TE Vwgh Erkenntnis 2018/7/26 Ra 2018/11/0081

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Veröffentlicht am 26.07.2018
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/01 Arbeitsvertragsrecht;
60/02 Arbeitnehmerschutz;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

ArbIG 1993 §23 Abs1;
ArbIG 1993 §23 Abs2;
AuslBG §28a Abs3;
AVRAG 1993 §7j Abs1;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, über die Revision des J M in L, D, vertreten durch Mag. Tomasz Gaj, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rathausstraße 15/7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg vom 7. Februar 2018, Zl. LVwG-1-669/2017-R8, betreffend Übertretungen des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft

Feldkirch), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis erkannte das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg, das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 18. September 2017 bestätigend, den Revisionswerber als handelsrechtlichen Geschäftsführer und somit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufenen der P. S.R.L. mit Sitz in Rumänien zu verantworten, dass näher bezeichnete Arbeitnehmer von diesem Unternehmen beschäftigt und nach Österreich entsendet worden seien, ohne dass ihnen das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien zustehende Entgelt geleistet worden sei (das Ausmaß der Unterbezahlung wurde hinsichtlich sämtlicher sechs Arbeitnehmer im Einzelnen angegeben). Der Revisionswerber habe dadurch jeweils § 7b Abs. 1 Z 1 iVm. § 7i Abs. 5 AVRAG verletzt. Über ihn wurden Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt und er überdies zur Zahlung eines Beitrags zu den Kosten des Verfahrens verpflichtet.

Unter einem wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

2 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, vom Verwaltungsgericht gemeinsam mit den Akten des Verfahrens vorgelegte (außerordentliche) Revision.

3 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

4 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

5 1.1. Das AVRAG, BGBl Nr. 459/1993 in der Fassung BGBl I Nr. 44/2016, lautet (auszugsweise):

"Ansprüche gegen ausländische Arbeitgeber/innen mit Sitz in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat

§ 7b. (1) Ein/e Arbeitnehmer/in, der/die von einem/einer Arbeitgeber/in mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraumes als Österreich zur Erbringung einer Arbeitsleistung nach Österreich entsandt wird, hat unbeschadet des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Rechts für die Dauer der Entsendung zwingend Anspruch auf

1. zumindest jenes gesetzliche, durch Verordnung

festgelegte oder kollektivvertragliche Entgelt, das am Arbeitsort vergleichbaren Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen von vergleichbaren Arbeitgebern/Arbeitgeberinnen gebührt (ausgenommen Beiträge nach § 6 BMSVG und Beiträge oder Prämien nach dem BPG);

...

Ein/e Beschäftiger/in mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraumes als Österreich gilt hinsichtlich der an ihn/sie überlassenen Arbeitskräfte, die zu einer Arbeitsleistung nach Österreich entsandt werden, in Bezug auf die Abs. 3 bis 5 und 8, § 7d Abs. 1, § 7f Abs. 1 Z 3 sowie § 7i Abs. 1 und Abs. 4 Z 1 als Arbeitgeber/in. Sieht das nach Abs. 1 Z 1 anzuwendende Gesetz, der Kollektivvertrag oder die Verordnung Sonderzahlungen vor, hat der/die Arbeitgeber/in diese dem/der Arbeitnehmer/in aliquot für die jeweilige Lohnzahlungsperiode zusätzlich zum laufenden Entgelt (Fälligkeit) zu leisten.

...

Strafbestimmungen

§ 7i.

...

(5) Wer als Arbeitgeber/in einen/e Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen. Bei Unterentlohnungen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassen, liegt eine einzige Verwaltungsübertretung vor. Auf Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag beruhende Überzahlungen bei den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührenden Entgeltbestandteilen sind auf allfällige Unterentlohnungen im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum anzurechnen. Hinsichtlich von Sonderzahlungen für die in § 7g Abs. 1 Z 1 und 2 genannten Arbeitnehmer/innen liegt eine Verwaltungsübertretung nach dem ersten Satz nur dann vor, wenn der/die Arbeitgeber/in die Sonderzahlungen nicht oder nicht vollständig bis spätestens 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres leistet. Sind von der Unterentlohnung höchstens drei Arbeitnehmer/innen betroffen, beträgt die Geldstrafe für jede/n Arbeitnehmer/in 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall 4 000 Euro bis 50 000 Euro.

