TE Vfgh Erkenntnis 2018/6/11 E4469/2017 ua

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Veröffentlicht am 11.06.2018
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §2, §8, §10
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung der Anträge einer irakischen Familie auf subsidiären Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung mangels Auseinandersetzung mit Länderberichten betreffend die Situation von Kindern und Jugendlichen im Irak

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 Asylgesetz 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei und gegen die Festsetzung einer vierzehntätigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.270,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige und gehören der arabischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Religionsgemeinschaft an. Der Erstbeschwerdeführer ist der Ehegatte der Zweitbeschwerdeführerin. Beide sind die Eltern des am 5. Mai 2009 und am 21. Juli 2015 geborenen Dritt- und Viertbeschwerdeführers sowie der am 29. August 2017 in Österreich geborenen Fünftbeschwerdeführerin.

2. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und der Dritt- und Viertbeschwerdeführer stellten am 14. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin stellten als gesetzliche Vertreter der Fünftbeschwerdeführerin am 5. September 2017 für diese einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu den Fluchtgründen gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er von Seiten einer Miliz bedroht worden sei. Während seiner Arbeit für *************** – einem der größten Händler und Geschäftsmänner im Irak – seien am 21. Oktober 2012 bewaffnete Personen einer Miliz zu ihm in die Wohnung gekommen und hätten von ihm – unter Einräumung einer Bedenkzeit von zwei Tagen – verlangt, bei der Entführung von *************** behilflich zu sein. Nach Ablauf der Zweitagesfrist sei auf ihn geschossen worden. Anschließend habe er sich nach Kerbela begeben, wo er über zwei Jahre geblieben sei. Die Milizen hätten ihn dann vorerst nicht gefunden. Dennoch sei er von den Bewohnern der Ortschaft unter großen Druck gesetzt worden. Er sei schikaniert worden, weil er Sunnit sei. Nachdem der Islamische Staat in Mossul einmarschiert sei, hätten die Leute begonnen, sich den Milizen der Al-Hashd Al-Sha'abi anzuschließen. Er hätte sich dort auch anschließen sollen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe zudem ein Kopftuch tragen müssen, sich nicht mehr schminken und keine Hosen mehr tragen dürfen.

3. Mit Bescheiden vom 20. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Irak gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG ab. Das BFA erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG iVm §9 BFA-VG wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und weiters gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß §46 FPG in den Irak zulässig sei. Zudem führte das BFA innerhalb des Spruches aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

4. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit – dem nun im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen – Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. November 2017, ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung, abgewiesen.

Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht unter anderem aus, dass die Feststellungen des BFA zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer – angesichts der erst kürzlich erlassenen Bescheide – immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufwiesen. In Anbetracht der Seriosität und Plausibilität der in den Bescheiden angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild zeichnen würden, bestehe kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Beschwerdeführer seien den in den Bescheiden getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat nicht entgegengetreten, zumal die Beschwerde selbst aus den Feststellungen der angefochtenen Bescheide zitiert habe. Das BFA habe seinerseits Berichte verschiedenster anerkannter Institutionen berücksichtigt, wobei die Beschwerdeführer den Wahrheitsgehalt der ausgewählten Berichte in der Beschwerde nicht angezweifelt hätten. In der Beschwerde werde damit insgesamt kein für das vorliegende Verfahren relevanter zusätzlicher oder abweichender Sachverhalt vorgebracht.

5. In den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes finden sich zur allgemeinen Situation von Frauen und Kindern im Irak in den wörtlich widergegebenen Quellen folgende Ausführungen:

"Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert. Die prekäre Sicherheitslage und wachsende fundamentalistische Tendenzen in Teilen der irakischen Gesellschaft haben negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen. Vor allem im (schiitisch dominierten) Südirak werden islamische Regeln, z.B. Kleidervorschriften (Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten), stärker eingefordert. Muslimische und christliche Frauen werden zunehmend unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken. Der IS hat in den von der Terrororganisation kontrollierten Gebieten das nach Meinung der Terrororganisation ‚richtige‘ islamische Recht angewandt, was zu Menschenrechtsverletzungen, insbesondere gegen Frauen, Kinder und Homosexuelle geführt hat. Frauen dort sind Berichten zufolge Opfer von Zwangsprostitution, Zwangsverheiratung (auch in Mehr-Ehen) und werden in ihrem Bewegungsradius stark eingeschränkt. In Mosul herrscht Beobachtern zufolge für Frauen Verschleierungszwang (Niqab) (AA 18.2.2016). In den vom IS kontrollierten Gebieten wurden Frauen und Mädchen als Sklavinnen verkauft, mit IS-Kämpfern zwangsverheiratet und im Falle einer Weigerung getötet. Im März 2015 tötete der IS dem Vernehmen nach mindestens neun schiitische Frauen, die der Minderheit der Turkmenen angehörten, weil sie sich geweigert hatten, IS-Kämpfer zu heiraten, nachdem der IS zuvor ihre Ehemänner getötet hatte (AI 24.2.2016). In Teilen des stark patriarchalisch strukturierten Nordirak kommt es immer noch zu Genitalverstümmelung bei Frauen (AA 18.2.2016).

