TE Vwgh Erkenntnis 2018/7/25 Ra 2015/13/0011

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.07.2018
beobachten
merken

Index

E3L E09301000
E6J
32/04 Steuern vom Umsatz

Norm

UStG 1994 §12
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art13
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art135 Abs1
62011CJ0275 GfBk VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Finanzamts Wien 1/23 in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 16. Dezember 2014, Zl. RV/7101719/2007, betreffend Umsatzsteuer 2002 bis 2004 „sowie Jänner bis Mai 2005“ (mitbeteiligte Partei: U AG in M, vertreten durch die KPMG Alpen-Treuhand GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 1090 Wien, Porzellangasse 51), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Die mitbeteiligte Partei ist die (mittelbare) Rechtsnachfolgerin der Investment AG (im Folgenden auch: mitbeteiligte Partei).

2        Im Rahmen einer die Investment AG betreffenden Betriebsprüfung vertraten die Prüfer - soweit hier wesentlich - die Auffassung, dass es sich bei den im Streitzeitraum von der österreichischen Investment AG gegenüber der luxemburgischen Management S.A., einer Fondsverwaltungsgesellschaft (SICAV), erbrachten Leistungen um in Österreich steuerbare, steuerpflichtige (20% USt) Vermögensverwaltungs- bzw. Portfoliomanagementleistungen handle. Der Leistungsort für diese Leistungen bestimme sich nach der Generalklausel des § 3a Abs. 12 UStG 1994 (Unternehmerort), weil die Empfängerortregelung (§ 3a Abs. 9 UStG 1994) aufgrund der Anknüpfung des § 3a Abs. 10 Z 7 UStG 1994 an die Steuerbefreiungen des § 6 Abs. 1 Z 8 lit. a bis h UStG 1994 nicht zur Anwendung komme. Weiters seien auch die Leistungen der amerikanischen T Ltd. und der amerikanischen Advisors Inc. an die Investment AG gemäß § 3a Abs. 10 Z 4 UStG 1994 in Österreich steuerbar und steuerpflichtig (20% USt); die Steuerschuld dafür gehe gemäß § 19 Abs. 1 2. Satz UStG 1994 auf die Investment AG über (was zu einer entsprechenden Erhöhung des Vorsteuerabzugs führe).

3        Gegen die den Prüfungsfeststellungen Rechnung tragenden Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2004 sowie die Festsetzung der Umsatzsteuer für Februar 2005 erhob die mitbeteiligte Partei Berufung. Die von der Investment AG an die Management S.A. erbrachten Vermögensverwaltungs- und Portfoliomanagementleistungen seien nicht in Österreich steuerbar. Der in § 3a Abs. 10 Z 7 UStG 1994 enthaltene Verweis auf § 6 Abs. 1 Z 8 lit. a bis h UStG 1994 sei aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben der 6. EG-RL zu eng gefasst. Mangels Bezugnahme auf Art. 13 Teil B Buchst. d der 6. EG-RL in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der 6. EG-RL seien auch dort nicht genannte Bank- und Finanzumsätze am Empfängerort steuerbar. Dies gelte auch für die in § 6 Abs. 1 Z 8 lit. i UStG 1994 genannten Fondsverwaltungsleistungen. Werde entgegen dieser Ansicht von in Österreich steuerbaren Leistungen ausgegangen, seien diese zumindest nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-RL als steuerfrei zu qualifizieren. Bei den Leistungen der T Ltd. und der Advisors Inc. handle es sich um (ausgelagerte) Verwaltungsdienstleistungen im Zusammenhang mit der Verwaltung luxemburgischer Investmentfonds. Auch auf diese sei die Befreiungsbestimmung des Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-RL anwendbar.

