TE Lvwg Erkenntnis 2018/5/24 VGW-102/013/1003/2018

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Veröffentlicht am 24.05.2018
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Entscheidungsdatum

24.05.2018

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
19/05 Menschenrechte
41/01 Sicherheitsrecht
20/08 Urheberrecht
20/01 Allgemein bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)

Norm

B-VG Art 130 Abs1 Z2
EMRK Art 8
EMRK Art 10
SPG §82
UrhG §78
ABGB §19

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Helm über die Beschwerde der Frau A. H., G.-straße, Wien gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls– und Zwangsgewalt durch die kurzfristige Abnahme ihres Mobiltelefons und die behauptete Löschung eines Videos vor Rückerstattung, am 9.12.2017 in Wien, gegen die Landespolizeidirektion Wien als belangte Behörde, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 24.5.2018 zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird abgewiesen.

II. Die Beschwerdeführerin hat dem Rechtsträger der belangten Behörde (Bund) Euro 57,40 für Vorlageaufwand, Euro 368,80 für Schriftsatzaufwand und Euro 461,00 für Verhandlungsaufwand, insgesamt sohin Euro 887,20 an Aufwandersatz, binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu leisten.

III. Die Revision ist unzulässig.

Entscheidungsgründe

1. Mit Schriftsatz vom 18.1.2018, eingebracht am 19.1.2018 und sohin rechtzeitig, hob die Einschreiterin Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, worin sie zum Sachverhalt vorbringt:

„Ich fuhr am 09.12.17 um ca. 15.15 Uhr mit meinem Fahrrad auf die M.-straße von der Inneren Stadt Seite kommend, da ich auf meinem Heimweg von einer Lehrveranstaltung noch Geschenke einkaufen wollte. An einer Stelle am Anfang der M.-straße befanden sich Betonblöcke mit einem Polizeischild und einem Absperrband davor. Daran war ein Einfahrtverboten-Schild montiert. Da ich mir unsicher war, ob sich dieses Schild auf die gesamte M.-straße bezog oder nur auf den mittleren Teil blieb ich kurz stehen. Da sah ich, dass ein Polizist und eine Polizistin einen jungen Mann, der ein Fahrrad bei sich hatte, angehalten hatten. Ich ging dort hin, um mich zu erkundigen, für welchen Bereich das Fahrverbot für Räder gelte. Als ich bei den drei Personen ankam, fragte der Mann gerade die Polizistin, was ihm vorgeworfen werde. Sie antwortete" dass sie seine Adresse wolle. Er fragte wiederum nach, was ihm vorgeworfen werde. Sie antwortete wiederum nur, dass sie seine Adresse wolle. Die gab er ihr dann. Sie schrieb sie auf und sagte: "Das nächste mal überlegen Sie sich dann, ob Sie einen Polizisten als "deppat" bezeichnen". Er sagte, dass hätte er nicht so gesagt und sie meinte: "Doch, Sie haben gesagt, Sans do ned so deppad jetz'". Ich sagte ihm, dass er das Recht habe die Dienstnummer von ihr zu bekommen, 'Worum er dann auch fragte. Die Polizistin sagte sehr schnell und undeutlich irgendeine Zahl, so dass bei mir der Eindruck erweckt wurde, dass sie die Dienstnummer eigentlich nicht mitteilen wollte. Ich verstand ...3 und fragte nach, ob sie ...3 gesagt habe. Die Polizistin antwortete: "Wenn Sie ...3 verstanden haben, dann wird es wohl ...3 sein.". Aufgrund des sarkastischen Untertones nahm ich an, dass es sich nicht um ihre Dienstnummer handelte und da sie auf das Nachfragen offensichtlich nicht bereit war die Dienstnummer zu wiederholen, versuchte ich ein Video von ihr zu machen. Dies auch um zu dokumentieren, wie sie auf eine erneute Frage nach der Dienstnummer reagieren würde. Daraufhin riß sie mir ohne Vorwarnung mein Handy aus der Hand und sagte: "Jetzt haben 'Wir auch eine Amtshandlung. Jetzt geben Sie mir ihren Ausweis auch." Ich fragte, ob ich etwas Verbotenes getan habe und sie meinte, dass Polizisten auch ein Recht auf Privatssphäre haben und dass sie das Bild löschen würde. Ich gab ihr meinen Ausweis. Sie löschte das Video und gab mir den Ausweis und das Handy dann zurück. Dann fragte ich sie noch einmal nach der Dienstnummer und sie antwortete wieder recht schnell und undeutlich, aber dieses Mal hatten ich und der junge Mann damit gerechnet. Die Dienstnummer, die sie angab, lautet ....1. Meiner zuvor gestellten Bitte, die Dienstnummer aufzuschreiben, kam sie nicht nach.“

Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch die Wegnahme ihres Mobiltelefons und die Löschung des Videos von ihrem Recht auf Eigentum, aber auch in ihren Rechten gemäß Art. 8 und 10 im EMRK verletzt. Beides sei ohne gesetzliche Grundlage erfolgt und daher ihrer Ansicht nach als rechtswidrig zu qualifizieren, Sollte es doch eine gesetzliche Grundlage geben, sei die Maßnahme jedenfalls als unverhältnismäßig zu qualifizieren. Ihr Eigentumsrecht sei insofern eingeschränkt worden, als ihr die Nutzung ihres Eigentums auf eine bestimmte Art und Weise, nämlich das Filmen mit ihrem Mobiltelefon, nicht möglich gewesen sei. Zum einem sei das Aus-der-Hand-Reißen von Gegenständen und das Anschauen der Inhalte eines Mobiltelefons, wenn auch nur kurz, als Eingriff in die psychische Integrität zu werten, zum anderen sei sie auch in ihrem Recht auf Kommunikationsfreiheit verletzt worden.

Die Beschwerdeführerin beantragt daher, die angefochtenen Maßnahmen nach dem Führen einer öffentlichen mündlichen Verhandlung kostenpflichtig für rechtswidrig zu erklären.

2. Mit Schriftsatz vom 7.3.2018 legte die belangte Behörde auftragsgemäß den Verwaltungsakt, bestehend aus einem Eintrag in das Tagesprotokoll vom 9.12.2017, vor. Dieser beschreibt für die Zeit 9.12.2017, 15:19 Uhr bis 15:25 Uhr in Wien, Kreuzung M.-straße T.-gasse, folgenden Sachverhalt:

„Im Zuge des E/... wurde der Fahrradfahrer R. P., … 1981 qeb., Wien, L.-gasse wh., aufgefordert in der sich in dem durch Barikaden und Fahrverbotstafeln abgegrenzten Bereich auch mit dem Fahrrad an das Fahrverbot bis 19h zu halten.

Die Antwort hierzu war "sein sie doch net so depat“ woraufhin eine I-Feststellung durchgeführt wurde. R. empfand die gesamte AH als reine Schikane und unrechtmäßig.

Eine weitere unbeteiligte Fahrradfahrerin, H. A., … 1991 geb., Wien, G.-straße wh., beobachtete die Situation, stellte sich demonstrativ daneben und fotografierte mit Ihrem Mobiltelefon die uEB, damit, lt. ihren Angaben, der Herr ein Foto von denen hat die ihn schikanieren. Das Foto wurde durch wRevlnsp. M. von dem Handy der H. gelöscht und diese über die Rechtslage aufgeklärt und ebenfalls einer I-Feststellung unterzogen.

