TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/27 W203 2177952-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2018
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Entscheidungsdatum

27.07.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §6 Abs1 Z1
AsylG 2005 §6 Abs2
AsylG 2005 §75 Abs24
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W203 2177941-1/4E

W203 2177952-1/4E

W203 2177944-1/4E

W203 2177948-1/4E

W203 2184471-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. am XXXX , 2.) XXXX , geb. am XXXX , 3.) XXXX , geb. am XXXX , 4.) XXXX , geb. am XXXX , sowie 5.) XXXX , geb. am XXXX , alle: staatenlos, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen jeweils Spruchteil I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.10.2017, Zlen. 1.) 1103986404 - 160159271/BMI-BFA_BGLD_RD, 2.) 1103986709 - 160159425/BMI-BFA_BGLD_RD, 3.) 1103970709 - 160159298/BMI-BFA_BGLD_RD, 4.) 1103971107 - 160159280/BMI-BFA_BGLD_RD, sowie 5.) vom 11.01.2018, Zl. 1173766604 - 171276699/BMI-BFA_BGLD_RD, zu Recht:

A) Den Beschwerden wird gemäß § 28 Abs. 2

Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, stattgegeben und 1.) XXXX , geb. am XXXX , 2.) XXXX , geb. am XXXX ,

3.) XXXX , geb. am XXXX , 4.) XXXX , geb. am XXXX sowie 5.) XXXX , geb. am XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, i.d.g.F., der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass 1.) XXXX , geb. am XXXX , 2.) XXXX , geb. am XXXX , 3.) XXXX , geb. am XXXX , 4.) XXXX , geb. am XXXX sowie 5.) XXXX , geb. am XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden: BF1) ist der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2) sowie der Vater der minderjährigen Dritt- und Fünftbeschwerdeführer sowie der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF3, BF5 und BF4). Sämtliche BF sind staatenlos und gehören der ethnischen Gruppe der Palästinenser an. Die BF stellten am 31.01.2016 bzw. - betreffend den BF5 - am 14.11.2017 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

2. Am 01.02.2016 wurden der BF1 sowie die BF2 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Erstbefragung unterzogen.

Der BF1 gab im Rahmen dieser Befragung an, dass er staatenlos sowie in XXXX , Saudi Arabien, geboren und verheiratet sei. Er habe die Grundschule, die Hauptschule sowie eine allgemein bildende höhere Schule und nachfolgend die Universität in Damaskus besucht. Er sei Lehrer. Sein Vater, seine Mutter, sein Bruder sowie eine Schwester würden noch in Syrien leben. Er sei 2012 aus seinem Wohnort - einem Bezirk von Damaskus - nach XXXX gezogen. Am 19.01.2016 seien die BF zu Fuß - illegal - in die Türkei gereist. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab der BF1 an, dass in Syrien Krieg herrsche und es keine Sicherheit mehr gebe. Sein Haus sei zerstört worden und er sehe in Syrien keine Zukunft mehr für seine Kinder. Bei einer Rückkehr fürchte er eine Internierung, da er nicht aus Syrien ausreisen hätte dürfen. Es seien ihm keine konkreten Hinweise auf Verfolgungshandlungen bekannt, aber alle Leute, die nach Syrien zurückkehrten, kämen nicht mehr aus Syrien hinaus. Vorgelegt wurde ein syrischer Personalausweis für palästinensische Asylwerber.

Die BF2 gab an, dass sie in Yarmouk geboren und verheiratet sei. Auch sie habe nach der Absolvierung ihrer Schullaufbahn an der Universität in Damaskus studiert und nachfolgend den Beruf einer Lehrerin ausgeübt. Ihre Eltern, ihr Ehemann, ein Bruder, eine Schwester und ihr Sohn sowie ihre Tochter würden sich ebenfalls in Österreich befinden, ein Bruder in Syrien. Sie sei illegal aus Syrien in die Türkei ausgereist. Befragt zu ihren Fluchtgründen gab die BF2 an, dass sie Angst vor dem Krieg habe und dass sie und ihre Familie in Syrien getötet werden würden. Es gebe auch kein Haus mehr in das sie zurückkehren könnten. Vorgelegt wurde ein syrischer Personalausweis für Palästinenser.

3. Am 10.10.2017 wurde der BF1 erstmalig vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er nie den Militärdienst absolviert habe, da er einen "Ablass" bezahlt habe. Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der BF1 an, dass er seit 12 Jahren in einer staatlichen Schule Lehrer tätig gewesen sei. Am 13.01.2016 seien Mitarbeiter der Sicherheitsabteilung zu ihm in die Schule gekommen und hätten ihn mitgenommen. Er sei befragt worden und im Rahmen dieser Befragung sei ihm ein Zettel vorgelegt worden, auf dem er durch seine Unterschrift bestätigen habe sollen, dass er freiwillig für das Militär arbeiten werde. Nachdem der BF1 die Unterschrift mit der Begründung verweigert habe, dass er nie beim Militär gewesen sei und noch nie eine Waffe in der Hand gehalten habe, wurde ihm mitgeteilt, dass es ein Trainingslager gebe, in dem man innerhalb von eineinhalb Monaten zum Kämpfer ausgebildet werde. Der BF1 habe festgehalten, dass er Palästinenser und neutral sei und er nicht kämpfen wolle. Es sei ihm gesagt worden, dass er in Syrien arbeite und deswegen das Trainingslager besuchen müsse. Er habe nachfolgend erneut eine Unterschrift verweigert, aber als ihm gesagt worden sei, dass er erst gehen dürfe, wenn er unterschrieben habe, habe er unterschrieben. Er habe das Gefühl gehabt, bedroht worden zu sein. Ihm sei mitgeteilt worden, dass er einen Monat Zeit habe, um in das Trainingslager zu gehen und es sei ihm gesagt worden, dass er die Armee aufgrund der dort herrschenden Personalknappheit unterstützen müsse. Damals habe er den Entschluss gefasst, Syrien zu verlassen. Es seien alle seine Lehrerkollegen zwischen 30 und 42 Jahren aus der Schule abgeholt worden. Befragt dazu, wieso der BF1 erst 2016 aufgefordert worden sei in der syrischen Armee mitzukämpfen, gab er an, dass 2011 die Armee noch sehr groß gewesen sei, im Laufe der Zeit seien aber viele Angehörige der Armee getötet worden und der Staat wolle nun diese entstandenen Lücken füllen. Es sei auch - nach seiner Ausreise - bei seinen Eltern nach dem Aufenthaltsort des BF1 gefragt und es sei gesagt worden, dass der BF1 ein Verräter sei. Er habe in den letzten sieben Jahren in Syrien mit seiner Familie im Flüchtlingslager in Yarmouk gelebt, dann seien sie nach XXXX übersiedelt. Befragt zu seinem Status bei der UNRWA, gab der BF1 an, dass er bei dieser Organisation registriert sei und auch Unterstützung erhalten habe. Einen Schutz des Lebens habe die UNRWA nicht mehr bieten können. Vorgelegt wurden ein Familienbuch, ein Wehrdienstausweis, eine Arbeitsbestätigung, ein Abschlusszeugnis der Universität sowie eine Bankbestätigung über die Einzahlung für den Ablass vom Militär.