4        In ihrer Stellungnahme vom 7. Dezember 2006 schloss sich die Betriebsprüfung der Ansicht der mitbeteiligten Partei an, wonach die an die Management S.A. erbrachten Vermögensverwaltungs- und Portfoliomanagementleistungen nach den unionsrechtlichen Vorgaben in Luxemburg steuerbar und auch steuerfrei seien. Daraus folge aber ein Verlust des Vorsteuerabzugs, und es ändere sich die Basis für die Berechnung des Vorsteuerschlüssels. Die von der T Ltd. und der Advisors Inc. erbrachten Leistungen seien jedoch als Beratungsleistungen gemäß § 3a Abs. 10 Z 4 iVm § 3a Abs. 9 lit. a UStG 1994 in Österreich steuerbar und steuerpflichtig. Die Steuerbefreiung des § 6 Abs. 1 Z 8 lit. i UStG 1994 komme schon deshalb nicht zur Anwendung, weil die Investment AG über keine Konzession iSd § 6 Abs. 1 Z 8 lit. i UStG 1994 verfügt habe. Entgegen der Ansicht der mitbeteiligten Partei seien aber auch die im Urteil des EuGH vom 4. Mai 2006, C-169/04, Abbey National, geforderten Voraussetzungen für die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-RL nicht erfüllt.

5        In ihrer Gegenäußerung vom 23. Februar 2007 wandte sich die mitbeteiligte Partei mit näherer Begründung gegen die Ansicht der Betriebsprüfung, wonach die Steuerbefreiung des Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-RL nicht auf die Leistungen der T Ltd. und der Advisors Inc. anwendbar sei. Weiters trat die mitbeteiligte Partei den Ausführungen der Betriebsprüfung entgegen, wonach ihr im Zusammenhang mit den von der Investment AG an die Management S.A. erbrachten, nunmehr auch nach Ansicht der Betriebsprüfung in Luxemburg steuerbaren, Leistungen kein Vorsteuerabzug zustehen würde. Eine unmittelbare Anwendung der Steuerbefreiung des Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-RL zulasten des Steuerpflichtigen komme nach der Judikatur des EuGH nicht in Betracht.

6        In einer weiteren Stellungnahme vom 20. Februar 2013 führte das Finanzamt aus, dass die Leistungen der Investment AG an die Management S.A. nach der nationalen Rechtslage im Inland steuerbar und steuerpflichtig wären. Sollte die Ansicht vertreten werden, dass der Leistungsort aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben in Luxemburg gelegen sei, werde beantragt, die mit diesen Ausgangsleistungen zusammenhängenden Vorsteuerbeträge nicht zum Abzug zuzulassen, da diese Leistungen aus unionsrechtlicher Sicht unecht steuerbefreit seien. Eine bloß partielle Berufung auf das Unionsrecht hinsichtlich des Leistungsorts und nicht hinsichtlich der Steuerbefreiung wäre rechtsmissbräuchlich und würde das Neutralitätsprinzip verletzen. Das Vorliegen einer unecht steuerbefreiten Ausgangsleistung führe zwingend zum Verlust des Vorsteuerabzugs. Es sei weiters unstrittig, dass die Investment AG die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Z 8 lit. i UStG 1994 in der im Prüfungszeitraum maßgebenden Fassung nicht erfüllt habe. Erst mit dem BBG 2007, BGBl. I Nr. 24/2007, sei in § 6 Abs. 1 Z 8 lit. i UStG 1994 die Formulierung „die Verwaltung von durch die anderen Mitgliedstaaten als solche definierten Sondervermögen“ aufgenommen worden. Entgegen der Ansicht der mitbeteiligten Partei würden weiters die Leistungen der T Ltd. und der Advisors Inc. nicht die vom EuGH geforderten Voraussetzungen für die Steuerbefreiung des Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-RL erfüllen.