...

Bestellung von verantwortlichen Beauftragten

§ 7j. (1) Die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 und 3 VStG für die Einhaltung dieses Bundesgesetzes wird erst rechtswirksam, nachdem

1. bei der Zentralen Koordinationsstelle für die Kontrolle

der illegalen Beschäftigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz und dem Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz des Bundesministeriums für Finanzen durch Arbeitgeber/innen im Sinne der §§ 7, 7a oder 7b oder Überlasser/innen mit Sitz im Ausland, oder

2. beim zuständigen Träger der Krankenversicherung durch

Arbeitgeber/innen oder Beschäftiger/innen mit Sitz im Inland

eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des/der Bestellten eingelangt ist. Dies gilt nicht für die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten auf Verlangen der Behörde gemäß § 9 Abs. 2 VStG. Eingegangene Mitteilungen nach Z 1 sind an das Kompetenzzentrum LSDB, eingegangene Mitteilungen nach den Ziffern 1 und 2 für den Baubereich (Abschnitt I oder § 33d des BUAG) sind auch an die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse weiterzuleiten.

..."

6 1.2. Das VStG in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013 lautet

(auszugsweise):

"Besondere Fälle der Verantwortlichkeit

§ 9. (1) Für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften ist, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs. 2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist.

(2) Die zur Vertretung nach außen Berufenen sind berechtigt und, soweit es sich zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als erforderlich erweist, auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden.

..."

7 2. Die Revision ist zulässig, weil das Verwaltungsgericht, wie die Revision zutreffend aufzeigt, die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Wirksamkeit der Bestellung verantwortlicher Beauftragter nach § 9 Abs. 2 VStG außer Acht gelassen hat.

8 3. Die Revision ist auch begründet.

9 3.1.1. Das Verwaltungsgericht legt seinem Erkenntnis, soweit im Folgenden von Interesse, folgende Sachverhaltsannahmen zugrunde:

10 Im Zuge einer Kontrolle durch die Finanzpolizei am 16. Dezember 2016 auf einer Baustelle bei einem näher bezeichneten Baumarkt in Rankweil seien sechs rumänische Arbeiter bei der Montage von Regalen betreten worden. Diesen nach Österreich entsandten Arbeitern habe die in Rumänien ansässige P. S.R.L., deren handelsrechtlicher Geschäftsführer der Revisionswerber sei, jeweils ein geringeres als das ihnen zustehende Entgelt geleistet.

11 Ein anderer Geschäftsführer der P. S.R.L., nämlich A., habe am 3. Jänner 2013 seine - wörtlich wiedergegebene - ausdrückliche Zustimmung zur Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten aus dem Kreis der zur Vertretung nach außen berufenen Personen gemäß § 9 Abs. 2 erster Satz VStG erteilt. Eine Bekanntgabe dieser internen Bestellung an die Zentrale Koordinationsstelle für die Kontrolle der illegalen Beschäftigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) und dem AVRAG des Bundesministeriums für Finanzen sei nicht erfolgt.

12 3.1.2. Rechtlich führte das Verwaltungsgericht, soweit im Folgenden wesentlich, aus, gemäß § 7j Abs. 1 AVRAG werde die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 und 3 VStG für die Einhaltung dieses Bundesgesetzes erst rechtswirksam, nachdem bei der Zentralen Koordinationsstelle eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung der Bestellten eingelangt sei. Aus dem klaren Wortlaut des § 7j Abs. 1 AVRAG ergebe sich, dass die Wirksamkeit der Bestellung an die zusätzliche Voraussetzung geknüpft sei, dass eine entsprechende Mitteilung bei der Zentralen Koordinationsstelle eingelangt sei. Es könne auf die Rechtsprechung zu § 28a AuslBG verwiesen werden, der eine § 7j Abs. 1 AVRAG vergleichbare Bestimmung darstelle. Der Verwaltungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom 22. März 2012, 2009/09/0265, ausgesprochen, dass kein Zweifel daran bestehen könne, dass die Vorschriften des § 28a Abs. 3 AuslBG und des § 23 Abs. 1 des Arbeitsinspektionsgesetzes (ArbIG) zu § 9 VStG nicht nur die späteren, sondern auch die spezielleren Vorschriften seien. In ihnen sei eine "Meldepflicht" als über die Tatbestandselemente des § 9 VStG hinausgehende Voraussetzung für die Wirksamkeit der Bestellung verantwortlicher Beauftragter normiert.

