TE Vwgh Erkenntnis 2018/7/10 Ra 2018/01/0094

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Veröffentlicht am 10.07.2018
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

AVG §39 Abs2
AVG §45 Abs2
AVG §46
B-VG Art133
B-VG Art133 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
StbG 1985 §27 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schweinzer, über die Revision der Wiener Landesregierung gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 13. Dezember 2017, Zlen. VGW-151/071/12816/2016-16, VGW-151/071/12817/2016-16, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Parteien: 1. A U und 2. V U, beide in I, beide vertreten durch MMag. Salih Sunar, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Salurnerstraße 14/1. Stock), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Vorgeschichte

1        Mit Bescheiden vom 19. August 2016 stellte die Wiener Landesregierung (Behörde) jeweils gemäß § 39 und § 42 Abs. 3 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) fest, dass der Erstmitbeteiligte bzw. die Zweitmitbeteiligte die österreichische Staatsbürgerschaft durch den (Wieder)Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit am 3. Jänner 1987 verloren habe und somit nicht österreichischer Staatsbürger bzw. Staatsbürgerin sei. Als Rechtsgrundlage führte die Behörde § 27 Abs. 1 StbG an.

2        Begründend führte die Behörde im Wesentlichen gleichlautend aus, der Erstmitbeteiligte bzw. die Zweitmitbeteiligte hätten die österreichische Staatsbürgerschaft am 30. Dezember 1983 gemeinsam durch Verleihung erworben (die Zweitmitbeteiligte durch Erstreckung der Verleihung an den Erstmitbeteiligten, ihren Ehemann).

3        Im Zuge der Beantragung eines österreichischen Reisepasses hätten die Mitbeteiligten (beim österreichischen Generalkonsulat in I) einen (am 28. März 2016) ausgestellten Auszug aus dem türkischen Personenstandregister vorgelegt. Diesem Dokument sei zu entnehmen, dass den Mitbeteiligten mit Beschluss des (türkischen) Ministerrats, „Zl. 08.05.1985/9465“, die Entlassung aus dem türkischen Staatsverband bewilligt worden sei. Der Auszug aus dem Personenstandsregister enthalte ferner die Eintragung, dass die Mitbeteiligten mit Beschluss des (türkischen) Ministerrats vom 3. Jänner 1987, Zl. 11377, gemäß Art. 8 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 wieder eingebürgert worden seien. Schließlich finde sich die Eintragung, dass die Mitbeteiligten mit Urkunde vom 29. Juni 2006 neuerlich aus dem türkischen Staatsverband entlassen worden seien.

4        Der Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung bedürfe eines Antrages des Erwerbenden (Verweis auf Art. 10 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 vom 11. Februar 1964). Daher müsse davon ausgegangen werden, dass die Mitbeteiligten die türkische Staatsangehörigkeit auf Grund ihres Antrages wieder erworben hätten. Die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft sei ihnen nicht bewilligt worden.

5        Die Mitbeteiligten hätten geltend gemacht, sie hätten erst mit ihrem Umzug in die Türkei im Jahr 2006 vom Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit erfahren und die türkische Staatsangehörigkeit sogleich wieder zurückgelegt. Die türkische Staatsangehörigkeit hätten sie weder auf Grund eines Antrages noch auf Grund einer Erklärung oder einer ausdrücklichen Zustimmung wieder erworben.

6        Diesem Vorbringen sei entgegenzuhalten, dass das türkische Staatsangehörigkeitsrecht den Staatsangehörigkeitserwerb ohne Willenserklärung des Erwerbenden nicht zulasse, weshalb eine solche auch im konkreten Fall vorgelegen sein müsse. Der Behörde sei aus ähnlich gelagerten Fällen bekannt, dass die türkischen Behörden personenbezogene Auskünfte über den Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit grundsätzlich nicht erteilten, und zwar selbst dann nicht, wenn die betroffene Person eine Vollmacht zur Einholung derartiger Auskünfte erteilt habe. Die Mitbeteiligten könnten daher den Nachweis, dass sie den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit - entgegen den Vorgaben des türkischen Gesetzes - nicht beantragt hätten, nur selbst erbringen. Da sie dies nicht vermocht hätten, müsse die Behörde weiterhin davon ausgehen, dass die Mitbeteiligten die türkische Staatsangehörigkeit auf Grund ihrer Willenserklärung (wieder) erworben hätten und § 27 Abs. 1 StbG verwirklicht worden sei.

7        Entgegen dem Vorbringen der Mitbeteiligten sei die Gesetzesstelle, auf Grund derer der Wiedererwerb verfügt worden sei (Art. 8 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403), im Personenstandsregisterauszug angeführt. Diese Bestimmung habe den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nach zuvor erfolgter Entlassung zum Inhalt.

8        Der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit habe nach § 27 Abs. 1 StbG zum Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft geführt. Dass die Mitbeteiligten im Jahr 2006 neuerlich aus dem türkischen Staatsverband entlassen worden seien, könne daran nichts ändern.

9        Auch die Ausstellung eines (österreichischen) Reisepasses (durch das österreichische Generalkonsulat in I) im Jahr 2006 ändere am Staatsbürgerschaftsverlust nichts, weil nur Feststellungsbescheiden gemäß § 42 StbG eine Bindungswirkung zukomme.

10       Gegen diese Bescheide erhoben die Mitbeteiligten Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht).

Angefochtenes Erkenntnis

11       Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom 13. Dezember 2017 wurde den Beschwerden der Mitbeteiligten gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG stattgegeben und die angefochtenen Bescheide behoben (I.). Eine ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt (II.).

12       Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, dem Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister vom 28. März 2016 sei (nach Übersetzung) für beide Mitbeteiligte (unter anderem) zu entnehmen:

„ ‚STAATSANGEHÖRIGKEIT (00 00 1985) GEMASS DEM TÜRKISCHEN STAATSBURGERSCHAFTSGESETZ MIT DER NUMMER 403 ARTIKEL 20 UND LAUT BESCHLUSS DES MINISTERRATES MIT DER NUMMER 08. 05. 1985/9465 WURDE DER PERSON STATTGEGEBEN VON DER TÜRKISCHEN STAATSANGEHÖRIGKEIT AUSZUSCHEIDEN‘

‚STAATSANGEHÖRIGKEIT (00. 00. 1987): GEMASS DEM TÜRKISCHEN STAATSBURGERSCHAFTSGESETZ MIT DER NUMMER 403 ARTIKEL 8 UND BESCHLUSS DES MINISTERRATES VOM 03. 01. 1987 MIT DER NUMMER 11377 EINGEBÜRGERT GLEICHZEITIG ÖSTERREICHISCHER STAATSANGEHÖRIGER‘

‚STAATSANGEHÖRIGKEIT (29. 06. 2006) GEMASS DEM TÜRKISCHEN STAATSBURGERSCHAFTSGESETZ MIT DER NUMMER 403 ARTIKEL 20 UND LAUT BESCHLUSS DES INNENMINISTERIUMS VOM 15. 06. 2006 MIT DER NUMMER 2006/27 WURDE DER PERSON STATTGEGEBEN VON DER TÜRKISCHEN STAATSANGEHÖRIGKEIT AUSZUSCHEIDEN HAT DIE ÖSTERREICHISCHE STAATSANGEHÖRIGKEIT ERWORBEN. ER (SIE) IST NACH DEM ER (SIE) SEINE (IHRE) AUSBÜRGERUNGSURKUNDE AM 29. 06. 2006 ERHALTEN HAT NICHT MEHR TÜRKISCHER STAATSBÜRGER‘ “

13       Der Beschluss des (türkischen) Ministerrates „mit der Nummer 08.05.1985/9465“ sei im Amtsblatt der Republik Türkei veröffentlicht worden. In diesem Beschluss seien die Namen der Mitbeteiligten zu finden. Auch der Beschluss „mit der Nummer 03.01.1987/11377“ sei im Amtsblatt der Republik Türkei veröffentlich worden. In diesem Beschluss seien die Namen der Mitbeteiligten jedoch nicht zu finden.

14       Nach Wiedergabe der Art. 8, 10, 20, 21, 22 und 23 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 vom 11. Februar 1964 in der Fassung vor dem Staatsangehörigkeitsgesetz Nr. 5901 vom 29. Mai 2009 (Verweis auf: Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht mit Staatsangehörigkeitsrecht, Länderabschnitt Türkei, 2 bis 5) führte das Verwaltungsgericht in seinen Erwägungen aus, es sei „nach gründlichem Studium der Verfahrensakten“ und Einvernahme der Mitbeteiligten in der mündlichen Verhandlung zu nachstehender Überzeugung gelangt:

15       Nach Antragstellung auf das Ausscheiden aus dem türkischen Staatsverband hätten sich weder die Mitbeteiligten noch die Behörde um die Frage gekümmert, ob die Mitbeteiligten tatsächlich aus dem türkischen Staatsverband ausgeschieden seien. Für das Verwaltungsgericht sei die Aussage der Mitbeteiligten dahingehend, dass ihnen nach der Antragstellung im Jahre 1983 seitens der türkischen Behörden keine Entlassungsurkunde ausgehändigt worden sei, glaubwürdig und nachvollziehbar, zumal aus der ersten Eintragung im Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister vom 28. März 2016 ersichtlich sei, dass den Mitbeteiligten mit Beschluss des Ministerrates „Nr. 08.05.1985/9465“ nur die Erlaubnis erteilt worden sei, aus dem türkischen Staatsverband im Sinne des Art. 22 Abs. 2 (Erlaubnisurkunde) auszuscheiden.

16       Dass den Mitbeteiligten in der Folge eine Entlassungsurkunde ausgehändigt worden sei und sie somit gemäß Art. 23 Abs. 1 die türkische Staatsbürgerschaft verloren hätten, sei dem (türkischen) Personenstandsregister nicht zu entnehmen. Vielmehr sei anzunehmen, dass den Mitbeteiligten auf Grund ihres Antrages auf Ausscheiden aus dem türkischen Staatsverband im Jahre 1983 niemals eine Entlassungsurkunde ausgehändigt worden sei und sie daher jedenfalls bis zur Aushändigung einer Entlassungsurkunde am 29. Juni 2006 ununterbrochen im Besitz der türkischen Staatsbürgerschaft gewesen seien.

17       Unklar bleibe die Frage, wie die Eintragung im Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister vom 28. März 2016 entstanden sei, wonach die Mitbeteiligten mit Beschluss des Ministerrates „Nr. 03.01.1987/11377“ gemäß Art. 8 wieder eingebürgert worden seien.

18       Diese Frage habe seitens des Verwaltungsgerichtes nicht geklärt werden können. Sie sei aber auch nicht entscheidungsrelevant, wenn man davon ausgehe, dass die Mitbeteiligten erst ab der Aushändigung der Entlassungsurkunde am 29. Juni 2006 die türkische Staatsbürgerschaft verloren hätten. Selbst dann, wenn die Mitbeteiligten bis zu diesem Zeitpunkt einen Antrag auf „Wiedereinbürgerung“ gestellt hätten, könne dieser Antrag nicht zum Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft führen, zumal die Mitbeteiligten bereits türkische Staatsbürger gewesen seien und nicht eine „fremde Staatsbürgerschaft“ im Sinne des § 27 Abs. 1 StbG erwerben haben können.

19       Die angefochtenen Bescheide seien daher zu beheben gewesen.

20       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 7 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.

21       Die Mitbeteiligten erstatteten eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Kostenersatz.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zulässigkeit

22       Die Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beweiswürdigung von türkischen Personenstandsregisterauszügen in Feststellungsverfahren nach § 27 Abs. 1 StbG abgewichen, da es der Eintragung über die Wiedereinbürgerung gemäß Art. 8 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 in der vorliegenden Rechtssache ausdrücklich keine Bedeutung zugemessen habe.

23       Aus der Tatsache, dass im ersten Eintrag im Personenstandsregisterauszug vom 28. März 2016 die Ausstellung der Ausbürgerungsurkunde nicht verzeichnet sei, ziehe das Verwaltungsgericht den Schluss, dass die Mitbeteiligten nicht vor dem 29. Juni 2006 (mit Ausfolgung der Ausbürgerungsurkunde nach der zweiten Genehmigung zum Ausscheiden aus dem türkischen Staatsverband) die türkische Staatsbürgerschaft verloren hätten. Bei dieser Schlussfolgerung habe das Verwaltungsgericht die Eintragungen über den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit mit Ministerratsbeschluss vom 3. Jänner 1987 völlig außer Acht gelassen. Diesen Eintragungen komme aber nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erheblicher Beweiswert zu.

24       Auch aus der erneuten Genehmigung zum Ausscheiden aus der Türkei vom 15. Juni 2006 und der Ausstellung von Ausbürgerungsurkunden ergebe sich, dass die Mitbeteiligten am 3. Jänner 1987 wieder eingebürgert worden seien, da gemäß § 22 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 die türkischen Behörden keine Genehmigung zum Ausscheiden ausstellen dürften.

25       Offenkundig liege dem angefochtenen Erkenntnis zu Grunde, dass die Einträge im Personenstandsregisterauszug über die Wiedereinbürgerung in die Türkei (gemeint im Jahre 1987) fehlerhaft seien. Warum diese Einträge unrichtig sein sollten, werde aber vom Verwaltungsgericht nicht einmal ansatzweise begründet.

26       Die Revision ist zulässig.

Rechtslage und Rechtsprechung

27       Gemäß § 27 Abs. 1 StbG verliert die Staatsbürgerschaft, wer auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden ist.

28       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Bestimmung des § 27 Abs. 1 StbG voraus, dass der Staatsbürger eine auf den Erwerb der fremden Staatsbürgerschaft gerichtete „positive Willenserklärung“ abgibt und die fremde Staatsbürgerschaft infolge dieser Willenserklärung tatsächlich erlangt. Da das Gesetz verschiedene Arten von Willenserklärungen („Antrag“, „Erklärung“, „ausdrückliche Zustimmung“) anführt, bewirkt jede Willenserklärung, die auf Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit gerichtet ist, im Falle deren Erwerbs den Verlust der (österreichischen) Staatsbürgerschaft. Auf eine förmliche Verleihung der fremden Staatsangehörigkeit kommt es nicht an (vgl. VwGH 22.3.2018, Ra 2018/01/0045, Rn. 16, mwN).

In Bezug auf ausländisches Recht gilt der Grundsatz „iura novit curia“ nicht, sodass dieses in einem - grundsätzlich amtswegigen - Ermittlungsverfahren festzustellen ist, wobei aber auch hier die Mitwirkung der Beteiligten erforderlich ist, soweit eine Mitwirkungspflicht der Partei besteht (vgl. VwGH 22.3.2018, Ra 2018/01/0045, Rn. 17, mwN).

Fallbezogene Beurteilung

Grundsätzlich

29       In der vorliegenden Rechtssache wendet sich die Amtsrevision im Ergebnis gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Dabei ist Folgendes grundsätzlich vorauszuschicken:

30       Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 30.4.2018, Ra 2018/01/0172, mwN).

31       In der vorliegenden Rechtssache gelingt es der Amtsrevision aus folgenden Erwägungen, eine derart krasse Fehlbeurteilung des Verwaltungsgerichts aufzuzeigen:

Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ähnlichen Fallkonstellationen:

32       Der Verwaltungsgerichtshof hat sich schon vielfach mit dem Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 27 StbG durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit beschäftigt.

33       Dabei hatte der Verwaltungsgerichtshof zuletzt gegen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes zum Inhalt des türkischen Staatsbürgerschaftsrechtes, wonach auch für den Wiedererwerb der türkischen Staatsbürgerschaft zwingend die Antragstellung vorgeschrieben ist, sowie gegen beweiswürdigende Erwägungen, wonach ausgehend von einem Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister erwiesen sei, dass ein solcher Wiedererwerb der türkischen Staatsbürgerschaft vorlag, keine Bedenken (vgl. VwGH 22.3.2018, Ra 2018/01/0045).

34       Auch in der älteren Rechtsprechung beurteilte der Verwaltungsgerichtshof eine Beweiswürdigung der Staatsbürgerschaftsbehörde, wonach (ausgehend von den Bestimmungen des türkischen Staatsangehörigkeitsrechts) für den (Wieder-)Erwerb der Staatsbürgerschaft zwingend die Antragstellung des Einzubürgernden vorgeschrieben sei und Gegenteiliges - nämlich dass die Wiedereinbürgerung im konkreten Fall nicht mit dem Wissen und Willen der dortigen Beschwerdeführerin aufgrund ihres Antrages vorgenommen wurde - nicht glaubwürdig dargelegt worden sei, als schlüssig (vgl. VwGH 19.12.2012, 2012/01/0059, mit Verweis auf ähnliche beweiswürdigende Überlegungen in VwGH 19.4.2012, 2010/01/0021, 26.1.2012, 2009/01/0045, 19.10.2011, 2009/01/0018, und 15.3.2010, 2008/01/0590).

35       In der zuletzt angeführten Entscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof auch auf die (in den angeführten Beschwerdefällen) offenkundige Unmöglichkeit, von Amts wegen personenbezogene Auskünfte von den türkischen Behörden zu erhalten, hingewiesen (vgl. VwGH 15.3.2010, 2008/01/0590, mit Verweis auf VwGH 19.3.2009, 2007/01/0633). In dieser Entscheidung führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass die Türkei das Übereinkommen über den Austausch von Einbürgerungsmitteilungen (ICCS-Konvention Nr. 8) mit Wirksamkeit vom 30. September 2010 gekündigt habe und nach Mitteilung der türkischen Behörden Informationen zur Staatsbürgerschaft im Rahmen des Geheimhaltungsprinzips nur durch den Betroffenen beantragt werden können. Daher stünden einer amtswegigen Ermittlung faktische (und rechtliche) Hindernisse entgegen.

36       Vor diesem Hintergrund hat die Behörde in der vorliegenden Rechtssache beweiswürdigend angenommen, dass die Mitbeteiligten im Jahre 1987 die türkische Staatsbürgerschaft wiedererworben hätten. Dies stützt die Behörde auf den ihr vorliegenden Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister. Die Annahme der Behörde, das türkische Staatsangehörigkeitsrecht lasse den Staatsangehörigkeitserwerb ohne Willenserklärung des Erwerbenden nicht zu und es sei bekannt, dass die türkischen Behörden personenbezogene Auskünfte über den Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit grundsätzlich nicht erteilten, sodass die Mitbeteiligten alleine den Nachweis erbringen müssten, sie hätten den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit - entgegen den Vorgaben des türkischen Gesetzes - nicht beantragt, bewegt sich im Rahmen der (oben angeführten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

37       Dagegen kommt das Verwaltungsgericht beweiswürdigend zum Ergebnis, die Mitbeteiligten seien jedenfalls bis 2006 ununterbrochen im Besitz der türkischen Staatsbürgerschaft gewesen und hätten die türkische Staatsangehörigkeit nicht im Jahre 1987 wiedererworben.

38       Die zuletzt angeführte Annahme teilen selbst die Mitbeteiligten nicht. Diese bringen in ihrer Revisionsbeantwortung vor, das Verwaltungsgericht habe richtig erkannt, dass den Mitbeteiligten eine Entlassungsurkunde (nach dem Ministerratsbeschluss „Nr. 08.05.1985/9465“) nicht übergeben worden sei. In den 80er und 90er Jahren habe die Ausstellung und Zustellung der Entlassungsurkunde ca. zwei Jahre gedauert. Die Mitbeteiligten seien im Jahre 1987 wieder eingebürgert worden, jedoch ohne ihr Zutun (ohne Antrag, Erklärung oder stillschweigende Zustimmung). Dies sei aus dem Grund geschehen, weil die Entlassungsurkunde den Mitbeteiligten nicht zugestellt worden sei. Ohne Zustellung sei daher der Ministerratsbeschluss „08.05.1985/9465“ nicht wirksam und habe eine Wiedereinbürgerung vorgenommen werden müssen.

39       Das Verwaltungsgericht hat sich mit dem Eintrag der Wiedereinbürgerung im vorliegenden Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister nicht beschäftigt. Diese Frage sei nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht zu klären gewesen, weil es ohnehin davon ausgehe, dass die Mitbeteiligten erst ab 2006 die türkische Staatsbürgerschaft verloren hätten.

40       Dies stellt (vor dem Hintergrund der oben angeführten Rechtsprechung) eine aufzugreifende krasse Fehlbeurteilung dar: Der Eintrag der Wiedereinbürgerung der Mitbeteiligten im Auszug aus dem (türkischen) Personenstandsregister kann nämlich aus folgenden Überlegungen nicht ohne Weiteres dahinstehen:

41       So stellt zunächst der beim Verwaltungsgericht angefochtene Bescheid (bei der Feststellung des Zeitpunktes, zu dem die Mitbeteiligten die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG verlorene haben) entscheidend auf das Datum der Wiedereinbürgerung, so wie es im Auszug aus dem Personenstandsregister eingetragen ist, ab.

42       Das Argument, die Frage der Eintragung (der Wiedereinbürgerung) im türkischen Personenstandsregister sei nicht zu klären, weil das Verwaltungsgericht davon ausgehe, dass die Mitbeteiligten erst ab 2006 die türkische Staatsbürgerschaft verloren hätten, widerspricht auch den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur türkischen Rechtslage. Danach kann nach Art. 8 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 vom 11.2.1964 die Wiedereinbürgerung Personen bewilligt werden, welche diese (gemeint: die türkische) Staatsangehörigkeit (aufgrund der Bestimmungen dieses Gesetzes) verloren haben. Damit steht die (eingetragene) Wiedereinbürgerung der Annahme des Verwaltungsgerichtes, die Mitbeteiligten hätten die türkische Staatsangehörigkeit erst 2006 verloren, diametral entgegen.

43       Insbesondere ist aber auf Folgendes hinzuweisen: Eintragungen im türkischen Personenstandsregister (nüfus kütü?ü) haben den Charakter einer öffentlichen Urkunde (resmi belge). Sie und ihre Ausfertigungen bzw. „Auszüge“ gehören nach türkischem Recht zu den Strengbeweismitteln (kesin delil) in Bezug auf den dokumentierten Sachverhalt, sind allerdings dem Gegenbeweis zugänglich (vgl. zu alldem Rumpf/Odendahl, Türkei [Stand 24.2.2017] in Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 52; vgl. auch Art. 43 des [türkischen] Gesetzes über das Personenstandswesen Nr. 5490 vom 25.4.2006, in: Rumpf/Odendahl, aaO, 117).

44       Damit trifft das Argument der Amtsrevision zu, dass diesen Eintragungen und ihren Ausfertigungen bzw. „Auszügen“ (im türkischen Personenstandsregister) erheblicher Beweiswert zukommt.

45       Fallbezogen wurde vom Verwaltungsgericht ein Gegenbeweis der Richtigkeit des - grundsätzlich vom Betroffenen (vgl. Rn. 35) im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht zu erbringenden - Auszuges aus dem türkischen Personenstandsregister nicht aufgenommen bzw. nicht für erforderlich erachtet (vgl. zur Mitwirkungspflicht des Betroffenen VwGH 15.3.2012, 2010/01/0022). Die vom Verwaltungsgericht formulierte (und als unklar bezeichnete) Frage, wie die Eintragung im Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister vom 28. März 2016 entstanden sei, ist bei diesem Stand der Ermittlungen ohne Relevanz.

Ergebnis

46       Aus diesen Erwägungen erweist sich das angefochtene Erkenntnis als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. b und c VwGG aufzuheben.

47       Die Mitbeteiligten haben bei diesem Ergebnis gemäß § 47 Abs. 3 VwGG keinen Anspruch auf Kostenersatz.

Wien, am 10. Juli 2018

Schlagworte

Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018010094.L00

Im RIS seit

24.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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