7        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde der mitbeteiligten Partei Folge. Es änderte die Bescheide des Finanzamts insoweit ab, als es die von der österreichischen Investment AG gegenüber der luxemburgischen Management S.A. erbrachten Leistungen aufgrund deren Nichtsteuerbarkeit im Inland aus der Umsatzsteuerbemessungsgrundlage ausschied. Weiters behandelte es die von der T Ltd. und der Advisors Inc. an die Investment AG erbrachten Leistungen als unecht steuerbefreite Umsätze (Kürzung der Steuerschuld gemäß § 19 Abs. 1 zweiter Satz UStG 1994 und damit auch des Vorsteuerabzugs laut Betriebsprüfung). Eine darüber hinausgehende Änderung der abziehbaren Vorsteuerbeträge erfolgte nicht.

8        Das Bundesfinanzgericht stellte als entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest, dass die Investment AG mit einem am 17. September 2001 abgeschlossenen Vertrag (‚Investment Advisory Agreement‘) von einer luxemburgischen Fondsverwaltungsgesellschaft (‚SICAV‘) damit beauftragt worden sei, sie bei der Verwaltung des Fondsvermögens zu beraten. Die Tätigkeit habe die Beratung betreffend die Zusammensetzung des Fondsvermögens und seine Veränderungen, die Überwachung der Wertentwicklung sowie die Beratung hinsichtlich der Investmentstrategien, Investmentziele und Investmentpolitik der Fonds umfasst. Dabei sei die Investment AG berechtigt gewesen, Verfügungen über die Vermögenswerte zu treffen (Kauf und Verkauf von Wertpapieren, Ausübung von Bezugsrechten, Kauf und Verkauf von Devisen, sonstige Verfügungen über die Vermögenswerte), soweit die Fondsrichtlinien nichts anderes bestimmt hätten. Für diese Tätigkeit habe die Investment AG fixe und/oder variable Vergütungen erhalten.

9        Zur Unterstützung ihrer Tätigkeit seien von der Investment AG mit der amerikanischen T Ltd. und der amerikanischen Advisors Inc. Beratungsverträge abgeschlossen worden. Diese hätten die Unterstützung bei der strategischen Portfoliozusammensetzung, Vorschläge zur Auswahl der Zielfonds-Manager (‚money manager‘), Due Diligence betreffend die Zielfonds-Manager, Konditionsverhandlungen (Investitionsmöglichkeiten, Gebühren, Fristen für An- und Verkäufe, etc.), die Bereitstellung von Zeichnungs- und Rücklösungsformularen sowie qualitative und quantitative Analysen umfasst. Die alleinige Entscheidung sei bei der Investment AG gelegen. Der T Ltd. und der Advisors Inc. sei lediglich ein Vorschlagsrecht zugekommen und sie hätten für ihre Dienstleistungen erfolgsabhängige Provisionen erhalten.

10       Im Rahmen der rechtlichen Würdigung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts führte das Bundesfinanzgericht zu den Leistungen der Investment AG an die Management S.A. aus, es sei „unstrittig“, dass es sich bei den Leistungen der Investment AG um Vermögensverwaltungs- bzw. Portfoliomanagementleistungen gehandelt habe. Die für diese Tätigkeiten geleisteten Entgelte seien vom Finanzamt zu Unrecht in Österreich der Umsatzsteuer iHv 20 % unterworfen worden. Entgegen der innerstaatlichen Regelung des UStG 1994, die für die Bestimmung des Leistungsorts in § 3a Abs. 10 Z 7 UStG 1994 an die Befreiungsbestimmungen (§ 6 Abs. 1 Z 8 lit. a bis h UStG 1994) anknüpfe, enthalte die 6. EG-RL eine eigenständige Leistungsortregelung (Art. 9 Abs. 2 lit. e der 6. EG-RL). Diese nehme nicht auf die Befreiungsbestimmungen des Art. 13 Teil B Buchst. d der 6. EG-RL Bezug. Nach der Rechtsprechung des EuGH könnten Fonds in Luxemburg (SICAV) als Unternehmer angesehen werden (Hinweis auf EuGH 21.10.2004, C-8/03, BBL). Der Leistungsort für die verfahrensgegenständlichen Umsätze sei nach Art. 9 Abs. 2 lit e der 6. EG-RL der Ort, an dem die SICAV den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit habe. Der Leistungsort für die von der Investment AG an die Management S.A. erbrachten Leistungen liege nach den unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen zweifellos in Luxemburg.

