TE Vwgh Erkenntnis 2018/8/9 Ra 2018/22/0102

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Veröffentlicht am 09.08.2018
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E02100000;
E3L E05100000;
E3L E19100000;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32004L0038 Unionsbürger-RL Art8 Abs1;
AVG §59 Abs1;
B-VG Art133 Abs6;
B-VG Art133 Abs9;
EURallg;
NAG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005 §77 Abs1 Z4;
VStG §44a Z1;
VwGG §25a Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §17;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Bundesministers für Inneres gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg vom 14. März 2018, LVwG-1-676/2017-R4, betreffend Übertretung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bregenz; mitbeteiligte Partei: C R, vertreten durch Mag. Dr. Anton Schäfer, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Montfortstraße 21), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bregenz (belangte Behörde) vom 21. September 2017 wurde der Mitbeteiligten, einer rumänischen Staatsangehörigen, Folgendes zur Last gelegt:

"Sie haben es zumindest bis zum 03.06.2016 um 09:10 Uhr unterlassen, nach Ablauf von vier Monaten ab Ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 22.06.2015 (lt. ZMR-Anmeldung), Ihre Niederlassung der Behörde anzuzeigen, obwohl EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht gemäß § 51 oder § 52 NAG zukommt, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, spätestens nach Ablauf von vier Monaten ab ihrer Einreise, diese der Behörde anzuzeigen haben."

Dadurch habe die Mitbeteiligte § 77 Abs. 1 Z 4 in Verbindung mit § 53 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) verletzt. Über sie wurde eine Geldstrafe in Höhe von EUR 50,-

verhängt.

2 In ihrer dagegen gerichteten Beschwerde brachte die Mitbeteiligte vor, sie habe sich am 22. Juni 2015 nicht an einer näher bezeichneten Adresse im Bundesgebiet niedergelassen. Sie habe das Bundesgebiet zwischen dem 22. Juni 2015 und dem 3. Juni 2016 wieder verlassen und sei in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufhältig gewesen. Ihrer Erinnerung nach sei sie niemals mehr als vier Monate hindurch in Österreich aufhältig gewesen, sodass sie keine Verpflichtung getroffen habe, ihre Niederlassung anzuzeigen.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 14. März 2018 gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg dieser Beschwerde Folge, hob das bekämpfte Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.

Das Verwaltungsgericht verwies auf die Vorschrift des § 44a Z 1 VStG, der dann entsprochen sei, wenn dem Beschuldigten im Spruch des Straferkenntnisses die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen werde, dass er in die Lage versetzt werde, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, und er davor geschützt werde, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden.

Nach § 77 Abs. 1 Z 4 NAG stelle die Unterlassung der rechtzeitigen Beantragung einer Anmeldebescheinigung eine Verwaltungsübertretung dar. Die Tatumschreibung des bekämpften Straferkenntnisses enthalte (demgegenüber) den Vorwurf, die Mitbeteiligte habe es unterlassen, "ihre Niederlassung der Behörde anzuzeigen". Nach der Strafbestimmung des § 77 Abs. 1 Z 4 NAG stelle aber "nur die nicht fristgerechte Beantragung der Anmeldebescheinigung eine Verwaltungsübertretung" dar. Die bloße Unterlassung der Anzeige der Niederlassung im Bundesgebiet sei "für sich allein nicht strafbewehrt". Insofern sei der Mitbeteiligten "ein verwaltungsstrafrechtlich nicht zu ahndender Tatbestand unterstellt" worden. Das Straferkenntnis sei schon aus diesem Grund aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen gewesen.

Unter Verweis auf § 25a Abs. 4 VwGG sowie auf die im vorliegenden Fall maximale Strafhöhe von EUR 250,- hielt das Verwaltungsgericht abschließend fest, dass eine Revision wegen Verletzung in Rechten gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG nicht zulässig sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des Bundesministers für Inneres.

5 Die belangte Behörde erstattete eine als Revisionsbeantwortung bezeichnete Stellungnahme, in der sie angibt, auf weitere Ausführungen zu verzichten.