Es wurde an beide Fahrradfahrer die Dienstnummer ....1 ausgefolgt.“

Unter einem erstattete die belangte Behörde zu ihrer GZ ... eine Gegenschrift, worin sie zum oben wiedergegebenen Eintrag in den Tagesbericht anmerkt, dass dieser einen sinnverkehrenden Schreibfehler enthalte. Tatsächlich sei das Foto durch die Exekutivbeamtin nicht gelöscht worden. Die Gegenschrift enthält folgenden, ausführlicheren Sachverhalt:

„Am 09.12.2017, von 15.00 bis 19.00 Uhr, befanden sich die uEB Revlnsp M. und Insp HA. in Wien, M.-Straße, im Einsatz. Im Zuge ihres Streifendienstes führte Revlnsp M. eine Amtshandlung mit einem Fahrradfahrer (Herrn R.), welcher aufgrund einer Verwaltungsübertretung angehalten wurde. Herr R zeigte sich zunächst uneinsichtig und bezeichnete die Anhaltung als Schikane. In diesem Augenblick mischte sich die zuvor völlig unbeteiligte BF (ebenfalls mit dem Fahrrad unterwegs) in die Amtshandlung ein, indem sie unentwegt Herrn R darauf hinwies, dass dieser die Dienstnummer der uEB verlangen solle.

Diese Intervention der BF war jedoch insofern entbehrlich, als die uEB die Ausfolgung der Dienstnummer ohnedies längst zugesichert hatte. In der Folge wurde die BF mehrmals aufgefordert, die Anhaltung nicht weiter durch ihre Zurufe zu stören.

Die BF leistete jedoch nicht Folge, sondern zückte stattdessen ihr Handy und hielt es dicht vor den Gesichtsbereich der uEB.

Trotz dieser ständigen Störungen durch die BF gelang es der uEB, die Amtshandlung mit Herrn R zu beenden. Dabei ist hervorzuheben, dass die uEB Herrn R ihre Dienstnummer unmissverständlich mitteilte.

Dennoch bemängelte die BF, welche nicht Betroffene der Amtshandlung gewesen war, im aufgebrachten Tonfall: ,,...3 ist doch keine Dienstnummer. Ich filme das mit". Dabei hielt sie das Handy mit äußerst unruhiger Hand dermaßen dicht vor das Gesicht der uEB, dass diese sogar mit dem Kopf zurückweichen musste, um nicht getroffen zu werden. Die Amtshandlung mit Herrn R war zu diesem Zeitpunkt längst beendet.

Es folgten mehrere, allerdings erfolglose Versuche, die BF zu beruhigen und deeskalierend auf sie einzuwirken. Als die BF mit zunehmender Erregung weiterhin mit dem Handy unmittelbar vor dem Gesicht der uEB herumfuchtelte, hatte die uEB keine andere Wahl und musste, um sich selbst zu schützen, der zudringlichen BF den harten Gegenstand (Handy) abnehmen.

Obwohl durch das Verhalten der BF der Tatbestand des § 82 SPG längst erfüllt wurde, versuchte die uEB weiterhin beruhigend auf die sehr erregte BF einzuwirken. Deswegen wurde die BF durch die EB trotz ihres Verhaltens lediglich abgemahnt und zur Ausweisleistung aufgefordert.

Während die BF ihren Ausweis suchte, hatte die uEB deren Handy in der Hand und konnte feststellen, dass weder die Foto- noch die Videofunktion aktiviert waren. Nach Erhalt des Ausweises wurde das Handy zurückgegeben. Die BF beschuldigte nun die uEB, diese habe den soeben gedrehte Film gelöscht. Die uEB wies dies zurück. Letztlich zeigte sich die BF verständig und entschuldigte sich für ihr Verhalten.

Aufgrund der Einsichtigkeit der BF beließ es die uEB bei einer Abmahnung und beendete die Amtshandlung, um eine weitere Eskalation hintanzuhalten.

