Entscheidungsdatum
19.07.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W240 2185833-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde von XXXX , StA. Somalia gegen den des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.01.2018, Zl. 1148507502/170459299, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.06.2018 zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet
abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher somalischer Staatsangehöriger, stellte am 13.04.2017 in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 14.04.2017 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt wobei seine Identität auf XXXX , XXXX , richtiggestellt wurde. Er gab dabei an, den Entschluss zur Ausreise, nach seiner Heirat im Jahr 2016 gefasst zu haben. Er komme aus Somalia, XXXX und habe als Hilfsarbeiter gearbeitet. Sein Heimatland habe er verlassen, da sein Vater von der Al Shabaab getötet worden sei. Er sei von den Mitgliedern der Al Shabaab gefoltert, am Körper verbrannt und geschlagen worden. Davon habe er Narben am Kopf davongetragen. Er sei entführt und zwei Wochen lang angehalten und geschlagen worden. Die Al Shabaab habe gewollt, dass er für sie kämpfe.
Am 15.01.2018 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) statt, bei der er im Wesentlichen angab, vier Jahre lang die Grundschule besucht zu haben, muslimischer Sunnit zu sein und den Madhibaan, Subclan XXXX anzugehören. Er sei seit Jänner 2016 verheiratet, sein Vater habe die Braut ausgewählt, sei aber noch vor dem Hochzeitstag verstorben. Sein Onkel väterlicherseits habe die Rolle des Sheikh übernommen. Bei der Eheschließung sei seine Familie und die Familie seiner Frau anwesend gewesen. Konkret waren viele Leute von seiner Familie und von der Familie seiner Frau dabei. Er sei von seinem Onkel vertreten worden und seine Frau von ihren Cousins. Von seiner Familie sei seine jüngere Schwester, seine Mutter und sein Onkel dabei gewesen. Von der Familie seiner Frau seien lediglich zwei Onkel dabei gewesen. Der Trauzeuge sei der Cousin seiner Frau gewesen. Es habe einige Trauzeugen von seiner Seite und einige von ihrer Seite gegeben. Insgesamt seien es drei gewesen, sein Onkel und die Cousins seiner Frau. Sein Onkel sei gleichzeitig sein Trauzeuge und der Sheikh beziehungsweise Mullah gewesen. Bei der Eheschließung sei seine namentlich genannte Ehefrau neunzehn Jahre alt gewesen, er wisse nicht genau, wann sie geboren sei. Nach der Eheschließung hätten sie sofort zusammengewohnt. Seine Ehefrau habe drei Geschwister, zwei Brüder und eine Schwester und gehöre der Volksgruppe der XXXX an. Er selbst sei bei der Eheschließung dreiundzwanzig Jahre alt gewesen. Zuletzt habe er im Bezirk XXXX in Mogadischu gewohnt gemeinsam mit seiner Mutter, seinen fünf Geschwistern - drei Schwestern und zwei Brüder- und seiner Frau. Dort habe er von 2011 an gelebt bis zu seiner Ausreise im Dezember 2016. In XXXX habe es immer wieder Unruhen gegeben, weswegen sie nach XXXX geflüchtet, aber immer wieder nach XXXX zurückgekehrt seien. In XXXX hätte seine Familie ein Grundstück und ein Haus gehabt, sie seien aber von dort geflüchtet. Sein Vater habe gearbeitet, er habe das Geld verdient und seine Hochzeit organisiert. Er selbst habe in seinem Heimatland nie gearbeitet. Mit seiner Familie stehe er in Kontakt.
Aufgefordert, seine Beweggründe für das Verlassen seiner Heimat ausführlich darzulegen, erklärte der Beschwerdeführer, dass er in seiner Heimat Schwierigkeiten mit der Al Shabaab bekommen habe. Die Al Shabaab-Männer hätten gewollt, dass er gemeinsam mit ihnen arbeite. Er habe sich geweigert, da diese davor schon seinen Vater getötet hätten. Da er sich geweigert habe, hätten sie ihn mitgenommen und er sei zwei Wochen bei ihnen in einem kleinen Zimmer eingesperrt gewesen. Sie hätten ihn zusammengeschlagen und verletzt. Sie hätten ihn verbrannt, daher stamme auch die Narbe auf seiner Stirn und seinem Hinterkopf. Die Männer hätten ihm gesagt, dass er stur sei und sie ihn bestrafen werden. Als er gemerkt habe, dass er keine Chancen gegen diese Männer habe, habe er ihnen gesagt, dass er mit ihnen zusammenarbeiten werde. Als er wieder in die Stadt zurückgekehrt sei, habe er das Land verlassen.