6 Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie der Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg beitritt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Der Revisionswerber weist zunächst zutreffend darauf hin, dass die vorliegende Revision nicht gemäß § 25a Abs. 4 VwGG unzulässig ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die "Bagatellgrenze" des § 25a Abs. 4 VwGG nicht auch Amtsrevisionen erfasst, sondern dass eine Amtsrevision zur Sicherung der Einheit und Gesetzmäßigkeit der Vollziehung unabhängig von der Höhe der verhängten Strafe und des Strafrahmens möglich ist (siehe VwGH 15.4.2016, Ra 2014/02/0058, Rn. 9 f, mwN).

8 Zur Zulässigkeit der Revision bringt der Revisionswerber unter Verweis auf näher zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie auf Art. 8 der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) vor, es sei nicht davon auszugehen, dass ausschließlich die Unterlassung der Beantragung der Anmeldebescheinigung verwaltungsstrafrechtlich relevant sei. Vielmehr verlange die Freizügigkeitsrichtlinie, dass sich ein EWR-Bürger anmelden müsse, und sehe § 53 NAG in diesem Zusammenhang vor, dass EWR-Bürger ihren Aufenthalt anzuzeigen haben. Vorliegend habe die Mitbeteiligte weder ihren Aufenthalt angezeigt noch eine Anmeldebescheinigung beantragt. Die Tatumschreibung der belangten Behörde sei ausreichend konkret, zumal als maßgebliche Rechtsvorschriften die §§ 77 Abs. 1 Z 4 sowie 53 NAG angegeben worden seien.

Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig. 9 Die maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, lauten auszugsweise:

"Anmeldebescheinigung

§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

...

Strafbestimmungen

§ 77. (1) Wer

...

4. eine Anmeldebescheinigung, eine Aufenthaltskarte oder

eine Daueraufenthaltskarte nach §§ 53, 54 und 54a nicht rechtzeitig beantragt oder

...

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von

50 Euro bis zu 250 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit

Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, zu bestrafen.

..."

10 Art. 8 der Richtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Freizügigkeitsrichtlinie), ABl. L 158 vom 30. April 2004, S. 77, lautet auszugsweise:

"Artikel 8

Verwaltungsformalitäten für Unionsbürger

(1) Unbeschadet von Artikel 5 Absatz 5 kann der Aufnahmemitgliedstaat von Unionsbürgern für Aufenthalte von über drei Monaten verlangen, dass sie sich bei den zuständigen Behörden anmelden.

(2) Die Frist für die Anmeldung muss mindestens drei Monate ab dem Zeitpunkt der Einreise betragen. Eine Anmeldebescheinigung wird unverzüglich ausgestellt; darin werden Name und Anschrift der die Anmeldung vornehmenden Person sowie der Zeitpunkt der Anmeldung angegeben. Die Nichterfüllung der Anmeldepflicht kann mit verhältnismäßigen und nicht diskriminierenden Sanktionen geahndet werden.

..."

11 Der maßgebliche Straftatbestand des § 77 Abs. 1 Z 4 NAG knüpft - soweit vorliegend von Relevanz - daran an, dass eine Anmeldebescheinigung nach § 53 NAG nicht rechtzeitig beantragt worden ist. Der darin bezogene § 53 NAG normiert in seinem Abs. 1 für EWR-Bürger die Pflicht, ihren (länger als drei Monate andauernden) Aufenthalt der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (nach den §§ 51 oder 52 NAG) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

12 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung offenbar zugrunde, dass es sich bei der Anzeige nach dem ersten Satz des § 53 Abs. 1 NAG und der Beantragung der Anmeldebescheinigung nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung um zwei voneinander abzugrenzende Verfahrensgegenstände handle und demzufolge die Unterlassung der Anzeige einerseits und die Unterlassung der Beantragung der Anmeldebescheinigung andererseits zwei zu trennende Tatbestände darstellen.

