TE Vwgh Erkenntnis 2018/8/8 Ro 2015/04/0028

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Veröffentlicht am 08.08.2018
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
40/01 Verwaltungsverfahren
97 Öffentliches Auftragswesen

Norm

ABGB §1175
AVG §9
BVergG 2006 §104 Abs1
BVergG 2006 §129 Abs1 Z10
BVergG 2006 §2 Z14
BVergG 2006 §20 Abs2
BVergG 2006 §320

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, den Hofrat Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tiefenböck, über die Revision der Bietergemeinschaft bestehend aus der H H Hoch- und Tiefbau GmbH in L und der P GmbH in L, vertreten durch MMag. Dr. Claus Casati, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 1b/17, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 25. September 2015, Zl. LVwG 44.20-2583/2015-10, betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde L, vertreten durch die Mecenovic Rechtsanwalt GmbH in 8010 Graz, Burggasse 16/III), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Revisionswerberin hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren der mitbeteiligten Partei wird abgewiesen.

Begründung

I.

1        1. Die mitbeteiligte Partei (Auftraggeberin) führte ein nicht offenes Verfahren ohne Bekanntmachung für „Straßenbauarbeiten 2015“ durch. Die Bildung von Bietergemeinschaften wurde nicht ausgeschlossen. Die jeweils mit Schreiben vom 6. August 2015 separat zur Angebotslegung aufgeforderte Hoch- und Tiefbau GmbH und P GmbH schlossen sich zu einer Bietergemeinschaft zusammen und gaben rechtzeitig am 1. September 2015 ein Angebot ab.

2        Mit Telefax vom 8. September 2015 teilte die Auftraggeberin dem Vertreter der revisionswerbenden Bietergemeinschaft mit, dass ihr Angebot das eines nicht aufgeforderten Bieters darstelle und gemäß § 129 Abs. 1 Z 10 BVergG 2006 auszuscheiden gewesen sei.

3        2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 25. September 2015 wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Verwaltungsgericht) den Antrag der revisionswerbenden Bietergemeinschaft auf Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung ab (Spruchpunkt I.). Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die revisionswerbende Bietergemeinschaft die entrichteten Pauschalgebühren selbst zu tragen habe (Spruchpunkt II.) und eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig sei (Spruchpunkt III.).

4        2.2. In seiner Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, dass der Auftraggeberin die Bildung einer Bietergemeinschaft erst mit dem Begleitschreiben zum Angebot vom 1. September 2015 mitgeteilt worden sei. Die bei der Angebotsöffnung nicht anwesende revisionswerbende Bietergemeinschaft habe erfahren, dass im Zuge der Angebotsöffnung die Frage aufgeworfen worden sei, ob die Bildung einer Bietergemeinschaft rechtens und deren Angebot zu werten sei. Daraufhin habe der Rechtsvertreter der revisionswerbenden Bietergemeinschaft noch am 1. September 2015 ein Schreiben an die Auftraggeberin verfasst, in dem der Rechtsstandpunkt der Bietergemeinschaft darlegt worden sei.

5        In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht zunächst aus, es schade nicht, dass sich die Mitteilung der Ausscheidensentscheidung an den Vertreter der revisionswerbenden Bietergemeinschaft gerichtet habe, weil dessen Vertretungsbefugnis der Auftraggeberin mit Schreiben vom 1. September 2015 mitgeteilt worden sei. Mit dem Wortlaut „Bietergemeinschaft H GmbH und P GmbH“ im Telefax vom 8. September 2015 stehe außer Zweifel, dass nur die revisionswerbende Bietergemeinschaft habe gemeint sein können. Ebenso sei ungeachtet der Formulierung im Telefax, wonach das Angebot „auszuscheiden gewesen“ sei, klar, dass eine Ausscheidensentscheidung „rechtskräftig nicht getroffen worden“ und die revisionswerbende Bietergemeinschaft in der Geltendmachung ihrer Rechte in keiner Weise eingeschränkt gewesen sei.