13 Es sei daher davon auszugehen, dass die Bestellung des A. zum verantwortlichen Beauftragten nicht rechtswirksam zustandegekommen sei. Somit sei eine verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung der ansonsten verantwortlichen Vertretungsorgane nicht ausgeschlossen und der Revisionswerber als zum Tatzeitpunkt handelsrechtlicher Geschäftsführer zu bestrafen.

14 3.2. Die Revision erblickt die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses darin, dass das Verwaltungsgericht den Unterschied der Bestellung verantwortlicher Beauftragter nach § 9 Abs. 2 erster Satz und nach § 9 Abs. 2 zweiter Satz VStG verkenne und auch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hiezu außer Acht lasse (Hinweis auf VwGH 9.2.1999, 97/11/0044).

15 Damit zeigt sie eine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses auf.

16 3.3.1. Unstrittig ist im Revisionsfall, dass die in § 9 Abs. 2 VStG geregelten Voraussetzungen für die Bestellung des A. zum verantwortlichen Beauftragten aus dem Kreis der zur Vertretung nach außen befugten Organe erfüllt sind. Die Rechtsauffassungen des Verwaltungsgerichtes und des Revisionswerbers unterscheiden sich darin, dass ersteres als zusätzliche Voraussetzung für jede wirksame Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten eine bei der Zentralen Koordinationsstelle eingelangte Mitteilung über die Bestellung annimmt, während der Revisionswerber dieses Erfordernis im Falle einer Bestellung aus dem Kreis der zur Vertretung nach außen berufenen Organe nach § 9 Abs. 2 erster Satz VStG als nicht gegeben ansieht.

17 3.3.2. Dem Verwaltungsgericht ist beizupflichten, dass, wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 22. März 2012, 2009/09/0265, zum Ausdruck gebracht hat, Bestimmungen wie die des § 23 Abs. 1 ArbIG und des § 28a Abs. 3 AuslBG und damit auch § 7j Abs. 1 AVRAG, für den die beiden erstgenannten Bestimmungen Vorbild waren (so die Materialien zum AVRAG, RV 319 Blg NR 25. GP, 14), als bezogen auf § 9 Abs. 2 VStG speziellere Bestimmungen anzusehen sind (vgl. schon VwGH 28.9.2000, 2000/09/0084). Entscheidend ist freilich, in welchem Ausmaß diese Spezialität besteht.

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem von der Revision zutreffend ins Treffen geführten Erkenntnis vom 9. Februar 1999, 97/11/0044; 97/11/0095, Folgendes ausgeführt, wobei er zwischen einem gemäß § 9 Abs. 2 letzter Satz VStG bestellten verantwortlichen Beauftragten und einem nach § 9 Abs. 2 erster Satz VStG bestellten, von ihm als "veranwortliches Vertretungsorgan" bezeichneten verantwortlichen Beauftragten unterscheidet:

"... . Verantwortlicher Beauftragter und verantwortliches

Vertretungsorgan unterscheiden sich wesentlich von einander:

