TE Vwgh Erkenntnis 2000/1/18 99/18/0434

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Veröffentlicht am 18.01.2000
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

FrG 1997 §35 Abs2;
FrG 1997 §35 Abs3;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z3;
FrG 1997 §37;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
FrG 1997 §38 Abs1 Z4;
FrG 1997 §38 Abs2;
MRK Art8 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des R M, (geboren am 15. Juni 1976), vertreten durch Dr. Peter Philipp, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 17, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 20. Oktober 1999, Zl. SD 681/99, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 20. Oktober 1999 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Israel, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei mit seinem Vater von Israel kommend in Österreich eingereist und seit Mai 1988 als aus "Haifa, Israel zugezogen" in Wien polizeilich gemeldet. Seit Ende 1989 verfüge er über einen in dem im August dieses Jahres in Israel ausgestellten Reisepass eingetragenen Sichtvermerk. Ob der Beschwerdeführer, wie er behaupte, aber nicht belege, auch schon im Dezember 1987 in Österreich gewesen sei, sei auf Grund der Aktenlage nicht nachweisbar. Ob sein Vater im Jahr 1991 wegen illegalen Aufenthaltes des Beschwerdeführers bestraft worden sei, habe ungeachtet der Tatsache, dass dieser tatsächlich von April bis Dezember 1991 über keinen Sichtvermerk verfügt habe, für den angefochtenen Bescheid keine Bedeutung.

Die insgesamt sechs Verurteilungen, die der Beschwerdeführer in der Zeit zwischen 1991 und 1999 erlitten habe, nämlich wegen Nötigung, wegen schwerer Körperverletzung (§§ 83, 84 Abs. 2 Z. 2 StGB) und Diebstahls, sodann wegen schweren Diebstahls, gefährlicher Drohung und des Delikts nach § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz (Verurteilung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten) sowie schließlich wegen schweren Betrugs im Jahr 1996, sodann wegen schweren Einbruchsdiebstahls (Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren im Jahr 1998) sowie zuletzt eine Verurteilung gemäß § 37 Abs. 1 lit. a, § 38 Abs. 1 lit. a und § 46 Abs. 1 lit. a Finanzstrafgesetz zu einer Geldstrafe von S 500.000,-- und einer Wertersatzstrafe von über S 500.000,--, ließen keine Zweifel aufkommen, dass die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG in mehrfacher Hinsicht, aber auch des § 36 Abs. 2 Z. 3 FrG (rechtskräftige Bestrafung wegen vorsätzlich begangener Finanzstrafvergehen) vorlägen und dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG in besonderem Maß gefährde sowie dass daher - unter dem Vorbehalt der §§ 37 und 38 FrG - die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG gegeben seien. Der Beschwerdeführer trete dem auch gar nicht entgegen. Er vertrete vielmehr die Ansicht, dass bei ihm eine Aufenthaltsverfestigung gegeben sei, aber auch dass eine Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausfallen müsste.

Die Aufenthaltsverfestigung wäre auf Grund der Bestimmung des § 38 Abs. 2 bzw. § 35 Abs. 4 "AVG" (offensichtlich gemeint: FrG( gegeben, weil er jedenfalls langjährig im Bundesgebiet niedergelassen sei. Dieser Standpunkt des Beschwerdeführers beruhe allein, selbst wenn man davon absehe, dass er erst seit Mitte Mai 1988 im Bundesgebiet gemeldet gewesen sei, auf einer missverständlichen Auslegung der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen. Langjährig im Bundesgebiet niedergelassen zu sein - das sei dann der Fall, wenn ein Fremder die Hälfte seines Lebens im Bundesgebiet verbracht habe, jedenfalls aber zuletzt mindestens drei Jahre hier niedergelassen sei - stehe der Erlassung des Aufenthaltsverbotes noch nicht entgegen. Ein Aufenthaltsverbot dürfe gemäß § 38 Abs. 1 Z. 4 bzw. § 35 Abs. 4 leg. cit. (Aufenthaltsverfestigung) nur dann nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen sei. Abgesehen davon, dass der jetzt über 23-jährige Beschwerdeführer noch nicht zehn Jahre rechtmäßig niedergelassen sei, sei er auch nicht von klein auf im Bundesgebiet aufgewachsen. Dies wäre nur der Fall, wenn er seit seinem vierten Lebensjahr im Bundesgebiet gelebt hätte.