Nachgefragt, wann er das erste Mal Schwierigkeiten mit der Al Shabaab gehabt habe, gab der Beschwerdeführer an, dass sein Vater am XXXX von den Al Shabaab getötet worden sei. Sein Vater habe als Schmied gearbeitet. Als dieser verstarb habe der Beschwerdeführer für die Familie sorgen müssen, die Al Shabaab sei dann auf ihn aufmerksam geworden und hätten ihn Ende November 2016 festgenommen. Sein Vater sei KFZ-Mechaniker und Schmied gewesen und die Al Shabaab habe gewollt, dass er ihre Autos repariere. Weil er das nicht gemacht habe, hätten sie ihm in den Kopf geschossen und er sei gestorben. Das erste Mal sei die Al Shabaab am XXXX .2016 an ihn herangetreten. Sie hätten Jugendliche zu ihm geschickt die ihm mitgeteilt hätten, dass die Al Shabaab mit ihm zusammenarbeiten möchte. Er habe darauf geantwortet, dass er nicht könne und sich um seine Familie kümmern müsse. Sie hätten ihm dann gesagt, dass er genauso wie sein Vater sehr stur sei und dass sie sich um ihn kümmern würden. Außerdem hätten sie ihn bedroht, ihn drei Stunden später abgeholt und ihn mitgenommen. Als er dort vierzehn Tage gewesen sei, habe er gemerkt gehabt, dass sie hartnäckig seien und es ihn sein Leben kosten könne. Deshalb habe er sich entschieden "ja" zu sagen.
Auf nähere Nachfrage, führte der Beschwerdeführer aus, dass sie ihn von zu Hause mitgenommen hätten. Drei Jugendliche, die genauso alt wie er selbst gewesen seien, seien um fünf Uhr nachmittags, mit Pistolen bewaffnet zu ihm heimgekommen. Er sei mit seiner Frau alleine zuhause gewesen. Sie seien zu Fuß in den Hof reingekommen, das Auto hätten sie draußen geparkt. Als er "nein" zu ihnen gesagt habe, hätten sie ihn bedroht. Auf diesem Grundstück hätten sie zwei Häuser gehabt und seine Frau habe sich zu diesem Zeitpunkt im anderen Haus aufgehalten. In einem der Häuser habe seine Mutter gelebt, in dem anderen er und seine Frau. Seine Frau habe sich in ihrem Haus aufgehalten und er sei hinaus zu den Männern gegangen. Das Gespräch habe nicht einmal drei Minuten gedauert. Sie hätten mit ihm geredete, er habe sie nicht ernst genommen, drei Stunden später seien sie maskiert zurückgekommen und hätten ihn festgenommen. Die Männer seien bewaffnet gewesen und hätten sehr ernst gewirkt. Er habe dann gefragt, ob sie das regeln könnten und was sie wollten. Sie hätten gesagt, er solle mitkommen und das habe er getan. Nachgefragt gab er an, dass die Männer in den Hof gekommen seien, geschrien hätten "wo ist er?" und seinen Namen gerufen hätten. Er sei dann hinausgegangen, habe keine Schuhe angehabt, sie hätten gesagt, dass er sofort mitkommen müsse und sie hätten ihm die Augen verbunden und ihn mitgenommen.
Nachgefragt, was "sehr ernst" bedeute, antwortete der Beschwerdeführer, dass ihm gesagt worden sei, dass er stur gewesen sei und deswegen mitkommen müsse.
Den Ort, zu dem sie ihn gebracht hätten, kenne er nicht, da sie ihm bereits zu Hause die Augen verbunden hätten. Erst als er im Zimmer gewesen sei, hätten sie ihm die Augenbinde abgenommen. Das Zimmer sei klein gewesen, ca. die Hälfte von dem Zimmer in dem sie jetzt sitzen würden. Der Weg dorthin habe etwa zwanzig Minuten gedauert. Sie seien zu Fuß zum Auto gegangen, danach mit diesem weitergefahren. Das Zimmer sei leer gewesen, es habe keine Gegenstände gegeben, er habe am Boden geschlafen. Der Boden sei aus Zement gewesen, die Wände gemauert. Das Zimmer habe ein Dach gehabt, keine Fenster und eine Tür. Wenn er die Toilette aufsuchen habe müssen, habe er an die Tür geklopft und sei dann von jemandem auf die Toilette im Hof gebracht worden. Das Gebäude sei so gebaut gewesen, dass er nicht nach außen sehen habe können, aber er habe die unfertigen Gebäude, sechs Zimmer, von draußen sehen können. Er glaube, dass es zwei oder drei Männer gewesen seien, die immer die Türe aufgemacht hätten. Mehr als drei Personen habe er nie wahrgenommen. Ob es immer dieselben gewesen seien, wisse er nicht, da sie maskiert gewesen seien. In diesem Zimmer sei er allein gewesen, andere Gefangene habe er nie persönlich gesehen, habe aber oft gehört, wie Personen geschrien hätten.
