RS Vfgh 2018/6/26 E1791/2018

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Veröffentlicht am 26.06.2018
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

NAG §11, §21, §46
EMRK Art8

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung der Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln zwecks Familienzusammenführung mangels Berücksichtigung der Beziehung des Vaters zu der in Österreich geborenen, 14 Monate alten Zweitbeschwerdeführerin

Rechtssatz

Das Verwaltungsgericht Wien begründet die Abweisung der Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln "Rot-Weiß-Rot Karte Plus Familiengemeinschaft gem §46/1/2" zwecks Familienzusammenführung mit dem Ehegatten bzw Vater in Bezug auf die Inlandsantragstellung gemäß §21 Abs3 Niederlassungs- und AufenthaltsG (im Folgenden: NAG) insbesondere damit, dass die Erstbeschwerdeführerin im März 2017 nach Serbien gereist sei, um sich einen neuen Reisepass ausstellen zu lassen und es auf Grund dessen nicht nachvollziehbar sei, weshalb ihr eine Antragstellung im Ausland unmöglich bzw unzumutbar sei. Hiebei übersieht das Verwaltungsgericht Wien jedoch, dass die Erstbeschwerdeführerin nach §21 Abs1 NAG nicht nur den Antrag im Ausland hätte stellen, sondern auch die Entscheidung im Ausland hätte abwarten müssen.

Bei seiner Interessenabwägung nach Art8 EMRK nimmt das Verwaltungsgericht Wien lediglich auf das Verhältnis der Erstbeschwerdeführerin zu ihrem Ehegatten Bedacht. Es setzt sich damit auseinander, dass die Erstbeschwerdeführerin seit mehr als einem Jahr mit ihrem Ehegatten zusammenlebe, keinen Deutschnachweis erbracht habe und das Familienleben mit dem niedergelassenen Drittstaatsangehörigen zu einem Zeitpunkt entstanden sei, in dem sich die Beschwerdeführerinnen ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen seien. Das Verwaltungsgericht Wien unterlässt es jedoch gänzlich, auf die von Art8 EMRK geschützte Verbindung des Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin zum gemeinsamen Kind, der Zweitbeschwerdeführerin, einzugehen und diese Beziehung zu würdigen. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in Österreich geborenen, lebte bisher mit ihren Eltern zusammen und war im Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung 14 Monate alt. Dass das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden sei, in dem den Beschwerdeführerinnen der unsichere Aufenthalt bewusst gewesen sei, kann der erst nachträglich geborenen Zweitbeschwerdeführerin nicht vorgeworfen werden. Das Verwaltungsgericht Wien stellt keinerlei Ermittlungen oder Überlegungen zu der Frage an, welche Auswirkungen die Entscheidung auf die Beziehung zwischen Vater und Kind sowie insbesondere das Kindeswohl hätte.

Vor diesem Hintergrund wäre weiters zu prüfen gewesen, ob Art. 8 EMRK - angesichts der besonderen Bedürfnisse eines Kindes in der ersten Lebensphase - gebieten würde, auch der Erstbeschwerdeführerin einen Aufenthalt zur Wahrung des Familienlebens zu gestatten.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Fremdenrecht, Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Entscheidungsbegründung, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E1791.2018

Zuletzt aktualisiert am

28.05.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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