TE Lvwg Erkenntnis 2018/5/15 LVwG-M-29/001-2017

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Veröffentlicht am 15.05.2018
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Entscheidungsdatum

15.05.2018

Norm

UbG §8

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch
Ing. Mag. Andreas Ferschner als Einzelrichter über die Beschwerde der
A, vertreten durch die B Rechtsanwälte OG in
***, ***, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die Vorführung der Beschwerdeführerin in klinische Abteilung für Erwachsenenpsychiatrie ohne amtsärztliche Untersuchung, zu Recht erkannt.

I.   Der Beschwerde wird stattgegeben und die zwangsweise Vorführung in die klinische Abteilung für Erwachsenenpsychiatrie ohne amtsärztliche Untersuchung für rechtswidrig erklärt.

II. Die belangte Behörde, die Bezirkshauptmannschaft Tulln hat der Beschwerdeführerin, A € 737,60 Euro für Schriftsatzaufwand, und € 922,00 Euro für den Aufwand für die Verhandlung und € 30,00 für die Eingabegebühr, binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu leisten.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

1.   Gang des Verfahrens:

Mit Eingabe vom 13.12.2017 brachte die Beschwerdeführerin eine Maßnahmenbeschwerde ein, in der sie im Wesentlichen vorbrachte, dass sie am 16.11.2017 ohne einer vorherigen Untersuchung durch einen befugten Arzt eine zwangsweise Vorführung in die klinische Abteilung für Erwachsenenpsychiatrie durchgeführt wurde.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat am 16.3.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt und Beweis erhoben durch die Einvernahme der Beschwerdeführerin und der Zeugen C, D, E und G, sowie durch Verlesung des Verwaltungsaktes und der vorgelegten Urkunden.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat erwogen wie folgt:

Die Beschwerdeführerin hat am 16.11.2017 im Caritasheim angefangen sich auffällig zu verhalten. Daraufhin schritt die Ärztin C ein und stellte eine Fremdgefährdung durch aggressives Verhalten fest. Sie kontaktierte den Amtsarzt D damit dieser die Beschwerdeführerin untersuchen soll. Der Amtsarzt gab telefonisch bekannt, dass er eine Einweisung in die klinische Abteilung für Erwachsenenpsychiatrie befürworte. Er schickte auch das Formular für die Einweisung an Frau. C. Diese füllte das Formular aus und schieb einen Vermerk, dass dies im Einvernehmen mit D geschehe. Die in der Folge gerufenen Beamten G und E nahmen wahr, dass das Formular für die Einweisung nicht von einem Amtsarzt ausgefüllt war und hielten deshalb Rücksprache mit D. Dieser versicherte den Beamten, dass die Einweisung zu Recht geschehe. Eine Gefahr in Verzug konnte von den Beamten nicht wahrgenommen werden. Die Einweisung erfolgte unter Androhung von Zwangsmaßnahmen und konnte nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin freiwillig nach *** mitkam.

Der festgestellte Sachverhalt basiert auf folgender Beweiswürdigung:

Die Aussagen der Zeugen C, G und E erwiesen sich im Wesentlichen als gleichlautend und schlüssig. Ebenso decken sich die Aussagen der Zeugen G und E im Hinblick auf die zwangsweise Vorführung der Beschwerdeführerin mit der Aussage der Beschwerdeführerin. Dem stand die gänzlich gegensätzliche Aussage von D entgegen. Es war daher den Ausführungen des Zeugen D nicht zu folgen. Vielmehr war davon auszugehen, dass er die Einweisung befürwortet hatte oder sich so missverständlich ausdrückte, dass von dem Umstand auszugehen war.

Rechtlich folgt:

§ 8. Unterbringungsgesetz: Eine Person darf gegen oder ohne ihren Willen nur dann in eine psychiatrische Abteilung gebracht werden, wenn sie ein/eine im öffentlichen Sanitätsdienst stehende/r Arzt/Ärztin, ein Polizeiarzt/-ärztin oder ein Arzt/eine Ärztin einer Primärversorgungseinheit, die hierfür gemäß § 8 Abs. 7 des Primärversorgungsgesetzes, BGBl. I Nr. 131/2017 verpflichtet wurde, untersucht und bescheinigt, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen. In der Bescheinigung sind im Einzelnen die Gründe anzuführen, aus denen der Arzt die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachtet.

§ 9 Unterbringungsgesetz:

(1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind berechtigt und verpflichtet, eine Person, bei der sie aus besonderen Gründen die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachten, zur Untersuchung zum Arzt (§ 8) zu bringen oder diesen beizuziehen. Bescheinigt der Arzt das Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung, so haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person in eine psychiatrische Abteilung zu bringen oder dies zu veranlassen. Wird eine solche Bescheinigung nicht ausgestellt, so darf die betroffene Person nicht länger angehalten werden.

(2) Bei Gefahr im Verzug können die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person auch ohne Untersuchung und Bescheinigung in eine psychiatrische Abteilung bringen.

(3) Der Arzt und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben unter möglichster Schonung der betroffenen Person vorzugehen und die notwendigen Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren zu treffen. Sie haben, soweit das möglich ist, mit psychiatrischen Einrichtungen außerhalb einer psychiatrischen Abteilung zusammenzuarbeiten und erforderlichenfalls den örtlichen Rettungsdienst beizuziehen.

Im vorliegenden Fall fand die in § 8 Unterbringungsgesetz vorgesehene Untersuchung von einem hierfür vorgesehenen Arzt nicht statt. Auch wenn der Amtsarzt D telefonisch sein Einverständnis gegeben hatte, ersetzt dieses die Untersuchung nicht. Sinn der Bestimmung ist es, dass sich der Amtsarzt selbst ein Bild von dem Einzuweisenden anfertigt und dann eine qualifizierte Diagnose erstellt. Die auf dem fehlerhaften Einverständnis beruhende Einweisung erfolgte somit rechtswidrig. Der Amtsarzt D klärte das Missverständnis jedoch nicht auf, sondern ließ die Beamten im Glauben, dass die Einweisung von ihm angeordnet worden sei. Dass eine Einweisung auf Verlangen vorlag, konnte nicht angenommen werden. Ebenso lag keine Gefahr in Verzug vor, die eine Einweisung rechtfertigen könnte, da die beiden Beamten übereinstimmend angaben, dass die Beschwerdeführerin ansprechbar und nicht aggressiv war zum Zeitpunkt ihres Einschreitens.

Es war daher der Beschwerde aus all diesen Gründen Folge zu geben und die zwangsweise Vorführung in die klinische Abteilung für Erwachsenenpsychiatrie als rechtswidrig zu qualifizieren.

2.   Kosten:

Gemäß § 35 VwGVG hat die obsiegende Partei im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Anspruch auf den Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.

Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerde stattgegeben. Daher war die belangte Behörde die unterlege Partei und die Beschwerdeführerin obsiegende Partei. Aufwandsersatz ist nur auf Antrag der Partei zu leisten. Ein solcher Antrag wurde im Zuge der Verhandlung betreffend die Maßnahmenbeschwerde gestellt.

3.   Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; Einweisung; Arzt; Untersuchung; telefonisches Einverständnis;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.M.29.001.2017

Zuletzt aktualisiert am

18.07.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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