Aufgefordert den Tagesablauf konkret zu schildern, erklärte der Beschwerdeführer, dass er keinen Ablauf gehabt habe. Er habe den ganzen Tag im Zimmer gesessen und habe nur auf die Toilette gehen dürfen. Am Abend habe er zwei Stück Toastbrot bekommen, tagsüber habe es nichts gegeben. Getrunken habe er Saft. Gebetet habe er nicht. Geredet habe niemand mit ihm, ihm sei langweilig gewesen und er habe Angst gehabt. Vierzehn Tage lang habe niemand mit ihm gesprochen, die Männer die dort gewesen seien, seien Wachmänner gewesen. Als sie zu ihm gekommen seien, hätten sie ihm gesagt: "Du wolltest nicht das machen, was wir wollten." Er habe darauf geantwortet: "Ich mache, was ihr wollt, bitte lasst mich frei."
Seine Familie habe schon gedacht, dass er gestorben sei. Er habe ihnen gesagt, dass er zu seiner Familie gehen wolle, um ihnen zu sagen, dass er nicht tot sei und er sich von zu Hause bei ihnen melden werde um weiter mit ihnen zusammen zu arbeiten. Er sei dann nach Hause gekommen und habe seine Mutter darüber informiert, was alles passiert sei. Er habe zu Hause kein Telefon gehabt. Er habe seiner Mutter gesagt, dass er sofort von zu Hause weggehen müsse, sonst bekäme er große Schwierigkeiten mit der Al Shabaab. Die Al Shabaab habe ihn mit einem Auto bis nach Hause gebracht und gesagt, dass sie sich bei ihm melden würden. Er sei nach seiner Freilassung noch zwei Tage in seinem Heimatland aufhältig gewesen und sei dann gleich weggegangen. Warum die Al Shabaab ihn erst im November 2016 kontaktiert habe, wisse er nicht.
Vorgehalten, dass sein Vorbringen zur Rekrutierung in Mogadishu den Informationen der Staatendokumentation zur Lage in Mogadishu widerspreche, erklärte der Beschwerdeführer, dass er gerne heute zurückgehen würde, wenn es Sicherheit in Mogadishu gebe.
Darauf hingewiesen, dass seine Festnahme in Anbetracht der Lage und der Existenz der AMISON Truppen in Mogadishu keinesfalls glaubhaft sei, gab der Beschwerdeführer an, dass der erste Kontakt gegen 17:00 Uhr gewesen sei, dann seien sie wieder drei Stunden später gekommen, um 20:00 Uhr, da sei es schon dunkel gewesen. Die Al Shabaab Männer seien bekannt dafür, dass sie in der Nacht unterwegs seien und die Leute dann mitnehmen würden. Unter Tags würden sie sich unter die Leute mischen und würden sich wie jeder andere anziehen. Er wisse, dass die Al Shabaab schon seit 2007 im Land sei, aber jeder würde zu einer anderen Zeit drankommen. Er glaube, am Anfang hätten sie nur seinen Vater beobachtet und als dieser dann gestorben sei, sei er drangekommen.
Sein Vater sei Schmied gewesen. Er habe den Beruf nicht gelernt, deswegen habe er den Beruf nicht weiterführen können. Seine Mutter habe eine kleine Landwirtschaft und Tiere, wie Ziegen und Hühner gehabt. Er habe die Hühner auf dem Markt verkauft. Er habe Samstag bis Donnerstag gearbeitet, aufgrund des Freitagsgebetes sei Freitag Ruhetag gewesen. Befragt, wie viel Hühner er pro Tag zum Verkauf zur Verfügung gehabt habe, antwortete der Beschwerdeführer, dass man vom Großhändler zehn Stück billiger bekommen habe. Wenn er gemerkt habe, dass er mehr brauche, habe er mehr gekauft. Er habe am Anfang die Hühner seiner Mutter verkauft, damit er Geld habe um mehr Hühner zu kaufen und dann diese wiederverkaufen könne. Mit dem Verkauf habe er im Juli 2015 begonnen und habe diese Tätigkeit gemacht bis er von der Al Shabaab festgenommen worden sei. Das Geld für seine Ausreise sei das Ersparte gewesen, was er immer zur Seite gelegt habe. Auf Nachfrage gab er an, dass auch ein Angehöriger der Madhibaan in der Lage bis zu 1.000 USD zu sparen, wenn dieser arbeite und etwas übrigbleibe.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.01.2018
Zl. 1148507502/170459299, wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchteil II. jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und unter Spruchteil III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.01.2019 erteilt.