Ersterer zählt nicht zum Kreis der Vertretungsorgane, ihn trifft daher keine strafrechtliche Verantwortlichkeit kraft Gesetzes. Seine strafrechtliche Verantwortlichkeit entsteht erst mit seiner rechtswirksamen Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten durch ein Vertretungsorgan, sie kann immer nur Teilbereiche des Unternehmens umfassen und sie setzt im Anwendungsbereich des § 23 ArbIG überdies die vorgängige Mitteilung der Bestellung an das zuständige Arbeitsinspektorat voraus. Ein verantwortliches Vertretungsorgan ist hingegen als Vertretungsorgan ex lege, umfassend und kumulativ neben anderen Vertretungsorganen (also ‚überlappend') strafrechtlich verantwortlich. Seine Bestellung nach § 9 Abs. 2 erster Satz VStG läßt seine strafrechtliche Verantwortlichkeit als Vertretungsorgan unberührt, sie bewirkt nur (nach Maßgabe ihres Umfanges) den Entfall der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der übrigen Vertretungsorgane bzw. deren Einschränkung auf den Fall vorsätzlicher Nichtverhinderung (§ 9 Abs. 6 VStG), ihre Wirksamkeit hängt nicht von der Mitteilung an das zuständige Arbeitsinspektorat ab. Einer solchen bedarf es hier nicht. § 23 ArbIG erfaßt nach seinem Sinn und Zweck (siehe dazu näher die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 813 Blg. NR 18.GP, 31 ff) von vornherein nicht Vertretungsorgane im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG. Bestellt nun ein verantwortliches Vertretungsorgan einen verantwortlichen Beauftragten, hat dies - wie bei der Bestellung verantwortlicher Beauftragter durch Vertretungsorgane überhaupt - zur Folge, daß sich die strafrechtliche Verantwortung des verantwortlichen Vertretungsorganes im Umfang der wirksamen Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten auf den Fall vorsätzlicher Nichtverhinderung beschränkt. Von einem unzulässigen ‚Überlappen' der Verantwortungsbereiche kann in einem solchen Fall keine Rede sein. Die belangte Behörde (und offensichtlich auch der Beschwerdeführer, wie die verfehlte Mitteilung seiner Bestellung zum ‚

‚verantwortlichen Beauftragten' an das Arbeitsinspektorat zeigt) hat insoweit die Rechtslage verkannt (offenbar infolge der legistischen Schwäche des Gesetzes, der Verwendung ein und desselben Ausdrucks für zwei unterschiedliche Rechtsinstitute). Ihr Standpunkt führte zu dem unhaltbaren Ergebnis, daß mit der Bestellung eines Vertretungsorganes zum verantwortlichen Vertretungsorgan (§ 9 Abs. 2 erster Satz VStG) diesem die Möglichkeit der Bestellung verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 Abs. 2 letzter Satz VStG genommen wäre.

Nach der unbestrittenen Feststellung der belangten Behörde besaß die Gesellschaft zu den Tatzeitpunkten zwei handelsrechtliche Geschäftsführer und damit zwei Vertretungsorgane im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG (den Beschwerdeführer und den später verstorbenen Johann O - siehe den hg. Beschluß vom 18. Dezember 1997, Zlen. 97/11/0045, 0096). Die Bestellung des Beschwerdeführers zum ‚verantwortlichen Beauftragten' (verantwortliches Vertretungsorgan) mit 3. November 1994 und das Einlangen der Mitteilung hierüber beim Arbeitsinspektorat (am 4. November 1994) bewirkte nicht, daß der Beschwerdeführer verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 Abs. 2 letzter Satz VStG wurde. Damit stand aber seine strafrechtliche Verantwortlichkeit als Vertretungsorgan unter anderem für die Einhaltung der Arbeitszeitbestimmungen einer wirksamen Bestellung von Frau O. als verantwortlicher Beauftragter für diese Belange nicht nur nicht entgegen, sie war vielmehr notwendige Voraussetzung dafür (nur ein strafrechtlich verantwortliches Vertretungsorgan kann zu seiner Entlastung einen verantwortlichen Beauftragten bestellen)."

19 Die Spezialvorschrift des § 23 Abs. 1 ArbIG wurde vom Verwaltungsgerichtshof mithin als ausschließlich auf den Fall des nach § 9 Abs. 2 zweiter Satz VStG bestellten verantwortlichen Beauftragten - den der "anderen Personen" in der Diktion des VStG -

bezogen verstanden.