Es wird betont, dass - wie aus obigem Sachverhalt ersichtlich - die BF im relevanten Zeitpunkt offensichtlich gar nicht die "Amtshandlung an sich" zu filmen versuchte, sondern ausschließlich das Gesicht der uEB, während diese sprach. Andernfalls hätte die BF sicherlich mehr Abstand zur uEB halten müssen, um die gesamte Szenerie (und nicht nur den Gesichtsbereich der uEB) zu erfassen. Die BF wollte aber insbesondere auch den Ton dessen aufnehmen, was die uEB sagte, sodass sie deswegen das Handy möglichst nahe an den Mund der uEB führte.“

In rechtlicher Hinsicht wird auf den Tatbestand des aggressiven Verhaltens gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht nach § 82 Abs. 1 SPG verwiesen. Die Beschwerdeführerin habe diesen Tatbestand erfüllt, indem sie trotz Abmahnung ihr Handy unentwegt dicht mit dermaßen unruhiger Hand vor das Gesicht der uniformierten Exekutivbeamtin gehalten habe, dass diese begründet habe fürchten müssen, am Körper verletzt zu werden, und dass die Bf darüber hinaus ständig im aggressiven Tonfall (unberechtigt) die Herausgabe der Dienstnummer gefordert habe.

Zur Verhältnismäßigkeit wird ausgeführt, die einschreitende Exekutivbeamtin habe erkannt, dass die Beschwerdeführerin unter starker nervlicher Anspannung agiert habe, und habe deshalb versucht, deeskalierend zu handeln. Allerdings sei sie selbst auch in einer dermaßen schwierigen Situation verpflichtet gewesen, auf ihre körperliche Integrität zu achten. Die kurzfristige Abnahme des Handys, bei dem weder Körperkontakt zu der Beschwerdeführerin hergestellt werden musste noch das Handy beschädigt wurde, sei daher das gelindeste Mittel zur Abwehr der Bedrohung und somit als maßhaltend zu beurteilen gewesen. Darüber hinaus habe die Beamtin keine Manipulation am Handy vorgenommen. Der kurzfristige Eingriff in die Eigentumsrechte der Beschwerdeführerin wiege im Vergleich zum drohenden Eingriff in die körperliche Integrität der Beschwerdeführerin wesentlich leichter und sei somit auch verhältnismäßig gewesen.

Letztlich wird darauf verwiesen, dass die Verpflichtung zur Bekanntgabe der Dienstnummer nur gegenüber einer von der Amtshandlung betroffenen Person, nicht aber gegenüber Dritten bestehe. Die Beschwerdeführerin, welche gar nicht von der Amtshandlung betroffen gewesen sei, sei somit gar nicht berechtigt gewesen, von der Beamtin die Bekanntgabe ihrer Dienstnummer zu verlangen. Dennoch habe sie die Beamtin in höchst rücksichtsloser (zuvor bereits mehrfach beschriebener) Weise zur Bekanntgabe ihrer Dienstnummer gedrängt. Die belangte Behörde beantragt daher die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

3. Am 24.5.2018 fand die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien statt, zu der die Beschwerdeführerin sowie Frau Revierinspektor M. und Herr Inspektor Ha. als Zeugen ladungsgemäß erschienen sind. Herr P. R. wurde als weiterer Zeuge von der Beschwerdeführerin stellig gemacht; die belangte Behörde war durch Frau Mag. C. vertreten Nach Schluss des Beweisverfahrens wurde das Erkenntnis verkündet.

3.1. Aufgrund des Akteninhaltes, der Einvernahme der genannten Zeugen und der Parteienvernehmung hat das Verwaltungsgericht Wien folgenden Sachverhalt festgestellt und als erwiesen angenommen:

Die beiden als Zeugen geführten Exekutivbeamten waren am 9.12.2017, einem Einkaufssamstag, mit der Überwachung der stadtnahen Zufahrt zur M.-straße betraut, für die an diesem Tag ein Einfahrtverbot von allen Seiten bestand. Im Zuge dieser Tätigkeit hielten sie den Zeugen R. an, welcher die gesperrte Zone fast in der gesamten Länge trotz Einfahrtverbot bereits mit dem Fahrrad durchquert hatte und gerade dabei war, in Richtung Innenstadt aus der gesperrten Zone auszufahren. Kurz nachdem diese Amtshandlung zwischen dem – die M.-straße in Richtung Innenstadt absperrenden – Betonblöcken begonnen hatte, kam die Beschwerdeführerin aus Richtung Innenstadt und stieg an dieser Stelle ab, da sie das Verkehrszeichen „Einfahrt verboten“ erkannt hatte. Da sie die Amtshandlung wahrnahm und diese nach eigener Darstellung „unpassend“ fand, ging sie zunächst hin zu der Stelle, wo die Amtshandlung geführt wurde. Sie konnte wahrnehmen, dass die Polizeibeamtin M. von dem Radfahrer einen Ausweis verlangte und ihm vorwarf, zu ihr gesagt zu haben, sie solle doch „ ned so deppat“ sein.