In der Begründung des Bescheides wurde der bisherige Verfahrensgang einschließlich der oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und Feststellungen zu Somalia getroffen. In der Beweiswürdigung wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass seinem Fluchtvorbringen kein Glauben geschenkt werde, da nicht nachvollziehbar sei, warum die Al Shabaab beim Tod des Vaters des Beschwerdeführers auf diesen aufmerksam geworden sein soll, erst eineinhalb Jahre später mit dem Beschwerdeführer in Kontakt getreten sei. Vor allem, da der Beschwerdeführer den Beruf seines Vaters nie erlernt habe. Ebenso wenig sei allerdings glaubhaft, dass die Al Shabaab überhaupt je an den Beschwerdeführer herangetreten sei um ihn zu rekrutieren, zumal der Beschwerdeführer vom Alter her nicht dem "Beuteschema" der Al Shabaab entspreche. Des Weiteren würden die Zeitangaben nicht übereinstimmen, da der Beschwerdeführer einerseits angegeben habe am 15.11.2106 den ersten Kontakt mit den Mitgliedern der Terrormiliz gehabt zu haben und andererseits angab, dass er Ende November von den Männern mitgenommen worden sei. Auch dass der Beschwerdeführer im Zuge der Erstbefragung angegeben habe, den Entschluss zur Ausreise bereits nach seiner Heirat im Jänner 2016 gefasst zu haben, passe nicht zu seinen zeitlichen Angaben. Nicht nachvollziehbar sei zudem, warum die Mitglieder der Al Shabaab in den beiden Wochen, in denen sie den Beschwerdeführer festgehalten hätten, kein einziges Mal versucht hätten ihn zu einer Zusammenarbeit zu überreden.
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Vertretung fristgerecht Beschwerde hinsichtlich des abweisenden Spruchteils I. Dem Beschwerdeführer würde im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Verfolgung durch die Al Shabaab drohen, da ihm eine politische Gesinnung unterstellt werde, die gegen ihre radikalen Rechtspraktiken gerichtet sei und er gezielt ins Visier der Gruppe geraten sei. Der Beschwerdeführer gehöre dem Clan der Madhibaan an, sei Sunnit und lebe in Mogadishu. Er sei zwei Wochen lang festgehalten und erst freigelassen worden, als er sich zur weiteren Mitarbeit bereit erklärt habe. Da sich der Beschwerdeführer durch seine Ausreise einer Mitarbeit und Unterstützung der Al Shabaab widersetzt habe, befürchte der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr die Unterstellung einer oppositionellen, gegen die Interessen der Gruppierung gerichteten Gesinnung. Aufgrund dieser (unterstellten) politischen Einstellung habe der Beschwerdeführer das reale Risiko einer hinreichend intensiven Verfolgung in Somalia durch die Al Shabaab zu erwarten, wogegen er vom somalischen Staat keinen effektiven Schutz erwarten könne.
Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für den 14.06.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung an, in der der Beschwerdeführer, vertreten durch eine Vertreterin des Vereins Menschenrechte Österreich, einvernommen wurde.
Ergänzend zu den bereits übermittelten Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat wurde dem Beschwerdevorbringen entsprechend folgende Dokumente zur Kenntnis gebracht:
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Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Somalia, 12.01.2018 (letzte Kurzinformation vom 03.05.2018)
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Focus Somalia, Clans und Minderheiten, 21.05.2017
Am Ende der Einvernahme wurde dem Beschwerdeführervertreter die Möglichkeit eingeräumt Fragen zu stellen und eine Stellungnahme abzugeben. Die ausgewiesene Vertreterin führte insbesondere aus, dass die Länderberichte ausführlich seien und die aktuelle Sicherheitslage in Somalia darstellen würden. Die Tatsache wie Al Shabaab arbeite sei genauso vollständig geschildert und es gebe auch zu diesem Sachverhalt kein neues Vorbringen. Aus den Berichten sei auch zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer einem Minderheitenclan angehöre und keinen Schutz und keine Rechte habe. Bezüglich des Alters führte die Vertreterin aus, dass in den Länderberichten oft von Kinderrekrutierungen zu lesen sei. Es sei jedoch nicht auszuschließen, dass auch ältere Personen rekrutiert werden könnten und führte die Vertreterin aus, dass der Beschwerdeführer auch jünger wirke.
Die wiederholte Frage der Vertreterin, ob während der Folter über den Vater des Beschwerdeführers Angaben durch die Al Shabaab getätigt wurden, verneinte er.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Somalias, gehört dem Clan der Madhibaan, XXXX an, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 13.04.2017 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer ist seit Jänner 2016 traditionell verheiratet. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers einem anderen Clan angehört als der Beschwerdeführer. Daher kann auch nicht festgestellt werden, dass er aufgrund seiner bzw. der Clanzughörigkeit seiner Ehefrau individuell, konkret verfolgt oder bedroht wurde.
