes zwischen 1991 und 1996 zumindest in etwa gleich geblieben seien und sich eher verbessert hätten, da im genannten Zeitraum die Problemstoffsammlungen angelaufen seien und sich dadurch der Abfallinput verbessert habe.

Aus diesem Grund kann daher zur Beurteilung gegenständlichen Müllkompostes auch für den Zeitraum 1.1.1991 bis 31.3.1996 von den oben angeführten Ergebnissen der Müllkompostuntersuchungen ausgegangen werden.

Nach den Anwendungsrichtlinien für Müllkompost gemäß ÖNORM S 2024 eignet sich Müllkompost, welcher den Gütekriterien für Müllkompost gemäß ÖNORM S 2022 entspricht, zur Anlage von Lärm- und Schichtschutzwällen, zur Rekultivierung im Zuge von Maßnahmen des Hoch-, Straßen-, Wasser- und Bergbaues, für Schipistenanlegungen, für Anspritzbegrünungen an sehr steilen bzw. schwer zugänglichen Böschungen, zur Rasenanlegung und -pflege, zur Baum- und Strauchpflanzung, zur Verwendung in Baumschulen, im Zierpflanzenbau, im Ackerbau sowie im Obst- und Weinbau etc. Je nach Anwendungsart können unterschiedliche Mengen von Müllkompost aufgebracht werden.

Die angesprochene ÖNORM S 2024 wurde zwischenzeitlich zurückgezogen und durch die am 1.4.1997 erschienene ÖNORM S 2202 'Anwendungsrichtlinien für Komposte' ersetzt. Für den gegenständlich relevanten Zeitraum 1.1.1991 bis 31.3.1996 hatte demgemäß jedenfalls noch die ältere ÖNORM S 2024 Gültigkeit.

Festzustellen ist jedoch, dass gegenständlicher Müllkompost gemäß neuer ÖNORM S 2202 hinsichtlich der Kompostgrenzwerte für Schwermetalle der Kompostgüteklasse III entspricht. Komposte dieser Güteklasse können gemäß vorgenannter ÖNORM zur einmaligen Anwendung für Rekultivierungsmaßnahmen im Landschaftsbau, im Sportstättenbau, im Deponiebau und für technische Anwendungsbereiche (z.B. Filterbau) verwendet werden. Hinsichtlich des Deponiebaus wird angeführt, dass u.a. Komposte der Güteklasse III für die Herstellung von Ausgleichs- und Schutzschichten sowie von Zwischen- und Schlussabdeckungen grundsätzlich geeignet sind."

Aufgrund dieser Feststellungen gelangte die BH zum Ergebnis, dass es sich bei dem vom mitbeteiligten Abfallbeseitigungsverband in der Deponie R hergestellten Müllkompost nicht um Abfall im Sinne des AWG und des ALSAG handle. Deshalb könne er auch nicht dem Altlastenbeitrag unterliegen. Auch die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 5 Z. 1 ALSAG beziehe sich lediglich auf Abfälle, sodass diese auf den gegenständlichen Müllkompost keine Anwendung finden könne.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 30. Oktober 1998 wurde die dagegen erhobene Berufung des Hauptzollamtes Innsbruck als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde stellte fest, dass bezüglich des für die Zwischenabdeckung verwendeten Endproduktes Untersuchungsergebnisse vom 28. August 1989 und vom 4. Dezember 1990 vorlägen, wonach die in der ÖNORM S 2022 "Gütekriterien für Müllkompost", ausgegeben am 1. Juni 1989, festgelegten Sollbereiche bzw. Grenzwerte für Müllkompost im Hinblick auf die untersuchten Parameter bei der Müllkompostierung des mitbeteiligten Abfallverbandes eingehalten würden und sich diese Feststellungen auf die Stellungnahme des abfalltechnischen Amtssachverständigen Dipl. Ing. N. vom 10. Jänner 1997 und vom 2. Juni 1998 und die vorgelegten Untersuchungszeugnisse stützten.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, für die Beurteilung der Verwaltungsrechtssache sei das ALSAG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 818/1993 anzuwenden. Das zur Zwischenabdeckung herangezogene Material sei das Ergebnis einer mechanisch-biologischen Behandlung von Hausmüll und geringen Mengen an Klärschlamm. Um beurteilen zu können, ob dieses Material dem Tatbestand des § 2 Abs. 5 Z. 1 ALSAG unterliege, sei zu prüfen, ob es für den verwendeten Zweck geeignet gewesen sei. Dazu sei auf die damals in Geltung gewesenen Kriterien aus fachlicher Sicht zurückzugreifen; dies sei die ÖNORM S 2022, Gütekriterien für Müllkompost, ausgegeben am 1. Juni 1989, sowie die ÖNORM S 2024, "Anwendungsrichtlinien für Müllkompost" ausgegeben am 1. August 1987". Letztere ÖNORM sei zwar durch die ÖNORM S 2202, "Anwendungsrichtlinien für Komposte", ausgegeben am 1. April 1997, ersetzt worden, also erst nach dem 31. März 1996. Das zur Zwischenabdeckung verwendete Material habe aber den Gütekriterien für Müllkompost gemäß ÖNORM S 2022 entsprochen. Gemäß ÖNORM S 2024, ausgegeben am 1. August 1987, habe Müllkompost, der die Grenzwerte der ÖNORM S 2022 eingehalten habe, unter Berücksichtigung bestimmter Regeln für Lärm- und Sichtschutzwälle, Rekultivierungsmaßnahmen, Rasenanlegung und -pflege, Ackerbau, Baum- und Strauchpflanzung, Dauergrünland sowie Obst- bzw. und Weinbau angewendet werden können. Das Vorbringen des Hauptzollamtes, die Aufbringung des Restmüllkompostes habe nicht der ÖNORM S 2020 in Bezug auf Biofiltermaterialien auf Kompostbasis entsprochen, sei nicht weiter zu berücksichtigen. Die zitierte ÖNORM sei nämlich erst am 1. August 1996, also nach dem zu beurteilenden Zeitraum herausgegeben worden. Es handle sich also bei dem als Zwischenabdeckung vom mitbeteiligten Abfallverband verwendeten Müllkompost um keinen Abfall im Sinne des ALSAG. Das Aufbringen dieser Zwischenabdeckung unterliege daher nicht § 3 Abs. 1 Z. 1 ALSAG.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die beschwerdeführende Partei erachtet sich ihrem Vorbringen zufolge in dem Recht auf Feststellung der Abfalleigenschaft des hier zu beurteilenden Deponiezwischenabdeckmaterials nach dem ALSAG sowie, dass dieser Abfall dem Altlastenbeitrag unterliegt, verletzt. Sie macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend. Die bloße Eignung des Materials für den beabsichtigten (verwendeten) Zweck sei im Beschwerdefall nicht maßgeblich, weil es sich beim Einbringen von Abfällen in eine Deponie nicht um eine Wiederverwendung oder stoffliche Verwertung handeln könne. Die alleinige Eignung eines Abfalls zur Verminderung von Geruchsemissionen schließe dessen Abfalleigenschaft keinesfalls aus. Beitragsfrei könnten Rekultivierungs- und ähnliche Maßnahmen in einer Deponie allenfalls dann sein, wenn sie nicht unter Verwendung von Abfällen, sondern mit einem Produkt mit entsprechenden Qualitätsanforderungen, das zulässigerweise für einen bestimmten Zweck eingesetzt werde, vorgenommen würden. Die Aussage, dass es sich bei Restmüllkompost um ein Produkt handle, treffe jedoch keine der in diesem Bereich existierenden ÖNORMEN, noch lägen sonstige Anhaltspunkte für eine derartige Annahme vor. Die Möglichkeit der Verwendung von Müllkomposten werde in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. Man könne daher derzeit nicht von in Österreich einheitlichen Anforderungen und Verwendungsmöglichkeiten für Müllkomposte sprechen und somit auch nicht von einem österreichweit vermarktbaren Produkt ausgehen. Dies wäre jedoch Voraussetzung für einen beitragsfreien Einsatz des Kompostes innerhalb der Deponie. Gleiches gelte bei der Verwendung von Klärschlämmen. Auch bei Klärschlamm, der höchsten Qualitätsanforderungen entspreche, der aufgrund seines Nährstoffgehaltes zur Düngung in der Landwirtschaft geeignet sei, handle es sich um Abfall. Die von der Berufungsbehörde herangezogene und bis 31. März 1996 für anwendbar erachtete ÖNORM S 2024 sei bereits am 1. Oktober 1991 ersatzlos zurückgezogen worden. Zurückgezogen würden ÖNORMEN grundsätzlich nur, wenn diese nicht mehr dem Stand der Technik entsprächen. Die ÖNORM S 2202 wiederum sei erst am 1. April 1997 in Kraft getreten. Entscheidend sei jedoch, dass es keine ÖNORM in diesem Bereiche gebe, die eine Aussage über ein allfälliges Ende der Abfalleigenschaft von Müllkompost träfe. Da der gegenständliche Kompost somit seine Abfalleigenschaft nicht verloren habe, handle es sich um ein beitragspflichtiges Ablagern von Abfällen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift. Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift.

Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie ist gemäß § 22 VwGG in das Verfahren eingetreten und hat die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das Altlastensanierungsgesetz, BGBl. Nr. 299/1989, wurde zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 151/1998. Diese Novelle ist am 21. August 1998 in Kraft getreten.

Gemäß Art. VII Abs. 4 Z. 1 BGBl. I Nr. 151/1998 trat u.a. § 10 ALSAG in der Fassung des Bundesgesetzblattes BGBl. Nr. 201/1996 mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft. Gemäß Abs. 6 dieses Artikels trat u.a. § 10 ALSAG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 151/1998 mit 1. Jänner 1999 in Kraft.

Im Hinblick auf die Übergangsbestimmung Art. VII Abs. 6 der Novelle BGBl. I Nr. 151/1998, ist daher im Beschwerdefall bezüglich der Erlassung eines Feststellungsbescheides § 10 ALSAG in der Fassung BGBl. Nr. 201/1996, anzuwenden.

Nach § 10 ALSAG hat die Behörde in begründeten Zweifelsfällen auf Antrag des in Betracht kommenden Beitragsschuldners oder des Hauptzollamtes des Bundes durch Bescheid festzustellen,

1.

ob eine Sache Abfall ist,

2.

ob ein Abfall dem Altlastenbeitrag unterliegt, ....

Die im § 2 Abs. 4 ALSAG enthaltene Begriffsbestimmung des Abfalls wurde zuletzt mit der am 1. Mai 1996 in Kraft getretenen Novelle BGBl. Nr. 201/1996 geändert. Auch Abs. 5 dieses Paragraphen wurde mit dieser Novelle geändert; Z. 1 dieses Absatzes wurde nochmals durch BGBl. Nr. I Nr. 96/1997 novelliert. Da im Beschwerdefall Gegenstand die Feststellung einer Sache als Abfall im Sinne des ALSAG betreffend den Zeitraum Jänner 1991 bis März 1996 zwecks Festsetzung des Altlastenbeitrages in diesem Zeitraum ist, ist im Beschwerdefall die für diesen Zeitraum in Geltung stehende Begriffsbestimmung des Abfalls nach § 2 Abs. 4 und 5 ALSAG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 201/1996 maßgeblich (vgl. hiezu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 303 zu § 66 AVG, Seite 1298, wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Das ALSAG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 201/1996

definierte den Abfall wie folgt:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. ...

(4) Abfälle im Sinne dieses Bundesgesetzes sind bewegliche Sachen,

1. deren sich der Eigentümer oder Inhaber entledigen will oder entledigt hat, oder

2. deren Behandlung als Abfall im öffentlichen Interesse (Abs. 7) geboten ist.

Die Behandlung als Abfall im öffentlichen Interesse kann auch dann geboten sein, wenn für eine bewegliche Sache ein Entgelt erzielt werden kann.

(5) Nicht als Abfälle im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten:

1. Abfallstoffe, die als Sekundärrohstoffe einer Wiederverwendung oder stofflichen Verwertung zugeführt werden (Altstoffe);

..."

Der Beschwerdeführer sowie der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie einerseits und die belangte Behörde sowie die mitbeteiligte Partei andererseits sind unterschiedlicher Rechtsauffassung in der Frage, ob der als Zwischenabdeckmaterial in der Deponie R verwendete Restmüllkompost als Altstoff im Sinne des § 2 Abs. 5 Z. 1 ALSAG bezeichnet werden kann und daher gemäß § 2 Abs. 5 ALSAG nicht als Abfall im Sinne dieses Bundesgesetzes zu gelten hat.

Diese entscheidungserhebliche Frage kann jedoch aus folgenden Gründen derzeit nicht abschließend beurteilt werden: Im angefochtenen Bescheid wird nämlich die Annahme des hier zu beurteilenden Materials als Altstoff im Sinne des § 2 Abs. 5 Z. 1 ALSAG ausschließlich unter Hinweis auf das Vorliegen der in näher bezeichneten ÖNORMEN geforderten Qualitätsanforderungen des in die Deponie R eingebrachten Müllkompostes bejaht. Auch die Behörde erster Instanz bezog sich in ihrer Entscheidung ausschließlich auf diese ÖNORMEN. ÖNORMEN stellen aber keine verbindlichen Rechtsgrundlagen dar. Bedeutung kann ihnen nur insoweit zukommen, als es sich dabei um "objektivierte", d.h. generelle Gutachten handelt. Es hat aber weder die Behörde dargetan, noch ist im Beschwerdefall offenkundig, dass die in diesen objektivierten Gutachten enthaltenen Aussagen auch auf den hier zu beurteilenden konkreten Einzelfall zutreffen (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 27. September 1994, Zl. 92/07/0074, und vom 25. Jänner 1996, Zl. 95/07/0085).

Abgesehen davon, dass solche Begründungsdarlegungen sowohl im angefochtenen als auch im Bescheid der Behörde erster Instanz fehlen, lässt das Gutachten des Dipl. Ing. N. der Abteilung Umweltschutz der Tiroler Landesregierung vom 2. Juni 1998, in welchem darauf hingewiesen wurde, dass der erzeugte Müllkompost aufgrund "geänderter Umweltstandards" keiner Verwertung zugeführt habe werden können, Bedenken an der für eine zulässige Verwendung als Zwischenabdeckung einer Deponie erforderlichen Qualität dieses Materials aufkommen. Erst wenn also feststeht, dass der in den Jahren 1991 bis März 1996 als Zwischenabdeckung für die Deponie R verwendete Müllkompost in seiner Zusammensetzung und in der Art seiner Verwendung einem Produkt mit der Qualitätsanforderung entspricht, um zulässigerweise als Zwischenabdeckung für die Deponie R verwendet werden zu können, kann von einer Wiederverwendung oder stofflichen Verwertung eines Abfallstoffes im Sinne des § 2 Abs. 5 Z. 1 ALSAG gesprochen werden. Die Klärung dieser Frage erfordert fachkundige Ausführungen eines Sachverständigen, welcher sich bei Heranziehung einschlägiger ÖNORMEN in seinem Gutachten auch damit auseinander zu setzen haben wird, ob das als Zwischenabdeckung der Deponie R verwendete Material im hier zu beurteilenden Zeitraum den geltenden Qualitätsanforderungen beim Deponiebau (Stand der Technik) entsprochen hat. Der von der Behörde beizuziehende Sachverständige wird sich in diesem Zusammenhang auch mit dem vom Abfallbeseitigungsverband W vorgelegten Privatgutachten des Gastprofessors Dr. B.R. vom 18. Juli 1998, welches im Verwaltungsakt liegt, auseinander zu setzen haben.

Im Geltungsbereich des im Beschwerdefall anzuwendenden § 2 Abs. 5 Z. 1 ALSAG wird der Begriff der Altstoffe nicht eingeschränkt, wie dies durch die Novelle BGBl. Nr. 201/1996 in Bezug auf Baumaßnahmen des Deponiekörpers

(z.B. Deponiezwischenabdeckungen, Fahrstraßen, Rand- und Stützwälle) erfolgt ist. Daher ist - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - von einem Altstoff im Sinne des § 2 Abs. 5 Z. 1 ALSAG auch dann auszugehen, wenn dieser als Deponiezwischenabdeckung verwendet worden ist. Wird Abfall wiederverwendet (das ist neuerlicher bestimmungsgemäßer Einsatz) oder einer stofflichen Verwertung zugeführt (das heißt zur Herstellung eines neuen Produktes eingesetzt bzw. der nach dem Verwertungsvorgang gewonnene Stoff nachweislich einer zulässigen Verwendung zugeführt), ist er Altstoff im Sinne des § 2 Abs. 5 Z. 1 ALSAG. Dies gilt auch für die Einbringung in eine Deponie dann, wenn der Altstoff für den Deponiebau verwendet wird und demnach nicht der Ablagerung von Abfall dient.

Ausgehend von ihrer als irrig erkannten Rechtsansicht, aufgrund bestimmter ÖNORMEN könne im Beschwerdefall von einem Altstoff im Sinne des § 2 Abs. 5 Z. 1 ALSAG ausgegangen werden, hat die belangte Behörde von weiteren - wie oben aufgezeigt - erforderlichen Beweisaufnahmen Abstand genommen. Das Verfahren vor der belangten Behörde leidet demnach an einem (sekundären) Verfahrensmangel. Die belangte Behörde belastete damit den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 25. November 1999

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Beweismittel Sachverständigengutachten Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Besonderes Fachgebiet Verwaltungsrecht allgemein Rechtsquellen VwRallg1 Vorliegen eines Gutachtens

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998070190.X00

Im RIS seit

21.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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