Daraufhin schritt die Beschwerdeführerin ein, indem sie dem Radfahrer (dem Zeugen R.) sagte, dass er das Recht habe, die Dienstnummer zu verlangen. Der Radfahrer verlangte die Dienstnummer auch, wobei nicht festgestellt werden kann, ob er dies aufgrund der Anregung der Beschwerdeführerin oder aus Eigeninitiative getan hat. Jedenfalls verstand die Beschwerdeführerin die dem Zeugen R. daraufhin mitgeteilte Dienstnummer nicht und nahm an, auch der Zeuge R. werde sie nicht verstanden haben. Darüber regte sich die Beschwerdeführerin auf, es sei eine Frechheit, die Beamtin sei verpflichtet, die Dienstnummer bekannt zu geben, und die Beschwerdeführerin werde sie jetzt filmen. Unmittelbar darauf aktivierte die Beschwerdeführerin die Videofunktion auf ihrem Mobiltelefon oder versuchte dies zumindest, und hielt ihr Telefon sodann vor das Gesicht der Beamtin und versuchte, daraufzuhalten. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich in unmittelbarer Nähe der Beamtin, bloß das Fahrrad der Bf befand sich zwischen den beiden, sodass der Abstand nicht viel mehr als einen Meter betragen haben kann. Die Beamtin, welche die Beschwerdeführerin bereits vorher aufgefordert hatte, die Amtshandlung nicht zu stören, ermahnte die Beschwerdeführerin mehrmals, ihr Verhalten einzustellen, und nahm ihr sodann das Mobiltelefon aus der Hand, als die Beschwerdeführerin in ihrem Verhalten fortfuhr. Gleichzeitig forderte sie die Beschwerdeführerin zur Ausweisleistung auf.

Während die Beschwerdeführerin nach ihrem Ausweis kramte, versuchte die Beamtin festzustellen, ob die Beschwerdeführerin ein Foto oder Video von ihr bereits angefertigt hatte.

Es kann nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin die Foto- oder Videofunktion ihres Mobiltelefons tatsächlich erfolgreich aktiviert, und dass die Beamtin bei der Überprüfung ein entdecktes Foto oder Video gelöscht hätte. Nach der Ausweisleistung erstattete die Beamtin der Beschwerdeführerin das Mobiltelefon jedenfalls zurück, welches sich somit nur wenige Minuten im Besitz der Beamtin befunden hat.

3.2. Diese Feststellungen gründen sich auf folgende Beweisergebnisse:

Die divergierenden Aussagen der Beschwerdeführerin und der Zeugin M., betreffend die von ersterer behauptete Löschung eines zuvor aufgenommenen Fotos oder Videos, haben in etwa die gleiche Wahrscheinlichkeit für sich. Für das Vorfinden und die daraufhin vorgenommene Löschung eines Fotos oder Videos spricht zunächst der Tagesbericht, wobei aber durchaus in Rechnung zu stellen ist, dass dieser – wie von der Zeugin M. glaubwürdig ins Treffen geführt - erst im Anschluss an einen nachfolgenden Nachtdienst verfasst worden ist und der Inhalt von beiden befassten Beamten nicht mehr für besonders wichtig gehalten wurde, da weder gegen den Zeugen R. noch gegen die Beschwerdeführerin letztlich eine Anzeige erstattet worden war, sondern sich die Beamten in beiden Fällen mit einer Abmahnung begnügt hatten.