Art29 und 30 der Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Irak ist dem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten.

Die Hälfte der Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt. Kinder waren und sind Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sehr viele Kinder und Jugendliche sind durch Gewaltakte, die entweder sie selbst oder Familienmitglieder betrafen, stark traumatisiert. Kinder und Jugendliche werden von bewaffneten Gruppen rekrutiert und verrichten dort Informanten- und Botendienste, nehmen aber auch an Kampfhandlungen teil. Zahlreiche Jugendliche sind nach Angaben der Vereinten Nationen wegen Terrorvorwürfen angeklagt oder verurteilt. Es fehlt außerdem an Jugendstrafanstalten; laut IKRK werden jugendliche Häftlinge allerdings mittlerweile meist getrennt von erwachsenen Straftätern inhaftiert, ihnen wird oft der regelmäßige Kontakt zu ihren Familien verwehrt.

Die Sicherheitslage, die Einquartierung von Binnenvertriebenen und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern mancherorts den Schulbesuch, so dass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren deutlich gefallen ist, besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der Region Kurdistan fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig.

Der Beginn des Schuljahres im Herbst 2015 musste in Regionen, in denen besonders viele Binnenflüchtlinge aufgenommen und in Schulen untergebracht wurden, um mehrere Wochen verschoben werden. Besonders dramatisch ist die Lage der binnenvertriebenen Kinder, die in Notunterkünften untergekommen sind und derzeit keine Aussicht auf einen regelmäßigen Schulbesuch haben (AA 18.2.2016).

Berichten zufolge setzten sowohl die Einheiten der Volksmobilisierung (hauptsächlich bestehend aus schiitischen Milizen) als auch der IS Kindersoldaten ein (AI 24.2.2016)."

6. Zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt habe werden können, ob die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt werden würden. Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, seien ebenso nicht hervorgekommen.

Das Bundesverwaltungsgericht verkenne nicht, dass die Sicherheitslage in Teilen des Irak prekär sei und nach wie vor eine Anschlagskriminalität zu verzeichnen sei. Dennoch würden sich die südlichen Provinzen des Irak unter der Kontrolle der irakischen Streitkräfte befinden, wo nur wenig vom Islamischen Staat ausgehende Anschlagskriminalität stattfinde. Die Anzahl der getöteten Zivilisten in Kerbela sei im Verhältnis zur Bevölkerungszahl mit anderen stabilen Provinzen des Irak vergleichbar. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes könne in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage im Irak dargestellten Gefahrendichte in der Provinz Kerbela nicht erkannt werden, dass schon auf Grund der bloßen Präsenz der Beschwerdeführer in Kerbela davon ausgegangen werden müsse, dass diese wahrscheinlich Opfer eines Anschlages werden würden (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137). Offene Kampfhandlungen würden in Kerbela nicht stattfinden. Risikoerhöhende Umstände, die in der jeweiligen Person der Beschwerdeführer liegen würden, hätten nicht festgestellt werden können.

Es könne auch nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art3 EMRK überschritten wäre, hätten doch die Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihnen im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehle und sie in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien erwachsene, arbeitsfähige und gesunde Menschen mit hinreichender mehrjähriger Schulbildung. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Teilnahme am Erwerbsleben könne in Ansehung dieser Personen vorausgesetzt werden, zumal der Erstbeschwerdeführer im Irak in verschiedenen Berufsfeldern tätig gewesen sei. Das Bundesverwaltungsgericht gehe demnach davon aus, dass die erwachsenen Beschwerdeführer im Irak grundsätzlich in der Lage seien, sich mit den damals ausgeübten Tätigkeiten des Erstbeschwerdeführers oder gegebenenfalls mit anderen Tätigkeiten ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts zu erwirtschaften.

Darüber hinaus könne davon ausgegangen werden, dass den Beschwerdeführern im Fall ihrer Rückkehr auch im Rahmen ihres Familienverbandes (Eltern und vier Geschwister des Erstbeschwerdeführers; Eltern und vier Brüder der Zweitbeschwerdeführerin) eine ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung zuteil werde.

7. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und zur Erlassung der Rückkehrentscheidung führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus:

Der Viertbeschwerdeführer sei kurz vor seiner Ausreise aus dem Irak und die Fünftbeschwerdeführerin in Österreich geboren worden. Die beiden Beschwerdeführer hätten daher zum Irak keinen persönlichen Bezug. Mit einem Erwerb der arabischen Sprache im Wege der Eltern könne aber gerechnet werden. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes deute nichts darauf hin, dass es dem Viertbeschwerdeführer und der Fünftbeschwerdeführerin in Begleitung ihrer Eltern (Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin) im Falle einer Rückkehr in den Irak nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft zu integrieren. Dies ergebe sich insbesondere auf Grund ihres noch jungen Alters, in dem der Spracherwerb im Zentrum des Interesses und der kindlichen Entwicklung stünden. Die gebotene Berücksichtigung des Kindeswohles führe daher nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Rückkehrentscheidung, zumal sich der Viertbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin in einem anpassungsfähigen Alter befänden und noch nicht Schule oder Kindergarten besuchen würden.

Was den Schulbesuch des achtjährigen Drittbeschwerdeführers anbelange, sei auf ein diesbezügliches Erkenntnis des EGMR in einem ähnlich gelagerten Fall hinzuweisen, worin festgehalten werde, dass es den 7- und 11-jährigen in England geborenen Kindern zumutbar sei, den Eltern nach Nigeria zu folgen (vgl. EGMR 26.01.1999, Fall Sarumi, Appl. 43.279/98). Der EGMR verweise in diesem Zusammenhang auf die große Anpassungsfähigkeit von Kindern.

8. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewähr-leisteten Rechts auf Freiheit und Sicherheit (Art5 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

9. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift bzw. Äußerung abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak richtet, begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur, VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander. Deren Ungleichbehandlung ist nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:

3.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

3.2. Die im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderberichte enthalten Ausführungen zur Situation von Kindern im Irak. Daraus geht hervor, dass insbesondere Kinder Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre waren und sind. Sehr viele Kinder und Jugendliche sind durch Gewaltakte, die entweder sie selbst oder Familienmitglieder betrafen, stark traumatisiert. Kinder und Jugendliche werden von bewaffneten Gruppen rekrutiert und verrichten dort Informanten- und Botendienste, nehmen aber auch an Kampfhandlungen teil. Berichten zufolge setzten sowohl die Einheiten der Volksmobilisierung (hauptsächlich bestehend aus schiitischen Milizen) als auch der IS Kindersoldaten ein. Außerdem verhindern die Sicherheitslage, die Einquartierung von Binnenvertriebenen und die große Zahl zerstörter Schulen mancherorts den Schulbesuch, so dass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren deutlich gefallen ist, besonders in ländlichen Gebieten. Der Beginn des Schuljahres im Herbst 2015 musste in Regionen, in denen besonders viele Binnenflüchtlinge aufgenommen und in Schulen untergebracht wurden, um mehrere Wochen verschoben werden. Besonders dramatisch ist die Lage der binnenvertriebenen Kinder, die in Notunterkünften untergekommen sind und derzeit keine Aussicht auf einen regelmäßigen Schulbesuch haben.

3.3. Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt eine Auseinandersetzung mit diesen Länderberichten und der Frage, ob dem zum Zeitpunkt der Entscheidung achtjährigen Drittbeschwerdeführer, dem zweijährigen Viertbeschwerdeführer und der fünf Monate alten Fünftbeschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art2 und Art3 EMRK gewährleisteten Rechte droht (vgl. hiezu jüngst VfGH 27.2.2018, E3507/2017; 21.9.2017, E2130/2017 ua.; 11.10.2017, E1734/2017 ua.; 11.10.2017, E1803/2017 ua.). Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht die Minderjährigkeit des Dritt- und Viertbeschwerdeführers und der Fünftbeschwerdeführerin bei seiner Abwägung im Hinblick auf die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen im Aufenthaltsstaat und im Herkunftsstaat berücksichtigt. Dennoch wird in der Begründung zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten außer Acht gelassen, dass es sich bei den Beschwerdeführern nicht bloß um "erwachsene, arbeitsfähige und gesunde Menschen mit hinreichender mehrjähriger Schulbildung" handelt, sondern um eine Familie mit drei minderjährigen Kindern. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher, in Bezug auf den Dritt- und Viertbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin, begründungslos ergangen.

3.4. Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Dritt- und Viertbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin – daran anknüpfend – auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw. der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist es somit mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin durch (VfSlg 19.855/2014, VfGH 24.11.2016, E1085/2016 ua.) und belastet auch diese mit (objektiver) Willkür (vgl. etwa VfSlg 19.401/2011 mwN). Daher ist das Erkenntnis auch betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin – im selben Umfang wie hinsichtlich des Dritt- und Viertbeschwerdeführers und der Fünftbeschwerdeführerin – aufzuheben.

4. Im Übrigen (hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtig-ten) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

4.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Über-legungen nicht erforderlich sind.

4.2. Die Beschwerde rügt die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleiste-ten Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art5 EMRK). Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw. §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 545,- enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen.

Schlagworte

Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Entscheidungsbegründung, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E4469.2017

Zuletzt aktualisiert am

07.06.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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