Was die Interessenabwägung anlange, so sei davon auszugehen, dass er mit seinen Eltern seit über zehn Jahren im Bundesgebiet lebe und seit fast zehn Jahren hier rechtmäßig niedergelassen sei. Es könne daher kein Zweifel bestehen, dass mit dem Aufenthaltsverbot ein schwer wiegender Eingriff in sein Privat- und Familienleben gegeben sei. Ebenso könne aber auch kein Zweifel bestehen, dass der Eingriff zum Schutz der Rechte anderer und zur Verhinderung strafbarer Handlungen dringend geboten und daher im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG zulässig sei. Was nun die Auswirkungen auf den Beschwerdeführer und die Lebenssituation seiner Familie anlange, so sei zunächst zu berücksichtigen, dass er längst großjährig sei. Der Beschwerdeführer, der sich derzeit seit Juli 1998 in Haft (nunmehr Strafhaft) befinde und zuvor im

20. Wiener Gemeindebezirk unangemeldet gewohnt habe, habe nunmehr eine tschechische Staatsangehörige geheiratet. Diese sei im Bundesgebiet nicht niedergelassen, habe zum Zeitpunkt der Eheschließung lediglich eine befristete Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Ausübung einer künstlerischen Tätigkeit im Bundesgebiet gehabt und sei nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Aus dieser Eheschließung sei jedenfalls kein entscheidender Aspekt zugunsten des Beschwerdeführers zu gewinnen. Die belangte Behörde habe sich auch unter Bedachtnahme auf diese Ehe nicht dazu entschließen können, im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens der Berufung Folge zu geben.

Das Aufenthaltsverbot sei zu Recht als unbefristet ausgesprochen worden, weil derzeit nicht abzusehen sei, ob und wann der Beschwerdeführer seine Einstellung zur österreichischen Rechtsordnung ändern werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In der Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht sei, unbekämpft. Gegen diese Beurteilung bestehen im Hinblick auf die unbestrittenen Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers, denen überdies zum Teil auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Straftaten zugrunde liegen, keine Bedenken. Dass die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers offensichtlich in Rechtskraft erwachsen sind, wird von der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen, zumal diese auch nicht die Feststellung bestreitet, dass sich der Beschwerdeführer seit Juli 1998 in Haft (nunmehr Strafhaft) befindet.

2. Die Beschwerde hält indes den angefochtenen Bescheid mit Blick auf § 38 Abs. 1 Z. 4 und § 37 FrG für rechtswidrig und bringt vor, dass der am 15. Juni 1976 geborene Beschwerdeführer bereits im Jahr 1987 gemeinsam mit seinem Vater nach Österreich gekommen sei und ein Dreivierteljahr später seine Mutter und seine Schwestern nachgekommen seien. Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (Zustellung an den Beschwerdeführer am 2. November 1999) habe dieser mehr als zehn Jahre und jedenfalls die Hälfte seines Lebens in Österreich verbracht gehabt. Selbst unter Zugrundelegung der Annahme der belangten Behörde, dass er erst 1989 einen Sichtvermerk erhalten habe, wäre ein zehnjähriger rechtmäßiger Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gegeben gewesen. Damit wäre auch die Voraussetzung des § 35 Abs. 4 zweiter Satz (offensichtlich gemeint: § 38 Abs. 2( FrG erfüllt, wonach Fremde jedenfalls langjährig im Bundesgebiet niedergelassen seien, wenn sie die Hälfte ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht hätten und zuletzt seit mindestens drei Jahren hier niedergelassen seien. Der Beschwerdeführer lebe mit seinen Eltern seit über zehn Jahren im Bundesgebiet und sei nach wie vor Gesellschafter der M. M. GmbH, sodass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch im Grunde des § 37 FrG unzulässig sei.

3. Mit diesem Vorbringen vermag die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

3.1. Selbst unter Zugrundelegung der Beschwerdebehauptung, dass der Beschwerdeführer bereits seit dem Jahr 1987 in Österreich lebe, sind die Voraussetzungen der hier in Betracht kommenden Bestimmung des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG, wonach ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden darf, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, schon deshalb nicht erfüllt, weil er danach frühestens im Alter von rund elf Jahren auf Dauer nach Österreich gekommen und somit nicht schon im Kleinkindalter hier sozial integriert war (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 7. Juli 1999, Zl. 99/18/0180, mwN).

