TE Lvwg Erkenntnis 2018/3/20 VGW-103/048/11611/2017, VGW-103/V/048/11717/2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.03.2018
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Entscheidungsdatum

20.03.2018

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
E3L E02100000
E3L E05100000
E3L E19100000

Norm

PassG 1992 §7
PassG 1992 §14 Abs1
PassG 1992 §15 Abs1
FPG §114
32004L0038 Unionsbürger-RL Art. 4 Abs3
32004L0038 Unionsbürger-RL Art. 27 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Frank über die Beschwerde des Herrn C. B., vertreten durch Rechtsanwalt GmbH, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wien, Magistratsabteilung 62, vom 1.8.2017, Zl. ..., mit welchem 1.) der Antrag vom 22.5.2017 auf Ausstellung eines österreichischen Reisepasses abgewiesen und die Ausstellung versagt wurde, 2.) der österreichische Reisepass Nr. ... entzogen wird, 3.) die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde und 4.) der österreichische Reisepass Nr. ... binnen einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung des og Bescheides bei der Passbehörde oder beim Zentralen Passservice der Stadt Wien abzugeben ist, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.03.2018 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

In der Beschwerde vom 17.8.2017 wird im Wesentlichen ausgeführt, es wäre ausreichend Zeit für die Innehabung eines Personaldokumentes seit der Straftat verstrichen und lägen persönlichen Gründe vor, die bei rechtmäßiger Abwägung zu einer anderslautenden Entscheidung der Behörde führen hätten müssen.

Das Verwaltungsgericht hielt am 20.3.2018 eine Verhandlung ab, in der der Beschwerdeführer (kurz BF) Folgendes angab:

„[…]Der Vertreter des Beschwerdeführers gibt Folgendes zu Protokoll:

Mein Mandant hat seit mehreren Jahren keine Straftat begangen. Die letzte im Bescheid vorgehaltene Straftat wurde am 27.2.2015 begangen. Mein Mandant hat geheiratet, ist sesshaft geworden. Er geht einer regelmäßigen Beschäftigung bei einem Taxiunternehmen nach und hat alle dafür nötigen Prüfungen bestanden. Vorgelegt wird eine Bestätigung des Taxiunternehmens (Beilage ./A zum Protokoll). Das Zeugnis über die bestandene Prüfung wird als Beilage ./B zum Akt genommen. Das Fehlen eines gültigen Reisepasses stellt einen erheblichen Nachteil dar. Der Arbeitgeber hat um die Vorlage einer Lichtbildkopie eines gültigen Reisepasses gefragt und konnte dies nicht gemacht werden. Für die Ausstellung eines Reisepasses wartet der Magistrat der Stadt Wien, nach meiner Auskunft, auf den Ausgang dieses Verfahrens.

Mein Mandant hat eine positive Zukunftsprognose und wird dieser seinen Reisepass nicht zum Nachteil der Republik verwenden.

Der Beschwerdeführer gibt als Partei einvernommen Folgendes zu Protokoll:

Es ist mir eine große Last, was ich in den 3 Jahren durchgemacht habe. Meine Familie ist in der Türkei und kann ich ohne Reisepass nicht dorthin reisen. Ich will nur an meine Zukunft denken und habe nächsten Monat Hochzeit. Die Zivilehe ist schon abgeschlossen. Meine Gattin ist hier geboren, österr. Staatsbürgerin und lebt auch hier (/Beilage C). Wir können nicht einmal nach der Hochzeit auf Flitterwochen fliegen, sodass meine Gattin darunter leidet […]“.

Nachdem das Verwaltungsgericht zur öffentlichen mündlichen Verhandlung den aktuellen Verfahrensstand zum strafrechtlichen Verfahren der bundesdeutschen Behörden beigeschafft hatte, erging im Anschluss das öffentlich verkündete Erkenntnis.

Das Verwaltungsgericht hat erwogen und zunächst folgende Feststellungen getroffen:

Der BF wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts Passau vom 23.04.2015, rechtskräftig seit 08.05.2015, …, wegen des Einschleusens von Ausländern gemäß §§ 96 Abs, 1 Nr. 1 b), 95 Abs. 1 Nr. 3, 14 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 (deutsches) Aufenthaltsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

Am 27.02.2015 hatte der BF fünf türkische Staatsangehörige dabei unterstützt, in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einzureisen, indem er diese mit dem von ihm geführten und eigens zu diesem Zweck angemieteten PKW österreichisches Kennzeichen W-4, aus Österreich kommend über die ehemalige Grenzübergangsstelle Suben auf der Bundesautobahn A3 in das (deutsche) Bundesgebiet verbrachte. Gegen 15:30 Uhr desselben Tages wurden er als Führer des genannten Fahrzeugs auf der Bundesautobahn A3 in Fahrtrichtung Regensburg auf Höhe des Parkplatzes Rottal-Ost einer polizeilichen Kontrolle unterzogen.

Die türkischen Staatsangehörigen unterlagen den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes. Den erforderlichen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik Deutschland besaßen die betroffenen Personen, wie diese wussten, nicht. Die betroffenen Personen wussten zudem, dass sie vollziehbar ausreisepflichtig waren, ihnen eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen war und ihre Abschiebung nicht ausgesetzt wurde. Überdies hatten die betroffenen Personen keinen gültigen Pass oder Ausweisersatz, was diese ebenfalls wussten. Diese Umstände waren bei Durchführung der Fahrt auch dem BF bekannt.

Nach den von den deutschen Behörden vorgelegten Unterlagen beging der BF die Straftat am 27.02.2015. Nach seiner Festnahme am 27.02.2015 befand er sich 55 Tage in Untersuchungshaft, bis 23.04.2015.

Der seit der Haftentlassung verstrichene Zeitraum von zirka drei Jahren in Freiheit reicht nicht aus, um erkennen zu können, dass der BF nicht rückfällig wird und neuerlich eine Straftat unter Zuhilfenahme eines österreichischen Reisedokuments verüben könnte.

Überdies wurde mit Schreiben vom 24.07.2017 von der Staatsanwaltschaft Passau mitgeteilt, dass die zunächst bewilligte Aussetzung der Vollstreckung im deutschen Strafverfahren mit Beschluss vom 08.02.2016 widerrufen wurde. Der BF befindet sich aktuell nur deshalb nicht in Strafhaft in Deutschland, weil er in Wien aufhältig ist.

Unterstreichend für diese Gefährlichkeitsprognose ist auch, dass der BF in seinem österreichischen Strafregister zwei weitere, wenn auch nicht passrelevante Verurteilungen, aufweist und somit schon mehrfach mit der österreichischen Rechtsordnung in Konflikt geraten ist. Aufgrund einer dieser Verurteilungen wurde er sogar 16 Monate inhaftiert. Das mit einer Strafhaft verbundene Übel konnte ihn offensichtlich nicht davon abhalten, die österreichischen und ausländischen Rechtsvorschriften wiederholt zu ignorieren. Diese von ihm ausgehende kriminelle Energie richtete sich in der Folge auf ein fremdenrechtliches Vergehen, dass für dieses Verfahren relevant ist.

Das Verwaltungsgericht Wien gelangt damit im Rahmen seiner Beweiswürdigung zur Ansicht, dass der BF, zumindest in einem Fall im Jahr 2015, zu verantworten hat, fünf türkische Staatsangehörige, unter Verwendung eines österreichischen Reispasses in die Europäische Union, nämlich in das Bundesgebiet der Republik Deutschland eingeschleust zu haben. Dabei kam es zu seiner Festnahme. Die Tat ist hinreichend dokumentiert. Die Rechtfertigungsversuche des BF sind nicht glaubhaft.

Der BF stammt aus der Türkei und ist österreichischer Staatsbürger. Er lebt mit seiner Gattin in Österreich. Der BF arbeitet als Kraftfahrer. Ein großer Teil seiner Verwandtschaft lebt bis heute in der Türkei.

Die vorliegende Entscheidung gründet auf folgenden Bestimmungen des Passgesetzes:

„§ 7. Reisepässe werden auf Antrag oder, wenn der Reisepass für einen Auslandsaufenthalt zur Besorgung von Angelegenheiten des Bundes, der Länder oder sonstiger öffentlich-rechtlicher Körperschaften benötigt wird, von Amts wegen ausgestellt. Das gleiche gilt für die Erweiterung des Geltungsbereiches und die Änderung von Reisepässen.

§ 11. (1) Gewöhnliche Reisepässe sind mit einer Gültigkeitsdauer von zehn Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der vollständigen Erfassung der Daten durch die Behörde, auszustellen, es sei denn, dass 1. der Passwerber die Ausstellung eines Reisepasses für eine kürzere Gültigkeitsdauer beantragt.

§ 13. (1) Gewöhnliche Reisepässe, Dienstpässe und Diplomatenpässe sind mit einem Geltungsbereich für alle Staaten der Welt auszustellen, es sei denn, dass 1. der Passwerber die Ausstellung eines Reisepasses mit eingeschränktem Geltungs-bereich beantragt.

§ 14. (1) Die Ausstellung, die Erweiterung des Geltungsbereiches und die Änderung eines Reisepasses sind zu versagen, wenn 3. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Passwerber den Reisepass benützen will, um c) die rechtswidrige Ein- oder Durchreise eines Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen Nachbarstaat Österreichs zu fördern.

§ 15. (1) Ein Reisepass, dessen Gültigkeitsdauer nicht länger als fünf Jahre abgelaufen ist, ist zu entziehen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die die Versagung der Ausstellung des Reisepasses rechtfertigen.

Rechtlich folgt daraus:

Die Behörde hat als Versagungsgrund (zu Spruchpunkt 1 des Bescheids) bzw. als Entziehungsgrund (Spruchpunkt 2 des Bescheids) jeweils § 14 Abs. 1 Z 3 lit. c Passgesetz herangezogen.

Nach dieser Bestimmung müssen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Passwerber bzw. Passbesitzer (hier der BF) den Reisepass bzw. den Personalausweis (vgl. § 19 Abs. 2 Passgesetz) benützen will, um die rechtswidrige Ein- oder Durchreise eines Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen Nachbarstaat Österreichs zu fördern.

Im ersten Schritt ist daher zu prüfen, ob relevante Tatsachen im Sinne des § 14 Abs. 3 lit. c Passgesetz vorliegen. Im zweiten Schritt ist im Rahmen einer Prognose zu beurteilen, ob der BF seine Reisedokumente künftig qualifiziert rechtswidrig (im Sinne des § 14 Abs. 1 Z 3 lit. c Passgesetz) verwenden will.

Bei der Beurteilung des Vorliegens des Entziehungsgrundes kommt es darauf an, ob Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Passinhaber den Reisepass verwenden will, um eine, gegen Einreise- oder Ausreisebestimmungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder eines österreichischen Nachbarstaates verstoßende, daher rechtswidrige Einreise oder Durchreise zu fördern. Für diese Prüfung kommt gemäß § 46 AVG, der nach § 17 VwGVG im verwaltungsgerichtlichem Verfahren sinngemäß anzuwenden ist, nach dem Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Dem Gericht ist nicht verwehrt, aus dem - vom BF nicht bestrittenen - Umstand seiner (rechtskräftigen) Verurteilung, wie auch seinem diesen Strafverfahren zugrunde liegenden Verhalten auf die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung seiner Taten zu schließen (in diesem Sinne VwGH vom 15.12.2005, 2002/18/0224).

In dem Strafverfahren (in der Bundesrepublik Deutschland) wurde der BF der Beihilfe zur unrechtmäßigen Einreise in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union bezichtigt. Der BF – so die dem Gerichtsurteil zu Grunde liegenden Einvernahmen – hat hierbei einen österreichischen Reisepass verwendet. Obwohl der BF schon in Österreich Haftübel verspüren musste, hat der BF zu Beginn 2015 neuerlich gegen ein durch das Strafrecht bewehrtes Rechtsgut verstoßen und eine unrechtmäßige Einreise in die EU gefördert (laut Gerichtsfeststellungen hat der BF sich bereit erklärt zuletzt fünf türkische Staatsbürger mit einem Kraftfahrzeug von Österreich illegal in das Bundesgebiet der BRD einzuschleusen).

Es liegen daher „Tatsachen“ im Sinne des § 14 Abs. 3 lit. c Passgesetz vor. Eine inhaltsgleiche Verpönung im Sinne einer wortwörtlichen Tatbestandsmäßigkeit verlangt das österreichische Passrecht nicht.

Aufgrund des Umstandes, dass der BF kein ausreichendes Unrechtbewusstsein zeigt – er vermeint eine geplante Hochzeitsreise und Heimaturlaub in der Türkei bei seinen Verwandten, Freunden und verschwägerten Personen sei hinreichend um doch endlich wieder unbeschränkte Reisefreiheit zu erhalten – und neuerlich als Lenker ins Ausland fahren möchte, was für weitere Schleusungen ein bevorzugtes Umfeld darstellt. So darf begründet davon ausgegangen werden, dass der BF auch künftig seinen Reisepass dazu verwenden will, die rechtswidrige Ein- oder Durchreise eines Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der EU oder in einen Nachbarstaat Österreichs zu fördern.

Der Zeitraum seit der Haftentlassung des BF im April 2015 ist viel zu kurz, um daraus Schlüsse über ein andauerndes Wohlverhalten zu ziehen. Nach ständiger Rechtsprechung bedarf es einer Wohlverhaltensdauer – je nach Sachverhalt und Tat – von mindestens drei bis fünf Jahren (vereinzelt auch länger). Im vorliegenden Fall aufgrund mangelnder Einsicht und nachhaltiger Rechtsuntreue wohl länger.

Bei der Beurteilung des Falles sind auch europarechtliche Vorgaben zu beachten:

Gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (in der Folge: „Unionsbürger-Richtlinie“) stellen die Mitgliedstaaten ihren Staatsangehörigen gemäß ihren Rechtsvorschriften einen Personalausweis oder einen Reisepass aus, der ihre Staatsangehörigkeit angibt, und verlängern diese Dokumente. Art. 4 Abs. 4 dieser Richtlinie sieht vor, dass der Reisepass zumindest für alle Mitgliedstaaten und die unmittelbar zwischen den Mitgliedstaaten liegenden Durchreiseländer gelten muss. Sehen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats keinen Personalausweis vor, so ist der Reisepass mit einer Gültigkeit von mindestens fünf Jahre auszustellen oder zu verlängern.

Unter wiederholter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Rs Gaydarov, C-430/10, vom 17. November 2011 hielt der Verwaltungsgerichtshof im Zuge des Erkenntnis vom 6. September 2012, 2009/18/ 0168, ausdrücklich fest, dass die Entscheidung eines Mitgliedstaates – wie hier vorliegend – seinem eigenen Staatsbürger die Ausreise zu verbieten, eine Angelegenheit darstelle, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, konkret der Richtlinie 2004/38/EG sowie Art. 20 und Art. 21 AEUV falle. Allerdings habe der EuGH darauf hingewiesen, dass das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit nicht uneingeschränkt bestünde, sondern den im Vertrag und in den Bestimmungen zu seiner Durchführung vorgesehenen Beschränkungen unterworfen werden dürfe. In Zusammenhang mit der Zulässigkeit solcher Beschränkungen wurde in diesem Erkenntnis explizit auf die Bestimmung des Art. 27 Abs. 1 der Unionsbürger-Richtlinie Bezug genommen, wonach die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit der Unionsbürger oder ihrer Familienangehörigen nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken dürften. Der EuGH habe aber bereits klargestellt, dass der Begriff der öffentlichen Ordnung jedenfalls voraussetze, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstelle, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegen müsse, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre (Randnr. 33 Urteil C-430/10). Die Ausnahmen vom freien Personenverkehr, auf die sich ein Mitgliedstaat berufen könne, implizierten in diesem Rahmen, wie Art. 27 Abs. 2 der Unionsbürger-Richtlinie zu entnehmen sei, insbesondere, dass Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nur gerechtfertigt wären, wenn für sie ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sei, während vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen nicht zulässig wären. Strafrechtliche Verurteilungen allein könnten eine die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit beschränkende Maßnahme nicht ohne weiteres begründen (Randnr. 34 Urteil C-430/10). Der EuGH habe in seinem Urteil vom 17.11.2011 aber auch klargestellt, dass die beschränkende Maßnahme geeignet sein müsse, die Erreichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie nicht über das hinausgehen dürfe, was zur Erreichung des Zieles erforderlich sei. In den Ausführungen in Randnr. 40 dieses Urteils präzisiere der EuGH dies dahingehend, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden müsse.

Auch nach den Vorgaben des Europarechts kann daher eine Verweigerung der Ausstellung eines Reisedokuments und damit naturgemäß einhergehend eine Beschränkung der Freizügigkeit dahingehend, dass es dem BF unmöglich gemacht wird, sich ins Ausland zu begeben und sich dort aufzuhalten, zulässig sein, sofern berechtigter Grund zu der Annahme besteht, dass von ihm aufgrund seines bisher gezeigten persönlichen Verhaltens eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zu befürchten ist und diese Maßnahme im Einzelfall auch dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entspricht.

Aufgrund des in der Vergangenheit vom BF wiederholt (siehe die einzelnen Strafverfahren gegen den BF) gezeigten hohen Ausmaßes an krimineller Energie, liegen mehrfach Anhaltspunkte dafür vor, dass er künftig seinen Reisepass dazu benützen will, um entgegen den bestehenden Vorschriften die rechtswidrige Ein- oder Durchreise eines Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der EU oder in einen Nachbarstaat Österreichs zu fördern.

Der Schutz der Außengrenzen und die Verhinderung der unrechtmäßigen Einreise in die Europäische Union stellen eine Grundvoraussetzungen für einen gemeinsamen Binnenmarkt ohne Binnengrenzen („Schengenraum“) dar. Eine geordnete Zuwanderung stellt eine friedens- und ordnungssichernde Maßnahme dar, die für den sozialen Frieden in der EU von maßgeblicher Bedeutung ist. Unrechtmäßige Einreise bzw. deren Förderung stellen Handlungen mit hohem Unrechtsgehalt dar. Es besteht ein berechtigtes Interesse der in der EU rechtmäßig lebenden Menschen, unrechtmäßige Einreisen zu verhindern. Ein (wiederholter) Verstoß gegen diese Vorschriften stellt eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Der Entzug bzw. die Versagung eines Reisedokuments ist ein legitimes und taugliches Mittel, um solch eine Gefahr abzuwenden bzw. zu verringern. Die Entscheidung ist europarechtlich geboten.

Dem berechtigten öffentlichen Interesse an der Verhinderung von unrechtmäßiger Einreise und der Verhinderung von Straftaten, wie Schlepperei, stellt der BF familiäre und private Interessen entgegen. Konkret wird vorgebracht, dass eine Hochzeitsreise geplant wäre und weitere Teile seiner Familie in der Türkei leben. Zudem bestehe wohl auch das Interesse des BF auf seiner Arbeitsstelle als Kraftfahrer Grenzen queren zu dürfen.

Wenn auch die persönliche bzw. familiäre Bedeutsamkeit der Besuchsmöglichkeit der Verwandten im Lichte des Art. 8 EMRK nicht übersehbar ist, überwiegt das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten und legalen Zugang zum Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und an der Vermeidung von gerichtlich strafbaren Handlungen. Das vom BF zu erwartende Interesse als Berufskraftfahrer Grenzen zu kreuzen würde es dem BF erleichtern bzw. sogar erst ermöglichen, weitere gleichartige Straftaten zu begehen. Die öffentlichen Interessen überwiegen die privaten. Eine Hochzeitsreise oder Heimaturlaub in der Türkei können diese Interessen auch nicht aufwiegen.

Gelangt die Behörde zur Ansicht, dass eine aktuelle Wiederholungsgefahr zur neuerlichen Delinquenz besteht, muss sie denklogisch die aufschiebende Wirkung ausschließen, weil anderenfalls der Sicherungsgedanke nicht erreicht werden kann. Private oder familiäre Interessen treten diesfalls in den Hintergrund.

Aus den genannten Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden und die Entscheidung der belangten Behörde in allen Spruchpunkten zu bestätigen.

Zur Revisionsentscheidung:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die (ordentliche) Revision zulässig, wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, insbesondere weil das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wird.

Ein Vergleich der Regelungen zum Ablehnungsmodell gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG aF mit dem Revisionsmodell nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zeigt, dass diese Bestimmungen nahezu ident sind. Zur Auslegung des Begriffs „Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung“ kann auf die bisherige Judikatur des VwGH zum Ablehnungsrecht nach Art. 131 Abs. 3 B-VG aF zurückgegriffen werden (in diesem Sinne Thienel, Neuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, 74).

Nach der Rechtsprechung des VwGH zu Art. 131 Abs. 3 B-VG aF liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dann vor, wenn die Entscheidung der Sache im Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen, auf zusätzliche Argumente gestützte Rechtsprechung liegt. Das ist dann der Fall, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, die auch für eine Reihe anderer gleichgelagerter Fälle von Bedeutung ist und diese durch die Rechtsprechung des VwGH bisher nicht abschließend geklärt worden ist. Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage des materiellen oder formellen Rechts handeln (vgl. Paar, ZfV, 892)

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor, wenn die Rechtsfrage klar aus dem Gesetz lösbar ist (vgl. Köhler, ecolex 2013, 596, mit weiteren Nachweisen; Nedwed, Die Zulässigkeit der Revision an den Verwaltungsgerichtshof, ÖJZ 2014/153 S 1042; vgl. auch VwGH 28.5.2014, Ro 2014/07/0053).

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt auch dann nicht vor, wenn die Klärung dieser Rechtsfrage keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat (vgl. Thienel, aaO, 73f; Nedwed, Die Zulässigkeit der Revision an den Verwaltungsgerichtshof, ÖJZ 2014/153 S 1041; vgl. auch VwGH 1.9.2014, Ro 2014/03/0074).

Da im gegenständlichen Fall eine solche Rechtsfrage nicht vorliegt, war die (ordentliche) Revision nicht zuzulassen.

Schlagworte

Reisedokument; Reisepass, Antrag auf Ausstellung, Entzug des; Zukunftsprognose; Fehlverhalten; Versagungsgrund; Entziehungsgrund; Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit; einschleusen; Schlepperei; unrechtmäßige Einreise, Beihilfe zur

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.103.048.11611.2017

Zuletzt aktualisiert am

01.08.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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