Dagegen spricht, dass die Beschwerdeführerin selbst eher annahm, es sei ihr nicht gelungen, ein Foto vom Gesicht oder „der Reaktion“ der Beamtin M. anzufertigen. Zwar beharrte sie darauf, die Videofunktion aktiviert zu haben, nahm aber an, sie werde damit zunächst nur die Straße aufgenommen haben, weil ihr das Mobiltelefon unverzüglich von der Beamtin weggenommen worden sei. Letztlich nimmt sie auch nur an, dass eine Aufnahme zustande gekommen sei, selbst wenn sie sich sicher ist, die Videofunktion aktiviert zu haben. Allerdings wäre unter Zugrundelegung ihrer Angaben wiederum nicht einsichtig, welches Interesse die Zeugin M. gehabt haben sollte, ein Foto oder eine Videoaufnahme zu löschen, wenn diese nur die Straße gezeigt haben.

Im Übrigen kann der Beschwerdeführerin schon deshalb keine höhere Glaubwürdigkeit als der Zeugin M. zugebilligt werden, weil sie entscheidende Fragen immer wieder ausweichend beantwortete. So gab sie zwar an, ihr Handy in einer Entfernung von „mindestens einem Meter“ von der Polizistin aktiviert zu haben, wich aber dem Vorhalt, dass unter diesen Umständen eine Porträtaufnahme der Polizistin entstehen würde, aus, indem sie sagte, sie wisse nicht, was auf dem Video drauf gewesen sei. Auf Nachfrage gab sie zu ihrer Absicht bekannt, sie habe kein Porträt der Polizistin machen wollen, sondern nur deren Reaktion aufnehmen, wobei offenbleibt, was der entscheidende Unterschied sein sollte. Auf die Frage, woher sie das Recht nehme, eine Polizistin bzw. deren Reaktion aus nicht viel mehr als einen Meter Entfernung aufzunehmen, antwortete sie nicht direkt, sondern verwies darauf, die Polizistin hätte ja die Pflicht gehabt, dem Radfahrer die Dienstnummer zu sagen. Den Vorhalt, dass nicht die Beschwerdeführerin die Berechtigte dieser Pflicht gewesen wäre, beantwortete sie auch nicht direkt. Sie gab dann vielmehr an, sie habe sich gedacht, es mache Sinn, die Aufnahme als Beweismittel zu haben. Befragt wofür dies Sinn mache, gab sie an, „für was auch immer“.

Nicht zuletzt durch Antworten wie die zuletzt zitierte entstand der Eindruck, die Beschwerdeführerin habe aufgrund eines besonders ausgeprägten Rechtsempfindens agiert, das sich nicht notwendigerweise mit der tatsächlichen Rechtslage decken mag, welchen Umstand sie allerdings zu ignorieren geneigt ist.

Eine Verletzung der Beschwerdeführerin bei der oder durch die Wegnahme des Handys wird nicht behauptet. Wenn die Beschwerdeführerin letztlich aus dem Umstand, dass sie die Sperrfunktion ihres Handys auf eine Minute eingestellt habe, diese bei der Rückgabe aber nicht aktiviert gewesen sei, schließen möchte, dass die Beamtin M. etwas mit dem Handy gemacht habe, insbesondere etwas gelöscht habe, weil ihr die Wegnahme des Handys wie fünf Minuten vorgekommen sei, so ist dem zunächst entgegenzuhalten, dass solch eine Situation durchaus bei beiden Beteiligten den Eindruck erweckt haben kann, sie habe mehrere Minuten gedauert; so hat auch die Zeugin M. angegeben, das Kramen nach dem Ausweis durch die Beschwerdeführerin habe ziemlich lange gedauert, währenddessen habe sie deren Mobiltelefon in der Hand gehalten. Andererseits ist es eine Erfahrungstatsache, dass gerade solche unangenehme Situationen von beiden Beteiligten als deutlich länger eingeschätzt werden, sodass auch eine Dauer unter einer Minute durchaus im Bereich des Denkbaren ist. Zudem hat die Beamtin selbst eingeräumt, nachgesehen zu haben, ob sich eine Aufnahme auf dem Telefon befinde, und keine entdeckt zu haben. Auch in diesem Fall müsste sie die Oberfläche des Smartphones berührt und damit die Einschaltung der Sperre verzögert haben. Das von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Argument beweist sohin gar nichts.