3.2. Ebenso begegnet die Beurteilung der belangten Behörde im Grunde des § 37 FrG keinem Einwand. Diese hat - unter der zutreffenden Annahme eines mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriffs im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG - die Auffassung vertreten, dass diese Maßnahme (zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele) dringend geboten sei. Dieser Beurteilung ist beizupflichten, manifestieren sich doch in den vom Beschwerdeführer verübten zahlreichen Straftaten, derentwegen er gerichtlich verurteilt wurde, insbesondere in dem von ihm in einschlägiger Weise begangenen Verbrechen des schweren Diebstahls durch Einbruch, die von ihm ausgehende massive Gefahr für das Vermögen anderer und seine mangelnde Verbundenheit mit den in Österreich rechtlich geschützten Werten.

Im Lichte dieser Erwägungen erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 37 Abs. 2 FrG vorgenommenen Abwägung als unbedenklich. Nach den im angefochtenen Bescheid getroffenen, insoweit unbestrittenen Feststellungen lebt der Beschwerdeführer mit seinen Eltern seit über zehn Jahren im Bundesgebiet. Die aus diesem Sachverhalt und einer allfälligen Berufstätigkeit des Beschwerdeführers ableitbare Integration hat allerdings in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die von ihm begangenen zahlreichen Straftaten eine ganz erhebliche Minderung erfahren. Von daher gesehen hat die belangte Behörde zu Recht, auch unter Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten privaten und familiären Interessen und der beachtlichen Dauer seines Aufenthaltes in Österreich, der durch sein gravierendes Fehlverhalten bewirkten Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen und damit den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes kein geringeres Gewicht beigemessen als den Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine und seiner Familie Lebenssituation. Angesichts dieser Interessenlage muss der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers von ihm jedenfalls in Kauf genommen werden.

4. Schon im Hinblick auf das Ausmaß der über den Beschwerdeführer im Jahr 1998 wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren - diese wurde, wie auch die Beschwerde vorbringt, ohne Gewährung einer bedingten Strafnachsicht verhängt - und überdies den Umstand, dass diese Verurteilung sich auf eine auf derselben schädlichen Neigung beruhende Vorsatztat (§ 71 StGB) gründet, wie etwa die der Verurteilung des Beschwerdeführers im Jahr 1996 zugrunde liegende Straftat des schweren Betrugs, kann ihm auch nicht die Bestimmung des § 35 Abs. 3 FrG zugute kommen. Von daher gesehen - dies sei der Vollständigkeit halber hinzugefügt - kommt eine Beurteilung im Lichte des § 35 Abs. 2 FrG nicht mehr ins Blickfeld (vgl. etwa das vorzitierte Erkenntnis).

Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer ist auch nicht gemäß § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG unzulässig, weil ihm im Hinblick darauf, dass er nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid in den Jahren 1991 bis 1996 u.a. wegen schweren Diebstahls, gefährlicher Drohung und des Delikts nach § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden war sowie im Zeitpunkt der Begehung der dieser Verurteilung zugrunde liegenden Vorsatztaten (somit vor Verwirklichung des für das vorliegende Aufenthaltsverbot maßgeblichen Sachverhaltes (zur Auslegung dieses Gesetzesbegriffes vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 98/18/0170) - noch nicht zehn Jahre lang in Österreich gelebt hatte, die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 nicht hätte verliehen werden können.

5. Unter Zugrundelegung der vorstehenden Erwägungen ist der in der Beschwerde enthaltenen Verfahrensrüge, die belangte Behörde hätte sich mit dem Berufungsvorbringen, dass der Beschwerdeführer bis Ende 1989 im Reisepass seines Vaters miteingetragen gewesen sei, und mit den Reisepässen seiner Eltern auseinander setzen müssen, der Boden entzogen.

6. Schließlich bestand auch keine Veranlassung für die belangte Behörde, von ihrem Ermessen im Grunde des § 36 Abs. 1 FrG zugunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen, sind doch weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus der Beschwerde besondere Umstände ersichtlich, die für eine derartige Ermessensübung sprächen.

7. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 18. Jänner 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999180434.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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