Der Beschwerdeführer, ein sunnitischer Moslem, ist in XXXX , geboren und lebte dort bis er achtzehn Jahre alt war. Von 2010 bis zu seiner Ausreise im Jahr 2016 lebte er, gemeinsam mit seinen fünf Geschwistern - drei Schwestern und zwei Brüder-, seiner Mutter und seiner Ehefrau im Bezirk XXXX in Mogadischu, wo diese noch heute leben. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt mit seiner Ehefrau und Mutter.
Der Vater des Beschwerdeführers ist am XXXX .2015 verstorben. Es kann nicht festgestellt werden, dass er von der Al Shabaab getötet wurde.
Der Beschwerdeführer hat bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr die Koranschule besucht und bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr die Grundschule. In seinem Herkunftsland hat er mit Hühnern gehandelt.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von Mitgliedern der Al Shabaab aufgefordert worden ist für diese zu arbeiten und/oder von diesen konkret und individuell mit der Ausübung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht worden ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Somalia Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Al Shabaab droht.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer verneint jegliche aktuellen gesundheitlichen oder psychischen Probleme.
Zu Somalia wird Folgendes verfahrensbezogen festgestellt:
2. Politische Lage
Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).
Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).
Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).
Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).
Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).
Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).
Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)
Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).
Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).
Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.
Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).
Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).
Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).
1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Im Jahr 2013 kam es zu einem Abkommen zwischen der Bundesregierung und Delegierten von Jubaland über die Bildung des Bundesstaates Jubaland. Im gleichen Jahr wurde Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 3.3.2017). Der JIA ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017).
2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Nach einer Gründungskonferenz im Jahr 2014 formierte sich im Dezember 2015 das Parlament des Bundesstaates South West State. Dieses wählte Sharif Hassan Sheikh Adam zum Übergangspräsidenten (USDOS 3.3.2017). Insgesamt befindet sich der SWS immer noch im Aufbau, die Regierungsstrukturen sind schwach, Ministerien bestehen nur auf dem Papier. Es gibt kaum Beamte, und in der Politik kommt es zu Streitigkeiten. Die Region Bakool ist besser an den SWS angebunden, als dies bei Lower Shabelle der Fall ist. Die Beziehungen von Lower Shabelle zur Bundesregierung und zum SWS sind kompliziert, der SWS hat dort kaum Mitsprache (BFA 8.2017).
3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): Bei der Bildung des Bundesstaates HirShabelle wurde längere Zeit über gestritten. Beide Regionen (Hiiraan und Middle Shabelle) haben erklärt, dass sie genügend Einwohner hätten, um jeweils einen eigenen Bundesstaat gründen zu können. Trotzdem wurden die Regionen fusioniert (BFA 8.2017). Im Jänner 2016 fand eine Konferenz zur Bildung eines Bundesstaates aus Hiiraan und Middle Shabelle statt. In der Folge wurde im Oktober 2016 der Bundesstaat Hirshabelle eingerichtet: Ein Parlament wurde zusammengestellt und ein Präsident - Ali Abdullahi Osoble - gewählt. Anführer der Hawadle haben eine Teilnahme verweigert (USDOS 3.3.2017). Das Kabinett wurde Mitte März 2017 vom Parlament bestätigt (BFA 8.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Der Großteil der Regierung von HirShabelle befindet sich in Mogadischu. Die Bildung des Bundesstaates scheint alte Clan-Konflikte neu angeheizt zu haben, die Hawadle fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).