Die BF2 wurde am selben Tag einvernommen und legte ein Familienbuch, einen Familienregisterauszug, eine Heiratsurkunde, eine UNRWA-Registrierkarte, die Geburtsurkunden der Kinder sowie ein Zeugnis über ihren Uniabschluss vor. Zusammengefasst gab sie in der Einvernahme an, dass sie Palästinenserin sei und nicht die syrische Staatsbürgerschaft besitze. Die BF2 habe Syrien verlassen, da ihr Ehegatte (BF1) sich zur Ausreise entschlossen habe, da er Probleme in Syrien gehabt habe. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte die BF2, dass sie festgenommen werde, da sie als Lehrerin im Bildungsministerium gearbeitet habe und dort 12 Jahre Dienst hätte machen müssen. Sie habe bereits nach einem Jahr aufgehört. Sie seien lange Zeit unter dem Schutz der UNRWA gestanden. Es habe viele Explosionen durch Raketeneinschläge gegeben und niemand habe sie mehr schützen können. Befragt dazu, wieso die BF nicht den Schutz der UNRWA in einem anderen Land in Anspruch genommen haben, gab die BF2 an, dass sie palästinensische Flüchtlinge seien und kein Land sie aufnehmen würde.

4. Mit den im Spruch genannten Bescheiden vom 18.10.2017 sowie - den BF5 betreffend - vom 11.01.2018 wies die belangte Behörde die Anträge der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m.

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde den BF der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Den BF1 betreffend wurde festgestellt, dass seine Identität feststehe und er staatenlos sei. Er sei Palästinenser und habe bis 2012 in Yarmouk gelebt. Von 2013 bis zum 19.01.2016 habe er in XXXX in Damaskus Umgebung gelebt. Es habe nicht festgestellt werden können, dass er Syrien aufgrund einer bevorstehenden Rekrutierung, ausgehend vom syrischen Staat, verlassen habe müssen. Beweiswürdigend wurde festgehalten, dass der BF1 unterschiedliche Gründe für das Verlassen Syriens in der Erstbefragung sowie nachfolgend in der Befragung vor der belangten Behörde angegeben habe. Ausgeführt wurde, dass der BF1, obwohl es sich bei diesem um einen staatenlosen palästinensischen Flüchtling handele, in Syrien "ein relativ gutes Leben" führen und sich vom Wehrdienst freikaufen habe können. Laut den vom BF1 vorgelegten Dokumenten sei er in Damaskus von UNRWA registriert worden und sei auch unter deren Schutz gestanden. Es sei am BF1 gelegen, um Hilfe bei der UNRWA anzusuchen, wenn tatsächlich aufgrund einer Zwangsrekrutierung Lebensgefahr für ihn bestanden hätte. Der BF1 habe es nicht der Mühe wert gefunden, sich über diese Option zu informieren. Die belangte Behörde habe den Eindruck, dass der BF1 den in Syrien tobenden Krieg, von dem er nie persönlich betroffen gewesen sei, dazu benutzt habe, um sich im Westen ein neues Leben aufzubauen.

Die BF2 betreffend wurde festgestellt, dass sie Syrien aufgrund der Probleme des BF1 verlassen habe. Ihr wurde - abgeleitet vom BF1 - der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Den BF3 bis BF5 wurde - ebenfalls vom BF1 abgeleitet - der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

5. Am 16.11.2017 brachten die BF1 bis BF4 Beschwerde jeweils gegen Spruchpunkt I der angefochtenen Bescheide der belangten Behörde ein und begründeten diese im Wesentlichsten wie folgt:

Der BF1 habe nicht an der Seite des Regimes kämpfen wollen und habe den Entschluss gefasst, Syrien zu verlassen, da sein Leben und das seiner Familie (der BF2 bis BF4) in Gefahr gewesen sei, hätte er sich dem Militär nicht angeschlossen. Weiters habe die belangte Behörde ausgeführt, dass die BF in Damaskus von der UNRWA registriert worden seien und auch unter deren Schutz gestanden hätten. Es sei an ihnen gelegen um Hilfe bei der UNRWA anzusuchen, wenn tatsächlich aufgrund einer drohenden Zwangsrekrutierung Lebensgefahr für die BF bestanden hätte. Der BF habe in der Einvernahme aber erwähnt, dass UNRWA den palästinensischen Flüchtlingen keinen Schutz hinsichtlich einer Zwangsrekrutierung biete. Die BF könnten als staatenlose Flüchtlinge Syrien nicht legal verlassen, nicht einmal nach Jordanien, in den Libanon oder woanders hin. Alleine das illegale Verlassen Syriens würde den BF im Falle einer Rückkehr viele Probleme bereiten, da sie für das Regime als Verräter gelten und als Gegner betrachtet würden.

6. Am 22.01.2018 langte die Beschwerde den BF5 betreffend bei der belangten Behörde ein, in welcher auf die Beschwerden die BF1 bis BF4 betreffend verwiesen wurde.

7. Einlangend am 27.11.2017 bzw. 29.01.2018 (den BF5 betreffend) wurden die Beschwerden samt den zugehörigen Verfahrensakten von der belangten Behörde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF und deren Fluchtgründen:

Die BF sind staatenlose Palästinenser aus Syrien, welche sich zur islamischen Religion bekennen, die im Spruch angeführten Namen führen und zu den dort angegebenen Daten geboren sind. Die BF1 bis BF4 haben Syrien im Jänner 2016 illegal in die Türkei verlassen.

Der BF1 ist der Vater der minderjährigen BF3 bis BF5. Die BF2 ist die Ehefrau des BF1 und die Mutter der minderjährigen BF3 bis BF5.

Die BF lebten zuletzt in XXXX , davor in Yarmouk. Sie sind bei der UNRWA als Flüchtlinge registriert. Sie verließen das Einsatzgebiet der UNRWA wegen des Krieges und aufgrund einer drohenden Zwangsrekrutierung des BF1 durch die syrische Armee.

Die BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 25.01.2018, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl):

Ethnische Minderheiten

Die Bevölkerung besteht überwiegend aus Arabern (hauptsächlich Syrer, Palästinenser und Iraker). Ethnische Minderheiten sind Kurden, Armenier, Turkmenen und Tscherkessen (AA 8.2016). Dazu kommen die chaldäischen und assyrischen Christen (Chaldeans 1999).

Innerhalb der Minderheiten gibt es eine Spaltung zwischen Gegnern und Befürwortern des syrischen Regimes (BBC 24.12.2012; vgl. MRG 12.7.2016; zu Christen vgl. z.B. DS 21.2.2014).