6        Aus den Definitionen des BVergG 2006 ergebe sich - so das Verwaltungsgericht weiter -, dass eine Bietergemeinschaft einen neuen Bieter darstelle. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes könnte ein Auftraggeber nach Bildung einer ARGE oder BIEGE das Angebot nur als solches annehmen, das heißt den Zuschlag nicht einzelnen Mitgliedern erteilen.

7        Die beiden Unternehmen H Hoch-und Tiefbau GmbH und P GmbH seien jeweils aufgefordert worden, im nicht offenen Verfahren ohne Bekanntmachung ein Angebot abzugeben. Sie hätten sich in der Folge jedoch zu einer Bietergemeinschaft zusammengeschlossen, die mit der Abgabe ihres Angebotes Bieter im Sinn des § 2 Z 13 BVergG 2006 geworden sei. Dabei handle es sich um einen neuen, anderen Bieter, möge dieser auch aus zwei bereits aufgeforderten Bewerbern bestehen.

8        Dass dieser Unterschied von Bedeutung sei, ergebe sich aus der Natur des nicht offenen Verfahrens ohne Bekanntmachung, zumal der Auftraggeber von vornherein potentielle Bieter prüfe und diese aussuche. Die Bedeutung der genauen Unterscheidung der Identität von Bewerbern zeige sich aber auch aus dem Regelungszusammenhang, wonach der Auftraggeber die Möglichkeit habe, Bietergemeinschaften a priori vom Vergabeverfahren auszuschließen. Damit müsse auch bei späterer Bildung einer ARGE oder BIEGE die Möglichkeit für einen Auftraggeber bestehen, diese zu prüfen, und zwar über die bereits geprüfte Eignung der eingeladenen Bewerber hinaus, etwa in Hinblick auf wettbewerbsbeschränkende Aspekte.

9        Anhand der Gesetzesmaterialien erhelle sich, dass die gesetzliche Regelung so beabsichtigt gewesen sei und ein Widerspruch zwischen § 129 Abs. 1 Z 10 BVergG 2006 und § 20 Abs. 2 vorletzter Satz BVergG 2006 tatsächlich nicht bestehe. Folglich liege aber nach dem Wortlaut des § 129 Abs. 1 Z 10 BVergG 2006 mit dem Angebot der revisionswerbenden Bietergemeinschaft das Angebot eines Bieters vor, der nicht aufgefordert worden sei.

10       Die Verunmöglichung einer etwaigen Aufforderung der revisionswerbenden Bietergemeinschaft habe sich diese selbst zuzuschreiben, weil sie der Auftraggeberin die Bildung der Bietergemeinschaft nicht rechtzeitig sondern erst mit der Abgabe des Angebotes am Tag der Angebotsöffnung mitgeteilt habe.

11       Die Auftraggeberin habe das Angebot der revisionswerbenden Bietergemeinschaft als Angebot eines nicht aufgeforderten Bieters daher zu Recht ausgeschieden.

12       Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass „sich der Verwaltungsgerichtshof zu dieser Frage noch nicht geäußert hat“.

13       3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die das Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 6 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens und der von der Auftraggeberin erstatteten Revisionsbeantwortung vorlegte.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14       1. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, dass keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vorliege, ob die Ausscheidenssanktion des § 129 Abs. 1 Z 10 BVergG 2006 auch für Sachverhalte gelte, in denen zwei getrennt voneinander zur Angebotsabgabe aufgeforderte verbundene Unternehmen ein Angebot als Bietergemeinschaft abgegeben und ihre Bildung erst mit Angebotsabgabe dem Auftraggeber bekanntgegeben haben.

15       Die Revision ist zulässig. Sie erweist sich jedoch als nicht berechtigt.

16       2. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2006 (BVergG 2006), BGBl. I Nr. 17 in den Fassungen BGBl. I Nr. 128/2013 (§ 2) und BGBl. I Nr. 15/2010 (§ 20 und § 129) sowie in der unveränderten Stammfassung (§ 104), lauten auszugsweise wie folgt:

Begriffsbestimmungen

§ 2. Im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes sind folgende Begriffsbestimmungen maßgebend:

1.   bis 13. [...]

14.  Bietergemeinschaft ist ein Zusammenschluss mehrerer Unternehmer zum Zweck des Einreichens eines gemeinsamen Angebotes, das Leistungen auf dem Gebiet gleicher oder verschiedener Fachrichtungen zum Inhalt haben kann.