20 Die im hg. Erkenntnis 97/11/0044 zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung, wonach zwischen einer Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten nach § 9 Abs. 2 erster Satz und einer solchen nach § 9 Abs. 2 zweiter Satz VStG zu unterscheiden sei, wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in der Folge bestätigt (vgl. VwGH 29.1.2009, 2007/03/0092; 23.3.2016, Ra 2016/02/0002). Im Erkenntnis Ra 2016/02/0002 wurde darüber hinaus unter Rückgriff auf das Erkenntnis 97/11/0044 Folgendes ausgeführt:

"Nach der Rechtsprechung ist ein verantwortliches Vertretungsorgan (§ 9 Abs. 1 VStG) ex lege umfassend und kumulativ neben anderen Vertretungsorganen (also ‚überlappend') strafrechtlich verantwortlich. Seine Bestellung nach § 9 Abs. 2 erster Satz VStG lässt seine strafrechtliche Verantwortlichkeit als Vertretungsorgan unberührt, sie bewirkt nur (nach Maßgabe ihres Umfanges) den Entfall der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der übrigen Vertretungsorgane bzw. deren Einschränkung auf den Fall vorsätzlicher Nichtverhinderung (§ 9 Abs. 6 VStG), ihre Wirksamkeit hängt nicht von der Mitteilung an das zuständige Arbeitsinspektorat ab. Einer solchen bedarf es nicht (vgl. das Erkenntnis vom 9. Februar 1999, Zl. 97/11/0044 und 0095)."

21 3.3.3. Angesichts der mit § 23 Abs. 1 ArbIG (und § 28a Abs. 3 AuslBG) übereinstimmenden Formulierung des § 7j Abs. 1 AVRAG und angesichts des Umstandes, dass nach den Materialien zur letztgenannten Bestimmung (vgl. RN 319 BlgNR 25. GP, 14) u.a. § 23 ArbIG Vorbild war, sieht sich der Verwaltungsgerichtshof nicht veranlasst, von der in den Erkenntnissen 97/11/0044 und Ra 2016/02/0002 dargelegten Rechtsauffassung abzugehen, derzufolge die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten aus dem Kreis der vertretungsbefugten Organe nach § 9 Abs. 2 erster Satz VStG (mit der Konsequenz des Fortfalls der Verantwortlichkeit der übrigen vertretungsbefugten Organe) von der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten nach § 9 Abs. 2 zweiter Satz VStG aus dem Kreis der "anderen Personen" (mit der Konsequenz des originären Entstehens der Verantwortlichkeit dieser anderen Person unter gleichzeitigem Fortfall derjenigen der vertretungsbefugten Organe) strikt zu unterscheiden ist und Spezialvorschriften wie § 23 Abs. 1 ArbIG über das Wirksamwerden der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten nicht für den Fall der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten nach § 9 Abs. 2 erster Satz VStG gelten.

22 Auch § 7j Abs. 1 AVRAG ist demzufolge dahin auszulegen, dass das Wirksamwerden einer Bestellung eines Beauftragten nach § 9 Abs. 2 erster Satz VStG nicht zusätzlich vom Einlangen einer Meldung, hier bei der zentralen Koordinationsstelle, abhängt.

23 Das vom Verwaltungsgericht zur Untermauerung seiner Rechtsauffassung zitierte Erkenntnis 2009/09/0265 steht zu dieser Rechtssauffassung nicht im Widerspruch. Einerseits ist darin keine Aussage enthalten, derzufolge die Bestellung eines Beauftragten nach § 9 Abs. 2 erster Satz VStG zusätzlich vom Einlangen einer Meldung bei der in der Spezialvorschrift genannten Stelle abhinge, andererseits ist es auch nicht zu dem im Revisionsfall maßgeblichen § 7j Abs. 1 AVRAG ergangen.

24 3.4. Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

25 4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. Juli 2018

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018110081.L00.1

Im RIS seit

21.08.2018

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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