4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): 2015 wurde eine Regionalversammlung gebildet und Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten. Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 3.3.2017). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016). Am 25.2.2017 trat der Präsident von Galmudug, Abdikarim Hussein Guled, zurück (UNSC 9.5.2017). Am 3.5.2017 wurde Ahmed Duale Geele "Xaaf" vom Regionalparlament von Galmudug zum neuen Präsidenten gewählt (UNSC 5.9.2017). Auch der neue Präsident hat noch keine Lösung mit der ASWJ herbeigeführt (UNSOM 13.9.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017
-
BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017
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DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 24.11.2017
-
EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 21.12.2017
-
EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017
-
NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):
Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018
-
ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
-
SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,
https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017
-
UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017
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UNNS - UN News Service (13.9.2017): Somalia facing complex immediate and long-term challenges, UN Security Council told, http://www.refworld.org/docid/59bfc8b34.html, Zugriff 11.11.2017
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UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017
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UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017
-
UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (13.9.2017):
SRSG Keating Briefing to the Security Council, https://unsom.unmissions.org/srsg-keating-briefing-security-council-1, Zugriff 11.11.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
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WB - World Bank (18.7.2017): Somalia Economic Update, http://documents.worldbank.org/curated/en/552691501679650925/Somalia-economic-update-mobilizing-domestic-revenue-to-rebuild-Somalia, Zugriff 20.11.2017
2.1. Puntland
Der so genannte Puntland State of Somalia hat sich 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Er strebt keine Unabhängigkeit von Somalia an. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden (AA 1.1.2017; vgl. BS 2016). Die staatlichen Organe in Puntland sind insgesamt weniger fragil als die zentralstaatlichen (AA 1.1.2017). Dabei konnte Puntland die Verwaltungskapazitäten weiter ausbauen. Gleichzeitig ist Puntland auf Bundesebene ein wichtiger Akteur. Grundlegende staatliche Dienste (z.B. Infrastruktur, Behörden) sind in Puntland gegeben. Das Verwaltungssystem ist aber urban konzentriert und reicht nicht bis in entlegene Gebiete (BS 2016).
Im Jänner 2014 kam es zum dritten Mal zu einem friedlichen Machtwechsel an der Spitze von Puntland. Allerdings fand dieser Machtwechsel nicht auf der Grundlage einer allgemeinen Wahl statt (AA 1.1.2017). Zwar war eine solche geplant, doch wurde die Wahl aufgrund gewaltsamer Proteste abgesagt. Gewählt wurde Präsident Abdiweli Mohamed Ali "Gaas" im Prinzip von Ältesten (BS 2016). Das Parlament, das den Präsidenten wählte, war unter Einbeziehung traditioneller Strukturen mit Clan-Bezug von einem durch den vorherigen Präsidenten eingesetzten Auswahlausschuss ernannt worden (AA 1.1.2017). Dabei folgte die Wahl von Präsident Gaas dem Rotationsprinzip der drei Hauptclans von Puntland (BS 2016).
Obwohl das Parlament schon im Jahr 2012 eine Verfassung beschlossen hat, die ein Mehrparteiensystem vorsieht (USDOS 3.3.2017), hat Puntland noch keine wirklich demokratischen Strukturen geschaffen. Präsident und Parlament werden durch den Beschluss von Ältesten entschieden (BS 2016).
Politische Auseinandersetzungen werden in der Regel zwar nicht gewaltsam ausgetragen, aber die Sicherheitslage ist im Umfeld der Wahlen sehr angespannt. Staatliche Sicherheitskräfte agieren mit Sondervollmachten (AA 1.1.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
3. Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).
Hinsichtlich der Lesbarkeit untenstehender Karte sind die folgenden Kommentare zu berücksichtigen:
Eine vollständige und inhaltlich umfassende Darstellung kann nicht gewährleistet werden; die
Gebietsgrenzen sind relativ, jedoch annähernd (z.B. Problematik der unterschiedlichen Einflusslage bei Tag und Nacht; der Fluktuation entlang relevanter Nachschubwege). Um die Karten übersichtlich zu gestalten, wurde eine Kategorisierung der auf somalischem Boden operierenden (Konflikt-)Parteien vorgenommen (BFA 8.2017):
a) Alle auf irgendeine Art und Weise mit der somalischen Regierung verbundenen und gleichzeitig gegen al Shabaab gestellten Kräfte wurden als "anti-al-Shabaab Forces" zusammengefasst. Diese Kategorie umfasst neben Bundeskräften (SNA) auch Kräfte der Bundesstaaten (etwa Jubaland, Galmudug, Puntland) sowie AMISOM und bi-lateral eingesetzte Truppen (und damit de facto auch die Liyu Police).
b) Die ASWJ wurde nicht in diese Kategorie aufgenommen, da sie zwar gegen al Shabaab kämpft, die Verbindung zur Bundesregierung aber momentan unklar ist.
c) Einige Clans verfügen über relative Eigenständigkeit, die auch mit Milizen abgesichert ist. Dies betrifft in erster Linie die Warsangeli (Sanaag), Teile der Dulbahante (Sool) und die Macawusleey genannte Miliz in Hiiraan. Keine dieser Milizen ist mit Somaliland, einem somalischen Bundesstaat, mit der somalischen Bundesregierung oder al Shabaab verbunden; sie agieren eigenständig, verfügen aber nur über eingeschränkte Ressourcen.