Letztlich ist von einer gewissen Nervosität beider Beteiligter, insbesondere auch bei der Beschwerdeführerin auszugehen, welche dies für den Zeitraum nach der Wegnahme des Handys selbst eingeräumt hat. Aufgrund der Situation und der auch in diesem Punkt glaubwürdigen Angabe der Zeugin M., wonach sie schon zu Beginn von der Bf angeschrien worden sei, ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin auch schon vor der wirklichen oder vermeintlichen Aktivierung der Video- oder Fotofunktion ihres Handys ausgesprochen erregt war und die Details der Amtshandlung nicht mehr ganz verlässlich wahrgenommen hat.

3.3. In rechtlicher Hinsicht wurde erwogen:

Das Verhalten der Beschwerdeführerin, welche sich ziemlich erregt in die Amtshandlung gegen den Zeugen R. eingemischt hat, konnte entsprechend den oben festgestellten Tatsachen von der Zeugin Rev. Insp. M. durchaus vertretbar als aggressives Verhalten gewertet werden. Unter diesen Umständen wäre eine Anzeigeerstattung und in weiterer Folge sogar die Festnahme möglich gewesen. Demgegenüber stellt die kurzfristige Wegnahme des Mobiltelefons der Beschwerdeführerin das denkbar gelindeste Mittel dar.

Am Rande sei noch auf die - mangels überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht feststellbare – Variante der Löschung einer bereits vorhandenen Aufnahme der Beamtin durch die Beschwerdeführerin eingegangen. Hierzu ist ganz allgemein festzuhalten, dass Beamte wie andere Personen auch ein Recht auf das eigene Bild besitzen, welches durch Nahaufnahmen (anders als durch Aufnahmen einer Szenerie im öffentlichen Raum) verletzt wird. Zulässig wären solche Nahaufnahmen ohne Zustimmung des fotografierten Beamten lediglich dann, wenn das öffentliche Interesse an solchen Aufnahmen überwiegt, etwa bei der sichtbaren Misshandlung einer Person durch einen Beamten. Die Durchführung einer gewöhnlichen Amtshandlung – mag sie auch von beiden Seiten etwas lautstark geführt worden sein – rechtfertigt jedoch nicht Portraitaufnahmen oder vergleichbare Nahaufnahmen eines Beamten, auch nicht unter Hinweis auf die – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Kommunikationsfreiheit (Art. 10 EMRK).

Der Beamte ist daher – wie andere Personen auch – vom Zivilrecht (§ 19 ABGB) in begrenztem, nämlich verhältnismäßigen, Ausmaß zur Selbsthilfe berechtigt. In diesem Sinne überschritten die kurzfristige Wegnahme eines Mobiltelefons, mit dem Nahaufnahmen der Beamtin ohne deren Zustimmung gemacht worden sind, und deren Löschung sowie die unverzügliche Rückgabe des Handys keineswegs das Verhältnismäßigkeitsgebot. Grundsätzlich ist es Polizeibeamten nicht verboten, auch während einer Amtshandlung ihre privaten Rechte in vernünftiger und verhältnismäßiger Art und Weise zu wahren.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

IV. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 VwGVG iVm der VwG-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 517/2013.

V. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; Mobiltelefon; Video anfertigen; kurzfristige Abnahme; aggressives Verhalten; gelindestes Mittel; Recht auf das eigene Bild; öffentliche Interessen; Kommunikationsfreiheit; Verhältnismäßigkeitsgebot; Selbsthilfe; private Rechte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.102.013.1003.2018

Zuletzt aktualisiert am

13.07.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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