TE Vfgh Erkenntnis 2018/6/11 E4484/2017 ua

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Veröffentlicht am 11.06.2018
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten für eine irakische Staatsangehörige und deren minderjährige Kinder mangels hinreichend substantiierter Begründung der Entscheidung

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.008,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer stellten am 8. November 2010 Anträge auf internationalen Schutz, der Drittbeschwerdeführer am 6. September 2012.

2.       Als Fluchtgrund gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie von ihrer Familie verfolgt werde, weil sie gegen den Willen ihrer Familie ihren jetzigen Ehemann geheiratet und deshalb Schande über ihre Familie gebracht habe. Ihr Bruder habe sie bedroht und Zigaretten auf ihrem Arm ausgedämpft, wovon sie eine Brandwunde erlitten habe. Aus Angst vor weiteren Übergriffen sei sie 2005 mit ihrem jetzigen Ehemann von ihrem Heimatort Zakho nach Mossul geflüchtet, wo sie sich versteckt gehalten habe. Als sie 2010 vom Onkel ihres Ehemannes erfahren habe, dass ihr Vater ihren Aufenthaltsort kenne und sie töten wolle, sei sie mit dem Zweitbeschwerdeführer nach Österreich geflüchtet. Der (kranke) Drittbeschwerdeführer sei von ihrem jetzigen Ehemann 2012 nach Österreich gebracht worden. Der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer machten keine eigenen Fluchtgründe geltend.

3.       Mit Bescheiden vom 12. Jänner 2011 bzw. vom 5. Oktober 2012 wies das (damalige) Bundesasylamt die Anträge der Beschwerdeführer in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 Asylgesetz 2005 ab, erkannte den Beschwerdeführern den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 Asylgesetz 2005 zu und erteilte ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß §8 Abs4 Asylgesetz 2005. Die Abweisung begründete es damit, dass das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin, "Schwierigkeiten mit ihren Eltern" gehabt zu haben, zwar nachvollziehbar sei, es jedoch keine staatliche Verfolgung geltend mache.

4.       Die gegen die abweisenden Entscheidungen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnissen vom 17. Juli 2014 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Es stellte ua. fest, dass "die Schwierigkeiten mit den Eltern […] im Ausmaß der geschilderten realen Vorkommnisse nachvollziehbar [waren]", die vorgebrachte Bedrohung könne jedoch keine asylrelevante Verfolgung begründen.

5.       Mit Erkenntnis vom 25. März 2015 hob der Verwaltungsgerichtshof diese Entscheidungen auf. Begründend führte er aus, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht davon ausgehen hätte dürfen, dass das Fluchtvorbringen der Erstbeschwerdeführerin von vornherein keine Zuerkennung von Asyl rechtfertige, sondern es hätte eine mündliche Verhandlung durchführen müssen, um die für die abschließende Beurteilung des Falles erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen vorzunehmen.

6.       Am 31. Oktober 2017 – über zweieinhalb Jahre nach Aufhebung der Entscheidungen durch den Verwaltungsgerichtshof – führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch. Am 8. November 2017 wies es die Anträge auf Zuerkennung von Asyl mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis neuerlich ab. In der Begründung führte es aus, dass der Erstbeschwerdeführerin zwar zuzugestehen sei, "dass sie eine Bedrohungslage schilderte, die anhand der bestehenden Berichtslage nicht von vornherein als nicht den Tatsachen entsprechend gewertet werden kann", ihr Vorbringen sei jedoch "im Detail betrachtet unschlüssig und in sich nicht nachvollziehbar".

Konkret berief es sich ua. darauf, dass die Erstbeschwerdeführerin zu ihrer Schulbildung unterschiedliche Angaben gemacht habe. Auch habe sie unterschiedlich dargestellt, wie sie ihren jetzigen Ehemann kennengelernt habe. Vor dem Bundesasylamt habe sie angegeben, dass sie ihn auf der Hochzeit ihres Cousins im Jahr 2005 gesehen habe, während sie vor Gericht angegeben habe, dass sie ihn gekannt habe, weil er in der Nähe gewohnt habe. Auch hielt es das Bundesverwaltungsgericht für unverständlich, dass der Drittbeschwerdeführer zunächst im Irak verblieben sei, weil die Eltern der Erstbeschwerdeführerin seinen Aufenthaltsort herausfinden und ihn dafür benutzen hätten können, der Erstbeschwerdeführerin habhaft zu werden. Auch sei auffällig, dass die Erstbeschwerdeführerin nicht die Heiratsdaten ihrer Geschwister kenne. Zum Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin, sie sei von ihrem Bruder mit Zigaretten am Arm verbrannt worden, führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass "[d]erartige tatsächlich erlittenen Verletzungen […] nicht beweisen [können], dass die [Erstbeschwerdeführerin] tatsächlich aus diesem Grunde verletzt wurde". Derartige Verletzungen mögen zwar beweisen, dass die Erstbeschwerdeführerin in der Vergangenheit Verletzungen erlitten habe, ein Rückschluss auf eine einzige konkrete Ursache auf Grund der vielfältigen Möglichkeiten des Entstehens sei jedoch grundsätzlich nicht möglich. Hiezu hätte es eines glaubwürdigen Vorbringens bedurft.

7.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Im Wesentlichen wird vorgebracht, dass sich das Bundesverwaltungsgericht lediglich auf Abweichungen in Details stütze und sich nicht mit dem entscheidenden Kern des Fluchtvorbringens auseinandergesetzt habe.

8.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und die Gerichtsakten vorgelegt; eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

II.      Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Verhalten liegt insbesondere auch dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Entscheidung mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000).

2.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

Die Abweisung der Asylanträge begründet das Bundesverwaltungsgericht – anders als im ersten Rechtsgang – mit der Unglaubwürdigkeit der Erstbeschwerdeführerin. Es geht zwar davon aus, dass ihr Vorbringen nicht "von vornherein" als den Tatsachen widersprechend gewertet werden könne, jedoch sei es "im Detail betrachtet" unschlüssig und in sich nicht nachvollziehbar. Die daran anschließende "Detailbetrachtung" des Bundesverwaltungsgerichtes erschöpft sich aber letztlich darin, dass es einzelne getätigte Äußerungen aus den Einvernahmen herausgreift; damit sucht es Abweichungen aufzuzeigen, wie etwa zum Thema Schulbildung oder Heiratsalter der Geschwister, die jedoch mit dem Fluchtvorbringen in keinem Zusammenhang stehen.

Zudem ist es aktenwidrig, dass die Erstbeschwerdeführerin erst in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, dass ihr jetziger Ehemann in ihrem Heimatdorf in der Nähe gewohnt habe; dies hat sie – wie aus den Akten ersichtlich – bereits vor dem Bundesasylamt angegeben. Völlig außer Acht gelassen hat das Bundesverwaltungsgericht aber, dass die Erstbeschwerdeführerin den Grund ihrer Flucht – Verfolgung durch ihre Familie wegen Heirat gegen den Willen ihrer Eltern – im gesamten Asylverfahren stets gleich beschrieben hat (vgl. VfGH 22.9.2017, E3289/2016; 18.9.2014, E308-310/2014, und 13.9.2013, U1685/2012).

Da auch die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur Brandwunde der Erstbeschwerdeführerin, dass diese keinen Rückschluss auf eine konkrete Ursache ermögliche, die festgestellte Unglaubwürdigkeit nicht zu tragen vermögen, ist die angefochtene Entscheidung mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Begründungsmangel belastet.

III.    Ergebnis

1.       Die angefochtene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführer – der aufgezeigte Mangel schlägt auf die Entscheidung betreffend den Zweit- und den Drittbeschwerdeführer durch (vgl. VfGH 30.6.2016, E381-382/2016) – somit im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander.

2.       Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 501,40 enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Beweiswürdigung, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E4484.2017

Zuletzt aktualisiert am

18.07.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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