15.  bis 50. [...]“

„Allgemeine Bestimmungen über Bewerber und Bieter

§ 20. (1) [...]

(2) Arbeitsgemeinschaften und Bietergemeinschaften können Angebote oder Teilnahmeanträge einreichen, sofern nicht in der Ausschreibung aus sachlichen Gründen die Teilnahme oder die Bildung von Arbeits- oder Bietergemeinschaften für unzulässig erklärt wurde. Der Auftraggeber kann ferner in der Ausschreibung aus sachlichen Gründen eine allfällige Beschränkung der Mitgliederanzahl oder der Zusammensetzung von Arbeits- oder Bietergemeinschaften vorsehen. Der Auftraggeber kann Arbeits- oder Bietergemeinschaften nicht verpflichten, zwecks Einreichens eines Angebotes oder eines Teilnahmeantrages eine bestimmte Rechtsform anzunehmen. Der Auftraggeber kann jedoch von einer Arbeits- oder Bietergemeinschaft verlangen, dass sie eine bestimmte Rechtsform annimmt, wenn ihr der Zuschlag erteilt worden ist, sofern dies für die ordnungsgemäße Durchführung des Auftrages erforderlich ist. Arbeitsgemeinschaften und Bietergemeinschaften sind als solche parteifähig zur Geltendmachung der ihnen durch dieses Bundesgesetz eingeräumten Rechte. Beim nicht offenen Verfahren und beim Verhandlungsverfahren haben die aufgeforderten Bewerber dem Auftraggeber die Bildung einer Bieter- oder Arbeitsgemeinschaft vor Ablauf der halben Angebotsfrist mitzuteilen. Im Auftragsfall schulden Bietergemeinschaften als Arbeitsgemeinschaften dem Auftraggeber die solidarische Leistungserbringung.

(3) bis (5) [...]“

„Ausscheiden von Angeboten

§ 129. (1) Vor der Wahl des Angebotes für die Zuschlagsentscheidung hat der Auftraggeber auf Grund des Ergebnisses der Prüfung folgende Angebote auszuscheiden:

1.   bis 9 [...]

10.  Angebote von nicht aufgeforderten Bietern;

11.  [...]

(2) [...]

(3) Der Auftraggeber hat den Bieter vom Ausscheiden seines Angebotes unter Angabe des Grundes nachweislich elektronisch oder mittels Telefax zu verständigen.“

Ablauf des nicht offenen Verfahrens

§ 104. (1) Im nicht offenen Verfahren können die zur Abgabe von Angeboten aufgeforderten Unternehmer innerhalb der Angebotsfrist ihre Angebote einreichen.

(2) Während eines nicht offenen Verfahrens darf mit den Bietern über eine Angebotsänderung nicht verhandelt werden.

(3) Anzahl und Namen der zur Angebotsabgabe aufgeforderten Unternehmer sind bis zur Angebotsöffnung geheim zu halten.“

17       3.1. Die Revisionswerberin rügt, das Verwaltungsgericht verkenne im angefochtenen Erkenntnis, dass § 20 Abs. 2 vorletzter Satz BVergG 2006 keinesfalls ein Ausscheiden einer nicht vorab bekanntgegebenen Bietergemeinschaft im nicht offenen Verfahren ohne Bekanntmachung habe bezwecken wollen. Aus der Regierungsvorlage zur Stammfassung des BVergG 2006 ergebe sich, dass die Verletzung der Mitteilungspflicht keine Ausscheidenssanktion zur Folge habe. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach auch Bietergemeinschaften, die aus zur Angebotsabgabe eingeladenen Bietern bestünden, auszuscheiden wären, führe dazu, dass selbst eine angezeigte Bietergemeinschaft ausgeschieden werden müsste, wenn der Auftraggeber diese neue Bietergemeinschaft nicht nochmals ausdrücklich zur Angebotsabgabe einlade. Der Auftraggeber könnte damit willkürlich Bietergemeinschaften von der Angebotslegung ausschließen.