11       Zu den Leistungen der T Ltd. und der Advisors Inc. an die Investment AG führte das Bundesfinanzgericht aus, „unstrittig“ sei, dass es sich bei den Leistungen um Vermögensverwaltungsleistungen gehandelt habe, für die der Leistungsort in Österreich gelegen sei. Das Finanzamt habe diese Leistungen allerdings zu Unrecht als steuerpflichtig behandelt. Nach der Judikatur des EuGH (7.3.2013, C-275/11, GfBk) seien Beratungsleistungen im Zusammenhang mit dem Kauf und Verkauf von Fondsvermögen bzw. Wertpapieranlagen, die von einem Dritten gegenüber einer Kapitalanlagegesellschaft als Verwalterin eines Sondervermögens erbracht werden, gemäß Art. 135 Abs. 1 lit. g der MwStSystRL (Art. 13 Teil B lit. d Nr. 6 der 6. EG-RL) von der Umsatzsteuer befreit. Dies gelte auch für die von der T Ltd. und der Advisors Inc. an die Investment AG erbrachten Leistungen.

12       Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig, weil mit dem Erkenntnis der Verpflichtung zur unmittelbaren Anwendung und zur Beachtung des Vorrangs der unionsrechtlichen Bestimmungen entsprochen worden sei.

13       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision (samt einem ergänzenden Schriftsatz) insoweit, als „das BFG die Vorsteuern aus Vorleistungen iZm unecht steuerbefreiten Umsätzen (hier: Verwaltung von Sondervermögen) der mitbeteiligten Partei an die SICAV (ausgenommen den streitgegenständlichen Vorleistungen der [T Ltd.] und der [Advisors Inc.])“ anerkannt habe. Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14       In der Amtsrevision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das Bundesfinanzgericht habe sich für die Bestimmung des Leistungsorts der von der Investment AG an die Management S.A. erbrachten Verwaltung von Sondervermögen unmittelbar auf das Unionsrecht (Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der 6. EG-RL) gestützt. Hinsichtlich der damit zusammenhängenden Vorsteuern habe das Bundesfinanzgericht jedoch das geltende innerstaatliche Recht (§ 12 Abs. 3 Z 3 UStG 1994) herangezogen und den Vorsteuerabzug gewährt (über einen diesbezüglichen Eventualantrag zur Kürzung habe das Bundesfinanzgericht auch nicht abgesprochen). Dies führe zu der „paradoxen Situation“, dass der Investment AG für einen (nach der 6. EG-RL) unecht steuerbefreiten Umsatz ein Vorsteuerabzug gewährt werde, obwohl dieser nach der 6. EG-RL nicht zustehe. Es fehle Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob sich ein Steuerpflichtiger (bloß partiell) hinsichtlich der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung ein und desselben Umsatzes für die Bestimmung des Leistungsorts auf günstigeres Unionsrecht und hinsichtlich des Vorsteuerabzugs bzw. der Steuerbefreiung dieses Umsatzes auf innerstaatliches (nicht unionsrechtskonformes) Recht berufen könne.

15       Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.

16       Das Bundesfinanzgericht hat im angefochtenen Erkenntnis die Ansicht vertreten, dass die von der Investment AG an die Management S.A. erbrachten Leistungen aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der 6. EG-RL nicht in Österreich steuerbar seien und die Umsatzsteuerbemessungsgrundlagen entsprechend gekürzt. Dies wird von der Amtsrevision auch nicht infrage gestellt. Eine Kürzung der mit diesen Umsätzen im Zusammenhang stehenden Vorsteuerbeträge hat das Bundesfinanzgericht - ohne nähere Begründung - nicht vorgenommen.