Operational Areas
d) Operationsgebiete, in welchen die markierten Parteien über relevanten Einfluss verfügen (einfarbig): Dort können die Parteien auf maßgebliche Mittel (Bewaffnung, Truppenstärke, Finanzierung, Struktur, Administration u.a.) zurückgreifen, um auch längerfristig Einfluss zu gewährleisten. Es sind dies die Republik Somaliland;
Puntland; teilweise auch Galmudug; AMISOM in Tandem mit der somalischen Regierung bzw. mit Bundesstaaten; äthiopische Kräfte im Grenzbereich; al Shabaab; Ahlu Sunna Wal Jama'a in Zentralsomalia;
e) Einige Gebiete (schraffiert) - vorwiegend in Süd-/Zentralsomalia - unterliegen dabei dem Einfluss von zwei dermaßen relevanten Parteien.
f) Alle in der Karte eingetragenen Städte und Orte wurden einer der o. g. Parteien zugeordnet. Sie gelten als nicht schraffiert, die Kommentare unter 4.1.2 sind zu berücksichtigen. Soweit bekannt wurden den Städten AMISOM-Stützpunkte oder Garnisonen bi-lateral eingesetzter Truppen zugeordnet. In den Städten ohne eine derartige Präsenz gibt es eine SNA-Präsenz, oder aber Sicherheitskräfte der einzelnen Bundesstaaten; oder Somalilands.
g) Operationsgebiete, in welchen kleinere Parteien über eingeschränkten Einfluss verfügen (strichliert): Dort sind neben den o. g. relevanten Parteien noch weitere Parteien mit eingeschränkter Ressourcenlage aktiv. Ihr Einfluss in diesen Operationsgebieten ist von wechselnder Relevanz und hängt von den jeweiligen verfügbaren Ressourcen und deren Einsatz ab (BFA 8.2017).
Al Shabaab (AS)
Ziel der al Shabaab ist es, die somalische Regierung und ihre Alliierten aus Somalia zu vertreiben und in Groß-Somalia ein islamisches Regime zu installieren. Außerdem verfolgt al Shabaab auch eine Agenda des globalen Dschihads und griff im Ausland Ziele an (EASO 2.2016). Je höher der militärische Druck auf al Shabaab anwächst, je weniger Gebiete sie effektiv kontrollieren, desto mehr verlegt sich die Gruppe auf asymmetrische Kriegsführung (Entführungen, Anschläge, Checkpoints) und auf Drohungen. Al Shabaab wird bei der Anwendung dieser Taktik immer besser und stärker. Dabei ist auch die al Shabaab in ihrer Entscheidungsfindung nicht völlig frei. Die Gruppe unterliegt durch die zahlreichen Verbindungen z.B. zu lokalen Clan-Ältesten auch gewissen Einschränkungen (BFA 8.2017).
Seit 2011 wurden die militärischen Kapazitäten der al Shabaab durch AMISOM und somalische Kräfte sowie durch innere Streitigkeiten beachtlich dezimiert (UKHO 7.2017). Die al Shabaab stellt aber weiterhin eine potente Bedrohung dar (UNSC 9.5.2017). Die Stärke der al Shabaab wird im Schnitt mit ungefähr 7.000 Mann beziffert (BFA 8.2017; vgl. LI 20.12.2017). Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen AMISOM manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt die al Shabaab mit dem Amniyad über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk (BFA 8.2017). Die Gruppe hat sich bei Rückschlägen in der Vergangenheit als resilient und anpassungsfähig erwiesen. Der innere Kern blieb allzeit geeint, auch wenn es bei al Shabaab zu Streitigkeiten und Fraktionierung gekommen ist. Die taktische Entwicklung der Gruppe; ihre wachsenden Fähigkeiten; und die Ausführung komplexer Angriffe auf städtische und ländliche Ziele hat dies jedenfalls bewiesen (UNSC 9.5.2017). In der Vergangenheit hat die Gruppe auch eine konventionell-militärische Bedrohung dargestellt, etwa beim Angriff auf einen kenianischen Stützpunkt bei Kulbiyow im Jänner 2017. Beim Überrennen von AMISOM-Stützpunkten ist al Shabaab auch an schwere Waffen gelangt (SEMG 8.11.2017).
Die Regionalhauptstadt Buale (Middle Juba) sowie die Bezirkshauptstädte Saakow, Jilib (Middle Juba), Jamaame (Lower Juba), Sablaale, Kurtunwaarey (Lower Shabelle), Diinsoor (Bay), Tayeeglow (Bakool), Ceel Buur, Ceel Dheere (Galgaduud) befinden sich unter Kontrolle der al Shabaab. Alle anderen Regional- und Bezirkshauptstädte werden von anti-al-Shabaab-Truppen gehalten. Viele der Städte sind gleichzeitig auch Garnisonsstädte der AMISOM (BFA 8.2017). Eine andere Quelle nennt ebenfalls die o.g. Städte als unter Kontrolle der al Shabaab befindlich, fügt aber die Stadt Xaradheere (Mudug) hinzu und zieht Diinsoor ab (LI 20.12.2017).