13 Ungeachtet der unterschiedlichen Terminologie ("anzuzeigen", "auf Antrag") ist aber schon vor dem Hintergrund der Regelung des Art. 8 Abs. 1 der Freizügigkeitsrichtlinie, der die unionsrechtliche Grundlage für die in § 53 Abs. 1 NAG normierte Verpflichtung ist und der einheitlich von "anmelden" bzw. "Anmeldung" spricht, davon auszugehen, dass mit § 53 Abs. 1 NAG eine einheitliche Verpflichtung des EWR-Bürgers normiert wird, an der Klarstellung seiner aufenthaltsrechtlichen Position mitzuwirken (siehe dazu im Zusammenhang mit der Ausstellung einer Aufenthaltskarte VwGH 24.4.2012, 2012/09/0007). Ausgehend davon ist die unterbliebene Anzeige nicht als ein von der unterbliebenen Beantragung einer Anmeldebescheinigung zu trennender Tatbestand anzusehen (siehe auch das Erkenntnis VwGH 15.12.2011, 2010/21/0098, dem ebenfalls ein Straferkenntnis zugrunde lag, in welchem dem dort Beschuldigten die unterlassene Anzeige der Niederlassung vorgehalten worden war;

vgl. Abermann, in Abermann/Czech/Kind/Peyrl, NAG, § 53 Rz. 4, wonach gleichzeitig mit der Anzeige eine Anmeldebescheinigung zu beantragen sei).

14 Im Hinblick darauf, dass nicht vom Vorliegen zweier getrennt zu sanktionierender Tatbestände auszugehen ist, war auch der in der Revisionsbeantwortung erstatteten Anregung der Mitbeteiligten, ein Vorabentscheidungsersuchen, ob der Anmeldung im Sinn des Art. 8 der Freizügigkeitsrichtlinie eine "Anzeige" vorausgehen und auch die Nichterfüllung einer Anzeigepflicht mit Sanktionen geahndet werden könne, an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten, nicht näher zu treten.

15 Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich auch nicht veranlasst, der weiteren Anregung der Mitbeteiligten zu folgen, ein Gesetzesprüfungsverfahren betreffend § 53 NAG einzuleiten, zumal das diesbezüglich nicht näher substantiierte Vorbringen keine Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung hervorzurufen vermag.

16 Nach der ständigen hg. Rechtsprechung zu § 44a Z 1 VStG hat die Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat so präzise zu sein, dass der Beschuldigte seine Verteidigungsrechte wahren kann und er nicht der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt ist. Sie darf keinen Zweifel daran bestehen lassen, wofür der Täter bestraft worden ist. Ungenauigkeiten bei der Konkretisierung der Tat haben nur dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Strafbescheides, wenn dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und keine Gefahr der Doppelbestrafung bewirkt wird. Die Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat hat sich am jeweils in Betracht kommenden Tatbild zu orientieren (siehe zu allem VwGH 13.12.2017, Ro 2017/02/0027, 0028, mwN).

17 Dass diesem Erfordernis fallbezogen durch die belangte Behörde nicht entsprochen worden wäre, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich. Das vom Verwaltungsgericht zusammengefasst dargestellte Beschwerdevorbringen lässt gerade nicht den Schluss zu, die Mitbeteiligte sei an der Wahrung ihrer Verteidigungsrechte bzw. am Anbieten von auf den Tatvorwurf bezogenen Beweisen gehindert gewesen.

18 Soweit die Mitbeteiligte in der Revisionsbeantwortung auf ihr bereits im Verfahren erstattetes Vorbringen verweist, sie sei nie mehr als vier Monate am Stück in Österreich aufhältig gewesen, genügt der Hinweis darauf, dass das Verwaltungsgericht diesbezüglich keine Feststellungen getroffen hat.

19 Da das Verwaltungsgericht somit zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass der Mitbeteiligten ein verwaltungsstrafrechtlich nicht zu ahndender Tatbestand vorgeworfen worden sei, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Wien, am 9. August 2018

Schlagworte

Trennbarkeit gesonderter Abspruch"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)Besondere RechtsgebieteGemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018220102.L00

Im RIS seit

07.09.2018

Zuletzt aktualisiert am

27.03.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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