Bewegungsfreiheit

Die steigende Anzahl an Checkpoints der verschiedenen bewaffneten Konfliktparteien, die schweren Kämpfe und die generelle unsichere Lage im Land schränken stark die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung und den Transport von lebensnotwendigen Gütern ein. Das syrische Regime blockiert systematisch Regionen, welche von den Rebellen kontrolliert werden, und die Rebellen und der sogenannte Islamische Staat (IS) wenden dieselbe Taktik auf von der Regierung kontrollierte Gebiete an (FH 1.2017). In Gebieten unter ihrer Kontrolle beschränken der IS und andere Regierungsgegner die Bewegungsfreiheit von Unterstützern der Regierung bzw. von Personen, von denen dies angenommen wird. Dies gilt besonders für die alawitische und schiitische Bevölkerung (USDOS 3.3.2017). Das syrische Regime setzt Scharfschützen ein, um Sperrstunden durchzusetzen, oder Zivilisten an der Flucht aus belagerten Städten zu hindern (USDOS 3.3.2017). Im Juni 2017 lebten in Syrien 540.000 Menschen unter Belagerung (UNOCHA 30.6.2017).

Die vorherrschende Gewalt und der starke kulturelle Druck schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten erheblich ein. Zusätzlich gibt es ein Gesetz, das bestimmten männlichen Verwandten erlaubt, Frauen das Reisen zu verbieten (USDOS 3.3.2017). Frauen haben eine etwas größere Bewegungsfreiheit an Checkpoints - allerdings bei erhöhter Gefahr, Opfer von sexueller und physischer Gewalt durch die Kriegsparteien oder individuelle kriminelle Elemente zu werden. In Gebieten, welche vom IS kontrolliert werden, sind Frauen zahlreichen Beschränkungen ausgesetzt. Ihr Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt und ihre Bewegungsfreiheit sind sehr stark eingeschränkt oder komplett untersagt (UNHRC 11.2.2016). Der IS erlaubt Frauen nicht, ohne einen nahen männlichen Verwandten durch das von ihnen kontrollierte Gebiet zu reisen (USDOS 3.3.2017).

Die syrische Regierung verweigert die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schloss regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge. Über Menschenrechtsaktivisten oder andere Aktivisten der Zivilgesellschaft, deren Familien oder Bekannte werden häufig Ausreiseverbote verhängt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Grund oder Gültigkeitsdauer werden häufig nicht genannt (USDOS 3.3.2017).

Aufgrund des Bürgerkrieges haben in Gebieten, welche von der Opposition kontrolliert werden, Institutionen, die Identitätsdokumente ausstellten, aufgehört zu funktionieren. In Gebieten, welche von der Regierung kontrolliert werden, gibt es diese Institutionen noch, für manche Syrer ist es jedoch unmöglich geworden sie zu erreichen. So können manche Personen Geburten, Eheschließungen oder Todesfälle nicht mehr eintragen lassen, oder sich neue Identitätsdokumente ausstellen lassen. Durch den Bürgerkrieg sind auch die Kontrollmaßnahmen schwächer geworden. So werden "echte" Dokumente mit falschen Namen oder geänderten Informationen ausgestellt. Außerdem werden vermehrt gefälschte Dokumente benutzt (Landinfo 11.11.2016).

5,3 Millionen Menschen sind seit Beginn des Konfliktes aus Syrien geflohen (UNOCHA 10.2017). Seit Beginn des Jahres 2016 wurden erhöhte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit implementiert, sowohl innerhalb Syriens als auch in den Nachbarländern. Die Landgrenzen werden durch die Nachbarstaaten streng überwacht, und es gibt strikte Bedingungen für Einreisevisa, um in den Libanon oder die Türkei einreisen zu können (MMP 4.2017). Grundsätzlich ist die türkische Grenze geschlossen, verletzte Flüchtlinge werden zur Behandlung jedoch in die Türkei gebracht. Im April 2017 stellte die Türkei den Bau einer Grenzmauer zwischen Syrien und der Türkei fertig. Die Mauer erstreckt sich über mehr als die Hälfte der 911 Kilometer langen syrisch-türkischen Grenze (Spiegel 12.4.2017).

Die Grenze zu Jordanien ist ebenfalls geschlossen (MMP 4.2017). Im Juni 2016 hat die jordanische Regierung den Grenzübergang zu Syrien wegen Sicherheitsbedenken für syrische Flüchtlinge geschlossen und auch die Durchfahrt für Hilfsleistungen gestoppt, nachdem bei einem Selbstmordanschlag in dem Gebiet sieben jordanische Soldaten getötet worden waren. Der IS bekannte sich zu diesem Anschlag und soll auch eines der beiden informellen Zeltlager von Rukban und Haladat/Hadalat auf der syrischen Seite der Grenze infiltriert haben. Wie viele Menschen tatsächlich in den Lagern leben, wissen internationale Hilfsorganisationen nur von Satellitenbildern (Standard 5.10.2016 und C. Kozak 28.12.2017). Im September 2017 verließen die geschätzten 5.000 Bewohner des Lagers in Hadalat aufgrund des Näherrückens der Regimeeinheiten und vermehrter Luftangriffe dieses und zogen in das viel größere, jedoch ähnlich verarmte, Rukban-Lager, das ungefähr 100 Kilometer nordöstlich davon liegt. Zwei Rebellen-Fraktionen der Freien Syrischen Armee (FSA) evakuierten die Bewohner des Lagers (Syria Direct 6.9.2017; vgl. CRS 13.10.2017). Am Ende des Jahres 2016 wurde die Anzahl der zwischen der jordanischen und der syrischen Grenze lebenden Personen auf 85.000 Menschen geschätzt, im August 2017 soll die Zahl zwischen 45.000 und 50.000 gelegen sein (IDMC 4.10.2017). In Rukban herrscht ein Mangel an Wasser und Medikamenten. Rechtsstaatlichkeit ist nicht gegeben, und Verbrechen sind häufig (Syria Direct 6.11.2017). Die letzte der sporadischen Hilfslieferungen in das Lager in Rukban fand laut UNHCR zwischen Mai und Juni 2017 statt, seither sind jedoch hunderte Personen vor den Kämpfen in Deir ez-Zour nach Rukban geflohen (RD 30.10.2017). Inoffizielle Schmuggelrouten existieren wahrscheinlich, die Grenze kann jedoch für Syrer und Palästinenser aus Syrien als geschlossen angesehen werden (C. Kozak 28.12.2017).

Die Situation an der syrisch-irakischen Grenze ist komplizierter. Bis vor kurzem war der Zugang zur Grenze durch die Präsenz des IS entlang der syrisch-irakischen Grenze seit 2014 eingeschränkt. Der einzige aktive Grenzübergang war und bleibt der Peshkhabour-Grenzübergang zwischen Irakisch-Kurdistan und Nordsyrien. Flüchtlinge nutzten diesen Grenzübergang in beide Richtungen, um von Syrien nach Irakisch-Kurdistan und vom Nordirak in von der YPG kontrollierte Teile Nordsyriens zu fliehen. Die Situation am Grenzübergang wurde jedoch auch von politischen Auseinandersetzungen zwischen der syrisch-kurdischen YPG und der Regionalregierung Kurdistan-Iraks (KRG) beeinflusst, was zu regelmäßigen Schließungen und Zugangsbeschränkungen für Syrer und Palästinenser aus Syrien führte. Die Zusammenstöße zwischen der KRG und den irakischen Sicherheitskräften im Nordirak drohten ebenfalls den Zugang zu verhindern. Der übrige Teil der syrisch-irakischen Grenze bleibt als Militärzone in der Anti-IS-Kampagne geschlossen, wobei inoffizielle Wege nach Irakisch-Kurdistan existieren können (C. Kozak 28.12.2017).

Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (BFA 8.2017).

Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen, dies hängt jedoch wieder von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab. Palästinenser sind in ihren Reisebewegungen in der Region eingeschränkt, z.B. können Syrer Aufenthaltsgenehmigungen für den Libanon erhalten, die sechs Monate gültig sind. Palästinenser hingegen können nur ein Visum für eine Woche bekommen, das nur einmal erneuerbar ist. Theoretisch haben Palästinenser die Möglichkeit in Nachbarländer zu reisen, um in dort ansässigen Konsulaten Visa abzuholen. Im Libanon etwa ist es ihnen grundsätzlich erlaubt einzureisen, wenn sie einen Nachweis für einen Termin bei einer Botschaft und die notwendigen Dokumente besitzen. Weiters wird der libanesische Geheimdienst von der Botschaft im Vorhinein über den beabsichtigten Grenzübertritt von Syrien in den Libanon informiert und gebeten, den Grenzübertritt zu ermöglichen. In der Praxis wird Palästinensern jedoch die Einreise in den Libanon willkürlich verweigert. Für Personen mit entsprechenden Verbindungen und für wohlhabende Personen ist es einfacher, willkürliche Hindernisse bei der Einreise in den Libanon zur Erlangung von Visa zu umgehen (BFA 8.2017).

IDP's und Flüchtlinge

Im Juli 2017 zählte die syrische Bevölkerung etwa geschätzte 18 Millionen Menschen (CIA 14.11.2017). In der ersten Hälfte des Jahres 2017 wurden 692.000 Personen durch den Konflikt in Syrien vertrieben (IDMC 2017). 6,3 Millionen Menschen wurden seit Beginn des Konfliktes durch diesen in Syrien intern vertrieben (UNOCHA 10.2017). Der Großteil der IDPs sucht in Gastgemeindschaften, Sammelzentren, verlassenen Gebäuden oder informellen Lagern Schutz (USDOS 3.3.2017). 5,3 Millionen Menschen befinden sich außerhalb des Landes (UNOCHA 10.2017).

Laut der International Organization for Migration (IOM) sind zwischen Januar und Juli 2017 602.759 vertriebene Syrer in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. 93 Prozent davon seien Binnenvertriebene (Internal Displaced Persons - IDPs) gewesen und 7 Prozent kehrten aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak nach Syrien zurück. Rückkehrer aus der Türkei und Jordanien kehrten hauptsächlich in die Provinzen Aleppo und Hassakah zurück (IOM 11.8.2017). Das syrische Gesetz bietet die Möglichkeit den Flüchtlingsstatus zu gewähren. Das Gesetz garantiert Flüchtlingen nicht explizit das Recht auf Arbeit, außer manchen Palästinensern [Siehe dazu Abschnitt "15.1. Palästinensische Flüchtlinge"]. Die Regierung gewährt Nicht-Palästinensern selten Arbeitsgenehmigungen, und viele Geflüchtete finden im informellen Sektor Arbeit, z.B. als Wachpersonal, Bauarbeiter, Straßenhändler oder in anderen manuellen Berufen (USDOS 3.3.2017).

Laut Schätzungen von UNHCR sind mit Beginn der Angriffe des IS auf die Provinz Sinjar im Jahr 2014 zumindest 95.000 Personen, hauptsächlich irakische Jesiden, nach Syrien geflohen. Der Großteil dieser Personen kehrte in den Irak zurück, mit Juni 2016 sollen jedoch noch geschätzte 10.000 Iraker in Lagern in der Provinz Hassakah [im von der PYD gehaltenen Gebiet] leben (USDOS 3.3.2017).

Die von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) geführten Syrian Democratic Forces (SDF) führten im Zuge der Offensive zur Befreiung Raqqas für IDPs Sicherheitsüberprüfungen durch und die Voraussetzung eines Sponsors, um in der Region bleiben zu können, ein (UNSC 23.5.2017).

Die Verschiebung der Frontlinien und die daraus folgenden Veränderungen der Sicherheitslage zwangen Personen ein zweites, drittes oder viertes Mal weiterzuziehen. IDPs verließen bei einem Rückgang der Gewalt [in einem Gebiet] ihre Unterkünfte und kehrten in ihre Heimat zurück, nur um dann erneut zu fliehen, nachdem die Kämpfe wieder eskalierten (IDMC o.D.).

Palästinensische Flüchtlinge

Rechtlicher Status der palästinensischen Flüchtlinge in Syrien und das Mandat der UNRWA

Die United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) ist entsprechend der Resolution 302 IV (1949) der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit einem Mandat zur Förderung der menschlichen Entwicklung palästinensischer Flüchtlinge ausgestattet. Das Mandat wurde jüngst bis zum 30. Juni 2020 verlängert. Per definitionem sind palästinensische Flüchtlinge Personen, deren gewöhnlicher Aufenthaltsort zwischen 1. Juni 1946 und 15. Mai 1948 Palästina war und die sowohl ihr Zuhause wie auch ihre Mittel zur Lebenshaltung aufgrund des Konflikts von 1948 verloren haben. Dienste von UNRWA stehen all jenen Personen offen, die im Einsatzgebiet der Organisation leben, von der Definition umfasst und bei UNRWA registriert sind, sowie Bedarf an Unterstützung haben. Nachkommen männlicher palästinensischer Flüchtlinge können sich ebenfalls bei UNRWA registrieren. Darüber hinaus bietet UNRWA ihre Dienste auch palästinensischen Flüchtlingen und Vertriebenen des Arabisch-Israelischen Konflikts von 1967 und nachfolgender Feindseligkeiten an (BFA 8.2017).

Schon vor dem Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 waren die Palästinenser in Syrien eine vulnerable Bevölkerungsgruppe (BFA 8.2017).

In Syrien lebende Palästinenser werden in Abhängigkeit vom Zeitpunkt ihrer Ankunft in Syrien in verschiedene Kategorien eingeteilt, von denen jeweils auch ihre rechtliche Stellung abhängt. Zu unterscheiden ist zwischen jenen Palästinensern, die als palästinensische Flüchtlinge in Syrien anerkannt sind und jenen, die in Syrien keinen Flüchtlingsstatus genießen. Da Syrien nicht Vertragspartei der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist, richtet sich der Flüchtlingsstatus nach syrischem Recht (BFA 8.2017).

1) Die größte Gruppe bilden Palästinenser, die bis zum oder im Jahr 1956 nach Syrien gekommen sind, sowie deren Nachkommen. Diese Palästinenser fallen unter die Anwendung des Gesetzes Nr. 260 aus 1956, welches Palästinenser, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes einen Wohnsitz in Syrien hatten, im Hinblick auf Arbeit, Handel, Militärdienst und Zugang zum öffentlichen Dienst syrischen Staatsbürgern gleichstellt. Ausgeschlossen ist diese Gruppe jedoch vom Wahlrecht, der Bekleidung öffentlicher Ämter sowie vom Erwerb landwirtschaftlicher Nutzflächen. Sie erhalten auch nicht die syrische Staatsbürgerschaft. Unter diese Kategorie fallende Personen sind bei der General Authority for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) registriert. Für die Palästinenser, die sich nach Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 260 noch im Jahr 1956 in Syrien niedergelassen haben, gelten bestimmte Modifikationen und Einschränkungen (va. Anstellung im öffentlichen Dienst nur auf Grundlage zeitliche befristeter Verträge; keine Ableistung von Militärdienst). Sie sind aber ebenfalls bei GAPAR registriert. Diese Gruppen von Palästinensern und ihre Nachkommen sind somit als Flüchtlinge in Syrien anerkannt (BFA 8.2017).

2) Die nach 1956, insbesondere ab 1967 nach Syrien gekommenen Palästinenser und deren Nachkommen umfassen ihrerseits eine Reihe weiterer Untergruppen: Unter anderem fallen darunter Personen, die nach 1970 aus Jordanien, nach 1982 aus dem Libanon und während der letzten beiden Dekaden aus dem Irak gekommen sind. Ihnen ist gemeinsam, dass sie nicht bei GAPAR registriert und nicht als palästinensische Flüchtlinge anerkannt sind. In Syrien gelten sie als "Arabs in Syria" und werden wie Staatsbürger arabischer Staaten behandelt. Sie können ihren Aufenthaltstitel in Syrien alle 10 Jahre beim Innenministerium erneuern lassen und müssen um Arbeitsgenehmigungen ansuchen. Einige aus dieser Gruppe fallen unter das Mandat von UNHCR. Palästinenser dieser Gruppe können in Syrien jedoch öffentliche Leistungen des Gesundheits- oder Bildungsbereiches kostenfrei nutzen, abgesehen von einem Studium an der Universität, für welches sie eine Gebühr bezahlen müssen (BFA 8.2017).

Die Sicherheitslage in den palästinensischen Flüchtlingslagern und Wohngebieten

Vor Ausbruch des Bürgerkrieges lebten geschätzte 560.000 palästinensische Flüchtlinge in Syrien, und davon mehr als 80 Prozent in und um Damaskus. Die palästinensischen Flüchtlinge in Syrien waren von schweren Kämpfen in und um manche palästinensische Flüchtlingslager und Stadtteile erheblich betroffen. Schätzungen von UNRWA zufolge sind 60 Prozent der Palästinenser in Syrien intern vertrieben und weitere 110.000 sind in Nachbarländer geflohen (Al Jazeera 23.3.2016; vgl. USAID 4.8.2017).

Zu Beginn des Konfliktes versuchten die Bewohner der meisten palästinensischen Flüchtlingslager neutral zu blieben. Als der Konflikt aber gewalttätiger wurde und sich regionale Allianzen änderten, führten die Diskrepanzen unter den palästinensischen Fraktionen, besonders zwischen Hamas und Fatah, zu einer Spaltung der Palästinenser in ihrer Position gegenüber dem Regime (NOREF 24.1.2017). Manche Palästinenser in Syrien sind für und andere gegen das Regime, die Palästinenser sind somit zwischen den Konfliktparteien gespalten. Palästinenser sind hauptsächlich Sunniten und werden von Seiten des Regimes und dessen Verbündeten auch wie Sunniten behandelt, also mit Misstrauen, wobei es natürlich Ausnahmen hierzu gibt. Was die Vulnerabilität betrifft, scheint jedoch die Herkunft einer Person aus einem bestimmten Gebiet wichtiger zu sein, als ihre Konfession und ob sie der palästinensischen Minderheit angehört oder nicht. Dabei determinierten die Anfangsjahre des Konflikts 2011-2013, welche Gebiete zu welchen Konfliktparteien zugeordnet werden. Die Bewegungsfreiheit von Palästinensern ist eingeschränkt. Berichten zufolge müssen sie z.B. in Damaskus eine Genehmigung der Mukhabarat (Geheimdienst) und der Sicherheitskräfte bekommen, um ihren Wohnsitz verlegen zu können. Palästinenser müssen den Wohnsitz bei den Mukhabarat registrieren, was dazu führt, dass manche Personen nicht an Palästinenser vermieten wollen (BFA 8.2017).

Palästinenser, die bereits vor dem Konflikt deutlich ärmer als Syrer waren, sind nun eine der am meisten vom Konflikt betroffenen Bevölkerungsgruppen in Syrien. Sie sind außerdem häufig von mehrfachen Vertreibungen betroffen: Der Konflikt breitete sich bereits früh auch entlang der Siedlungsgebiete von Palästinensern in Syrien aus, wodurch diese vertrieben wurden und, auch weil Jordanien und der Libanon ihre Grenzen geschlossen haben, Schutz in anderen UNRWA-Lagern und Siedlungen suchten. Wenn dann diese Regionen vom Krieg eingeholt waren, wurden sie erneut vertrieben (BFA 8.2017). Dies ist mitunter auch auf die strategische Relevanz der von Palästinensern bewohnten Gebiete zurück zu führen. Beispielsweise waren die Lager südlich von Damaskus strategisch bedeutend, weil sie die beiden oppositionellen Hochburgen im westlichen Damaskus und in Ost-Ghouta trennten und dadurch im bewaffneten Konflikt zum Ziel von Beschuss und Blockaden wurden. Dies führte zur Vertreibung der Bewohner dieser Lager (NOREF 24.1.2017). Allgemein gesprochen sind die Palästinenser vulnerabler als der durchschnittliche Syrer, was auch mit fehlenden Identitätsdokumenten in Verbindung steht (BFA 8.2017).

Die Leistungen der UNRWA im Rahmen ihrer Zugangsmöglichkeiten

Die offiziellen UNRWA-Flüchtlingslager sind Gebiete, die UNRWA von der Regierung des jeweiligen Gastlandes zur Errichtung eines Lagers und der notwendigen Infrastruktur überlassen werden. Die Aktivitäten von UNRWA erstrecken sich jedoch auch auf nicht offiziell diesem Zweck zugewiesene Gebiete (sog. "Inoffizielle Lager"). Dies trifft auch auf den Stadtteil von Damaskus, Yarmouk, zu, der lange Zeit die größte Dichte an palästinensischen Flüchtlingen in Syrien aufwies. UNRWA ist in Yarmouk, wie auch in anderen ehemals belagerten Lagern, von der Durchführung ihrer Aufgaben von der Intensität der dortigen Kampfhandlungen abhängig (BFA 8.2017). Sowohl das Regime als auch oppositionelle Gruppierungen belagern oder beschießen manche palästinensische Flüchtlingslager und Nachbarschaften, oder machen diese anderweitig praktisch unzugänglich, was zu Fällen von schwerer Unterernährung und fehlendem Zugang zu medizinischer und humanitärer Versorgung führt (USDOS 3.3.2017).

UNRWA bietet ihre Unterstützungsleistungen in 12 Flüchtlingslagern in Syrien an. Diese Lager werden von UNRWA jedoch nicht verwaltet, und UNRWA ist nicht für die Sicherheit in den Lagern zuständig. Dies liegt in der Verantwortung der Behörden des Gaststaates. Die palästinensischen Flüchtlingslager in Syrien sind nicht durch physische Begrenzungen, wie z.B. Mauern, eingefriedet, sondern sie sind Teil der Städte, und gleichen eher Wohnvierteln. In Syrien leben Teile der palästinensischen Bevölkerung innerhalb und andere außerhalb der Lager (BFA 8.2017).

Das Land, auf welchem sich die UNRWA-Lager befinden, befindet sich im Eigentum des Gaststaates. Den palästinensischen Familien wurden in der Vergangenheit Grundstücke zugeteilt, worauf Häuser gebaut wurden. Rechtlich gehört den palästinensischen Bewohnern nicht das Land, auf dem die Häuser stehen, dennoch werden die dort errichteten Wohnungen und Häuser mittlerweile auch vermietet und verkauft (BFA 8.2017).

Der Zugang zu UNRWA-Lagern ist rechtlich nicht eingeschränkt, es gibt jedoch faktische Probleme wie z.B. in Yarmouk (Damaskus), das belagert und von drei verschiedenen Gruppierungen kontrolliert wird. Ende Mai 2017 wurde ein Evakuierungsabkommen zwischen Kämpfern des IS und Hay'at Tahrir ash-Sham auf der einen Seite und der syrischen Regierung auf der anderen Seite vereinbart, nach dem die beiden Gruppierungen Yarmouk und Hajar al-Aswad verlassen sollten. Diese Evakuierung verzögert sich aktuell jedoch noch (BFA 8.2017).

Etwa 65% der Palästinenser wurden zumindest einmal innerhalb Syriens vertrieben, und etwa 95% der palästinensischen Flüchtlingsbevölkerung hängen von humanitärer Hilfe von UNRWA ab, um ihre Grundbedürfnisse zu stillen. Für Palästinenser ist es zudem schwierig sich durch Checkpoints zu bewegen, z.B. wenn sie keine gültigen syrischen Dokumente vorweisen können. Ihre Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens ist wegen der Notwendigkeit, die Genehmigung für Wohnortwechsel einzuholen, und wegen der Registrierungspflicht eingeschränkt (BFA 8.2017).

Viele palästinensische Flüchtlingslager in Syrien wurden komplett verlassen (z.B. Ein El-Tall, ein inoffizielles Lager in der Gegend von Aleppo; Dara'a Camp, Sbeineh und Qabr Essit im Umland von Damaskus). In manchen Lagern und Gegenden sind Palästinenser eingeschlossen und noch immer für UNRWA schwer erreichbar (z.B. Yarmouk, Yalda, Babila und Beit Sahem in Damaskus; Ghouta in Damaskus Umland (Rif Dimashq); Dara'a Camp, Muzeirib und Jillin in der Provinz Dara'a) (BFA 8.2017).

Die Erreichbarkeit der Lager für UNRWA hängt davon ab, wer das Gebiet kontrolliert, und ob diese Konfliktpartei Zugang zum Lager erlaubt. Der Grad und die Art des Zugangs werden von den Konfliktparteien bestimmt. Es kann Situationen der Belagerung geben, aber auch Situationen, wo der Zugang zum und aus dem Lager unter bestimmten Umständen möglich ist. Auch wenn es ein Waffenstillstandsabkommen gibt, kann es sein, dass Palästinensern nicht erlaubt wird, ein Gebiet zu verlassen (z.B. Yalda, Babila und Beit Sahem in Damaskus). Zudem liefert UNRWA keine Hilfsgüter in Gebiete, in denen der IS eine Präsenz hat (BFA 8.2017).

UNRWA bietet keine permanenten, sondern nur temporäre Unterkünfte an. In Syrien leistet UNRWA Bargeldunterstützung, die als Food Assistance begonnen hat. Eine Evaluierung des Programms ergab jedoch, dass die Zahlungen zu einem großen Teil zur Finanzierung von Wohnraum benutzt wurden, woraus zu schließen ist, dass Wohnraum die größte Sorge der Palästinenser in Syrien ist (BFA 8.2017).

Viele UNRWA Einrichtungen wurden durch den Konflikt in Syrien zerstört oder sind für UNRWA nicht zugänglich, wie z.B. 50% der UNRWA Schulen, die zerstört wurden, zu denen UNRWA keinen Zugang hat, oder in denen IDPs untergebracht sind. UNRWA versucht, Alternativen zu den Bildungseinrichtungen zu finden und bietet, sofern möglich, auch Bildung in staatlichen Schulen für palästinensische Kinder an, oft in Form einer zweiten Schicht von Unterrichtsstunden (BFA 8.2017).

Reisedokumente und Ausreiseregelungen für Palästinenser

Wie und wo Palästinenser in Syrien Dokumente erhalten hängt von ihrem rechtlichen Status ab. Nur jene Palästinenser, die als palästinensische Flüchtlinge anerkannt sind (also zwischen 1948 und 1956 nach Syrien gekommen sind) können von der syrischen General Authority for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) ein Reisedokument erhalten. Den Reisedokumenten, wie auch den Personalausweisen ist zu entnehmen, dass die Besitzer syrische Palästinenser sind. Palästinenser, die in Syrien den Status "Arabs in Syria" haben, da sie nach 1956 nach Syrien gekommen waren, erhalten von Syrien keine Reisedokumente. Mangels anderer gültiger Reisedokumente beantragen Personen aus dieser Kategorie über die Vertretung der Palästinensischen Behörde (Botschaft Palästinas in Syrien) in Damaskus die Ausstellung eines Reisedokuments durch die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah. Eine persönliche Vorsprache in Ramallah ist für die Ausstellung dieses Reisedokuments nicht erforderlich (BFA 8.2017).

Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen, dies hängt jedoch wieder von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab. Auch in der Türkei sind Einreisebeschränkungen für Palästinenser in Kraft (BFA 8.2017).

Ein Palästinenser, der in Syrien bei UNRWA registriert ist und dann in ein anderes Land geht, das auch im Mandatsgebiet der UNRWA liegt (wie z.B. der Libanon), bleibt in Syrien registriert ("registered"), wird aber im Libanon erfasst ("recorded") und hat dort Zugang zu UNRWA-Leistungen. UNRWA schränkt den Zugang zu UNRWA-Leistungen für Palästinenser aus anderen Staaten nicht ein, jedoch können die Staaten die Einreise von Palästinensern und somit deren Zugang zu UNRWA Leistungen in Nachbarstaaten einschränken (BFA 8.2017).

Für Palästinenser ist es nicht nur schwieriger als für syrische Flüchtlinge in Nachbarländern einzureisen, sondern auch dort zu bleiben und einen legalen Aufenthaltsstatus beizubehalten und folglich Leistungen zu erhalten. Ohne legalen Aufenthaltsstatus ist es nicht möglich, eine Ehe zu registrieren, weshalb in weiterer Folge auch die Geburt eines Kindes aus dieser Ehe nicht registriert werden kann, oder Dokumente zu erhalten (BFA 8.2017).

Die jordanische Regierung stellt generell keinerlei Dokumente für Palästinenser aus Syrien in Jordanien aus. Dies macht es für diese unmöglich, legal zu heiraten oder eine Geburtsurkunde ausstellen zu lassen. Palästinenser aus Syrien können in Jordanien Dokumente wie Heirats- oder Geburtsurkunden also nur besitzen, wenn sie diese schon aus Syrien hatten (BFA 8.2017).

Im Libanon bedarf es für die Registrierung eines Kindes nach dem ersten Lebensjahr eines kostspieligen Gerichtsverfahrens. Diese Registrierung ist aber Voraussetzung für den Zugang zu Schulen, zum Gesundheitswesen und für die Bewegungsfreiheit. Diese Faktoren tragen zum Problem der Staatenlosigkeit der zweiten Generation bei. Ohne einen legalen Aufenthaltsstatus sind Palästinenser außerdem einem erhöhten Ausbeutungsrisiko ausgesetzt (BFA 8.2017).

Rückkehr:

Laut der International Organization for Migration (IOM) sind zwischen Januar und Juli 2017 602.759 vertriebene Syrer in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. 93 Prozent davon sind Binnenvertriebene gewesen und 7 Prozent kehrten aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak nach Syrien zurück. Rückkehrer aus der Türkei und Jordanien kehrten hauptsächlich in die Provinzen Aleppo und Hassakah zurück (IOM 11.8.2017). Am Beginn des Jahres kam es zur Rückkehr von etwa 150.000 Personen (Zeitraum Januar-April 2017) nach Ost-Aleppo, wobei die Dauerhaftigkeit dieser Rückkehr fragwürdig ist, da die Zahl der beschädigten Unterkünfte in Ost-Aleppo sehr hoch ist (IDMC 2017).

Die Hauptfaktoren, die die Entscheidung zurückzukehren, beeinflussen, sind primär die Wiedervereinigung mit Familienmitgliedern, den Zustand des eigenen Besitzes/Grundstücks zu prüfen und in manchen Fällen auch die tatsächliche oder wahrgenommene Verbesserung der Sicherheitslage in Teilen des Landes (UNHCR 30.6.2017 und IOM 11.8.2017). Andere Rückkehrgründe können eine Verschlechterung der ökonomischen Situation am Zufluchtsort oder soziokulturelle Probleme sein (Die Presse 14.8.2017, vgl. IOM 11.8.2017).

Das Konzept von Binnenvertriebenen ist jedoch viel weiter gefasst, als jenes von Flüchtlingen. Binnenvertriebene sind all jene, die ihr Zuhause verlassen haben und dabei sehr kurze oder auch weite Entfernungen zurückgelegt haben. Kürzere Distanzen erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr. Beispielsweise kehren viele IDPs aus West-Aleppo nach Ost-Aleppo zurück, oder viele IDPs aus den Vorstädten von Damaskus kehrten in die Vororte Qabun oder Qudsaya zurück, nachdem diese von der syrischen Armee wieder erobert wurden. Das hauptsächliche Hindernis bei der Rückkehr bleibt das Fehlen von Sicherheit, wobei diese Einschätzung von der geographischen Herkunft, sozioökonomischen Lage und einer potentiellen Beteiligung im Widerstand gegen das syrische Regime beeinflusst wird (WI 7.7.2017).

Geschätzte 67 Prozent der Rückkehrer (405.420 Personen) kehrten in die Provinz Aleppo zurück, 27.620 nach Idlib, 75.209 nach Hama,

45.300 nach Raqqa, 21,346 nach Damaskus-Umland und 27.861 in andere Provinzen. Berichten zufolge kehrten 97 Prozent der Vertriebenen zu ihrem eigenen Haus zurück, 1,8 Prozent leben bei Gastgebern, 1,4 Prozent in verlassenen Häusern, 0,14 Prozent in informellen Siedlungen und 0,03 Prozent in gemieteten Unterkünften. Der Zugang zu Nahrung und Haushaltsgegenständen der Rückkehrer liegt dieser Studie zufolge bei 80 und 83 Prozent, der Zugang zu Wasser und Gesundheitsversorgung nur bei 41 und 39 Prozent, weil die Infrastruktur des Landes durch den Konflikt extrem beschädigt wurde. Im Jahr 2016 lag die Zahl der Rückkehrer bei 685,662. Von diesen Rückkehrern wurden jedoch geschätzte 20.752 im selben Jahr und 21.045 im Jahr 2017 erneut vertrieben. Während die Zahl der Rückkehrer in Syrien steigt, ist die Zahl der Vertreibungen weiterhin hoch. So wurden von Januar bis Juli 2017 geschätzte

808.661 Personen aufgrund des Konfliktes vertrieben, viele davon zum zweiten oder dritten Mal. Laut IOM war die Rückkehr von IDPs hauptsächlich spontan, aber nicht notwendigerweise freiwillig, sicher oder nachhaltig (IOM 11.8.2017).

Länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (z.B. illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen (AA 17.8.2017). Im Prinzip steht es syrischen Staatsangehörigen frei, mit ihrem syrischen Pass (oder bei einer Ausreise in den Libanon: mit gültigem Personalausweis) über alle funktionsfähigen Grenzübergänge, einschließlich dem Flughafen Damaskus, das Land zu verlassen. Syrische Staatsangehörige müssen eine Ausreisegebühr in einer Höhe zahlen, die vom Ausreisepunkt (Landgrenze oder Flughafen) abhängt. Auf Grundlage des Gesetzes Nr. 18 aus dem Jahr 2014 kann die Ausreise oder Rückkehr ohne gültigen Pass oder ohne die erforderliche Genehmigung oder über einen nicht genehmigten Ausreisepunkt je nach Umständen des Einzelfalls Freiheits- und/oder Geldstrafen nach sich ziehen. Es ist nicht klar, ob das Gesetz tatsächlich angewandt wird und ob Personen, die aus dem Ausland zurückkehren, gemäß Gesetz Nr. 18 von 2014 einer Strafverfolgung ausgesetzt sind (UNHCR 2.2017).

Personen werden bei der Einreise nach Syrien über den internationalen Flughafen Damaskus oder andere Einreiseorte kontrolliert. Bei männlichen Personen im wehrfähigen Alter wird auch kontrolliert, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben (IRB 19.1.2016; vgl. Zeit 10.12.2017). Männer im wehrfähigen Alter sind bei der Einreise besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu werden. Die Sicherheitsorgane haben am Flughafen freie Hand, und es gibt keine Schutzmechanismen, wenn eine Person verdächtigt und deswegen misshandelt wird. Es kann passieren, dass die Person sofort inhaftiert und dabei Opfer von Verschwindenlassen oder Folter wird. Oder der Person wird die Einreise nach Syrien erlaubt, sie muss sich jedoch zu einem anderen Zeitpunkt erneut melden und verschwindet dann. Eine Person kann auch Opfer von Misshandlungen werden, ohne dass es dafür einen bestimmten Grund gibt. Das System ist sehr unberechenbar (IRB 19.1.2016). Bereits im Jahr 2012 hat ein britisches Gericht festgestellt, dass für einen nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylwerber im Allgemeinen bei der Ankunft die reale Gefahr besteht, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden, und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Seit dieser Feststellung hat sich die Situation weiter verschlimmert. Es kann jedoch auch sein, dass eine Person, trotz eines abgelehnten Asylantrages, auch nach der Rückkehr nach Syrien noch als Unterstützer des Assad-Regimes angesehen wird (UK HOME 8.2016).

Das syrische Gesetz bestraft auch Personen, welche versuchen in einem anderen Land Asyl zu suchen, um eine Strafe in Syrien zu vermeiden (USDOS 3.3.2017).

In den von oppositionellen Gruppierungen wie Jabhat Fatah ash-Sham oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierten Gebieten verfügen die bewaffneten Gruppen ebenfalls über Listen von "Dissidenten". Ihnen drohen Misshandlung und Verschwindenlassen. Auch oppositionelle Gruppen kontrollieren Rückkehrende, wobei die Bekanntgabe des Wohn- und Geburtsortes wichtig ist. SyrerInnen, die aus der Türkei in oppositionelle Gebiete zurückkehren, werden befragt. Es kommt außerdem zu Entführungen und Lösegelderpressungen durch bewaffnete Gruppen (SFH 21.3.2017).

Wie aus Berichten hervorgeht, betrachtet die Regierung bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung, darunter Anträge auf Asyl, Teilnahme an regierungskritischen Protesten, Kontakte zu Oppositionsgruppen oder andere Ausdrucksformen der Kritik an der Regierung, einschließlich über soziale Medien (UNHCR 2.2017). Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland, auch deshalb, um oppositionelle Alternativen zum gegenwärtigen Regime zu unterbinden. Die Regierung überwacht Aktivitäten dieser Art im Ausland, auch in Österreich. Dass die syrische Regierung Kenntnis von solchen Aktivitäten hat, ist wahrscheinlich, und sie hat die Möglichkeit, ihr diesbezügliches Wissen zu nützen, wenn sich dazu die Gelegenheit ergibt. Eine Überwachung von exilpolitischen Aktivitäten passiert hauptsächlich an Orten mit einer größeren syrischen Gemeinde, weil sich dort eher Informanten der Regierung befinden können. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exilpolitischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen (BFA 8.2017).

Im September 2017 sprach der damalige Generalmajor der syrischen Republikanischen Garden Issam Zahreddine eine Drohung gegen syrische Flüchtlinge aus. In einem Live-Interview mit dem syrischen Staatsfernsehen sagte er "Kehrt nicht zurück! Selbst wenn der Staat euch vergibt, wir werden niemals vergessen und verzeihen. Ein Rat von diesem Bart: Kommt nicht zurück!", umstehende Offiziere hätten dazu gelacht. Zum Berichtszeitpunkt befehligte er mehrere tausend Soldaten und leitete die Eroberung von Deir ez-Zour. Offiziell gibt das Assad-Regime vor, eine "nationale Versöhnung" in Syrien anzustreben. Syrer, die nicht gegen die Regierung kämpften, hätten demnach nichts zu befürchten (Spiegel 11.9.2017). Zahreddine, der im Oktober 2017 durch eine Landmine getötet wurde, entschuldigte sich später für die Aussage und sagte, dass sie missinterpretiert worden sei und er sich lediglich auf IS und Rebellenkämpfer bezog, die syrische Truppen getötet haben (Telegraph 18.10.2017). Im Dezember 2017 besuchte Ali Haidar, der syrische Minister für nationale Versöhnung (Minister of State for National Reconciliation), den Südlibanon und rief syrische Flüchtlinge aus den Provinzen Hama und Aleppo dazu auf, nach Hause zurück zu kehren, unter der Behauptung, dass die Situation in den Provinzen stabil sei (DS 2.1.2018).

Der syrische Wehr- und Reservedienst

Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder lokalen bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Militärdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen. Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht. In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden (FIS 23.8.2016).

Die Rekrutierung von männlichen Syrern findet nach wie unvermindert statt (DRC/DIS 8.2017). Für männliche syrischen Staatsbürger und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten (CIA 5.12.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. BFA 8.2017). Diejenigen männlichen palästinensischen Flüchtlinge, im Alter von 18 bis 42 Jahren, welche vor 1956 bei der General Administration for Palestine Arab Refugees (GAPAR) registriert waren, und deren Nachkommen müssen den verpflichtenden Wehrdienst bei der Palästinensischen Befreiungsarmee (PLA), einer Einheit der syrischen Streitkräfte, ableisten. Für diese Palästinenser gelten die gleichen Voraussetzungen für den Wehrdienst wie für Syrer (BFA 8.2017).

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsatz verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. "Rekrut" ist der niedrigste Rang, und die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (BFA 8.2017).

Normalerweise werden Einberufungsbefehle schriftlich mit der Post zugestellt, zur Zeit wird jedoch eher auf persönlichem Wege zum verpflichtenden Militärdienst rekrutiert, um ein Untertauchen der potentiellen Rekruten möglichst zu verhindern. Zu diesem Zweck werden Mitarbeiter des Rekrutierungsbüros zum Haus der Wehrpflichtigen geschickt. Wenn der Gesuchte zu Hause ist, wird er direkt mitgenommen. Wenn er nicht zu Hause ist, wird der Familie mitgeteilt, dass er sich bei der nächsten Kaserne zu melden habe. Es gibt immer wieder Razzien, wie zum Beispiel Anfang Mai 2017, als bei einem Fußballspiel in Tartus alle Männer beim Verlassen des Stadions versammelt und zum Dienst verpflichtet wurden. Einige Zeit zuvor gab es einen weiteren Vorfall, bei dem vor einem Einkaufszentrum in Damaskus alle wehrfähigen Männer eingesammelt und rekrutiert wurden. Auch ein "Herauspflücken" bei einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet. Die Altersgrenze ist auf beiden Enden des Altersspektrums nur theoretisch und jeder Mann in einem im weitesten Sinne wehrfähigen Alter, kann rekrutiert werden (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. Syria Direct 7.12.2017). Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein (UNHCR 30.11.2016). Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, die das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden (DIS 26.2.2015).

Die syrische Armee hat durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (FIS 23.8.2016; vgl. ISW 8.3.2017). Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es gibt auch Männer im kampffähigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt (FIS 23.8.2016).

Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden (IRB 19.1.2016; vgl. Zeit 10.12.2017).

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, und auch nicht aus anderen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017; vgl. PAR 15.11.2017)

Zusatzinformationen zum Reservedienst

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, und wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der im Militär erforderlichen Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden zum Reservedienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt (BFA 8.2017). Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person, sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient wurde (DIS 26.2.2015; vgl. DRC/DIS 8.2017). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (BFA 8.2017). Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Sie werden z.B. mittels Brief, den die Polizei persönlich zustellt, oder an Checkpoints rekrutiert (FIS 23.8.2016).

Das Militärbuch zeigt lediglich Informationen über den verpflichtenden Wehrdienst und nicht, ob eine Person Reservist ist oder nicht. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten würden dies jedoch nur auf informellem Weg tun, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird (BFA 8.2017).

Befreiung und Aufschub

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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