17       In der Amtsrevision wird gerügt, das Bundesfinanzgericht habe den Vorsteuerabzug zu Unrecht zugelassen, weil es für die Beurteilung, ob die Leistungen, wären sie im Inland steuerbar, steuerpflichtig oder unecht steuerbefreit wären, die nationale Rechtslage herangezogen habe, obwohl der Leistungsort unter Berufung auf das (für die mitbeteiligte Partei insoweit günstigere) Unionsrecht ermittelt worden sei.

18       Nach § 12 Abs. 3 Z 3 UStG 1994 ist die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, sowie für die Einfuhr von Gegenständen, vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen, soweit sie mit Umsätzen im Zusammenhang steht, die der Unternehmer im Ausland ausführt und die - wären sie steuerbar - steuerfrei wären. § 12 Abs. 3 Z 3 UStG 1994 entspricht Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-RL (nunmehr Art. 169 Buchst. a der MwStSystRL), wonach die Mitgliedstaaten einem Steuerpflichtigen den Vorsteuerabzug für Gegenstände und Dienstleistungen gewähren, die er für Zwecke seiner Umsätze verwendet, die sich aus den im Ausland ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeiten ergeben, für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn diese Umsätze im Inland bewirkt worden wären. Für die Frage des Vorsteuerabzugs ist daher sowohl nach innerstaatlichem als auch nach Unionsrecht maßgebend, ob die von der Investment AG an die Management S.A. erbrachten Leistungen steuerpflichtig oder unecht steuerbefreit wären, wenn der Leistungsort dafür im Inland gelegen wäre.

19       Das Bundesfinanzgericht hat als entscheidungswesentlichen Sachverhalt festgestellt, dass die Investment AG von der Management S.A. beauftragt worden sei, sie bei der Verwaltung des Fondsvermögens zu beraten. Die Tätigkeit der Investment AG habe die Beratung betreffend die Zusammensetzung des Fondsvermögens und seine Veränderungen, die Überwachung der Wertentwicklung sowie die Beratung hinsichtlich der Investmentstrategien, Investmentziele und Investmentpolitik der Fonds umfasst. Dabei sei die Investment AG berechtigt gewesen, Verfügungen über die Vermögenswerte zu treffen (Kauf und Verkauf von Wertpapieren, Ausübung von Bezugsrechten, Kauf und Verkauf von Devisen, sonstige Verfügungen über die Vermögenswerte), soweit die Fondsrichtlinien nichts anderes bestimmt hätten.

20       Ausgehend von diesen Feststellungen ist unter Zugrundelegung der Judikatur des EuGH davon auszugehen, dass es sich bei den Umsätzen der Investment AG nach den unionsrechtlichen Vorgaben um unecht steuerbefreite Umsätze handelt. Wie der EuGH im Urteil vom 7. März 2013, C-275/11, GfBk, ausgeführt hat, fallen auch die von einem außenstehenden Verwalter gegenüber einer Kapitalanlagegesellschaft erbrachten Anlageberatungsdienstleistungen unter die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-RL (nunmehr Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der MwStSystRL), wenn sie ein im Großen und Ganzen eigenständiges Ganzes bilden und für die Verwaltung von Sondervermögen durch Kapitalanlagegesellschaften spezifisch und wesentlich sind.

21       Da erst mit dem BBG 2007, BGBl. I Nr. 24/2007, „die Verwaltung von durch die anderen Mitgliedstaaten als solche definierten Sondervermögen“ in die Befreiungsbestimmung des § 6 Abs. 1 Z 8 lit. i UStG 1994 aufgenommen wurde und die Verfahrensparteien darin übereinstimmen, dass weder die Investment AG (noch die Management S.A.) im Streitzeitraum über eine Konzession für das Investmentgeschäft nach § 1 Abs. 1 Z 13 BWG verfügten, ist von der Steuerpflicht der Leistungen der österreichischen Investment AG für die luxemburgische Management S.A. nach innerstaatlichem Recht (bei Steuerbarkeit der Leistungen im Inland) auszugehen.