In ihrem Gebiet hält al Shabaab vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen (LI 20.12.2017). Die Gruppe verfügt nicht nur über Kämpfer und Agenten, sie kann auch auf Sympathisanten zurückgreifen (NLMBZ 11.2017). Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia damit unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuschlagen zu können (BFA 8.2017). Die al Shabaab übt über das Jubatal Kontrolle aus und kann sich auch in vielen anderen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen (USDOS 3.3.2017). Al Shabaab beherrscht weiterhin große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia, v.a. in Bay, Gedo, Lower Shabelle und Middle Juba (AI 22.2.2017; vgl. BFA 8.2017). Auch rund um Städte in Süd-/Zentralsomalia, die von nationalen oder regionalen Sicherheitskräften und/oder AMISOM gehalten werden (SEMG 8.11.2017), kontrolliert al Shabaab den ländlichen Raum und wichtige Versorgungsstraßen (SEMG 8.11.2017; vgl. UKHO 7.2017). Dadurch gelingt es der Gruppe, große Teile der Bevölkerung von einer Versorgung abzuschneiden (SEMG 8.11.2017).
Die al Shabaab übt auch über manche Orte, die eigentlich der Jurisdiktion der Regierung angehören, ein Maß an Kontrolle aus:
Humanitäre Organisationen und Empfänger humanitärer Hilfe werden besteuert oder in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt (SEMG 8.11.2017). Es gelingt der al Shabaab selbst nominell sichere Teile Mogadischus zu infiltrieren (BFA 8.2017). Außerdem verfügt die Gruppe in vielen Teilen Somalias über Verbindungen in alle Gesellschaftsebenen und -Bereiche (SEMG 8.11.2017). Generell variiert die Präsenz der al Shabaab konstant (BFA 8.2017).
Völkerrechtlich kommen der al Shabaab als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 1.1.2017). Staatlicher Schutz ist in der Gebieten der al Shabaab nicht verfügbar (UKHO 7.2017).
Die Fähigkeit der al Shabaab, in den von ihr beherrschten Gebieten eine effektive Verwaltung zu betreiben, ist ungebrochen. Zusätzlich verfügt die Gruppe über Kapazitäten, um in neu eroberten Gebieten unmittelbar Verwaltungen zu installieren (BFA 8.2017). Die Gebiete der al Shabaab werden als relativ sicher beschrieben. Dort herrscht Frieden und eine Absenz an Clan-Konflikten (UNSOM 18.9.2017). In den von ihr kontrollierten Gebieten verfügt die al Shabaab über effektive Verwaltungsstrukturen, eine Art von Rechtsstaatlichkeit und eine effektive Polizei. Die Verwaltung der al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BFA 8.2017).
Die al Shabaab finanziert sich über unterschiedliche Steuern. Allein aus Abgaben auf den (illegalen) Holzkohlehandel lukriert die Gruppe pro Jahr - nach konservativen Schätzungen - 10 Millionen US-Dollar.
Auch von anderen Wirtschaftstreibenden werden Steuern eingehoben: In Mogadischu reicht die Spannweite von zehn US-Dollar monatlich für einfache Markthändler bis zu 70.000 US-Dollar für große Firmen. Im ländlichen Raum werden auch Viehmärkte besteuert. Außerdem verlangt al Shabaab entlang von Hauptverbindungsstraßen Gebühren und hebt den Zakat ein (SEMG 8.11.2017). Die Zahlung der Abgaben erfolgt in der Form von Geld, Tieren, landwirtschaftlichen Produkten oder anderen Werten. Die Höhe der Besteuerung hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen (LI 20.12.2017).
Einerseits zwingt al Shabaab mancherorts Kinder zum Besuch der eigenen Madrassen; andererseits konnte z.B. in einem ländlichen Ort in Middle Juba eine neue Schule eröffnet werden, die sogar Englisch im Lehrplan hat. Dafür musste die Gemeinde aber eine Sonderabgabe leisten (SEMG 8.11.2017).
Die Menschen auf dem Gebiet der al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen. Während dies zwar einerseits zur Stärkung der Sicherheit beiträgt (weniger Kriminalität und Gewalt durch Clan-Milizen) (BS 2016), versucht al Shabaab alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens der Menschen zu kontrollieren (BS 2016; vgl. DIS 9.2015). Alle Bewohner der Gebiete von al Shabaab müssen strenge Vorschriften befolgen, z. B. Kleidung, Eheschließung, Steuerzahlung, Teilnahme an militärischen Operationen, Rasieren, Spionieren, Bildung etc. (DIS 9.2015). Mit den damit verbundenen harten Bestrafungen wurde ein g