18       3.2. Gemäß § 129 Abs. 1 Z 10 BVergG 2006 hat der Auftraggeber vor der Wahl des Angebotes für die Zuschlagsentscheidung auf Grund des Ergebnisses der Prüfung Angebote von nicht aufgeforderten Bietern auszuscheiden. Für das nicht offene Verfahren gilt, dass die zur Abgabe von Angeboten aufgeforderten Unternehmer innerhalb der Angebotsfrist ihre Angebote einreichen können (vgl. § 104 Abs. 1 BVergG 2006). Die Erläuterungen zu dieser Bestimmung stellen klar, dass Unternehmer nur in jener Form („als Einzelunternehmer als Bietergemeinschaft“) ein Angebot legen dürfen, in der sie vom Auftraggeber zur Angebotsabgabe aufgefordert wurden (vgl. RV 1171 BlgNR 22. GP 78). Die Erläuterungen verweisen an dieser Stelle auf § 20 Abs. 2 vorletzter Satz (siehe dazu Rn. 20) und „insbesondere“ § 129 Abs. 1 Z 10 BVergG 2006. In den Erläuterungen zu § 129 Abs. 1 Z 10 BVergG 2006 (vgl. RV 1171 BlgNR 22. GP 85), die noch einmal klarstellen, dass dieser Tatbestand im nicht offenen Verfahren und im Verhandlungsverfahren das Ausscheiden von Angeboten von Unternehmern ermöglicht, die nicht zur Angebotslegung aufgefordert worden sind, findet sich wiederum ein Rückverweis auf die Erläuterungen zu § 104 Abs. 1 BVergG 2006, wonach „neu gebildete Arbeitsgemeinschaften nicht als jene Unternehmer anzusehen sind, die zur Angebotsabgabe aufgefordert wurden“.

19       Aus all dem geht hervor, dass nach § 129 Abs. 1 Z 10 BVergG 2006 grundsätzlich auch ein Angebot einer Bieter- oder Arbeitsgemeinschaft ausgeschieden werden kann, wenn diese nicht (als solche) zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert wurde.

20       § 20 Abs. 2 vorletzter Satz BVergG 2006 ordnet an, dass beim nicht offenen Verfahren und beim Verhandlungsverfahren die aufgeforderten Bewerber dem Auftraggeber die Bildung einer Bieter- oder Arbeitsgemeinschaft vor Ablauf der halben Angebotsfrist mitzuteilen haben. Die von der Revisionswerberin ins Treffen geführten Erläuterungen zu dieser Bestimmung (vgl. RV 1171 BlgNR 22. GP 41) lauten wie folgt:

„Die vorgesehene Mitteilungspflicht in Abs. 2 vorletzter Satz hat den Sinn, dass der Auftraggeber rechtzeitig von der Verkleinerung des Bieterkreises informiert wird und erforderlichenfalls weitere Unternehmen zur Angebotsabgabe einladen kann. Die Verletzung der Mitteilungspflicht stellt weder einen Ausscheidungsgrund dar noch zieht sie sonstige Konsequenzen nach sich.“

21       Demnach bildet ein Verstoß gegen die in § 20 Abs. 2 vorletzter Satz BVergG 2006 normierte Mitteilungspflicht für sich genommen keinen Ausscheidensgrund für die Bewerber, die dem Auftraggeber die Bildung einer Bieter- oder Arbeitsgemeinschaft nicht vor Ablauf der halben Angebotsfrist mitgeteilt haben. Aus dem in den Gesetzesmaterialien genannten Zweck der Mitteilungspflicht ergibt sich aber auch, dass die Mitteilung vor Ablauf der Angebotsfrist erfolgen muss, weil der Auftraggeber ansonsten auf die Verkleinerung des Bieterkreises nicht mehr reagieren könnte und damit der Regelungszweck verfehlt wäre. Es läge in diesem Fall zudem in der Hand der (sich zu einer Bieter- oder Arbeitsgemeinschaft zusammenschließenden) Bewerber darüber zu entscheiden, ob dem Auftraggeber nach der erfolgten Information über die Bildung einer Bieter- oder Arbeitsgemeinschaft noch die Möglichkeit offen steht, weitere Unternehmen zur Angebotsabgabe einzuladen. Erfolgt die Mitteilung nach Ablauf der Angebotsfrist, kann der Auftraggeber aber vor allem die Bietergemeinschaft nicht mehr zur Abgabe eines Angebotes auffordern. Dass es einer solchen Aufforderung bedarf, ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang (§ 129 Abs. 1 Z 10, § 104 Abs. 1 und § 20 Abs. 2 sechster Satz BVergG 2006) und den unter Rn. 18 dargestellten Gesetzesmaterialien (vgl. in diesem Zusammenhang auch Öhler/Schramm/Zellhofer in Schramm/Aicher/Fruhmann [Hrsg.], Bundesvergabegesetz 2006, § 20 Rz. 53).