22       Damit ist (entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Meinung) die in der Amtsrevision aufgeworfene Frage, ob sich ein Steuerpflichtiger hinsichtlich der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung ein und desselben Umsatzes für die Bestimmung des Leistungsorts auf günstigeres Unionsrecht und hinsichtlich des Vorsteuerabzugs bzw. der Steuerpflichtigkeit dieses Umsatzes auf innerstaatliches (nicht unionsrechtskonformes) Recht berufen kann, entscheidungsrelevant.

23       Der EuGH hat schon im Urteil vom 19. Jänner 1982, Rs 8/81, Becker, auf den systematischen Zusammenhang zwischen der Abzugsfähigkeit von Vorsteuern und dem Bewirken steuerpflichtiger Umsätze hingewiesen. Durch die Inanspruchnahme einer (nicht ins nationale Recht umgesetzten) Steuerbefreiung unter Berufung auf unmittelbar anwendbares Unionsrecht verzichte der Steuerpflichtige zwangsläufig auf den (im nationalen Recht im Hinblick auf die Steuerpflicht vorgesehenen) Vorsteuerabzug (vgl. Rn. 44).

24       In den Urteilen vom 28. November 2013, C-319/12, MDDP, Rn. 45, und vom 26. Februar 2015, C-144/13, C-154/13 und C-160/13, VDP Dental Laboratory NV, Rn. 40, hat der EuGH analog dazu ausgesprochen, dass es Art. 168 der MwStSystRL (Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-RL) dem Steuerpflichtigen nicht erlaubt, sowohl von der im nationalen Recht vorgesehenen Befreiung Gebrauch zu machen als auch das (im Unionsrecht begründete) Vorsteuerabzugsrecht in Anspruch zu nehmen. Wie der EuGH festhält, ist es ein zentraler Grundsatz des Mehrwertsteuersystems, dass das Recht auf Abzug der für den Erwerb von Gegenständen und Dienstleistungen auf der Eingangsstufe entrichteten Mehrwertsteuer nur gegeben ist, wenn die hierfür getätigten Aufwendungen zu den Kostenelementen der auf der Ausgangsstufe besteuerten, zum Abzug berechtigenden Umsätze gehören (vgl. EuGH 28.11.2013, C-319/12, MDDP, Rn. 41).

25       Ausgehend von dieser Judikatur des EuGH ist der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise im Erkenntnis vom 27. September 2017, Ra 2015/15/0045, zum Ergebnis gelangt, dass ein Steuerpflichtiger nicht gestützt auf das nationale Recht die Nichtbesteuerung des Eigenverbrauchs in Anspruch nehmen kann, wenn er gleichzeitig sein Recht auf Vorsteuerabzug auf das Unionsrecht stützt, weil der Eigenverbrauch nach der nationalen Rechtslage zu Unrecht als nicht steuerpflichtig behandelt und aus diesem Grund der Vorsteuerabzug versagt werde (ein „Rosinenpicken“ aus beiden Rechtslagen ist nicht möglich, vgl. Zorn, RdW 2016/525).

26       Nichts anderes kann im Revisionsfall gelten. Stützt sich der Steuerpflichtige hinsichtlich der Nichtsteuerbarkeit seiner Umsätze auf das Unionsrecht, weil diese Umsätze bei Steuerbarkeit im Inland nach der nationalen Rechtslage steuerpflichtig wären, kann er sich nicht für die Beurteilung der Frage, ob ihm für dieselben Umsätze ein Vorsteuerabzug zusteht, auf das nationale Recht berufen, wenn diese Umsätze nach den Vorgaben der (im Streitfall noch anwendbaren) 6. EG-RL unecht steuerbefreit wären und ihm deshalb ein Vorsteuerabzug nach dem Unionsrecht nicht zusteht.

27       Da das Bundesfinanzgericht dies nicht berücksichtigt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 25. Juli 2018

Gerichtsentscheidung

EuGH 62011CJ0275 GfBk VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2015130011.L00

Im RIS seit

21.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten