TE Vwgh Erkenntnis 1999/12/23 97/06/0143

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Veröffentlicht am 23.12.1999
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Index

20/05 Wohnrecht Mietrecht;
98/03 Wohnbaufinanzierung;
98/04 Wohnungsgemeinnützigkeit;

Norm

MRG §30 Abs2 Z15 idF 1991/068;
WÄG 02te 1991;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde 1. des A und

2. der M, beide in W, beide vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes der Steiermark vom 7. Mai 1997, GZ 03-12.10 W 37-97/1, betreffend Feststellung des öffentlichen Interesses gemäß § 30 Mietrechtsgesetz (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde Wildon, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in G), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 12.800,- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer sind seit dem Jahre 1964 Mieter der im ersten Obergeschoß des Objektes H-Platz 55 in W (in der Folge: Schloss W) gelegenen Wohnung. Das Mietrechtsgesetz findet auf das unbefristet abgeschlossene Mietverhältnis volle Anwendung.

Mit Schriftsatz vom 23. Jänner 1997 brachte die Marktgemeinde W - unter Vorlage einer Nutzungsstudie - den Antrag auf Erlassung eines Interessenbescheides gemäß § 30 Abs. 2 Z. 15 Mietrechtsgesetz (MRG) ein und brachte vor, dass sie beabsichtige, das Schloss W zum Zwecke der Nutzung durch die Marktgemeinde W selbst (vor allem als Gemeinderäumlichkeiten) umfassend zu sanieren und zu revitalisieren. Dies gelte insbesondere für den Umbau jenes Schlosstraktes, in dem die Beschwerdeführer Mieter seien (das Schloss umfasst auch einen weiteren Trakt, dem die Adresse H-Platz 53 zugeordnet ist). Gegen den in der Folge ergangenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz vom 27. Februar 1997, worin festgestellt wurde, dass der Umbau wegen der positiven Auswirkungen auf das regionale Entwicklungskonzept und die regionale Wirtschaft im öffentlichen Interesse läge, erhoben die Beschwerdeführer Berufung. In dieser führten sie im Wesentlichen aus, dass sie seit mehr als 30 Jahren Mieter der Wohnung seien, erhebliche finanzielle Investitionen für die Sanierung des Mietobjektes aufgewendet hätten, ihrerseits ein dringendes Wohnbedürfnis hätten beziehungsweise ein solches in der Gemeinde vorhanden sei und der Umbau des Schlosses lediglich für Gemeindezwecke erfolgen solle. Dies rechtfertige nicht ein öffentliches Interesse im Sinne von § 30 Abs. 2 Z. 15 MRG.

Die belangte Behörde wies mit Bescheid vom 7. Mai 1997 die Berufung als unbegründet ab und führte unter anderem aus, dass im Rahmen der Beurteilung nach § 30 Abs. 2 Z. 15 MRG alleine maßgebend sei, ob die vom Bauwerber projektierte bauliche Herstellung aus den im Gesetz angeführten Gründen im öffentlichen Interesse läge. Der Behörde sei bei der Auslegung des Begriffes des "öffentlichen Interesses" ein Entscheidungsspielraum gegeben, innerhalb dessen sie auf alle dafür und dagegen sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen habe. Im Rahmen dessen seien jedenfalls nicht die Interessen Einzelner zu berücksichtigen, sondern es komme allein auf das Interesse der Allgemeinheit an der ordnungsgemäßen Erfüllung der dem Hoheitsträger zukommenden Aufgaben an. Ebenso sei allenfalls eine Interessenabwägung lediglich zwischen einander widerstreitenden öffentlichen Interessen unter Bedachtnahme auf das Gemeinwohl unter den konkreten Umständen des Einzelfalles vorzunehmen, jedoch keinesfalls zwischen öffentlichen Interessen und privaten Interessen Betroffener. Vielmehr müssten alle zivilrechtlichen Ersatzansprüche der Mieter einem etwaigen Schadenersatzprozess vorbehalten bleiben. Im konkreten Beschwerdefall würde der Schlosstrakt für ein Marktgemeindeamt, ein Kultur- und Veranstaltungszentrum, ein Vereins- und Kommunikationszentrum und für ein Museum sowie für eine Bücherei verwendet werden. Das öffentliche Interesse liege klar im Vordergrund, zumal eine Sanierung auch hinsichtlich des schlechten Bauzustandes dienlich sei. Der Umstand, dass anstelle des konkreten Mietgegenstandes die Buchhaltung, das Zimmer des Amtsleiters, ein EDV Zimmer sowie ein Empfangsraum mit Sekretariat, das Meldeamt und zwei Foyers untergebracht werden sollten, ändere nichts daran, dass sich der Gesamtkomplex und somit auch dieser konkrete Teil als ein im öffentlichen Interesse gelegener Umbau darstelle. Der Umstand, dass durch den Umbau eine bestehende Wohnung aufgegeben werde, widerspreche auch nicht der Bestimmung des § 30 Abs. 2 Z. 15 Mietrechtsgesetz, da abgesondert von einer Wohnraumbeschaffung diese gesetzliche Norm vorsehe, dass das öffentliche Interesse auch aus anderen Gründen gegeben sein könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie die mitbeteiligte Gemeinde eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 30 Abs. 1 Mietrechtsgesetz, BGBl. Nr. 520/1981 (MRG), kann der Vermieter nur aus wichtigen Gründen den Mietvertrag kündigen. Gemäß § 30 Abs. 2 Z. 15 MRG in der Fassung des Zweiten Wohnrechtsänderungsgesetzes, BGBl. Nr. 68/1991, ist als ein wichtiger Grund u.a. anzusehen, wenn

"15. ein Miethaus ganz oder in dem Teil, in dem sich der Mietgegenstand befindet, abgetragen oder umgebaut werden soll, mit dem Abbruch (Umbau) die Errichtung eines neuen (geänderten) Baues sichergestellt ist, die Bezirksverwaltungsbehörde auf Antrag des Bauwerbers mit Bescheid erkannt hat, dass selbst unter Berücksichtigung schutzwürdiger Interessen der bisherigen Mieter der geplante Neubau (Umbau) aus Verkehrsrücksichten, zu Assanierungszwecken, zur Vermehrung der Wohnungen, die zur Beseitigung oder Milderung eines im Ortsgebiet bestehenden quantitativen Wohnungsbedarfs oder eines qualitativen Wohnfehlbestandes geeignet sind, oder aus anderen Gründen im öffentlichen Interesse liegt, und dem Mieter Ersatz beschafft wird;"

Die Beschwerdeführer wenden sich im Wesentlichen gegen die Annahme der belangten Behörde, dass ein öffentliches Interesse im Sinne von § 30 Abs. 2 Z. 15 MRG vorläge. Es sei allenfalls ein wirtschaftliches Interesse gegeben, um im beschwerdegegenständlichen Objekt die Errichtung eines Museums und einer Bibliothek bzw. den Ausbau eines Festsaales für kulturelle Aktivitäten und die Verlegung des Gemeindeamtes vorzusehen. Der Gemeinde stünden ausreichend Büroräume zur Verfügung, die geplante Errichtung eines Zimmers für den Amtsleiter, eines EDV-Raumes, eines Sekretariats, des Meldeamtes und zweier Foyers im Bereich des gegenständlichen Mietgegenstandes erfolge nicht im öffentlichen Interesse

Der Beschwerde kommt insgesamt Berechtigung zu.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt darauf verwiesen (siehe das hg. Erkenntnis vom 19. November 1998, Zl. 98/06/0131, aber auch das hg. Erkenntnis vom 20. April 1995, Zl. 94/06/0093, und die in diesem angeführte Vorjudikatur), dass es sich bei der Bestimmung des § 30 Abs. 2 Z. 15 MRG um eine auf die Einschränkung bestehender Privatrechte gerichtete und daher im Zweifel restriktiv auszulegende Norm handelt. Für diese restriktive Auslegung spricht auch die Novellierung dieser Gesetzesstelle durch das 2. Wohnrechtsänderungsgesetz, BGBl. Nr. 68/1991, wonach nunmehr neben der schon in der Stammfassung vorgesehenen Interessenabwägung im Falle von widerstreitenden öffentlichen Interessen auch eine Interessenabwägung mit den schutzwürdigen Interessen der durch die Kündigung betroffenen Mieter vorgesehen ist (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 9. September 1999, 98/06/0126 mwN).

Nun ist demgegenüber die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass im Rahmen der Abwägung gemäß § 30 Abs. 2 Z. 15 MRG eine Berücksichtigung privater Interessen der durch die Kündigung betroffenen Mieter nicht in Betracht käme, sondern allenfalls eine Interessenabwägung zwischen einander widerstreitenden öffentlichen Interessen vorzunehmen sei (die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid die maßgebliche Passage des § 30 Abs. 2 Z 15 MRG bei der Darstellung der Rechtslage auch nicht wiedergegeben). Demzufolge unterließ sie es im angefochtenen Bescheid, die seitens der Beschwerdeführer geltend gemachten privaten Interessen mit den bestehenden öffentlichen Interessen abzuwägen. Damit verkannte die belangte Behörde die seit dem 2. Wohnrechtsänderungsgesetz, BGBl. Nr. 68/1991, bestehende Rechtslage und belastete demgemäß ihren Bescheid mit einem sekundären Verfahrensmangel (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 19. November 1998, Zl. 98/06/0131).

Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren daher auch auf das Vorbringen der Beschwerdeführer, sie seien bereits seit 1964 Mieter der Wohnung, hätten erhebliche finanzielle Investitionen aufgewendet und hätten ihrerseits ein dringendes Wohnbedürfnis, einzugehen haben. Es wäre insbesondere auch festzustellen, welche der von der mitbeteiligten Gemeinde geplanten Maßnahmen im Falle einer Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses nicht verwirklicht werden könnten. In diesem Zusammenhang ist insbesondere von Bedeutung, dass auf dem Boden der bisherigen Feststellungen die in der Stellungnahme der mitbeteiligten Gemeinde angesprochene Gefahr eines nicht ordnungsgemäßen Betriebes des Gemeindeamtes nicht schlüssig als Folge der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses mit den Beschwerdeführern verstanden werden kann. Es wurde auch nicht festgestellt, inwieweit das Projekt nur in seiner Gesamtheit (einschließlich Museum und Bücherei) verwirklicht werden kann bzw. welche das Interesse der Beschwerdeführer überwiegenden öffentlichen Interessen an der Verwirklichung des Gesamtprojektes bestehen.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus den dargelegten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben, ohne dass es eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen bedurfte.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 23. Dezember 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997060143.X00

Im RIS seit

03.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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