22       Den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu Folge wurde im vorliegenden Fall der Auftraggeberin erst im Zuge der Angebotsöffnung die Bildung einer Bietergemeinschaft mitgeteilt. Schon deshalb handelt es sich beim Angebot der Bietergemeinschaft um das einer nicht aufgeforderten Bieterin, weshalb das Verwaltungsgericht zu Recht den Ausscheidenstatbestand gemäß § 129 Abs. 1 Z 10 BVergG 2006 bejaht hat.

23       4.1. In der Revision wird weiters vorgebracht, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die von der H Hoch- und Tiefbau GmbH und P GmbH gebildete Bietergemeinschaft ein neuer, anderer Bieter wäre. Lege man § 129 Abs. 1 Z 10 BVergG 2006 danach aus, ob eine unterschiedliche Rechtsperson ein Angebot gelegt habe, treffe dies auf die revisionswerbende Bietergemeinschaft nicht zu. An der Rechtsperson habe sich zwischen der Einladung zur Angebotsabgabe und der Angebotsabgabe selbst nichts geändert.

24       4.2. Dieses Vorbringen erweist sich aus folgenden Erwägungen als unzutreffend:

25       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei einer Bietergemeinschaft im Sinn von § 2 Z 14 BVergG 2006 um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der grundsätzlich die Eigenschaft einer juristischen Person nicht zukommt. Ihr kommt jedoch soweit Parteifähigkeit zu, als das zu Grunde liegende Materiengesetz einer solchen Gesellschaft bürgerlichen Rechts selbständige, von ihren einzelnen Mitgliedern losgelöste materielle Rechte oder Verfahrensrechte einräumt (vgl. das - noch zu § 30 Abs. 2 BVergG 2002 ergangene, jedoch auf die geltende, im Wesentlichen inhaltsgleiche Rechtslage übertragbare - Erkenntnis VwGH 20.10.2004, 2004/04/0134, mwN). Vorliegend räumt § 20 Abs. 2 BVergG 2006 einer Bietergemeinschaft eine derartige selbständige, von ihren einzelnen Mitgliedern losgelöste materielle Rechtsstellung ein. Nach dieser Bestimmung können Bietergemeinschaften Angebote einreichen und sind nicht verpflichtet, dazu eine bestimmte Rechtsform anzunehmen (anderes gilt nach Erteilung des Zuschlages an die Arbeits- oder Bietergemeinschaft). Damit ist klargestellt, dass sich auch Gesellschaften bürgerlichen Rechts als einheitlicher Bieter am Vergabeverfahren beteiligen können. Demnach ist, wenn eine Arbeits- oder Bietergemeinschaft ein Angebot gelegt hat und sich in weiterer Folge die Notwendigkeit ergibt, einen Nachprüfungsantrag zu stellen, nur die Arbeits- oder Bietergemeinschaft als solche zur Antragstellung berechtigt, nicht hingegen einzelne ihrer Mitglieder (vgl. RV 1171 BlgNR 22. GP 41). Nach § 20 Abs. 2 fünfter Satz BVergG 2006 sind Arbeitsgemeinschaften und Bietergemeinschaften auch als solche parteifähig zur Geltendmachung der ihnen durch das BVergG 2006 eingeräumten Rechte. Schließlich sprechen auch die unter Rn. 18 wiedergegebenen Erläuterungen zu § 104 Abs. 1 und § 129 Abs. 1 Z 10 BVergG 2006 klar dafür, dass im vorliegenden Fall - entgegen dem Revisionsvorbringen - die von der H Hoch- und Tief GmbH und P GmbH gebildete Bietergemeinschaft eine von diesen verschiedene Bieterin ist.

26       5.1. Die Revision wendet ein, die Auftraggeberin hätte das mittels Telefax mitgeteilte Ausscheiden nicht an die rechtliche Vertretung sondern an die auszuscheidende Bieterin selbst richten müssen. Die Auftraggeberin habe der rechtlichen Vertretung der Revisionswerberin lediglich mitgeteilt, dass ihr Angebot „auszuscheiden gewesen“ sei. Dies sei als bloße Mitteilung eines bereits erfolgten, der Revisionswerberin jedoch nicht mitgeteilten Ausscheidens zu verstehen. Darüber hinaus betreffe die Mitteilung nicht den Wortlaut der Bietergemeinschaft, sondern spreche von einem Ausscheiden des Angebots der „Bietergemeinschaft H GmbH und P GmbH“. Ihre Bietergemeinschaft laute hingegen „H Hoch- und Tiefbau GmbH & P GmbH“. Das angefochtene Erkenntnis verstoße gegen die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach Zuschlagsentscheidungen formal richtig sein müssten, damit diese in einem Mindestmaß auch bekämpfbar seien.

27       5.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Auslegung von Willenserklärungen des Auftraggebers der objektive Erklärungswert für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt maßgebend (vgl. VwGH 17.9.2014, 2013/04/0149, mwN). Ausgehend davon ist fallbezogen nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht von einer an die revisionswerbende Bietergemeinschaft gerichtete Ausscheidensentscheidung ausging.

28       6.1. Schließlich bringt die Revision vor, dass die Abgabe von zwei getrennten Angeboten durch die H Hoch- und Tiefbau GmbH und die P GmbH in Hinblick auf die Personenidentität in der Geschäftsführung beider Unternehmen unzulässig gewesen wäre. Da der Auftraggeberin dieser Umstand bekannt gewesen sei, habe die Einladung an die H Hoch- und Tiefbau GmbH und die P GmbH rechtskonform nur so verstanden werden können, dass ein Angebot als Bietergemeinschaft abgegeben werden sollte. In diesem Sinn habe die Auftraggeberin mit der Bildung der gegenständlichen Bietergemeinschaft rechnen müssen, weshalb es einer vorangehenden Mitteilung nicht bedurft habe.

29       6.2. Auch mit diesem Vorbringen wird keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses aufgezeigt:

30       Im vorliegenden Fall wurden die H Hoch- und Tiefbau GmbH und die P GmbH jeweils für sich zur Angebotslegung aufgefordert, nicht jedoch die von beiden Unternehmen gebildete Bietergemeinschaft, die - wie bereits klargestellt - als eine von der H Hoch- und Tiefbau GmbH und der P GmbH verschiedene Bieterin anzusehen ist. Selbst wenn für die beiden Unternehmen die Bildung einer Bietergemeinschaft in Hinblick auf § 129 Abs. 1 Z 8 BVergG 2006 begründet gewesen sein mag, wäre damit die Verpflichtug zur Mitteilung der Bildung einer Bietergemeinschaft gemäß § 20 Abs. 2 sechster Satz BVergG 2006 nicht obsolet Dass die Auftraggeberin womöglich mit der Bildung der gegenständlichen Bietergemeinschaft habe rechnen müssen, vermag ein Absehen von der Mitteilung jedenfalls nicht zu rechtfertigen, weil es im vorliegenden Fall einer (in Hinblick auf § 129 Abs. 1 Z 10 BVergG 2006 gebotenen) Aufforderung an die Bietergemeinschaft zur Abgabe eines Angebots bedurfte und dies eine entsprechende Mitteilung voraussetzt.

31       7. Die Revision war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

32       Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Neben dem Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand sind Kosten aus dem Titel der Umsatzsteuer nicht zuzusprechen (vgl. VwGH 19.2.2018, Ra 2017/12/0022).

Wien, am 8. August 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RO2015040028.J00

Im RIS seit

15.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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